Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
► Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch analog § 906 II 2 BGB. ► Störereigenschaft nach § 1004 I BGB. ► Beschränkung von Abwehrmaßnahmen durch Vorschriften des Naturschutzes; Auswirkungen auf die Störereigenschaft
BGH Urteil vom 17. 9. 2004 (V ZR 23/03) NJW 2005, 3701
Fall (Sturmschäden nach Teilrodung)
K und B sind Grundstücksnachbarn. Auf dem Grundstück des B stehen Bäume. Das Gebiet steht unter Landschaftsschutz, wobei die LandschaftsschutzVO bestimmt, dass das Fällen von Bäumen grundsätzlich verboten ist. Ausnahmen sind aus wichtigem Grund möglich (§ 31 NatSchG des Landes). Im Zuge eines Bauvorhabens, bei dem B auch Landschaftsarchitekten einschaltete, wurde B das Roden eines Teils des Baumbestandes gestattet. Nach Abschluss der Arbeiten wiesen die Landschaftsarchitekten die Naturschutzbehörde darauf hin, dass die verbliebenen Bäume durch die Rodung ihren Windschutz verloren hätten und in ihrer Standsicherheit gefährdet sein könnten. Daraufhin fand ein gemeinsamer Termin mit der Naturschutzbehörde statt, in dem festgestellt wurde, dass sieben Eichen keine genügende Vitalität mehr hätten und ebenfalls gerodet werden könnten. Bei zwei weiteren Bäumen, einer Stileiche und einer Rotbuche, war eine Umsturzgefahr nicht erkennbar. Allerdings hatten diese beiden Bäume ein nur unzureichend ausgebildetes Wurzelwerk, was dazu führte, dass sie wegen des Verlustes des Windschutzes infolge der Rodung bei einem Sturm am 2. 6. auf das Anwesen des K stürzten. Den dadurch entstandenen Schaden verlangt K von B ersetzt. Zu Recht ?
I. Ein Anspruch aus § 823 I BGB scheitert nach BGH S. 3701 bereits daran, dass wegen Nichtvorliegens der für das Fällen erforderlichen Ausnahmegenehmigung B die Bäume nicht hätte fällen dürfen. Eine Genehmigung zum Fällen der Bäume wurde nicht erteilt. Das Unterlassen des Bekl. war damit rechtmäßig. Zumindest würde es am Verschulden fehlen, denn wenn Naturschutzbehörde und Landschaftsarchitekten die Umsturzgefahr nicht erkennen konnten, kann auch B kein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden.
II. Ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch aus § 906 II 2 BGB unmittelbar scheidet ebenfalls aus, weil die Vorschrift die Zuführung von Gasen, Dämpfen usw., also von „unwägbaren Stoffen“ (so die Überschrift der Vorschrift) bzw. von sog. Feinimmissionen voraussetzt, zu denen umstürzende Bäume nicht gehören.
III. § 906 II 2 BGB könnte aber analog anwendbar sein (vgl. den Überblick vor den Fällen unter III 2c). BGH S. 3702 unter 2: Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch entsprechend § 906 II 2 BGB ist nach der st. Rspr. des BGH gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen privatwirtschaftlicher Benutzung Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen, sofern der betroffene Eigentümer aus besonderen (tatsächlichen oder rechtlichen) Gründen gehindert war, die Einwirkungen gemäß § 1004 I BGB zu unterbinden (BGHZ 142, 66 - Brandschaden; 144, 200 [208] - Drogenhilfezentrum; 147, 45 [49] - Besitzstörung). Der Anspruch ist nicht, wie § 906 II 2 BGB selbst, auf feinstoffliche Einwirkungen beschränkt, erfasst vielmehr auch Grobimmissionen, wie sie hier als Folge des Niederbrechens der beiden Bäume vorlagen (BGHZ 155, 99 - Leitungswasser). Es ist zu prüfen, ob diese Voraussetzungen hier gegeben sind.
1. Im vorliegenden Fall sind durch das Umstürzen der beiden Bäume Einwirkungen auf das Grundstück des K erfolgt.
2. Auch die beiden folgenden Voraussetzungen liegen vor:
a) Geht man davon aus, dass K die Beeinträchtigung nicht zu dulden brauchte, ging sie über das hinaus, was einem Eigentümer als entschädigungslos hinzunehmende Beeinträchtigung zumutbar ist.
b) K war zumindest aus tatsächlichen Gründen gehindert, einen Abwehranspruch geltend zu machen, weil er die bestehende Gefahr nicht kannte und auch nicht zu kennen brauchte.
3. Entscheidende Frage ist, ob K gegen B einen Abwehranspruch gemäß § 1004 I hatte. In Betracht kommt, da auf den Zeitpunkt vor dem Umstürzen abzustellen ist und in diesem Zeitpunkt noch keine Beeinträchtigung erfolgt war, ein Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 I 2. Dieser ist auch dann gegeben, wenn noch keine Beeinträchtigung erfolgt ist, sondern eine solche erst droht (BGH S. 3702 unter a).
a) Das zu befürchtende Umstürzen der Bäume war eine drohende Beeinträchtigung des Eigentums des K (die sich auch später realisiert hat, oben 1).
b) B müsste Störer gewesen sein. Eine Handlungsstörung des B liegt nicht vor. B könnte Zustandsstörer gewesen sein. Nach den Ausführungen des BGH im vorangegangenen Fall (unter II 1b aa) ist Zustandsstörer, wer die Gefahr hätte beherrschen können, insbesondere die Gefahrenlage selbst geschaffen oder die von Dritten geschaffene Gefahrenlage aufrechterhalten hat. Gefahren, die von den Bäumen auf seinem Grundstück ausgehen, kann B grundsätzlich beherrschen. Für die von den Bäumen ausgehenden Gefahren war B verkehrssicherungspflichtig (vgl. den Fall oben „Umgestürzte Steineiche auf der Grenze“ unter I 2b). Es liegt hier anders als im vorangegangenen Fall, da hier nicht die Möglichkeit besteht, dass ein Dritter die Einwirkung verursacht hat. Allein dass der Sturm als Naturereignis eine wesentliche Rolle gespielt hat, schließt die Störereigenschaft nicht aus (K. Schmidt JuS 2005, 182/3 unter Hinweis auf die Froschteich-Entscheidung BGHZ 120, 239, 254, in dem ein Grundstückseigentümer einen Gartenteich angelegt hatte und in diesem sich Frösche angesiedelt hatten, die Lärm verursachten).
c) Ebenfalls im Zusammenhang mit der Störereigenschaft des B behandelt der BGH die Frage, ob der Verantwortlichkeit des B entgegensteht, dass er die Bäume aus naturschutzrechtlichen Gründen nicht fällen durfte (S. 3702 unter aa).
aa ) Im Froschteich-Fall BGHZ 120, 239, 245 ff., 254 hat der BGH die Störereigenschaft des Teichbesitzers für den von den Fröschen ausgehenden Lärm (nur) für den Fall bejaht, dass eine Ausnahmegenehmigung für Maßnahmen zur Vertreibung der Frösche erteilt werden könne, und hat die Verpflichtung des Teichbesitzers zu solchen Maßnahmen unter den Vorbehalt der Erteilung einer solchen Genehmigung gestellt. BGH S. 3702 unter aa): Nach der Senatsrechtsprechung (BGHZ 120, 239 [254]) stellt der Naturschutz (damals Schutz einer Froschpopulation) die Störereigenschaft jedenfalls solange nicht in Frage, als der Eigentümer mit Erfolg eine Ausnahmegenehmigung (§ 31 NatSchG) für die Beseitigung der Störungsquelle beantragen kann. Im vorliegenden Fall scheidet dieser Weg aber aus, weil wegen des Umstürzens der Bäume kein Raum mehr für eine Fällgenehmigung ist. Die Frage, ob die beiden Bäume gefällt werden dürfen, hat sich durch die Entwicklung erledigt.
bb ) Es könnte darauf abgestellt werden, ob vor dem 2. 6. eine solche Genehmigung hätte erteilt werden können. Eine dahingehende Entscheidung steht aber vor dem Problem, dass zwar objektiv ein Fällen der beiden umsturzgefährdeten Bäume nicht nur zulässig, sondern sogar geboten war, dass aber tatsächlich eine solche Genehmigung nicht erteilt worden wäre, weil die Gefahr nicht erkennbar war. Der BGH (S. 3702 unter b) entscheidet den Fall unabhängig davon, ob die rechtlichen Voraussetzungen zu deren Fällen durch eine Ausnahmegenehmigung…hätten geschaffen werden können.
cc ) Im vorliegenden Fall spricht eine wesentliche Überlegung dafür, B als Störer zur Zahlung eines Ausgleichs analog § 906 II 2 zu verpflichten: Im Froschteich-Fall lag die Einwirkung, die Lärmerzeugung durch die Frösche, im Interesse des Naturschutzes und damit im öffentlichen Interesse. Das rechtfertigte es, den damit verbundenen Nachteil im Verhältnis zwischen den Nachbarn auch dem beeinträchtigten Nachbarn aufzuerlegen, wenn eine Ausnahmegenehmigung nicht erteilt werden konnte. Im vorliegenden Fall ist entscheidender tatsächlicher Grund für das Umstürzen der Bäume, dass B den Bäumen durch die Rodung deren Standfestigkeit genommen hat. Naturschutz spielte hier keine Rolle, sondern hätte – umgekehrt – dafür gesprochen, den gesamten Baumbestand zu erhalten; dann wären die Bäume nicht umgestürzt. BGH S. 3703: Die der Anlage des Gartenteichs entsprechende ursprüngliche Störung, die Beseitigung des Windschutzes durch Rodung, lag außerhalb des Zwecks des Naturschutzes, hier des Schutzes eines Landschaftsbestandteils. Die hierin liegende Störung konnte zwar von dem Kl. nicht abgewendet werden, sie setzte sich aber in der Störung durch die schadenstiftenden Bäume fort. Der Bekl. hat durch sein Handeln eine Gefahrenlage geschaffen, die sich später verwirklicht hat (vgl. BGHZ 90, 255 [266] – Unkrautvernichtungsmittel). Dem folgt die Pflicht, Ausgleich in Geld zu leisten.
Somit war B Störer. Die Voraussetzungen für einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch analog § 906 II 2 liegen vor. K kann den ihm durch das Umstürzen der Bäume entstandenen finanziellen Nachteil von B ersetzt verlangen.
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Zusammenfassung