Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
► Negatorischer Unterlassungsanspruch analog §§ 1004 I 2, 823 I BGB. ► Allgemeines Persönlichkeitsrecht in der Form des Rechts am eigenen Bild, § 22 KUG. ► Abgestuftes Schutzkonzept nach · § 22 KUG; · § 23 I, · § 23 II KUG. ► Veröffentlichungsbefugnis für Bildnisse der Zeitgeschichte, § 23 I Nr. 1 KUG; Aufgabe der Rechtsprechung zur absoluten Person der Zeitgeschichte
BGH Urteil vom 6. 3. 2007 (VI ZR 51/06) NJW 2007, 1977
Fall (Caroline von Hannover)
Klägerin K ist die älteste Tochter Caroline des verstorbenen Fürsten Rainier III. von Monaco und verheiratet mit Ernst August Prinz von Hannover. Sie wehrt sich seit langem in einer Vielzahl von Prozessen gegen die Verfolgung durch die Boulevardpresse und die von ihr dort abgebildeten Fotos. Im vorliegenden Verfahren geht es um drei Veröffentlichungen in der Zeitschrift „Frau im Spiegel“, die vom B-Verlag herausgegeben wird. (a) In einer ihrer Ausgaben berichtete die Zeitschrift über einen Winterurlaub der K in St. Moritz unter Beifügung eines Bildes, das K und ihren Ehemann auf öffentlicher Straße in St. Moritz zeigt. (b) Weiterhin berichtete das Blatt über den bevorstehenden „Rosenball“ in Monaco und darüber, dass K mit ihrem Ehemann aus Zürs nach St. Moritz gekommen ist, um dort Geburtstag zu feiern. Beigefügt war ein Foto, das K und ihren Ehemann in einem öffentlich zugänglichen Zweier-Sessellift in Zürs in Skikleidung zeigt. (c) Ein weiterer Bericht bezog sich auf eine schwere Erkrankung des Fürsten von Monaco und darauf, dass die jüngste Tochter Stephanie ihn besucht hat, während Caroline im Winterurlaub war. Beigefügt war ein Foto der K mit ihrem Ehemann auf einer Straße in St. Moritz. - K verlangt von B klageweise Unterlassung einer erneuten Veröffentlichung dieser Aufnahmen. B verweist darauf, dass K eine Person öffentlichen Interesses sei, über deren Erscheinung in der Öffentlichkeit auch unter Hinzufügen von Fotos berichtet werden dürfe.
A. Das Recht am eigenen Bild ist geregelt in § 22, 1 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie von 1907 (Kunsturhebergesetz - KUG). Danach dürfen Bildnisse grundsätzlich nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet werden. In den meisten Fälle erteilen Prominente diese Einwilligung, weil sie an der Veröffentlichung interessiert sind. Im vorliegenden Fall liegt diese Einwilligung aber nicht vor. Allerdings ist § 22 KUG nur eine Verbotsnorm, keine Anspruchsgrundlage, und muss über eine Anspruchsgrundlage geltend gemacht werden.
B. Anspruchsgrundlage kann ein sog. negatorischer Unterlassungsanspruch analog §§ 1004 I 2, 823 I BGB sein. Dabei werden dem § 823 I das erforderliche Recht, dem § 1004 I, II die Verletzung und die Wiederholungsgefahr sowie das Fehlen einer Duldungsverpflichtung (Rechtswidrigkeit der Verletzung) entnommen. Eine Wiederholungsgefahr würde im vorliegenden Fall bestehen, weil B das Recht zur Veröffentlichung der Bilder und damit auch zu einer erneuten Veröffentlichung in Anspruch nimmt. Ein Verschulden ist für den Unterlassungsanspruch nicht erforderlich. Somit bleibt als entscheidende Frage, ob durch die Veröffentlichung der Fotos in ein Recht der K rechtswidrig eingegriffen worden ist.
I. Als Recht der K kommt ihr Recht am eigenen Bild (§ 22 KHG) in Betracht. Dieses ist eine Konkretisierung des nach § 823 I BGB als sonstiges Recht geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts und damit selbst ein absolutes Recht. (Eine andere Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist das in § 12 BGB geschützte Namensrecht.) BGH Rdnr. 5: Das Recht am eigenen Bild ist eine besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Daraus ergibt sich, dass grundsätzlich allein dem Abgebildeten die Befugnis zusteht, ob und in welcher Weise er der Öffentlichkeit im Bild vorgestellt wird (st. Rspr.; vgl. BGHZ 131, 332 [336]…). Die Abbildungen in den drei Fällen (a) bis (c) verstoßen gegen § 22, 1 KUG und enthalten einen Eingriff in dieses Recht.
II. § 23 I Nr. 1 KUG gestattet aber die Veröffentlichung eines Bildnisses aus dem Bereich der Zeitgeschichte. Unzulässig wird eine solche Veröffentlichung erst, wenn dadurch ein berechtigte Interesse des Abgebildeten verletzt wird (§ 23 II KUG). Aus heutiger Sicht stehen hinter dieser Regelung einerseits das in Art. 2 I, 1 GG geschützte Persönlichkeitsrecht, andererseits das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 5 I 1, 2 GG), das wiederum den Informationsinteressen der Öffentlichkeit dient. In diesem Spannungsbereich bewegt sich die Auslegung des Begriffes „Bereich der Zeitgeschichte“, insbesondere die Beantwortung der Frage, ob K dazugehört.
1. Bis zum Jahre 2004 unterschied die Rspr. in Deutschland zwischen absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte (vgl. BGH im vorliegenden Fall unter Rdnr. 11). Absolute Personen der Zeitgeschichte waren Staatsoberhäupter, bekannte Sportler und Schauspieler, aber auch sonstige prominente Personen des gesellschaftlichen Lebens (Teichmann NJW 2007, 1917 in einer Besprechung der vorliegenden BGH-Entscheidung). Relative Personen der Zeitgeschichte waren solche, die nur durch ein bestimmtes Ereignis das Interesse auf sich gezogen haben, und die nur im Zusammenhang mit diesem abgebildet werden dürfen. Dagegen galt für absolute Personen der Zeitgeschichte, was BGHZ 131, 343 im Hinblick auf Caroline von Hannover so formulierte: „Sie muss es als Person der Zeitgeschichte…hinnehmen, dass die Allgemeinheit ein berechtigtes Interesse daran hat zu erfahren, wo sie sich aufhält und wie sie sich in der Öffentlichkeit gibt, sei es beim Einkaufen auf dem Marktplatz, in einem Cafe, bei sportlicher Betätigung oder sonstigen Tätigkeiten des täglichen Lebens.“ Auch vom BVerfG wurde diese, den Schutz der Pressefreiheit in den Vordergrund stellende Rspr. grundsätzlich gebilligt (BVerfGE 101, 361). Vgl. auch Teichmann NJW 2007, 1918: „Wer einmal in der Schublade der absoluten Person der Zeitgeschichte verschwunden war, konnte sich daraus nur bei Geltendmachung berechtigter Interessen (§ 23 II KUG) wieder befreien…“
2. Als sich Caroline v. H. wegen dieser Rspr. an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg wandte und sich auf den Schutz der Privatsphäre nach Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) berief, gab dieser der Beschwerde statt und beanstandete die Rspr. der deutschen Gerichte als Verletzung der Menschenrechte (EGMR NJW 2004, 2647). Der BGH trug diesen Bedenken Rechnung, gab die Rechtsfigur der absoluten Person der Zeitgeschichte auf und verlangt nunmehr bereits beim Begriff der Person der Zeitgeschichte i. S. des § 23 I Nr. 1 KUG die Prüfung, ob ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht.
3. Die grundlegenden Ausführungen des BGH dazu finden sich in Rdnr. 13, 14: Hiernach nimmt die Vorschrift des § 23 I KUG nach der Intention des Gesetzgebers und nach Sinn und Zweck der Regelung in Ausnahme von dem Einwilligungserfordernis des § 22 KUG Rücksicht auf das Informationsinteresse der Allgemeinheit und auf die Pressefreiheit… Eine Abwägung der widerstreitenden Rechte der abgebildeten Person aus Art. 8 EMRK…sowie aus Art. 1 I, 2 I GG einerseits und der Presse aus Art. 10 EMRK und Art. 5 I 2 GG andererseits ist schon bei der Zuordnung zum Bereich der Zeitgeschichte erforderlich… Maßgebend ist hierbei das Interesse der Öffentlichkeit an vollständiger Information über das Zeitgeschehen. Dabei ist der Begriff des Zeitgeschehens in § 23 I Nr. 1 KUG zu Gunsten der Pressefreiheit zwar in einem weiten Sinn zu verstehen, doch ist das Informationsinteresse nicht schrankenlos.
a) Diese Ausgangsüberlegung erläutert und konkretisiert der BGH in den nachfolgenden Ausführungen, von denen folgende hervorzuheben sind:
Rdnr. 17: Der Begriff des Zeitgeschehens umfasst nicht nur Vorgänge von historisch-politischer Bedeutung, sondern ganz allgemein das Zeitgeschehen, also alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse… Auch durch unterhaltende Beiträge kann Meinungsbildung stattfinden; solche Beiträge können die Meinungsbildung unter Umständen sogar nachhaltiger anregen und beeinflussen als sachbezogene Informationen…
Rdnr. 18: Auch muss innerhalb eines gewissen Rahmens die Presse…nach publizistischen Kriterien selbst entscheiden dürfen, was sie des öffentlichen Interesses für wert hält…
Rdnr. 20: Es muss eine Interessenabwägung stattfinden zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit einerseits und dem Interesse des Abgebildeten an dem Schutz seiner Privatsphäre andererseits… Je größer der Informationswert für die Öffentlichkeit ist, desto mehr muss das Schutzinteresse desjenigen, über den informiert wird, hinter den Informationsbelangen der Öffentlichkeit zurücktreten. Umgekehrt wiegt aber auch der Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen je schwerer, desto geringer der Informationswert für die Allgemeinheit ist… Das Interesse der Leser an bloßer Unterhaltung hat gegenüber dem Schutz der Privatsphäre regelmäßig ein geringeres Gewicht…
b) BGH Rdnr. 23: Kommt es mithin für diese Abwägung maßgeblich auf den Informationswert der Abbildung an, so kann - da im Streitfall die beanstandete Abbildung im Zusammenhang mit einer Wortberichterstattung verbreitet worden ist -, bei der Beurteilung diese zugehörige Wortberichterstattung nicht unberücksichtigt bleiben…
4. Diese Grundsätze sind auf die vorliegende Streitigkeit anzuwenden, wobei die im Sachverhalt unter (a) bis (c) aufgeführten Fälle zu unterscheiden sind.
(a) BGH Rdnr. 25 - 28: Das in der Ausgabe…der Zeitschrift „Frau im Spiegel“ veröffentlichte Bild war einem Bericht über einen Winterurlaub der Kl. beigefügt und zeigt die Kl. und ihren Ehemann auf öffentlicher Straße in St. Moritz unter vielen Menschen. Zwar darf…die Presse grundsätzlich selbst bestimmen, was sie für berichtenswert hält. Die Kl. und ihr Ehemann hielten sich zudem in der Öffentlichkeit unter anderen Menschen auf. Die Wortberichterstattung über den Urlaub der Kl. betrifft aber selbst bei Anlegung eines großzügigen Maßstabs keinen Vorgang von allgemeinem Interesse…und kein zeitgeschichtliches Ereignis. Auch der beanstandeten Abbildung ist kein Beitrag zu einer Diskussion von allgemeinem Interesse und keine Information über ein zeitgeschichtliches Ereignis zu entnehmen. In solchem Fall überwiegt das Interesse am Schutz der Persönlichkeit. Eine Ausnahme nach § 23 I Nr. 1 KUG greift nicht ein. Das Rechtsmittel des B gegen das der Klage stattgebende Urteil des LG war zurückzuweisen, ohne dass es auf die Verletzung eines berechtigten Interesses der abgebildeten Person noch ankäme.
(b) BGH Rdnr. 29, 30: Zwar mag man den Bericht über den bevorstehenden „Rosenball“ in Monaco als Bericht über ein zeitgeschichtliches Ereignis von allgemeinem Interesse mit gesellschaftlicher Relevanz werten. Die dem Bericht beigefügte Aufnahme der Kl. und ihres Ehemanns im Skiurlaub hat jedoch mit dem Ball als möglichem Ereignis von allgemeinem Interesse nichts zu tun. Sie dient vielmehr der Bebilderung eines inhaltlich völlig selbstständigen Teils der Wortberichterstattung, mit dem über die Feier des Geburtstags des Ehemanns der Kl. in St. Moritz berichtet wird, zu der die Eheleute aus ihrem Winterurlaub in Zürs angereist waren. Sowohl die Geburtstagsfeier wie auch der Skiurlaub der Kl. in Zürs betrafen ausschließlich die Privatsphäre der Eheleute. Somit lag dieser Bildveröffentlichung kein zeitgeschichtliches Ereignis zu Grunde. § 23 I Nr. 1 KUG greift nicht ein, wobei es auch hier nicht auf ein berechtigtes Interesse i. S. des § 23 II KUG ankommt. Die Veröffentlichung des Fotos war unzulässig.
(c) BGH Rdnr. 32: Gegenstand der Wortberichterstattung, die zu dem Bild gehörte, war die Erkrankung des damals regierenden Fürsten von Monaco und damit ein zeitgeschichtliches Ereignis, über das die Presse berichten darf. Insofern kommt es auf den redaktionellen Gehalt und die Gestaltung dieses Artikels nicht an, da die Garantie der Pressefreiheit es nicht zulässt, das Eingreifen dieses Grundrechts von der Qualität des jeweiligen Presseerzeugnisses oder redaktionellen Beitrags abhängig zu machen (…). Das gilt auch, soweit der Artikel das Verhalten von Familienmitgliedern während der Krankheit des Fürsten betrifft… Diese Berichterstattung wird mit der beanstandeten Abbildung belegt und illustriert. Somit betraf dieses Bild ein zeitgeschichtliches Ereignis i. S. des § 23 I Nr. 1 KUG (vgl. auch die in NJW 2007, 1981 im Anschluss an den vorliegenden Fall abgedruckte Entscheidung).
Wird § 23 I KUG bejaht, so kommt ein entgegenstehendes berechtigtes Interesse des Abgebildeten i. S. des § 23 II KUG in Betracht, das beispielsweise zu bejahen ist, wenn bei der Aufnahme heimlich und mit technischen Mitteln in die häusliche Privatsphäre eingedrungen wurde. BGH Rdnr. 33 konnte aber kein derartiges berechtigtes Interesse feststellen. Insbesondere ist der beanstandeten Abbildung, welche die Kl. und ihren Ehemann auf offener Straße zeigt, kein eigenständiger Verletzungseffekt zu entnehmen… Es bleibt somit dabei, dass die Abbildung zulässig war.
Ergebnis: Hinsichtlich der Fotos in den Fällen (a) und (b) ist der Unterlassungsanspruch begründet und der Klage stattzugeben. Im Fall (c) besteht kein Unterlassungsanspruch, die Klage ist abzuweisen.
Ergänzender Hinweis: Da, wie aufgezeigt (B II), bei der Auslegung des § 23 I Nr. 1 KUG auch Grundrechte nach den Grundsätzen der mittelbaren Drittwirkung zu berücksichtigen sind, könnten gegen die Endentscheidung der Zivilgerichte Verfassungsbeschwerden erhoben werden (wie in derartigen Fällen auch schon vielfach geschehen, vgl. BVerfGE 101, 361). B könnte die Entscheidung in den Fällen (a) und (b) unter Berufung auf sein Grundrecht der Pressefreiheit (Art. 5 I 2 GG) und K die Entscheidung im Falle (c) gestützt auf ihr Persönlichkeitsrecht (Art. 1, 2 I GG) angreifen. Aussicht auf Erfolg dürften diese Verfassungsbeschwerden aber nicht haben, weil die Entscheidung des BGH die Grundrechte hinreichend berücksichtigt und auch auf die Rspr. des EGMR und des BVerfG abgestimmt hat.
Zusammenfassung