Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Anspruch des Eigentümers auf Störungsbeseitigung, § 1004 I 1 BGB.Störerbegriff; Zustandsstörer. Störung durch Zustand einer Wohnung; Wohnungsmieter als Störer. § 1004 I als Grundlage für Anspruch auf Duldung

BGH Urteil vom 1. 12. 2006 (V ZR 112/06) NJW 2007, 432

Fall (Weg mit dem Wintergarten)

Frau K und Herr S sind Eigentümer je einer nebeneinander liegenden Eigentumswohnung. Sie sind beide Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft. S hat ohne Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer einen Balkon seiner Wohnung zu einem Wintergarten umgebaut und ein Fenster durch einen Balkon ersetzt. Nachdem K gegen S gerichtlich wegen der Umbauten vorgegangen ist, hat das zuständige OLG den S durch Beschluss zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands der Wohnung verurteilt; diese Entscheidung ist rechtskräftig. S hat die Eigentumswohnung an die Eheleute B vermietet. K hat B aufgefordert, ihr Zutritt zu der Wohnung zu gewähren und zu gestatten, dass sie den Beschluss des OLG im Wege der Ersatzvornahme verwirklichen und die entsprechenden Umbauten in Auftrag geben könne. B haben das mit der Begründung abgelehnt, dass sie die Wohnung in dem umgebauten Zustand gemietet und deshalb ein Recht darauf hätten, sie auch weiter so benutzen zu dürfen. K hat gegen B vor dem Landgericht Klage erhoben und beantragt, B zur Duldung des Rückbaus zu verurteilen. Ist die Klage begründet ?

Da zwischen Wohnungseigentümerin K und den Mietern B des S keine vertraglichen Beziehungen bestehen, kommt nur ein gesetzlicher Anspruch in Betracht. Dieser könnte sich daraus ergeben, dass das Eigentum der K an ihrer Wohnung durch den Umbau in einer Weise gestört wird, die K nicht zu dulden braucht. Hierfür ist § 1004 I 1 BGB die einschlägige Anspruchsgrundlage. Danach kann derjenige, dessen Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes - hierdurch wird § 1004 von § 985 abgegrenzt - beeinträchtigt wird, von dem Störer Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen.

I. Es müsste eine Eigentumsbeeinträchtigung der K vorliegen. Dabei bleibt noch außer Betracht, wer dafür verantwortlich ist; das ist eine erst noch unter II. zu behandelnde Frage des Störers (insoweit gleicher Gedankengang wie bei Anwendung der ordnungs- und polizeirechtlichen Generalklausel).

BGH Rdnr. 7: Die erforderliche Eigentumsbeeinträchtigung - hierunter fällt jeder dem Inhalt des Eigentums (§ 903 BGB) widersprechende Zustand (vgl. BGH NJW 2005, 1366 [1367] m. w. Nachw.) - ist gegeben. Nach den Feststellungen des BerGer. hat S durch den Anbau eines Wintergartens und eines Balkons im Gemeinschaftseigentum stehende Bauteile des Hauses massiv verändert; hierdurch hat er, weil die nach § 22 I WEG [Wohnungseigentumsgesetz] erforderliche Zustimmung aller Wohnungseigentümer fehlte, in rechtswidriger Weise in das Miteigentum der Kl. eingegriffen.

Eine Eigentumsbeeinträchtigung der K liegt somit vor.

II. Beseitigung der Beeinträchtigung kann K „von dem Störer“ verlangen. Die entscheidende Frage dieses Falles ist, ob B Störer i. S. des § 1004 sind. Störer kann jemand als Handlungsstörer oder als Zustandsstörer sein (auch insoweit wie im Polizei- und Ordnungsrecht). Handlungsstörer sind B nicht. Durch Handeln hat S die Störung verursacht.

III. B könnten aber Zustandsstörer sein.

Einleitend unter Rdnr. 11 stellt der BGH klar, dass sich die Störereigenschaft noch nicht allein aus dem Eigentum oder dem Besitz - der Sachherrschaft - an der störenden Sache ergibt. Denn es gibt keinen Rechtssatz des Inhalts, dass der Eigentümer oder Besitzer allein kraft seines Eigentums bzw. seines Besitzes für beeinträchtigende Einwirkungen einer Sache verantwortlich ist [folgen Nachw.- Insoweit also strenger als im Polizei- und Ordnungsrecht]. Deshalb reicht auch der Umstand, dass B sich weigern, den zur Störungsbeseitigung erforderlichen Rückbau zu dulden, zur Begründung der Störereigenschaft nicht aus.

BGH Rdnr. 12: Zustandsstörer ist derjenige, der die Beeinträchtigung zwar nicht verursacht hat, durch dessen maßgebenden Willen der beeinträchtigende Zustand aber aufrechterhalten wird (BGH NJW 1966, 1360 [1361]; NJW-RR 2001, 232; 2003, 953 [955]). Dabei handelt es sich um eine recht unbestimmte und noch nicht praktisch anwendbare Formel. Der BGH konkretisiert sie in der Weise, dass er zwei Voraussetzungen benennt, unter denen eine Zustandsstörung zu bejahen ist.

1. BGH Rdnr. 13: Notwendig ist zunächst, dass der in Anspruch Genommene die Quelle der Störung beherrscht, also die Möglichkeit zu deren Beseitigung hat (…BGHZ 95, 307 [308]…). Im vorliegenden Fall sind B unmittelbare Besitzer der Wohnung einschließlich der die Störung bewirkenden Teile. Würden sie K den Zugang dazu eröffnen, hätte das die Folge, dass K den Rückbau der Wohnung veranlassen würde, was die Beseitigung der Störung bewirken würde.

Das Argument der Revision, B seien als Mieter gar nicht zur Vornahme von Umbauarbeiten berechtigt, weist der BGH mit der Begründung zurück, B sollten nicht selbst den Umbau vornehmen, sondern diesen nur dulden. Die Duldung ist jedenfalls eine ihnen rechtlich mögliche Handlung.

Somit beherrschen B die Quelle der Störung und haben die Möglichkeit zu deren Beseitigung.

2. BGH Rdnr. 14: Darüber hinaus muss dem in Anspruch Genommenen die Beeinträchtigung zurechenbar sein.

a) Das ist dann der Fall, wenn (so BGH Rdnr. 14) die Beeinträchtigung wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers oder Besitzers der störenden Sache zurückgeht (BGHZ 28, 110 [111];…122, 283 [284]…). Ob dies der Fall ist, kann nicht begrifflich, sondern nur in wertender Betrachtung von Fall zu Fall festgestellt werden. Entscheidend ist, ob es Sachgründe dafür gibt, dem Eigentümer oder Nutzer der störenden Sache die Verantwortung für ein Geschehen aufzuerlegen (BGHZ 142, 66 [69 f.]; 155, 99 [105]…; vgl. auch Wenzel NJW 2005, 241).

b) Allerdings gibt der BGH unter Rdnr. 17 zu, dass B sich rein passiv verhalten und dass ihr Verhalten ein bloßes Unterlassen darstellt. Erforderlich ist deshalb, dass B aus irgendeinem Rechtsgrund zur Duldung der Störungsbeseitigung verpflichtet sind (…). Das folgt aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, wonach ein Unterlassen nur zu einer Haftung führen kann, wenn eine Pflicht zum Handeln - bzw. hier zur Duldung - besteht.

Diese Pflicht entnimmt der BGH dem Umstand, dass die B ihr Besitzrecht an der Wohnung von S ableiten und deshalb gegenüber Dritten [hier: K], die dingliche Ansprüche in Bezug auf die Wohnung geltend machen, keine weitergehenden Rechte als S haben (…). Ebenso wie ein Mieter die Wohnung gem. § 985 BGB an den wahren Eigentümer herausgeben muss, wenn sie dem Vermieter nicht gehört und dieser auch nicht zur Vermietung berechtigt ist (vgl. § 986 I BGB), beschränkt ein gegen den Vermieter gerichteter - mit dem Vindikationsanspruch des § 985 BGB eng verwandter - Eigentumsstörungsanspruch aus § 1004 BGB das Recht des Mieters an dem ungestörten Besitz der Wohnung und verpflichtet ihn, die Beseitigung einer von der Wohnung ausgehenden Störung zu dulden… Der dingliche Anspruch der Kl. gegen S begründet die Verpflichtung der Bekl., den Rückbau zu dulden.

 Dass der Mietvertrag sie zur Nutzung der Wohnung in dem bestehenden Zustand berechtigt, führt zu keiner anderen Beurteilung. Der Vertrag wirkt nur schuldrechtlich, also lediglich in dem Verhältnis zwischen den Bekl. und S…

Somit ist B die Störung zurechenbar. Sie sind Störer i. S. des § 1004 I BGB.

IV. Der Anspruch der K gegen B auf Störungsbeseitigung ist folglich begründet. Seine Rechtsfolge ist in solchem Fall auf bloße Duldung gerichtet. BGH Rdnr. 19: Eine solche beschränkte Inanspruchnahme kommt insbesondere in Betracht, wenn mehrere Störer [hier: S und B] für die Beeinträchtigung verantwortlich sind, da jeder Störer nur in dem Maße haftet, wie er in zurechenbarer Weise an der Beeinträchtigung mitwirkt (…). Besteht der Beitrag des Besitzers - wie hier - nur darin, dass er sich kraft seiner Sachherrschaft der Beseitigung der Störung widersetzt, kann er deshalb…auf Duldung der Beseitigung in Anspruch genommen werden (…).

 Die Klage der K gegen B ist somit begründet.

Ergänzender Hinweis: Im vorliegenden Fall ging es darum, ob Mieter für ein rechtswidriges Verhalten des Vermieters im Rahmen des § 1004 einzustehen haben. Den umgekehrten Fall, ob der Vermieter gegenüber dem Eigentümer eines Nachbarhauses für eine Schadenszufügung durch den Mieter einzustehen hat, behandelt BGH NJW 2006, 992 (und verneint das dort, weil der Mieter schuldhaft einen Brand verursacht und der Vermieter dafür keinen Anlass gegeben hatte).

Zusammenfassung