Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Schadensersatz bei unberechtigtem Mangelbeseitigungsverlangen, §§ 439, 280 BGB. Schutz vor Schadensersatzverpflichtungen bei prozessualer Geltendmachung vermeintlicher Ansprüche; abweichende Beurteilung bei außerprozessualer Geltendmachung

BGH Urteil vom 23. 1. 2008 (VIII ZR 246/06) NJW 2008, 1147

Fall (Lichtrufanlage für Altenheim)

K, die spätere Klägerin, stellt elektrotechnische Anlagen her. B ist eine Firma für Elektroanlagenbau. Nach Bestellung durch B verkaufte und lieferte K an B eine Lichtrufanlage, mit der von Krankenbetten aus Rufsignale an das Pflegepersonal mittels Leuchtzeichen an der Zimmertür sowie mittels akustischer Zeichen an einzelne Pflegekräfte gesendet werden können. B baute die Anlage in den Neubautrakt eines Altenheimes ein. Dabei sollte auch eine Verbindung zu einer bereits bestehenden Rufanlage im Altbau hergestellt werden. Bereits kurz nach der Inbetriebnahme wandte sich das Altenheim mit einer Störungsmeldung an B. Ein Mitarbeiter der B überprüfte die Anlage, konnte aber den Fehler nicht finden. B vermutete als Ursache der Störung einen Mangel der von K gelieferten Anlage und forderte K auf, den Mangel zu beseitigen. K schickte einen Servicetechniker, der die Anlage an Ort und Stelle überprüfte und feststellte, dass die Anlage in Ordnung war, dass aber die Kabel der neuen und der alten Anlage nicht miteinander verbunden waren. Nach Herstellung der Verbindung war die Störung beseitigt. K sandte B eine Rechnung, in der sie den üblichen Stundensatz für sechs von dem Servicetechniker benötigten Stunden und die Fahrtkosten für 424 Pkw-km, insgesamt 773 € verlangte. Zu Recht ?

A. Als Anspruchsgrundlage kommt ein Werkvertrag (§ 631 I BGB) in Betracht, wenn ein solcher Vertrag zwischen K und B geschlossen wurde. Jedoch war die Aufforderung der B an K, einen Mangel zu beseitigen, eine Berufung auf ein vermeintliches Recht aus dem früher geschlossenen Kaufvertrag und kein Angebot zum Abschluss eines Werkvertrages. Werkvertrag scheidet somit als Anspruchsgrundlage aus.

B. Anspruchsgrundlage kann ein Schadensersatzanspruch aus dem Kaufvertrag über die Lichtrufanlage sein (§§ 433, 280 I BGB).

I. Ein Kaufvertrag über die Lichtrufanlage ist durch die Bestellung der B und die Annahme durch K zu Stande gekommen.

II. B müsste eine Pflicht aus dem Vertrag verletzt haben.

1. Eine Hauptpflicht kann B nicht verletzt haben. Insoweit traf sie nur die Pflicht zur Zahlung des Kaufpreises (§ 433 II BGB), die sie offenbar erfüllt hat. Ebenso ist B der Pflicht zur Abnahme (§ 433 II) nachgekommen. Auch die Verkäuferin K hat ihre Pflichten erfüllt: Sie hat die Lichtrufanlage geliefert (§ 433 I 1BGB), und zwar mangelfrei (§ 433 I 2): Die Störung betraf die Verbindung zwischen der neuen und der alten Anlage, deren Herstellung nicht von K geschuldet war, sondern für die entweder B oder die Leitung des Altenheims verantwortlich waren. Der Kaufvertrag war somit, was seine Hauptpflichten betrifft, erloschen (§ 362 I BGB).

2. Jedoch können sich aus einem Vertrag auch nach Erfüllung der Hauptpflichten noch nachvertragliche Rücksichtnahmepflichten gemäß § 241 II BGB ergeben. Beispiele sind Hinweispflichten auf nachträglich bekannt gewordene Gefahren, die von der Leistung ausgehen (ggfs. Rückrufverpflichtung); ferner nachwirkende Pflichten zur Unterlassung von Wettbewerb und zur Geheimhaltung. Eine solche Rücksichtnahmepflicht könnte auch darin bestehen, dass der Käufer an den Verkäufer kein unberechtigtes Mangelbeseitigungsverlangen richtet, da ein solches, wie der vorliegende Fall zeigt, dem Verkäufer einen nicht unerheblichen Schaden zufügen kann. Ob eine solche Pflicht des Käufers anzuerkennen ist, ist aber deshalb zweifelhaft, weil der Käufer - wie jedermann - grundsätzlich berechtigt ist, auch vermeintliche Rechte geltend zu machen.

a) Anerkannt ist diese Berechtigung für die prozessuale Geltendmachung von Rechten. BGH Rdnr. 8: In der Rspr. des BGH ist…anerkannt, dass allein in der Erhebung einer Klage oder in der sonstigen Inanspruchnahme eines staatlichen, gesetzlich geregelten Rechtspflegeverfahrens zur Durchsetzung vermeintlicher Rechte weder eine unerlaubte Handlung im Sinne der §§ 823 ff. BGB (BGHZ 74, 9, 16; 95, 10, 18 f.; 118, 201, 206; 154, 269, 271 f.; 164, 1, 6) noch ein Verstoß gegen Treu und Glauben und damit eine zum Schadensersatz verpflichtende Vertragsverletzung gesehen werden kann (BGHZ 20, 169, 172; BGH WM 1979, 1288; BGH NJW-RR 2005, 315 unter II 2). Für die Folgen einer nur fahrlässigen Fehleinschätzung der Rechtslage haftet der ein solches Verfahren Betreibende außerhalb der schon im Verfahrensrecht vorgesehenen Sanktionen grundsätzlich nicht, weil der Schutz des Prozessgegners regelmäßig durch das gerichtliche Verfahren nach Maßgabe seiner gesetzlichen Ausgestaltung gewährleistet wird. Eine andere Beurteilung würde die freie Zugängigkeit der staatlichen Rechtspflegeverfahren, an der auch ein erhebliches öffentliches Interesse besteht, in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise einengen.

b) BGH Rdnr. 9: Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen sich diese Rechtsprechung auf die außerprozessuale Geltendmachung vermeintlicher Rechte übertragen lässt, wird jedoch nicht einheitlich beantwortet.

aa) Wie der BGH unter Rdnr. 11 ausführt, wird teilweise die Auffassung vertreten, die außergerichtliche Geltendmachung einer nicht bestehenden Forderung könne nicht anders behandelt werden als die gerichtliche (KG, Urteil vom 18. August 2005 – 8 U 251/04, juris, Tz. 142; Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen durch BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2006 – IX ZR 167/05, www.bundesgerichtshof.de, unter 1; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1999, 746, unter 2; OLG Braunschweig, OLGR 2001, 196, 198; Grüneberg/Sutschet in: Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., § 241 Rdnr. 54). In bestehenden Schuldverhältnissen gebe es ein Recht, in subjektiv redlicher Weise - wenn auch unter fahrlässiger Verkennung der Rechtslage - Ansprüche geltend zu machen, die sich als unberechtigt erwiesen.

bb) Die prozessuale und die außerprozessuale Rechtslage lassen sich jedoch insofern nicht vergleichen, als bei der prozessualen Behandlung dafür gesorgt ist, dass dem Käufer, falls er einen Mangelanspruchs zu Unrecht klageweise geltend macht, die Prozesskosten, und zwar auch die des Verkäufers, zur Last fallen. Eine vergleichbare Regelung gibt es bei der außerprozessualen Geltendmachung von vermeintlichen Ansprüchen nicht. BGH Rdnr. 10: Nach der Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen vom 15. Juli 2005 (BGHZ 164, 1, 6) bleibt es beim uneingeschränkten deliktischen Rechtsgüterschutz nach § 823 Abs. 1 BGB und § 826 BGB, wenn es an der Rechtfertigungswirkung eines gerichtlichen Verfahrens fehlt. Im Rahmen einer (vor-)vertraglichen Beziehung der Parteien kommt nach BGH NJW 2007, 1458 (unter II 1 und 2) auch ein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1, § 311 BGB in Betracht, wenn jemand unberechtigt als angeblicher Schuldner außergerichtlich mit einer Forderung konfrontiert wird und ihm bei der Abwehr dieser Forderung Kosten entstehen (ebenso LG Zweibrücken, NJW-RR 1998, 1105 f.; AG Münster, NJW-RR 1994, 1261 f.; Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl., § 280 Rdnr. 27).

cc) Bei der Entscheidung, ob der Meinung aa) oder bb) gefolgt wird, muss bereits bei der Frage der Vertragsverletzung das Verschulden mit berücksichtigt werden. Denn wenn der Käufer schuldlos glaubt, einen Anspruch auf Mangelbeseitigung zu haben, darf er diesen selbstverständlich geltend machen, ohne eine Vertragsverletzung zu begehen. Anders ist es aber im Falle eines Verschuldens.

BGH Rdnr. 12: Nach Ansicht des Senats stellt jedenfalls ein unberechtigtes Mangelbeseitigungsverlangen nach § 439 Abs. 1 BGB eine zum Schadensersatz verpflichtende schuldhafte Vertragsverletzung dar, wenn der Käufer erkannt oder fahrlässig nicht erkannt hat, dass ein Mangel nicht vorliegt, sondern die Ursache für die von ihm beanstandete Erscheinung in seinem eigenen Verantwortungsbereich liegt…Für den Käufer liegt es auf der Hand, dass von ihm geforderte Mangelbeseitigungsarbeiten auf Seiten des Verkäufers einen nicht unerheblichen Kostenaufwand verursachen können. Die innerhalb eines bestehenden Schuldverhältnisses gebotene Rücksichtnahme auf die Interessen der gegnerischen Vertragspartei erfordert deshalb, dass der Käufer vor Inanspruchnahme des Verkäufers im Rahmen seiner Möglichkeiten sorgfältig prüft, ob die in Betracht kommenden Ursachen für das Symptom, hinter dem er einen Mangel vermutet, in seiner eigenen Sphäre liegen.

Rdnr. 13: Eine solche Verpflichtung hat entgegen der Auffassung der Revision nicht zur Folge, dass Käufer ihr Recht, Mangelbeseitigung zu verlangen, so vorsichtig ausüben müssten, dass ihre Mangelrechte dadurch entwertet würden. Der Käufer braucht nicht vorab zu klären und festzustellen, ob die von ihm beanstandete Erscheinung Symptom eines Sachmangels ist (vgl. Malotki, BauR 1998, 682, 688). Er muss lediglich im Rahmen seiner Möglichkeiten sorgfältig überprüfen, ob sie auf eine Ursache zurückzuführen ist, die nicht dem Verantwortungsbereich des Verkäufers zuzuordnen ist. Bleibt dabei ungewiss, ob tatsächlich ein Mangel vorliegt, darf der Käufer Mangelrechte geltend machen, ohne Schadensersatzpflichten wegen einer schuldhaften Vertragsverletzung befürchten zu müssen, auch wenn sich sein Verlangen im Ergebnis als unberechtigt herausstellt. Da es bei der den Käufer treffenden Prüfungspflicht um den Ausschluss von Ursachen in seinem eigenen Einflussbereich geht, kommt es entgegen der Auffassung der Revision auf besondere, die Kaufsache betreffende Fachkenntnisse nicht an, über die unter Umständen nur der Verkäufer verfügt.

Zu beachten ist allerdings, dass dem BGH ein Kaufvertrag zwischen Unternehmen vorlag. Beim Verbrauchsgüterkauf (§ 474 BGB) müsste noch zusätzlich überlegt werden, ob die vom BGH vorausgesetzte Prüfungspflicht nicht eine gegen die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie der EU (1999/44/EG) verstoßende Erschwerung der Rechte des Verbrauchers ist. - Die Entscheidung dürfte auch auf das Werkvertragsrecht zu übertragen sein, wo insbesondere angebliche Baumängel häufiger gerügt werden und ihre Beseitigung auch regelmäßig höhere Kosten verursacht (vgl. den oben zitierten Aufsatz von Malotki BauR 1998, 682).

3. Im vorliegenden Fall hat B diese Rücksichtnahmepflicht schuldhaft verletzt (vgl. auch BGH Rdnr. 14). Der zunächst beauftragte Mitarbeiter der Firma B, für den diese nach § 278 BGB einzustehen hat, hätte erkennen müssen, dass die Kabel der beiden Anlagen nicht miteinander verbunden waren und dass der Fehler nicht im Verantwortungsbereich der K lag. In solcher Situation einen Servicetechniker der K zu veranlassen, 464 km zu fahren und 6 Stunden Zeit aufzuwenden, war ein schuldhafter Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflicht. Ein Mitverschulden (§ 254 BGB) der K ist nicht ersichtlich.

III. Die bei K entstandenen Kosten sind der Schaden, der durch die Pflichtverletzung bei K eingetreten ist. Somit kann K die Kosten in Höhe von 773 € von B ersetzt verlangen.


Zusammenfassung