Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
► Anspruch auf Ersatz von Verzugsschaden, §§ 280 I, II, 286, 288 BGB. ► Voraussetzungen für Mahnung, § 286 I 1 BGB. ► Entbehrlichkeit der Mahnung bei kalendermäßiger Bestimmung der Leistungszeit, § 286 II Nr. 1 BGB. ► Verzugseintritt nach § 286 III BGB
BGH Urteil vom 25. 10. 2007 (III ZR 91/07) NJW 2008, 50 (für BGHZ vorgesehen)
Fall (Rechnung mit Zahlungsfrist)
K, die spätere Klägerin, ist Inhaberin einer Praxis für Physiotherapie. B ließ sich als Privatpatientin von ihr behandeln. Dafür stellte K der B 543 € in Rechung. Die vom 14. 9. 2004 datierte Rechnung enthielt den Satz: „Den Rechnungsbetrag überweisen Sie bitte bis zum 5. 10. 2004 auf das unten angegebene Konto.“ B ließ die Rechnung liegen. Ende September 2004 zog B um und erteilte der Post einen Nachsendeauftrag. Am 25. 5. 2005 und am 9. 11. 2005 schickte K Mahnungen an die frühere Adresse der B, die diese aber nicht erreichten. Anfang 2006 schaltete K einen Rechtsanwalt ein, der die neue Anschrift der B herausfand und mit Schreiben vom 3. 2. 2006 an B unter Klageandrohung Zahlung der 543 €, Ersatz seiner Kosten und Zahlung von Verzugszinsen verlangte. B überwies umgehend die 543 €, nicht jedoch die Anwaltskosten und Verzugszinsen. Die nichtgezahlten Beträge macht K klageweise geltend. Ist die Klageforderung berechtigt ?
A. Die Forderung der K könnte als Anspruch auf Ersatz eines Verzugsschadens und auf Zahlung von Verzugszinsen (§§ 280 I, II, 286, 288 BGB) begründet sein.
I. Zwischen K und B war ein Dienstvertrag über eine physiotherapeutische Behandlung zustande gekommen, nach dem B die vereinbarte oder die übliche Vergütung zu zahlen hatte (§§ 611, 612 BGB).
II. B müsste mit der Erfüllung ihrer Verpflichtung in Verzug (§ 286 BGB) gekommen sein.
1. Voraussetzung für den Verzug ist zunächst ein fälliger Anspruch.
a) Es ist davon auszugehen, dass der Vergütungsanspruch der K auf Zahlung der 543 € berechtigt war. B hat dessen Höhe nicht bestritten und hat den Betrag später bezahlt.
b) Der Anspruch müsste auch fällig gewesen sein, wobei auch der Zeitpunkt der Fälligkeit zu bestimmen ist.
aa) Nach § 271 BGB ist ein Anspruch grundsätzlich sofort fällig. Entstehen des Anspruchs und Fälligkeit fallen also grundsätzlich zusammen.
bb) Etwas anderes würde sich aus dem von K gesetzten Zahlungsziel ergeben, wenn dieses als Angebot zu einer Stundungsvereinbarung verstanden würde, von dessen Annahme durch B gemäß § 151, 1 BGB ausgegangen werden kann (vgl. BGH Rdnr. 11 a. E.). Der BGH hat diese Frage offen gelassen, jedoch zu Unrecht: Bei einer Fälligkeitsverschiebung durch Stundung bis zum 5. 10. 2004 läge § 286 II Nr. 1 vor, was vom BGH aber ohne Rücksicht auf das Vorliegen einer Stundungsvereinbarung geprüft und verneint wird (unten 2a). Auch entfiele dann die vom BGH ebenfalls behandelte Frage, ob in der Rechnung vom 14. 9. 2004 eine Mahnung liegt (unten 2e); denn nach § 286 I darf die Mahnung jedenfalls nicht vor der Fälligkeit erklärt werden. Dass das Zahlungsziel zu keiner Stundungsvereinbarung führt, lässt sich mit Gsell in der Anmerkung zu der BGH-Entscheidung NJW 2008, 52 wie folgt begründen: „Dem Schuldner kann nicht unterstellt werden, er erkläre mit der ausbleibenden Zahlung seine Zustimmung zu der die Mahnung entbehrlich machenden (!) kalendermäßigen Leistungszeit.“ Denn dadurch würde er seine Rechtsstellung deutlich verschlechtern. Zusätzlich bietet sich die Überlegung an: Fast jede Handwerkerrechung enthält ein Zahlungsziel, so dass die Annahme lebensfremd wäre, dass jedesmal ein Vertrag über die Fälligkeit geschlossen würde. Vielmehr enthält das Zahlungsziel die tatsächliche Erklärung des Gläubigers, dass er die Zahlung innerhalb der damit bestimmten Frist erwartet, sie aber auch noch als vertragsgemäß ansieht.
Somit war der Anspruch der K im Zeitpunkt des Zugangs der Rechnung fällig.
2. Als weitere Voraussetzung muss nach § 286 I 1 BGB grundsätzlich eine Mahnung erfolgt sein. Nach § 286 I 2 stehen der Mahnung Klageerhebung und Mahnbescheid gleich; einer dieser Fälle liegt hier nicht vor. In den Fällen des § 286 II, III ist eine Mahnung entbehrlich.
a) Nach § 286 II Nr. 1 bedarf es einer Mahnung nicht, wenn für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist („dies interpellat pro homine“).
aa) BGH Rdnr. 7: Eine solche Bestimmung muss aber durch Rechtsgeschäft in der Regel in dem zugrunde liegenden Vertrag , durch Gesetz oder in einem Urteil getroffen worden sein. Die einseitige Festlegung einer Leistungszeit durch den Gläubiger reicht… für die Anwendung der Vorschrift nicht aus (ganz herrschende Meinung:… MünchKomm/ Ernst, BGB, 5. Aufl., § 286 Rdnr. 55; Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl., § 286 Rdnr. 22; Staudinger/Bittner, BGB, Neubearbeitung 2004, § 271 Rdnr. 19; Staudinger/Löwisch, a.a.O., § 286 Rdnr. 68; a .A. LG Ansbach NJW-RR 1997, 1479; Fahl JZ 1995, 341, 343 ff.). Das entspricht nicht nur nach den Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch dem Willen des historischen Gesetzgebers, sondern auch den Vorstellungen des Reformgesetzgebers beim Erlass des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (BGBl. I S. 3138) sowie den Vorgaben des Europarechts (wird vom BGH unter Rdnr. 8 näher ausgeführt).
bb) Eine Ausnahme besteht nach BGH Rdnr. 7, wenn der Gläubiger nach § 315 BGB zur Bestimmung der Leistung berechtigt ist, was hier aber nicht der Fall war.
cc) Da K lediglich einseitig den 5. 10. 2004 als Zahlungsziel bestimmt hat, liegen die Voraussetzungen des § 286 II Nr. 1 nicht vor.
b) Verzug ohne Mahnung tritt auch im Falle des § 286 III ein. BGH Rdnr. 9: § 286 Abs. 3 Satz 1 BGB greift im Streitfall zugunsten der Kl. nicht ein. Nach dieser Vorschrift kommt der Schuldner einer Entgeltforderung spätestens dann in Verzug, wenn er nicht innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder einer gleichwertigen Zahlungsaufstellung leistet. Dies gilt jedoch gegenüber einem Schuldner, der Verbraucher ist (§ 13 BGB), nur, wenn er auf diese Folge in der Rechnung oder Zahlungsaufstellung besonders hingewiesen worden ist. Daran fehlt es hier.
c) Somit war eine Mahnung erforderlich. Eine solche ist mit Anwaltsschreiben vom 3. 2. 2006 erfolgt. Diese reicht aber zur Begründung der hier geltend gemachten Forderungen nicht aus, weil Verzugsschaden und Verzugszinsen dem Verzugseintritt nachfolgen müssen (vgl. § 288: „während des Verzugs“). Die Anwaltskosten sind aber mit der vor dem Zugang des Mahnschreibens erfolgten Beauftragung des Rechtsanwalts entstanden. Verzugszinsen werden zumindest ganz überwiegend für die Zeit der Nichtzahlung vor dem 3. 2. verlangt.
d) Die Schreiben vom 25. 5. und 9. 11. 2005 waren Mahnungen, sind aber der B nicht zugegangen. BGH Rdnr. 12: B muss sich auch nicht so behandeln lassen, als hätten diese Mahnungen sie erreicht. Es trifft zwar zu, dass der Schuldner bei bestehenden vertraglichen Beziehungen gehalten ist, im Falle eines Umzugs Vorkehrungen für den Zugang rechtsgeschäftlicher Erklärungen seines Vertragspartners zu treffen (vgl. …Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 130 Rn. 17). Hierfür genügt jedoch jedenfalls bei Verbrauchern ein Nachsendeauftrag bei der Post. Diesen Auftrag hat die Beklagte erteilt.
e) Als fallentscheidende Frage bleibt deshalb, ob bereits in der Rechnung vom 14. 9. 2004 eine Mahnung zu sehen war.
aa) BGH Rdnr. 11: Als verzugsbegründende Mahnung genügt jede eindeutige und bestimmte Aufforderung, mit der der Gläubiger unzweideutig zum Ausdruck bringt, dass er die geschuldete Leistung verlangt; auf die Rechtsfolgen eines Verzugs muss anders als im Fall des § 286 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht hingewiesen werden (BGH NJW 1998, 2132, 2133; Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 286 Rdnr. 17). Eine Mahnung kann zudem mit der die Fälligkeit begründenden Handlung verbunden werden (RGZ 50, 255, 261; BGH WM 1970, 1141) und kann deswegen auch in einer Rechnung enthalten sein, selbst wenn nach den vertraglichen oder gesetzlichen Bestimmungen erst mit deren Zugang die Forderung fällig wird (BGH NJW 2006, 3271 Rdnr. 10). Dabei handelt es sich indessen um Ausnahmefälle.
bb) Die erstmalige Zusendung einer Rechnung selbst mit Angabe eines Zahlungsziels wurde schon bisher im Verkehr üblicherweise nicht als Mahnung verstanden… (vgl. nur OLG Düsseldorf OLGReport 2002, 296, 297;…Erman/Hager, a.a.O., § 286 Rdnr. 31; MünchKomm/ Ernst, a.a.O., § 286 Rdnr. 49; abweichend Soergel/Wiedemann, a.a.O., § 284 Rdnr. 35; Fahl JZ 1995, 341, 345…). Umso mehr gilt dies jetzt vor dem Hintergrund des § 286 Abs. 3 Satz 1 BGB, der dem Gläubiger Verbrauchern gegenüber eine zusätzliche Belehrung abverlangt. Also war die Rechnung keine Mahnung.
Gsell NJW 2008, 52 weist allerdings darauf hin, dass sich aus der Definition unter aa) eher das Gegenteil ergeben würde, dass nämlich die Rechnung mit Zahlungsziel eine Mahnung ist, und dass der BGH die entscheidende Frage, an welchem Merkmal (eindeutig? ernsthaft ?) das Vorliegen einer Mahnung scheitert, nicht beantwortet hat. Es bleibt also wohl nur übrig, entweder bei aa) doch zu verlangen, dass auf den drohenden Verzugseintritt als Rechtsfolge hingewiesen wird (so Gsell), oder aa) als Grundsatz und bb) als eine Art Ausnahme zu verstehen.
Im Ergebnis wird jedenfalls dem BGH gefolgt, wonach in der Rechnung vom 14. 9. 2004 noch keine Mahnung liegt. Folglich ist B vor dem 3. 2. 2006 nicht in Verzug gekommen. Über §§ 280 I, II, 286, 288 lässt sich der Anspruch der K nicht begründen.
B. Für einen allein auf § 280 I BGB gestützten Anspruch müsste eine Pflichtverletzung der B vorliegen, die nicht in der Verzögerung der Leistung (§ 280 II) zu sehen ist. Eine solche liegt aber nicht vor. BGH Rdnr. 6: Mangels sonstiger Pflichtverletzungen der Bekl. könnte die Kl. Ersatz ihrer Aufwendungen sowie die mit dem Hauptantrag geforderten Zinsen zutreffend nur als Verzögerungsschaden wegen Verzugs der Beklagten verlangen (§ 280 Abs. 1 und 2, § 288 Abs. 1 BGB i.V.m. § 286 BGB). Für einen Anspruch wegen eines Verzögerungsschadens sind also die Verzugvorschriften abschließend.
Die Forderung der K ist nicht berechtigt.
Zusammenfassung