Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Die folgenden Fälle befassen sich schwerpunktmäßig mit den Gewährleistungsregeln des Besonderen Schuldrechts, setzen also die Behandlung der Sachmängelhaftung im JurTel 2004 Heft 12 fort und ergänzen diese u. a. durch einen Fall zur Rechtsmängelhaftung.

Gebrauchtwagenkauf: Im Vertrag eingetragene Laufleistung des Pkw als Beschaffenheitsvereinbarung; falscher Tachostand als Sachmangel, § 434 I 1 BGB. Gewährleistungsausschluss; Beschaffenheitsgarantie, § 444 BGB. Rücktrittsrecht des Käufers beim nicht behebbaren Mangel, §§ 437 Nr. 2, 326 V, 275 BGB

OLG Koblenz Urteil vom 1. 4. 2004 (5 U 1385/03) NJW 2004, 1670

Fall (Gewaltsam zurückgedrehter Tacho)

Frau F kaufte von V, einem Privatmann, einen 6 Jahre alten gebrauchten Pkw Mercedes Kombi, den V ebenfalls gebraucht erworben hatte, für 10.000 €. Der Kilometerstand des Tachos zeigte 207 172, was in den schriftlich abgeschlossenen Vertrag von V eingetragen wurde. Der Vertrag enthielt die Klausel, dass der Verkauf unter Ausschluss der Gewährleistung erfolgt. Dem Verkauf waren Verhandlungen vorangegangen, bei denen F von ihrem Schwiegervater K unterstützt wurde. K hatte sich nach der Anzahl der Vorbesitzer, der Unfallfreiheit und der Gesamtleistung erkundigt, wobei V bestätigte, dass der Tachostand mit der Laufleistung übereinstimmte. K wollte auch den Vertrag zwischen V und dem Vorbesitzer einsehen, den V aber nicht vorlegen konnte. Den von V ursprünglich geforderten Preis von 11.300 € konnte K unter Hinweis auf die Zahl der Vorbesitzer auf 10.000 € herunterhandeln. F zahlte die 10.000 € und übernahm das Fahrzeug. Als ihr Zweifel am angeblichen Kilometerstand kamen, beauftragte sie einen Sachverständigen, der feststellte, dass der Wegstreckenzähler bei einer Laufleistung von 300 000 km gewaltsam um 100 000 km oder sogar um 200 00 km zurückgedreht worden war. F verlangt von V Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Pkw.

I. Als Anspruchsgrundlage kommen die Vorschriften über die Gewährleistung für Sachmängel in Betracht, nach denen eine Rückzahlung nach Rücktritt verlangt werden kann. Im vorliegenden Fall sind das §§ 437 Nr. 2, 326 V, 323, 346 BGB.

1. Zwischen F, die den Vertrag offensichtlich selbst geschlossen hat hat, und V ist ein Kaufvertrag nach § 433 zu Stande gekommen.

2. Der verkaufte Pkw müsste mangelhaft gewesen sein, wobei ein Sachmangel nach § 434 in Betracht kommt.

a) Nach § 434 I 1 ist die Sache nur dann frei von Sachmängeln, wenn sie die vereinbarte Beschaffenheit hat. Als Beschaffenheit wurde in das Vertragsformular eine bestimmte Laufleistung des Pkw eingetragen. Diese bezog sich auf einen bestimmten Zustand des Pkw und war deshalb eine Beschaffenheitsvereinbarung. (Vgl. auch OLG Karlsruhe NJW 2004, 2456, wonach eine Beschaffenheitsvereinbarung sogar vorliegen kann, wenn die Parteien das Datum der Erstzulassung des Pkw in den Vertragstext aufnehmen.)

b) OLG S. 1670 unter 1: Danach ist das der Kl. verkaufte Fahrzeug hinsichtlich der angenommenen Fahrleistung nicht von der vereinbarten Beschaffenheit. Im Vertrag ist der Kilometerstand mit 207 172 angegeben. Die Parteien sind bei ihren Verhandlungen davon ausgegangen, dass diese Angabe der Gesamtfahrleistung des Pkw entspricht. Diese Annahme ist falsch…Somit ist der der Kl. veräußerte Pkw mangelhaft (434 BGB).

3. Es kommt ein Ausschluss der Sachmängelhaftung in Betracht.

a) Bei einem Kauf unter Privaten – anders beim Verbrauchsgüterkauf nach § 475 BGB – ist ein Gewährleistungsausschluss grundsätzlich zulässig (Schluss aus § 444 BGB). Bei gebrauchten Sachen ist der überdies auch durch AGB möglich (Schluss aus dem auf neue Sachen beschränkten § 309 Nr. 8 b BGB.) Der von V und K in dem schriftlichen Vertrag vereinbarte Gewährleistungsausschluss könnte deshalb dem Sachmängelanspruch der F entgegenstehen.

b) Nach § 444 BGB kann sich der Verkäufer auf eine Ausschlussklausel zunächst dann nicht berufen, wenn er den Mangel arglistig verschwiegen hat. Davon kann im vorliegenden Fall aber nicht ausgegangen werden, weil nicht feststeht, dass V die Manipulation am Tacho vorgenommen hat oder Kenntnis von einer Manipulation des Vorbesitzers hatte. Möglicherweise war V selbst Opfer eines falsch angegebenen km-Standes.

Weiterhin erfasst § 444 den Fall, dass der Verkäufer eine Garantie für die Beschaffenheit der Sache übernommen hat. Es handelt sich um den gleichen Begriff wie im „insbesondere-Satz“ des § 276 I 1 BGB (Hk-BGB/Saenger, 3. Aufl. 2003, § 444 Rdnr. 6; gleicher Begriff auch in 442 I 2). Erforderlich ist, dass der Verkäufer eine bestimmte Beschaffenheit der Sache zugesichert hat, was in der Regel nur durch Auslegung festgestellt werden kann. Soweit es im vorliegenden Fall auf die Erklärungen und den Empfängerhorizont der Käuferseite ankommt, ist auch auf K als Verhandlungsvertreter für F abzustellen (Rechtsgedanke des § 166 I BGB). OLG S. 1670/1 unter 1: Der Schwiegervater der Kl., der Zeuge K, führte in Anwesenheit der Kl. für diese die Verhandlung. Sein Wissens- und Kenntnisstand ist (positiv wie negativ) nach den Grundsätzen der „Wissenszusammenrechnung“ der Kl. zuzurechnen (Palandt/Heinrichs, § 166 8).

K hat sich intensiv nach den wertbildenden Eigenschaften des Fahrzeugs erkundigt, was deutlich machte, dass die Kaufentscheidung davon wesentlich abhängen sollte. V musste wissen, dass K und F sich auf seine Angaben, zumindest was den Kilometerstand betraf, verlassen haben. Dann durften K und F die Angaben des V zur Laufleistung auch als Zusicherung und Garantie verstehen. Somit kommt der Gewährleistungsausschluss gemäß § 444 nicht zur Anwendung und steht einem Recht der F aus § 437 nicht entgegen.

II. § 437 verweist auf ein Rücktrittsrecht nach §§ 440, 323, 326 V. § 440 bleibt außer Betracht, solange nicht feststeht, dass eine Fristsetzung nach den allgemeinen Vorschriften erforderlich ist. Die nach § 323 grundsätzlich erforderliche Fristsetzung entfällt in dem spezielleren Fall des § 326 V.

1. Nach § 326 V kann F als Gläubigerin zurücktreten, wenn dem Schuldner V die Leistung nach § 275 unmöglich ist. Das ist der Fall bei einem nicht behebbaren Mangel. Ein solcher liegt hier vor, weil V den verkauften Mercedes Kombi nicht mit einer Laufleistung von 207 172 km liefern kann. Auch ist V als Privatmann nicht verpflichtet, statt des als Stückschuld verkauften Autos ein gleichwertiges anderes Auto zu besorgen.

2. Nach Abgabe der Rücktrittserklärung, die der F ohne weiteres möglich ist, kann sie nach §§ 326 V, 323 I, 346 I Rückzahlung der 10 000 € verlangen.

3. Allerdings hat auch F nach § 346 I „die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben“. Nach § 348 erfolgt die beiderseitige Rückgabe und Nutzungsherausgabe Zug um Zug.

a) Also muss F das Auto zurückgeben, wozu sie laut Sachverhalt bereit ist.

b) Zu den Nutzungen gehören die Gebrauchsvorteile (§ 100 BGB), d. h. die mit dem Auto gefahrenen Kilometer. Da diese nicht in natura herausgegeben werden können, muss F hierfür Wertersatz leisten (§ 346 II Nr. 1). F muss also an V eine Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer zahlen (Palandt/Putzo § 439 Rdnr. 25; OLG Karlsruhe NJW 2004, 2456/7; zur Berechnung im vorliegenden Fall OLG Koblenz S. 1671 unter 3: …nach einer linearen Amortisation unter Berücksichtigung der gefahrenen Kilometer und der Restlaufleistung des Fahrzeugs…).

Ergebnis: F hat gegen V einen Anspruch auf Zahlung von 10.000 € abzüglich der Nutzungsentschädigung und Zug um Zug gegen Rückgabe des Pkw.

Zusammenfassung