Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
► § 1004 1 BGB: Eigentumsbeeinträchtigung und Störerbegriff. ► Erstreckung der Rechtsfolge auf Begleitschäden der Störungsbeseitigung. ► Kostenersatz des Eigentümers bei Selbstvornahme der aus § 1004 I 1 vom Störer geschuldeten Beseitigung
BGH Urteil vom 4. 2. 2005 (V ZR 142/04) NJW 2005, 1366
Fall (Bodenkontamination unter Nachbarn)
Eheleute K, die späteren Kläger, und B sind Grundstücksnachbarn. Am Abend des 30. 6. trat aus einem auf dem Grundstück des B befindlichen Schuppen eine kohlenwasserstoffhaltige Flüssigkeit aus und verbreitete sich auf dem Grundstück des B und der K. Die Ursache hierfür ließ sich nicht mehr feststellen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein anderer Nachbar des B, der mit ihm verfeindet ist, die Flüssigkeit ausgeschüttet hat, um B zu schädigen. Das eingeschaltete Ordnungsamt wies K darauf hin, dass zur Gefahrenabwehr die verunreinigte Bodenschicht einschließlich der darauf befindlichen Pflanzen und Gehwegplatten entfernt werden müsste, und veranlasste die entsprechenden Maßnahmen. Bei der Wiederherstellung der Bepflanzung und der Gehwegplatten entstanden den K Kosten in Höhe von 910 €. Können sie diesen Betrag von B ersetzt verlangen ? Ändert sich etwas, wenn ein Sachverständiger gutachtlich festgestellt hat, nach den vorliegenden Ermittlungen sei sicher, dass die Flüssigkeit vom Grundstück des B stammt, und es könne praktisch ausgeschlossen werden, dass der andere Nachbar oder eine weitere Person das Austreten der Flüssigkeit bewirkt hat ?
Bei der Lösung wird zunächst vom Ausgangssachverhalt ausgegangen.
I. § 823 I BGB greift nicht ein, weil nicht feststeht, dass B die Eigentumsverletzung der K verursacht hat. Für ein Verhalten des anderen Nachbarn braucht B nicht einzustehen.
II. Ein Anspruch der K könnte bestehen, weil K gegen B einen Anspruch auf Beseitigung der Eigentumsbeeinträchtigung einschließlich der Wiederherstellung des Grundstücks hatten (dazu 1) und weil sie den zur Erfüllung dieser Verpflichtung im Wege der Selbstvornahme aufgewandten Betrag von B ersetzt verlangen können (dazu 2).
1. K könnten gegen B einen Anspruch auf Beseitigung und Wiederherstellung aus § 1004 I 1 BGB gehabt haben.
a) Dann müsste eine Eigentumsbeeinträchtigung vorliegen.
aa ) BGH S. 1367 unter b): Hierunter ist jeder dem Inhalt des Eigentums (§ 903 BGB) widersprechende Zustand zu verstehen (…BGHZ 156, 172 [175]…). Gelangen ohne den Willen des Eigentümers fremde Gegenstände oder Stoffe auf sein Grundstück oder in dessen Erdreich, beeinträchtigen sie die dem Eigentümer durch § 903 BGB garantierte umfassende Sachherrschaft, zu der es auch gehört, fremde Gegenstände oder Stoffe von dem eigenen Grundstück fern zu halten.
bb ) Fraglich ist aber, ob das auch noch gilt, wenn sich die Stoffe untrennbar mit dem Eigentum des gestörten Grundstücks verbunden haben (§ 946 BGB) und der bisherige Eigentümer insoweit keine Befugnisse mehr hat (zur nachfolgenden Streitfrage ausführlich Neuner JuS 2005, 388 ff.).
(1) Nach der Usurpationstheorie ist ein Beseitigungsanspruch nur gerechtfertigt, solange ein anderer Eigentumsbefugnisse usurpiert, z. B. durch Parken auf fremdem Grundstück. Dagegen entfällt der Anspruch im Falle eines abgeschlossenen Verhaltens und nach Verlust des Eigentums an der störenden Sache, der auch durch Eigentumsaufgabe (§§ 928, 959 BGB) herbeigeführt werden kann (u. a. Staudinger/ Gursky, BGB, 1999, § 1004 Rdnr. 112; Picker, Der negatorische Beseitigungsanspruch, S. 113, 116).
(2) Demgegenüber folgen die h. M. und der BGH der auf das Verursacherprinzip gestützten Kausalitätstheorie. BGH S. 1367 unter b): Auf ein fremdes Grundstück gelangte Gegenstände oder Stoffe sind bis zu ihrer Entfernung allein durch ihre Anwesenheit eine Quelle fortdauernder Eigentumsstörungen (BGH NJW 1996, 845 [846]…; mit w. Nachw. u. a. auf Palandt/Bassenge § 1004 Rdnr. 28). Dies gilt auch dann, wenn der Eigentümer sein Eigentum an der störenden Sache aufgegeben oder – wie hier – durch Verbindung mit dem beeinträchtigten Grundstück verloren hat (§ 946 BGB)… Die Beschränkung der den negatorischen Beseitigungsanspruch auslösenden Beeinträchtigung auf Eingriffe in die rechtliche Integrität des Eigentums, auf eine faktische „Rechtsusurpation“, hätte zur Folge, dass die Vorschrift des § 1004 BGB die ihr zugedachte Aufgabe, zusammen mit § 985 BGB das Eigentum und die damit verbundene Sachherrschaft in umfassender Weise zu schützen, nur noch unvollständig erfüllen könnte. Tatsächlich muss dem Eigentum auch dann Geltung verschafft werden können, wenn der Eigentümer – wie im Fall einer Bodenkontamination – an der Ausübung seiner uneingeschränkten Sachherrschaft gehindert ist, ohne dass sich der hierfür Verantwortliche irgendwelche Eigentümerbefugnisse anmaßt.
Somit bestand eine andauernde Eigentumsbeeinträchtigung der K.
b) Da sich der Anspruch aus § 1004 nur gegen den Störer richtet, müsste B Störer gewesen sein (zum Störerbegriff Wenzel NJW 2005, 241).
aa ) Hierzu führt der BGH auf der Basis des Ausgangsfalles aus, S. 1368/9 unter b) und c): Handlungsstörer ist nur derjenige, der eine Eigentumsbeeinträchtigung durch sein Verhalten oder seine Willensbetätigung adäquat verursacht hat (…), wobei die Umstände, aus denen sich die Verantwortlichkeit des in Anspruch Genommenen ergeben soll, von dem Anspruchsteller nachzuweisen sind. Angesichts der Möglichkeit, dass ein anderer die Flüssigkeit ausgeschüttet hat, lässt sich das hier nicht feststellen. Der Bekl ist auch nicht Zustandsstörer allein deshalb, weil die Störung von seinem Grundstück ausgegangen ist. Vielmehr müsste die Eigentumsbeeinträchtigung wenigstens mittelbar auf seinen Willen zurückzuführen sein (…BGHZ 142, 66 [69]; 155, 99 [105]). Das wäre der Fall, wenn der Bekl. die in eine Eigentumsbeeinträchtigung mündende Gefahr hätte beherrschen können (…), insbesondere wenn er die Gefahrenlage selbst geschaffen (…BGH NJW 2004, 3701 [3702]…) oder die von Dritten geschaffene Gefahrenlage aufrechterhalten hätte (…). Ist die schädliche Flüssigkeit dagegen ohne Wissen und Wollen des Bekl. von Dritten auf sein Grundstück verbracht und dort freigesetzt worden, konnte er die hiermit verbundene Gefahr für das Grundstückseigentum der Kl. nicht abwenden. Da ein solcher Geschehensablauf hier ernsthaft möglich ist und die Kl. das Gegenteil nicht bewiesen haben, steht nicht fest, dass der Bekl. Zustandsstörer i. S. von § 1004 I 1 BGB ist.
Somit war B im Ausgangsfall kein Störer. Ein Anspruch der K gegen B aus § 1004 bestand nicht. Da eine andere Anspruchsgrundlage nicht ersichtlich ist, haben K gegen B keinen Anspruch auf Ersatz der 910 €.
bb ) Zu einem anderen Ergebnis könnte der durch die zweite Frage eingeführte Sachverhalt führen. Kommt keine andere Person als Verursacher in Betracht und bestehen auch keine Anhaltspunkte für höhere Gewalt, muss angenommen werden, dass der Austritt der Flüssigkeit auf Umstände zurückgeht, die auf dem Willen des B beruhen. Sie reichen zwar nicht aus, um B eine schuldhafte Handlung i. S. des § 823 I zur Last zu legen. Sie führen aber zu der Annahme, dass das Grundstück des B hinsichtlich der darauf befindlichen Flüssigkeit sich in keinem ordnungsgemäßen oder ordnungsgemäß überwachten Zustand befand, sondern dass der Austritt einer gefährlichen Flüssigkeit möglich war. Hierfür war B als Eigentümer verantwortlich und somit Zustandsstörer. In diesem Fall war er für die Eigentumsstörung i. S. des § 1004 I verantwortlich. Hiervon ist bei der weiteren Lösung des Falles auszugehen.
c) K brauchten die eingetretene Störung nicht zu dulden i. S. des § 1004 II, so dass die Eigentumsstörung auch rechtswidrig war.
d) Fraglich ist, ob sich die Verpflichtung aus § 1004 I 1 darauf erstreckte, nicht nur die Verbreitung der Flüssigkeit rückgängig zu machen, sondern auch die Bepflanzung und die Gehwegplatten wieder herzustellen. Hierbei ist zu beachten, dass § 1004 I 1 nur auf Beseitigung und nicht auf Schadensersatz gerichtet ist (Wenzel NJW 2005, 243). Der BGH geht auf S. 1367/8 unter 2 genauer auf die Rechtsfolge des § 1004 I 1 ein.
aa ) Nach § 1004 I 1 BGB muss der Störer die fortdauernde (BGHZ 28, 110 [113]) Eigentumsbeeinträchtigung beseitigen. Dies bedeutet, dass er den dem Inhalt des Eigentums entsprechenden Zustand wiederherzustellen hat. Geschuldet ist daher jedenfalls die Beseitigung der Störungsquelle (…), im Fall einer Bodenverunreinigung also der auf dem Grundstück oder in dessen Erdreich befindlichen Schadstoffe.
bb ) In einem Fall wie dem vorliegenden schuldet der Verpflichtete auch den Aushub des Bodens und dessen Entsorgung. Indem die Vorschrift des § 1004 I 1 BGB die Durchführung der Störungsbeseitigung ausschließlich dem Störer überträgt (…), weist sie ihm gleichzeitig das Risiko zu, auf Grund der technischen Gegebenheiten insoweit eine erweiterte Leistung erbringen zu müssen, als es zu der Beseitigung der reinen Störung an sich erforderlich wäre. Wenn das eine nicht ohne das andere möglich ist, erstreckt sich die Pflicht zur Beseitigung einer Bodenverunreinigung auch auf die Beseitigung des Erdreichs und dessen Entsorgung.
cc ) Nach der st. Rspr. des BGH ist der Störer darüber hinaus auch zur Beseitigung solcher Eigentumsbeeinträchtigungen verpflichtet, die zwangsläufig durch die Beseitigung der primären Störung entstehen. Erfordert etwa die Beseitigung störender Baumwurzeln, die von dem Nachbargrundstück in eine Abwasserleitung eingedrungen sind, die Zerstörung dieser Leitung, hat der Störer eine neue Abwasserleitung zu verlegen… Beeinträchtigungen, die aus der Störungsbeseitigung selbst resultieren, sind nach dem Zweck des § 1004 I 1 BGB ohne weiteres von der Beseitigungspflicht umfasst… § 1004 I 1 erstreckt die verschuldensunabhängige Verpflichtung des Störers also auch auf den Ersatz von Begleitschäden der Störungsbeseitigung. Dementsprechend traf B auch die Verpflichtung zur Wiederherstellung der bei der Störungsbeseitigung beschädigten Pflanzen und Gehwegplatten (BGH S. 1368 vor 3).
2. K verlangen aber nicht mehr Wiederherstellung, sondern Ersatz der Kosten, die ihnen dadurch entstanden sind, dass sie die Folgenbeseitigung im Wege der Selbstvornahme veranlasst haben. Nach st. Rspr. des BGH und fast einhelliger Literaturmeinung (Nachw. bei BGH S. 1367 unter 1a; ferner Herresthal/ Riehm NJW 2005, 1461) kann der Eigentümer, der eine Beeinträchtigung seines Eigentums selbst beseitigt hat, von dem nach § 1004 I 1 BGB an sich hierzu verpflichteten Störer Ersatz der zu der Störungsbeseitigung erforderlichen Aufwendungen verlangen, weil er ein Geschäft des Störers besorgt hat (§§ 683, 684 BGB), oder, wenn sich die Voraussetzungen einer Geschäftsführung ohne Auftrag nicht feststellen lassen, weil der Störer unter Ersparung eigener Aufwendungen von seiner Beseitigungspflicht freigeworden und deshalb ungerechtfertigt bereichert ist (§§ 812 I 1 Alt. 2, 818 II BGB). (Insoweit liegt es hier anders als bei der Mängelhaftung im Kaufrecht. Dort kann der Käufer, der ohne vorherige Fristsetzung einen Mangel beseitigen lässt, die durch die Selbstvornahme der Mängelbeseitigung entstandenen Kosten nicht vom Verkäufer ersetzt verlangen, weil das gegen den Vorrang der Nacherfüllung verstoßen würde: BGH NJW 2005, 1348 = JurTel 2005 Heft 10 S. 199.)
Im vorliegenden Fall lassen sich die Voraussetzungen einer berechtigten GoA nach §§ 677, 683, insbesondere ein entsprechender Wille der K, nicht feststellen. Denn bei K stand absolut im Vordergrund, ihren eigenen Garten wieder herstellen und damit ein eigenes Geschäft führen zu wollen. Dem öffentlichen Interesse (§ 679) entsprach zwar die Beseitigung der Flüssigkeit, nicht jedoch die Wiederbepflanzung und die Wiederverlegung der Gehwegplatten. Der Anspruch ergibt sich deshalb aus § 812 I.
Ergebnis: Wird von dem abgeänderten Sachverhalt der zweiten Frage ausgegangen, haben K gegen B einen Anspruch auf Ersatz der 910 €.
--------------------------------------------------------------------------------
Zusammenfassung