Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
► Gebrauchtwagenkauf, Sachmangelanspruch, § 437 Nr. 2 BGB. ► Beweislastumkehr beim Verbrauchsgüterkauf nach § 476 BGB; Bedeutung des Umstands, dass der Käufer möglicherweise selbst den Mangel an dem Fahrzeug verschuldet hat. ► Konstellation des „Zahnriemenfalls“ BGHZ 159, 215: Grundmangel und Folgemangel; Abgrenzung dazu
BGH Urteil vom 18. 7. 2007 (VIII ZR 259/06) NJW 2007, 2621
Fall (Zylinderkopfdichtung)
K kaufte am 10. 10. 2006 vom Gebrauchtwagenhändler B einen gebrauchten Pkw (km-Stand 159.000) für 4.490 Euro zum privaten Gebrauch unter Ausschluss der Gewährleistung. Nachdem das Fahrzeug am selben Tag übergeben worden war, benutzte K es zum Ziehen eines schwer beladenen Anhängers und legte damit etwa 2.000 km zurück. Nach Auffassung des K erbrachte das Auto aber nicht die erwartete Leistung, so dass er es in einer Werkstatt untersuchen ließ. Dort wurde am 11. 11. 2006 festgestellt, dass die Zylinderkopfdichtung defekt war, was zu einer Überhitzung des Motors und als weitere Folge zu gerissenen Ventilstegen geführt hat. K setzte B eine Frist zur Beseitigung der Mängel, die B verstreichen ließ. Am 25. 11. 2006 erklärte K den Rücktritt vom Kaufvertrag und verklagte B auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.
Der vom Gericht beauftragte Sachverständige S konnte keine gesicherten Feststellungen über den Schadensverlauf treffen. Er hat es als möglich angesehen, dass die Zylinderkopfdichtung bereits bei Übergabe des Fahrzeugs am 10. 10. vorgeschädigt war. Genau so gut könnte der Schaden an der Zylinderkopfdichtung entweder durch Überlastung des Motors beim Ziehen des Anhängers oder durch einen Fahrfehler des K, beispielsweise durch Fahren mit zu wenig Kühlwasser, entstanden sein. Ist der von K geltend gemachte Anspruch begründet ?
Als Anspruchsgrundlage für den Anspruch des K gegen B kommen § 346 I BGB i. V. mit §§ 437 Nr. 2, 434, 323 I BGB in Betracht.
I. Ein wirksamer Kaufvertrag ist zwischen K und V am 10. 10. 2006 zustande gekommen. Dafür ist unerheblich, ob der Gewährleistungsausschluss wirksam ist, denn auf einen unwirksamen Gewährleistungsausschluss könnte B sich lediglich nicht berufen (§ 475 I BGB), der Vertrag im übrigen bliebe wirksam.
II. Der Anspruch wegen Rücktritts vom Kaufvertrag besteht, wenn der Rücktritt erklärt wurde - das ist hier am 25. 11. geschehen - und wenn ein Rücktrittsgrund gemäß §§ 437 Nr. 2, 434, 323 I vorlag. Für den Rücktrittsgrund ist zunächst erforderlich, dass das Fahrzeug im Zeitpunkt der Übergabe einen Sachmangel aufwies.
1. Das Vorliegen eines Sachmangels richtet sich nach § 434.
a) Dabei kann der Umstand, dass die Ventilstege gerissen sind, außer Betracht bleiben, weil dieser Schaden offensichtlich erst später eingetreten ist und noch nicht bei Gefahrübergang vorgelegen hat. Selbst wenn es sich hier um einen zunächst eingetretenen Grundmangel (vorgeschädigte Zylinderkopfdichtung) handeln würde, der zu einem späteren Folgemangel (gerissene Ventilstege) geführt hat (vgl. Lorenz NJW 2004, 3022), würde der Folgemangel für sich genommen keinen Sachmangelanspruch auslösen, weil er noch nicht bei Gefahrübergang vorlag, sondern erst später eingetreten ist.
b) Beim am 11. 11. 2006 festgestellten Defekt an der Zylinderkopfdichtung lässt sich nicht ausschließen, dass er bereits bei Gefahrübergang vorlag. Deshalb kommt dieser Umstand als Mangel in Betracht.
aa) Allerdings ist an dieser Stelle der Prüfung noch offen, ob dieser Zustand bereits bei Gefahrübergang vorlag; hätte dieser Zustand bei Gefahrübergang noch nicht bestanden, könnte man eigentlich nicht von einem Mangel der Kaufsache sprechen. Deshalb ist mit dem BGH (Rdnr. 14, Zitat noch unten 2 a (2)) zu prüfen, ob ein Zustand vorliegt, der, wenn er bereits bei Gefahrübergang bestanden hätte, ein Mangel wäre.
bb) Wäre bereits bei Gefahrübergang die Zylinderkopfdichtung geschädigt gewesen, läge ein Mangel gemäß § 434 I 2 Nr. 2 vor, weil ein Auto mit einem derartigen Defekt sich nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet und nicht die übliche Beschaffenheit aufweist, die der Käufer eines Autos erwarten kann. In solchem Fall weicht die Istbeschaffenheit des Pkw von seiner Sollbeschaffenheit ab. Somit ist von einem Sachmangel auszugehen.
2. Dieser Mangel müsste zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs am 10. 10. 2006 vorgelegen haben.
Wie sich aus den Ausführungen des Sachverständigen ergibt, lässt sich das nicht positiv feststellen. Es ist zwar möglich, dass die Zylinderkopfdichtung bereits bei Übergabe vorgeschädigt war; sie kann aber auch in Ordnung gewesen und durch spätere Ereignisse geschädigt worden sein.
In solchem Fall könnte die Vermutung des § 476 BGB eingreifen. Danach wird bei einemVerbrauchsgüterkauf, bei dem sich innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang ein Sachmangel zeigt, vermutet, dass die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war, es sei denn, diese Vermutung ist mit der Art der Sache oder des Mangels unvereinbar.
a) Es sind die in § 467 enthaltenen Voraussetzungen zu prüfen.
(1) Da K das Auto für seinen privaten Gebrauch gekauft hat, handelt es sich um einen Verbrauchsgüterkauf i. S. des § 474 I 1 BGB.
(2) Es müsste sich ein Sachmangel gezeigt haben. BGH Rdnr. 14: Im Sinne des § 476 BGB ist dies eine Abweichung von der Sollbeschaffenheit der Kaufsache, die, wenn sie bereits bei Gefahrübergang vorhanden war, einen Sachmangel i. S. des § 434 I BGB darstellt. Dass diese Voraussetzung hier erfüllt ist, ergibt sich aus den Ausführungen oben zu 1b bb).
(3) Der Mangel muss sich innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang gezeigt haben. Der Defekt an der Zylinderkopfdichtung hat sich schon nach etwas mehr als einem Monat gezeigt, also innerhalb der Frist.
(4) Die Vermutung ist nicht nach der Art der Sache ausgeschlossen. Auch gebrauchte Sachen können mangelhaft sein (vgl. § 474 I 2 BGB), also auch gebrauchte Autos (BGH NJW 2004, 2299).
(5) Die Vermutung könnte nach der Art des Mangels ausgeschlossen sein.
aa) Im BGH-Fall hatte die Vorinstanz die Ansicht vertreten, ein solcher Mangel wie eine defekte Zylinderkopfdichtung könne jederzeit eintreten und lasse deshalb keinen Rückschluss darauf zu, dass er bereits bei Gefahrübergang vorgelegen habe. Dazu BGH Rdnr. 17: Diese Ansicht hat der Senat bereits in seinem Urteil NJW 2005, 3490 [unter B II 1 b cc (2)] abgelehnt, weil die Vermutung des § 476 BGB sonst entgegen dem aus dem Wortlaut der Vorschrift hervorgehenden Regel-Ausnahme-Verhältnis regelmäßig gerade in den Fällen leer laufen würde, in denen der Entstehungszeitpunkt des Mangels nicht zuverlässig festgestellt werden kann. Somit reicht die Feststellung, dass ein solcher Mangel jederzeit eintreten könne, nicht aus, um § 476 auszuschließen.
bb) Kein Mangel i. S. des § 476 ist ein normaler, dem Alter der Kaufsache und dem Umfang des Gebrauchs entsprechender Verschleiß (BGH NJW 2006, 434, Turboladerfall), beispielsweise der Reifenabrieb bei einem Gebrauchtwagen. Eine schadhafte Zylinderkopfdichtung ist kein normaler, nicht vermeidbarer Verschleiß.
cc) In der Entscheidung BGH NJW 2007, 2619 „Zuchtkater“ (im selben Heft Nr. 36 der NJW veröffentlicht wie der vorliegende Fall „Zylinderkopfdichtung“) hat sich die Frage gestellt, ob die Vermutung des § 476 dann ausgeschlossen ist, wenn der Mangel, falls er schon bei Gefahrübergang vorgelegen hat, für den Verkäufer ebenso wie für den Käufer nicht erkennbar war (als Beispiel: die bereits vorliegende, aber noch nicht erkennbare Infektion eines Tieres). Dies hat der BGH verneint. BGH NJW 2007, 2620 Rdnr. 11: Für die Beweislastumkehr nach § 476 BGB ist es unerheblich, ob der Verkäufer den Mangel…hätte erkennen können. Sie setzt nicht voraus, dass der Verkäufer in Bezug auf den betreffenden Mangel bessere Erkenntnismöglichkeiten hat als der Käufer (mit w. Nachw.). Somit kommt es auch im vorliegenden Fall nicht auf die Erkenntnismöglichkeiten des B an.
§ 476 ist nicht nach der Art des Mangels ausgeschlossen.
(6) Die Vermutungswirkung könnte deshalb ausgeschlossen sein, weil möglicherweise ein Fehlverhalten des K - entsprechend den Hinweisen des S - zu der nachteiligen Beschaffenheit des Fahrzeugs geführt hat.
aa) Damit wird Bezug genommen auf die Entscheidung BGHZ 159, 215 = NJW 2004, 229 („Zahnriemenfall“). Dort hat der BGH entschieden, dass § 476 eine nur in zeitlicher Hinsicht wirkende Vermutung enthält. Tritt ein Sachmangel innerhalb der ersten 6 Monate nach dem Kauf auf, wird vermutet, dass dieser Mangel bereits bei Gefahrübergang vorlag (vgl. Lorenz NJW 2007, 2623 in der Anmerkung zum vorliegenden Fall und zum Zuchtkaterfall). Im Zahnriemenfall war der Motor des gekauften Gebrauchtwagens wegen eines fehlerhaften Zahnriemens zerstört worden. Die Zerstörung war aber erst nach Gefahrübergang eingetreten, fiel also bereits nach dem eigenen Vortrag des klagenden Käufers nicht unter § 434. In Betracht kam, dass ein bereits bei Gefahrübergang fehlerhafter Zahnriemen als Grundmangel zu dem Motorschaden als Folgemangel geführt hat und dass dies nach § 476 vermutet wird. Der Sachverständige hatte aber erklärt, dass auch ein Überdrehen des Motors durch den Käufer zu dem Motorschaden geführt haben kann; dann wäre das Fahrzeug nicht mangelhaft gewesen. Dazu hat der BGH festgestellt, dass es um die Existenz des Mangels ging und nicht lediglich um dessen zeitliches Auftreten und dass insoweit die Vermutung des § 476 nicht eingreift.
bb) Wie der BGH im vorliegenden Fall klarstellt, beschränkt sich die behandelte Rechtsprechung auf Fälle, in denen das beschriebene Verhältnis von (möglichem) Grundmangel und Folgemangel besteht. Im vorliegenden Fall geht es aber - jedenfalls an dieser Stelle - nur um einen Mangel, die fehlerhafte Zylinderkopfdichtung. BGH Rdnr. 16: Im vorliegenden Fall ist nicht ungeklärt geblieben, ob überhaupt ein Mangel des Fahrzeugs vorliegt. Vielmehr steht dies positiv fest. Das Fahrzeug ist…insoweit mangelhaft, als die Zylinderkopfdichtung defekt ist und die Ventilstege gerissen sind. Dies gilt unabhängig davon, welcher der drei Schadensverläufe, die der Sachverständige als möglich angesehen hat, tatsächlich stattgefunden hat. Nicht geklärt ist allein die Frage, ob der Defekt der Zylinderkopfdichtung…bereits vor der Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger eingetreten war…oder ob sie - durch einen Fahr- oder Bedienungsfehler des Kl. - erst nach Gefahrübergang entstanden ist und deshalb der Bekl, nicht dafür haftet. Für diese Fallgestaltung begründet § 476 BGB gerade die in zeitlicher Hinsicht wirkende Vermutung, dass der zu Tage getretene Mangel bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorgelegen hat.
Somit greift hier die Vermutung des § 476 ein.
b) B hat die Vermutung nicht i. S. des § 292 ZPO widerlegt und kann sie offensichtlich auch nicht widerlegen. Somit ist auf Grund der Vermutung davon auszugehen, dass der Pkw im Zeitpunkt des Gefahrübergangs mangelhaft war.
III. Die weitere Voraussetzung für den Rücktritt, dass K dem B ein Frist gesetzt hat und diese ergebnislos abgelaufen ist (§ 323 I), ist ebenfalls erfüllt.
Somit lag nach dem Gesetz ein Rücktrittsgrund vor.
IV. B und K hatten zwar die Gewährleistung vertraglich ausgeschlossen. Auf diesen Ausschluss kann sich B aber nicht berufen, weil es sich um einen Verbrauchsgüterkauf handelt (§ 475 I 1).
V. Der Anspruch aus dem Rücktritt auf Rückzahlung des Kaufpreises ist damit begründet (§ 346 I). Er besteht jedoch nur Zug um Zug (§ 348) gegen Rückgabe des Fahrzeugs (§ 346 I) und unter Abzug einer angemessenen Nutzungsentschädigung (§ 346 I letzter Satzteil).
Zusammenfassung