Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, § 705 BGB. Persönliche Haftung der Gesellschafter analog § 128 HGB. Rechtsscheinhaftung. Haftung und Haftungsgrenzen bei Scheinsozietät von Rechtsanwälten


BGH
Urteil vom 16. 4. 2008 (VIII 230/07) NJW 2008, 2330

Fall (Computer für die Anwaltskanzlei)

S1 und S2 betrieben gemeinsam eine Rechtsanwaltskanzlei. Sie hatten vereinbart, dass jeder von ihnen die für das Büro erforderlichen Rechtsgeschäfte abschließen darf. Als ein PC mit Zubehör neu angeschafft und ein anderer repariert werden musste, erteilte S1 namens der S-Kanzlei der Firma K einen entsprechenden Auftrag. K lieferte den PC und nahm die Reparatur vor. Dafür berechnete er der S-Kanzlei 1.780 €. Der Betrag wurde nicht beanstandet, jedoch trotz Mahnung nicht bezahlt.

Während dieser Zeit war Frau B als angestellte Rechtsanwältin in der S-Kanzlei tätig. Sie wurde auf dem Briefbogen, der der Fa. K bekannt war, ohne einschränkenden Zusatz nach S1 und S2 aufgeführt. K nimmt B persönlich auf Zahlung der 1.780 € in Anspruch. Zu Recht ?

I. Aus einer eigenen vertraglichen Verpflichtung (§§ 433 II; 631, 632 BGB) haftet B nicht.

1. Sie selbst hat keinen Vertrag mit K geschlossen und hat auch keine Vollmacht zum Abschluss eines solchen Vertrages erteilt.

2. Selbst wenn B Gesellschafterin einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts wäre (§ 705 BGB), zu der sich die Rechtsanwälte der S-Kanzlei zusammengeschlossen haben, oder sich wie eine solche behandeln lassen müsste, würde sie nicht unmittelbar aus Vertrag haften.

a) Abweichend vom ursprünglichen Regelungskonzept des BGB (vgl. § 714: „die anderen Gesellschafter“) wird die im Rechtsverkehr nach außen in Erscheinung tretende Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) als rechtsfähig anerkannt (BGHZ 146, 341). Wird in ihrem Namen mit Vertretungsmacht gehandelt, wird sie selbst Vertragspartnerin. Das schließt aus, dass auch die Gesellschafter oder Scheingesellschafter ebenfalls Vertragspartner werden.

b) Zwar haften die GbR-Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der GbR persönlich (dazu noch nachfolgend II 1). Das muss aber gesondert begründet werden und bedeutet nicht, dass die einzelnen Gesellschafter Vertragspartner sind. Vielmehr handelt es sich um eine an die Haftung der GbR angelehnte, akzessorische Haftung und keine aus eigener vertraglicher Verpflichtung.

II. B könnte als Gesellschafterin der GbR haften.

1. Trotz eigener Haftung der GbR für die in ihrem Namen und mit Vertretungsmacht abgeschlossenen Rechtsgeschäfte haften auch die GbR-Gesellschafter persönlich. Es handelt sich um eine von der Gesellschaftsschuld abhängige und zu ihr hinzutretende gesetzliche Haftung analog § 128 HGB (BGHZ 146, 358; K. Schmidt NJW 2003, 1900). Es gilt die Akzessorietätstheorie im Unterschied zur früher vertretenen Doppelverpflichtungslehre (BGH a. a. O; Saenger JuS 2003, 578; Heinemann/Pickartz JuS 2002, 1084). Somit kommen im vorliegenden Fall §§ 433 II, 631 I, 705 BGB, 128 HGB analog als Anspruchsgrundlagen in Betracht.

2. Voraussetzung für diese Anspruchsgrundlagen im vorliegenden Fall ist - neben der zu bejahenden Haftung der Gesellschaft - eine Gesellschafterstellung der B. Diese ist jedoch nicht gegeben. B war lediglich Angestellte der GbR (Sozietät) und kein Mitglied (keine „Sozia“).

3. B könnte aus Rechtsscheinsgesichtspunkten haften.

a) Nach dem in Rspr. und Lit. entwickelten allgemeinen Grundsatz über eine Rechtsscheinhaftung muss sich derjenige, der im Rechtsverkehr zurechenbar einen Rechtsschein gesetzt hat - ggfs. unter weiteren, einschränkenden Voraussetzungen - gegenüber einem gutgläubigen Dritten so behandeln lassen, als entspreche der Rechtsschein der Rechtswirklichkeit. Dieser Grundsatz bedarf allerdings der Konkretisierung. Soweit diese nicht durch Gesetz erfolgt (z. B. in §§ 170, 171 II, 172 II, 173 BGB), gelten besondere Grundsätze, vor allem für die - über §§ 170 ff. BGB hinausgehende - Haftung aus einer Anscheinsvollmacht und wegen des Bestehens einer Scheingesellschaft. Diese Grundsätze hat der BGH weiter konkretisiert im Hinblick auf das Bestehen einer Scheinsozietät bei Rechtsanwälten. BGH Rdnr. 10: Sie ist anzunehmen, wenn mehrere Rechtsanwälte, zwischen denen keine Sozietät, sondern nur ein Anstellungsverhältnis besteht, nach außen hin durch gemeinsame Briefbögen, Stempel usw. den Anschein einer Sozietät erwecken und dadurch gegenüber dem Rechtsverkehr den Anschein erzeugen, dass der einzelne handelnde Rechtsanwalt sie sämtlich vertritt. An diesem von ihnen gesetzten Rechtsschein müssen sich deshalb alle Rechtsanwälte festhalten lassen. Dies ergibt sich aus den von der Rechtsprechung herausgebildeten Grundsätzen zur sogenannten Duldungs- und Anscheinsvollmacht (BGHZ 70, 247, 249). Im vorliegenden Fall wurde von S1, S2 und B durch die Gestaltung der Briefbögen der S-Sozietät der Anschein erweckt, B sei ihr Mitglied. Darauf konnten Dritte wie K vertrauen.

b) BGH: Die Rechtsfigur der Scheinsozietät dient jedoch allein dazu, im Interesse der Mandantschaft um deren Vertrauensschutzes willen unter Haftungsgesichtspunkten auf den erweckten Anschein abzustellen (BGH NJW 2001, 165, unter II 1 b). Fehler eines Scheinsozius bei der Bearbeitung eines Mandats werden als solche der Sozietät behandelt (BGH NJW 2007, 2490, Tz. 20). Die Haftung eines Mitglieds einer Scheinsozietät setzt ein Mandatsverhältnis und damit eine anwaltstypische Tätigkeit voraus. Eine anwaltstypische Tätigkeit liegt jedoch dann nicht vor, wenn keine rechtsberatende oder rechtsvertretende Tätigkeit damit verbunden ist (vgl. BGH NJW 1999, 3040, unter I 3 b aa; OLG Celle, NJW 2006, 3431, 3433; Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl., § 164 Rdnr. 6). So ist es hier. Der Kauf einer PC-Anlage und deren Reparatur stellen, auch wenn sie für ein Anwaltsbüro erfolgen, keine anwaltstypischen Tätigkeiten dar.

c) B haftet somit auch nicht aus Rechtsschein. K hat keinen Anspruch gegen B.


Zusammenfassung