Bankrecht: Rechtsbeziehungen zwischen Bank und Bankkunde bei Verwendung einer Bankkarte (EC-Karte); Geldabheben nach Diebstahl, § 676 h BGB; Haftung des Bankkunden; Zusammenverwahrung von Karte und Geheimnummer als Vertragsverletzung; Beweislast für die Zusammenverwahrung; Anscheinsbeweis – BGH NJW 2004, 3623

Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Es folgt eine BGH-Entscheidung zum Bankrecht. Sie betrifft für die Praxis wichtige Fragen, weshalb sie in den Medien Aufmerksamkeit gefunden hat, enthält aber auch grundsätzliche juristische Überlegungen, die den Ausschlag dafür gegeben haben, sie hier zu behandeln. Wesentliche Fragen des Bankrechts sind in §§ 676a ff. BGB geregelt, u. a. die Rechtslage bei Überweisungen (§§ 676a ff.), die Rechtsbeziehungen zwischen den am Zahlungsverkehr beteiligten Banken (§§ 676d f.), der Girovertrag (§§ 676 ff.). Eine Reihe anderer Fragen sind nach wie vor in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Banken geregelt und/oder bedürfen – wie hier – gerichtlicher Entscheidungen.

Rechtsbeziehungen zwischen Bank und Bankkunde bei Verwendung einer Bankkarte (EC-Karte). Geldabheben nach Diebstahl, § 676 h BGB. Haftung des Bankkunden. Zusammenverwahrung von Karte und Geheimnummer als Vertragsverletzung. Beweislast für die Zusammenverwahrung. Anscheinsbeweis; Umkehr der Beweislast

BGH Urteil vom 5. 10. 2004 (XI ZR 210/03) NJW 2004, 3623; dazu Eggers/Goerth JuS 2005, 492

Fall (EC-Karte beim Volksfest gestohlen)

K ist Kundin bei der B-Bank, unterhält bei dieser ein Girokonto und hat von B eine Bankkarte (EC-Karte) mit persönlicher Geheimnummer (PIN) erhalten. Am 23. 9. besuchte K zwischen 15 und 17 Uhr ein Volksfest und stellte anschließend fest, dass ihr Portemonnaie mit der EC-Karte verschwunden war. Nachdem sie es nicht wiedergefunden hatte, ging sie davon aus, es müsse gestohlen worden sein, und veranlasste am 25. 9. die Sperrung der EC-Karte. Noch am 23. 9. um 17.30 Uhr wurden mit Hilfe der Karte und der Eingabe der PIN zweimal 250 € vom Konto der K abgehoben, am Morgen des 24. noch einmal 500 €. In allen Fällen wurden Geldautomaten anderer Banken („C-Bank“) benutzt, wobei die Abhebungen ohne Fehlversuch gelangen. B belastete das Konto der K mit 1.000 € und berief sich dabei auf ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), in denen bestimmt ist:

Für Schäden, die vor der Verlustanzeige entstanden sind, haftet der Kontoinhaber, wenn sie auf einer schuldhaften Verletzung seiner Sorgfalts- und Mitwirkungspflichten beruhen. Die Bank übernimmt die vom Kontoinhaber zu tragenden Schäden, die vor der Verlustanzeige entstanden sind, sofern der Karteninhaber seine Sorgfalts- und Mitwirkungspflichten nicht grob fahrlässig verletzt hat. Grobe Fahrlässigkeit liegt insbesondere vor, wenn die persönliche Geheimzahl auf der EC-Karte vermerkt oder zusammen mit der EC-Karte verwahrt wurde.

B macht geltend, K müsse Karte und PIN zusammen verwahrt haben. K widersprach und erklärte, sie habe die PIN nirgends notiert, sondern ausschließlich in ihrem Mobiltelefon gespeichert, das aber nicht gestohlen worden sei. Sie selbst habe weder am 23. noch am Tage vorher Geld abgehoben. Der Dieb müsse die PIN entschlüsselt oder einen Mangel im Sicherheitssystem der B ausgenutzt haben. Hätte eine Klage der K gegen die B Aussicht auf Erfolg ?

A. Was das Klagebegehren der K betrifft, kommt eine Zahlungsklage in Betracht (sie wird vom BGH zu Grunde gelegt), was jedenfalls dann die richtige Klageart wäre, wenn das Vertragsverhältnis zwischen K und B inzwischen beendet worden wäre. Bei fortbestehendem Konto könnte K auf Rückgängigmachen der Belastung durch eine Gutschrift in Höhe der Belastung klagen (davon geht Emmerich JuS 2005, 177 aus). Welcher Antrag genau zu stellen ist, kann hier offen bleiben, weil beide Anträge auf das von K verfolgte Ziel gerichtet sind, ihr wieder das Verfügungsrecht über die 1.000 € zu verschaffen.

B. Somit ist zu prüfen, ob K einen Anspruch auf Zahlung oder Gutschrift der 1.000 € hat.

I. Anspruchsgrundlage für die Auszahlung eines Guthabens auf Grund eigener Einzahlung sind §§ 700, 488 BGB, Anspruchsgrundlage für eine Auszahlung auf Grund von Überweisungen Dritter sind §§ 667, 675 I, 676 f BGB (vgl. BGH S. 3623 unter II). Da K den ursprünglich auf ihrem Konto gut geschriebenen Betrag entweder durch eigene Einzahlungen oder – wie wahrscheinlicher ist – durch Überweisungen beispielsweise ihres Arbeitseinkommens erlangt hat, stand ihr dieser Anspruch ursprünglich zu. Danach kann K zunächst eine entsprechende Gutschrift auf ihrem Konto verlangen (vgl. § 676 f und g : „gutzuschreiben“) und weiterhin eine Auszahlung.

II. Der Anspruch fällt weg, soweit K über den Betrag verfügt hat, insbesondere wenn er von der B-Bank an sie ausgezahlt wurde (§ 362 I BGB), oder wenn B auf Grund einer Verfügung der K Leistungen an die C-Bank erbringen musste. Selbst abgehoben hat K den Betrag nicht, so dass eine Erfüllung nicht vorliegt. B musste aber die Beträge der C-Bank auf Grund einer dahingehenden Verpflichtung aus den Abmachungen der Banken über den gegenseitigen Zahlungsverkehr erstatten. Somit macht B Aufwendungsersatz für die Verwendung der Karte gemäß §§ 670, 657 I, 676 f. geltend. In solchem Fall steht aber § 676 h wegen einer missbräuchlichen Verwendung der Karte durch einen Dritten, die hier vorliegt, einem Anspruch der Bank entgegen. BGH S. 3623 unter 1: Die Beklagte B-Bank hat nach dem hier anwendbaren § 676 h S. 1 BGB keinen Aufwendungsersatzanspruch gem. §§ 670, 675 I, 676 f BGB gegen die Klägerin. Die Bekl. hat nicht bewiesen, dass die hier in Rede stehenden Geldabhebungen von der Kl. selbst oder mit ihrem Einverständnis durch einen Dritten vorgenommen worden sind. Vielmehr ist das BerGer. zu der Feststellung gelangt, dass die Geldabhebungen durch einen unbefugten Dritten, nämlich den Dieb oder einen Komplizen mit Hilfe der Original-ec-Karte erfolgt sind.

III. Der Anspruch ist erloschen, wenn B gegen K einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 1.000 € hatte, mit dem sie aufrechnen konnte (§ 387 BGB). Eine solche Aufrechnung erfolgt durch Belastung des Kontos der K (BGH S. 3623 unter 2: durch Einstellen in den Kontokorrent; BGHZ 84, 371, 376; Eggers/Goerth JuS 2005, 492).

1. Als Anspruchsgrundlage für einen Schadensersatzanspruch der B gegen K kommt § 280 I BGB, modifiziert durch die AGB, insbesondere deren Satz 2 und 3, in Betracht. Ein solcher Schadensersatzanspruch wird durch § 676 h nicht ausgeschlossen (Emmerich JuS 2005, 178).

a) Zwischen B und K bestand ein Girovertrag (§ 676 f BGB).

b) Aus diesem Vertragsverhältnis ergeben sich zahlreiche Sorgfaltspflichten, die in AGB näher niedergelegt sind (Eggers/Goerth JuS 2005, 492). Eine derartige Pflicht besteht laut den AGB darin, Karte und PIN nicht zusammen zu verwahren. Ihre – nach AGB grob fahrlässige – Verletzung bedeutet eine zum Schadensersatz verpflichtende Vertragsverletzung. BGH S. 3623 unter a): Das Vermerken der persönlichen Geheimzahl auf der ec-Karte oder ihre Verwahrung zusammen mit dieser stellt…eine grobe Fahrlässigkeit des Karteninhabers dar; dabei trägt die Bewertung dieser Handlungsweisen als grob fahrlässig dem Umstand Rechnung, dass dadurch der besondere Schutz, den die für die Abhebungen neben der ec-Karte zusätzlich benötigte Geheimnummer bietet, aufgehoben wird, weil ein Unbefugter, dem ec-Karte und Geheimnummer gemeinsam in die Hände fallen, ohne weiteres Abhebungen vornehmen kann (BGHZ 145, 337 [340 f.]).

2. Somit hat K sich schadensersatzpflichtig gemacht, wenn sie Karte und PIN zusammen verwahrt hat. Ob das der Fall ist, steht allerdings nicht fest, und es ist auch nicht anzunehmen, dass eine Klärung noch erfolgen kann, auch nicht in einem gerichtlichen Verfahren. Folglich hängt die Entscheidung des Falles von der Beweislast ab.

a) Grundsätzlich trägt B als diejenige, die den (Gegen-)Anspruch geltend macht, die Beweislast für das Vorliegen der für den Anspruch bestehenden Voraussetzungen. Eggers/Goerth JuS 2005, 493: Nach dem Grundsatz, dass jede Partei die Beweislast für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen der ihr günstigen Rechtsnormen trägt, muss im Prozess das Kreditinstitut den für den Anspruch nach § 280 I BGB erforderlichen Pflichtenverstoß beweisen. Eine Umkehr der Beweislast, die in § 280 I 2 für das Vertretenmüssen vorgesehen ist, kommt hier nicht zur Anwendung: Der hier streitige Umstand betrifft nicht nur das Vertretenmüssen, sondern auch das – logisch vorgelagerte – Vorliegen einer Pflichtverletzung und außerdem eine qualifizierte Form des Verschuldens.

b) Zu Gunsten der B könnte aber ein Anscheinsbeweis (auch: Prima-facie-Beweis) die Beweisführung erleichtern. Für diese, im Gesetz nicht geregelte Rechtsfigur sind zwei Elemente wesentlich, BGH S. 3623/4 unter aa):

(1)Nach st. Rspr. des BGH sind die Grundsätze über den Beweis des ersten Anscheins nur bei typischen Geschehensabläufen anwendbar, das heißt in Fällen, in denen ein bestimmter Sachverhalt feststeht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist (BGHZ 100, 31 [33]; NJW 1997, 2757; NJW 2001, 1140 [1141]). Dabei bedeutet Typizität nicht, dass die Ursächlichkeit einer bestimmten Tatsache für einen bestimmten Erfolg bei allen Sachverhalten dieser Fallgruppe notwendig immer vorhanden ist; sie muss aber so häufig gegeben sein, dass die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist (BGH VersR 1991, 460 [462]).

(2) Bei der Rechtsfolge unterscheidet sich der Anscheinsbeweis von einer Vermutung oder einer Beweislastumkehr, indem er weniger weit geht. Spricht ein Anscheinsbeweis für einen bestimmten Ursachenverlauf, kann der Inanspruchgenommene diesen entkräften, indem er Tatsachen darlegt und ggfs. beweist, die die ernsthafte, ebenfalls in Betracht kommende Möglichkeit einer anderen Ursache nahe legen (BGH NJW 1991, 230 [231] m. w. Nachw.; VersR 1995, 723 [724]). Der Anscheinsbeweis kann auch erschüttert werden, wenn unstreitig oder vom Inanspruchgenommenen bewiesen ist, dass ein schädigendes Ereignis durch zwei verschiedenen Ursachen mit jeweils typischen Geschehensabläufen herbeigeführt worden sein kann und jede für sich allein den Schaden verursacht haben kann; haftet der Inanspruchgenommene in einem solchen Fall nur für eine der möglichen Ursachen, sind die Regeln über den Anscheinsbeweis nicht anwendbar [besser: ist dieser entkräftet]…

c) Bisher war umstritten, ob im Falle des Geldabhebens bei Verwendung der PIN durch einen Dritten ein Anscheinsbeweis zu Gunsten der Bank und zum Nachteil des Kunden eingreift. Aus den umfangreichen Nachweisen des BGH S. 3624 unter (2) ergibt sich, dass die Frage überwiegend bejaht wurde. Dieser Auffassung folgt nun auch der BGH S. 3624 unter (3).

aa) Zu Recht ist das BerGer. zu dem Ergebnis gelangt, dass die hier in Rede stehenden Bargeldabhebungen mit Hilfe der Original-ec-Karte und richtiger PIN durch einen unbefugten Dritten anders als durch ein grob fahrlässiges Verhalten der Kl. nicht zu erklären sind…

bb) Mögliche andere Ursachenverläufe schließt der BGH aus:

(a) Der hinzugezogene Sachverständige hatte ausgeführt, es sei auch mit größtmöglichem finanziellen Aufwand mathematisch ausgeschlossen, die PIN einzelner Karten aus den auf ec-Karten vorhandenen Daten ohne die vorherigen Erlangung des zur Verschlüsselung verwendeten Institutsschlüssels in einer Breite von 128 BIT zu errechnen. Dies entspricht der Beurteilung, die das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik in einer schriftlichen Auskunft vom 27. 11. 2001…abgegeben hat.

(b) Ein möglicher anderer Verlauf wäre das Ausspähen der PIN durch den Dieb anlässlich einer Eingabe durch den Karteninhaber. Hierfür verlangt der BGH aber (LS 2), dass zwischen dem möglichen Ausspähen und der Entwendung ein zeitlicher Zusammenhang besteht, d. h. Ausspähen und Entwendung müssen dicht hintereinander erfolgen, weil der Täter allein mit der ausgespähten PIN nichts anfangen kann und längere Zeit später auch nicht mehr an die Karte kommt. Daran fehlt es im vorliegenden Fall: K hat selbst erklärt, dass sie weder am 23. noch am 22. Geld abgehoben hat. Dass der Täter die PIN vor dem 22. ausgespäht hat und es ihm gelungen ist, am 23., also mindestens zwei Tage später an die Karte zu kommen, erscheint gänzlich fernliegend.

(c) Letzte Möglichkeit ist ein Mitwirken von Angestellten der Bank, eine sog. Innentäterattacke. Hier stimmt der BGH der Auffassung des Sachverständigen zu, wonach diese Ursachen als rein theoretischer Natur und als im Allgemeinen außerhalb der Lebenserfahrung liegend zu beurteilen sind und es keine Hinweise darauf gebe, dass solche Möglichkeiten je konkret für kriminelle Handlungen entdeckt oder ausgenutzt worden seien.

Somit greift im vorliegenden Fall der Beweis des ersten Anscheins dafür ein, dass K Karte und PIN zusammen verwahrt hat.

d) BGH S. 3625 unter (g): Der Anscheinsbeweis führt nach st. Rspr. des BGH nicht zu einer Umkehr der Beweislast (BGHZ 100, 31 [34] m. w. Nachw.). Wenn der Karteninhaber dem Anscheinsbeweis durch die konkrete Darlegung und ggfs. den Nachweis der Möglichkeit eines atypischen Verlaufs die Grundlage entzieht, hat das Kreditinstitut den vollen Beweis zu erbringen, dass der Karteninhaber eine Abhebung am Geldausgabeautomaten selbst vorgenommen oder den Missbrauch der ec-Karte durch einen unbefugten Dritten grob fahrlässig ermöglicht hat. Obwohl der BGH durch die folgenden Ausführungen darzulegen versucht, dass das nicht ganz aussichtslos ist, ist jedenfalls im vorliegenden Fall nicht ersichtlich, was K insoweit noch geltend machen kann. Die denkbare Möglichkeit, dass sie ausgespäht worden ist, wurde schon oben (b) ausgeschlossen.

Somit bleibt es beim Beweis des ersten Anscheins. Danach ist von einem grob fahrlässigen Verhalten der K auszugehen.

3. Als Folge davon musste B der C die abgehobenen Beträge ersetzen, ohne auf den regulären Aufwendungsersatz zurückgreifen zu können (oben II). Darin liegt ein Schaden, so dass der Schadensersatzanspruch der B begründet ist. Die mit dem Schadensersatzanspruch durch Einstellen in den Kontokorrent vorgenommene Aufrechnung hat zum Wegfall des Anspruchs der K geführt. Eine Klage der K gegen B hätte keine Aussicht auf Erfolg.

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Zusammenfassung