Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
► Forderungsübergang im Versicherungsfall, § 86 VVG. ► Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 906 II 2 BGB unmittelbar und analog. ► Anspruchsberechtigung eines gewerblichen Mieters
BGH Urteil vom 1. 2. 2008 (V ZR 47/07) NJW 2008, 992
Fall (Brand im Nachbarhaus)
G betreibt in der Stadt S in gemieteten Räumen ein Lederwarengeschäft. Er hat seine Betriebseinrichtung und die Warenvorräte bei der K-AG u. a. gegen Brandschäden versichert. Im Nachbarhaus gehört dem B eine von ihm selbst bewohnte Eigentumswohnung. Am 11. 1. fing in der Wohnung des B ein defektes Küchengerät Feuer und führte zu einem das ganze Haus erfassenden Brand, der von der Feuerwehr gelöscht wurde. Durch Rauch, Ruß und Löschwasser wurde auch das Geschäft des G geschädigt. Die K-AG zahlte wegen der an der Betriebseinrichtung und den Lederwaren entstandenen Schäden 118.510 € an G. Sie verlangt Erstattung dieses Betrages von B. Zu Recht ?
I. Ein eigener Anspruch kann der K-Versicherung gegen B nicht zustehen. Es kommt aber ein Anspruch in Betracht, der in der Person ihres Versicherungsnehmers G entstanden und auf sie übergegangen ist.
1. Früher und noch zur Zeit der BGH-Entscheidung war dieser Anspruchsübergang in § 67 VVG geregelt. Seit der Neufassung des Versicherungsvertragsgesetzes mit Wirkung vom 1. 1. 2008 gilt § 86 VVG. Der nunmehr den Übergang regelnde § 86 Abs. 1 Satz 1, der keine sachliche Änderung gegenüber dem § 67 S. 1 VVG a. F. enthält, wird hier zu Grunde gelegt.
2. Wird zunächst vom Bestehen eines Anspruchs des G gegen B abgesehen, liegen die Voraussetzungen für einen Anspruchsübergang nach § 86 I 1 vor: Zwischen G und K bestand ein Versicherungsvertrag. Es ist ein Versicherungsfall eingetreten. K hat dem G die durch den Brand entstandenen Schäden in Höhe von 118.510 € ersetzt.
II. Entscheidende Frage bleibt somit, ob in der Person des G ein Ersatzanspruch gegen B entstanden ist. Dabei scheiden folgende Anspruchsgrundlage von vornherein aus:
III. Ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch aus § 906 II 2 BGB besteht unter folgenden Voraussetzungen:
1. Von einem anderen Grundstück muss eine Immission (§ 906 I 2 BGB) ausgegangen sein.
a) Die Störung des Geschäftsbetriebs des G ging von der Eigentumswohnung des B aus, die als Teilrecht an einem Grundstück wie ein Grundstück behandelt wird und somit das andere Grundstück ist.
b) Rauch und Ruß werden in § 906 I 1 ausdrücklich als Immissionen aufgeführt. Löschwasser ist - ebenso wie anderes Wasser - eine sog. Grobimmission, die nicht unter die unmittelbare Anwendung des § 906 I 1, II 2 fällt (wohl aber unter die analoge Anwendung, dazu noch unten IV 1). Somit werden an dieser Stelle nur die Folgen von Rauch und Ruß von dem Ausgleichsanspruch erfasst.
2. Durch die Einwirkungen muss das Grundstück wesentlich beeinträchtigt worden sein.
a) Nach dem Sachverhalt kann davon ausgegangen werden, dass bereits die Einwirkungen von Rauch und Ruß zu einer wesentlichen Schädigung der Betriebseinrichtung und der Warenbestände des G geführt haben. Der Beeinträchtigung eines Grundstücks steht nicht entgegen, dass G lediglich Mieter war, weil § 906 sowohl das Eigentum als auch den Besitz an einem Grundstück schützt (BGH Rdnr. 7). Hier ist der Besitz des Grundstücks durch die Brandfolgen wesentlich beeinträchtigt worden.
b) Anknüpfend an die Notwendigkeit, dass ein Grundstück - oder grundstücksgleiches Recht - beeinträchtigt sein muss, grenzt der BGH den vorliegenden Fall zum sog. Kupolofen-Fall BGHZ 92, 143 ab, in dem ein Anspruch verneint wurde.
BGH Rdnr. 14: Im Fall BGHZ 92, 143 waren auf einem Betriebsparkplatz abgestellte Fahrzeuge von Arbeitnehmern durch Staubauswürfe einer benachbarten Schmelzanlage beschädigt worden. Die Begründung, mit der der BGH einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch der Arbeitnehmer gegen den Betreiber des Schmelzofens verneint hat - es fehle an dem erforderlichen Bezug der Schäden zu dem von den Immissionen betroffenen Grundstück - verweist auf die notwendige, im Kupolofen-Fall aber fehlende Haftungsgrundlage für einen solchen Anspruch. Da die klagenden Arbeitnehmer bloße Benutzer des Betriebsparkplatzes waren (a. a. O., S. 146), stand ihnen ein Abwehranspruch gegen die Immissionen aus §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB nicht aufgrund eines Rechts an dem betroffenen Grundstück, sondern nur als Eigentümer oder Besitzer der abgestellten Fahrzeuge zu. Rechte an beweglichen Sachen können für sich genommen aber keinen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch begründen. Als Teil des Interessenausgleichs für eine sachgerechte Nutzung benachbarter Grundstücke setzt ein solcher Anspruch auf Seiten des Anspruchstellers stets eine Störung seines Eigentums oder Besitzes an einem Grundstück voraus (vgl. Senat, BGHZ 157, 188, 193). Im vorliegenden Fall ist aber der Besitz des G an dem gemieteten Grundstück und damit ein auf das Grundstück bezogenes Recht betroffen.
3. Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 906 II 2 ist, dass derjenige, von dem Ersatz wegen der Immissionen verlangt wird, Störer ist. BGH Rdnr. 8: Es ist davon auszugehen, dass sich der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch nur gegen einen Störer i. S. des § 1004 I richten kann (vgl. BGH NJW 2006, 992). Der BGH hat bereits entschieden, dass der Eigentümer eines Hauses, welches infolge eines technischen Defekts seiner elektrischen Geräte in Brand gerät, Störer ist (BGHZ 142, 66). Für den Bekl. als Eigentümer einer selbstgenutzten Wohnung gilt nichts anderes.
4. Die weitere Voraussetzung des § 906 II 2 ergibt sich aus der - auf Satz 1 Bezug nehmenden - Formulierung „Hat der Eigentümer hiernach eine Einwirkung zu dulden…“. Die Einwirkung muss also vom Betroffenen zu dulden sein. Der Entschädigungsanspruch ist der Ausgleich dafür, dass das Gesetz dem geschädigten Grundstückseigentümer oder -besitzer den an sich gegebenen Abwehranspruch aus § 1004 BGB aus den in Satz 1 genannten Gründen (Duldensfall) genommen hat.
a) Duldensfall ist nach § 906 II 1, dass eine Beeinträchtigung zwar wesentlich, aber ortsüblich ist und durch zumutbare Maßnahmen nicht verhindert werden kann. Das trifft vor allem auf Gewerbebetriebe zu, die Lärm verursachen, aber in einem Gewerbegebiet liegen, in dem ein solcher Lärm üblich ist und in der Regel aus technischen Gründen nicht verhindert werden kann. Dann können die Beeinträchtigungen benachbarter Wohnnutzungen durch Entschädigungszahlungen ausgeglichen werden.
b) Im vorliegenden Fall ist der Brand weder Folge einer ortsüblichen Nutzung noch ist er ein Vorgang, der von G aus Rechtsgründen nicht verhindert werden konnte. Vielmehr brauchte G die Brandschäden nicht zu dulden. Damit entfällt die für einen Anspruch aus § 906 II 2 (unmittelbar) bestehende Voraussetzung. § 906 II 2 greift unmittelbar nicht ein.
(5. Die letzte Voraussetzung, dass die Einwirkung das Grundstück „über das zumutbare Maß hinaus“ beeinträchtigt, läge angesichts des erheblichen Brandschadens allerdings wieder vor.)
IV. Es kommt eine analoge Anwendung des § 906 II 2 BGB in Betracht.
1. § 906 II 2 wird analog angewandt auf den Fall, dass der beeinträchtigte Grundstückseigentümer oder -besitzer die Störung aus tatsächlichen Gründen nicht abwehren konnte. (Diese Fälle sind häufiger als die Fälle unmittelbarer Anwendung, weil letztere nach § 50 BImSchG durch planungsrechtliche Maßnahmen vermieden werden müssen und in der Regel auch vermieden werden.) Hierdurch wird die oben III 4 aufgeführte Voraussetzung erweitert bzw. ersetzt.
BGH Rdnr. 7: Nach st. Rspr. des BGH ist ein Anspruch gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen privatwirtschaftlicher Benutzung rechtswidrige Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die [weil rechtswidrig] der Eigentümer oder Besitzer des betroffenen Grundstücks nicht dulden muss, aus besonderen Gründen jedoch nicht gemäß §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB unterbinden kann… Auf bisherige Anwendungsfälle verweist der BGH in NJW 2005, 3702: BGHZ 142, 66 - Brandschaden; 144, 200 [208] - Drogenhilfezentrum; 147, 45 [49] - Besitzstörung. Der Anspruch ist nicht, wie § 906 II 2 BGB selbst, auf feinstoffliche Einwirkungen beschränkt, erfasst vielmehr auch Grobimmissionen… (BGHZ 155, 99 - Leitungswasser). Folglich erfasst der auf § 906 II 2 analog gestützte Anspruch auch die durch Löschwasser herbeigeführten Schäden.
BGH Rdnr. 7: Vom Vorliegen dieser Voraussetzung ist auszugehen, wenn ein Brand auf ein fremdes Grundstück übergreift, da der Nachbar die Gefahr in aller Regel - und so auch hier - nicht erkennen und die Einwirkungen auf sein Grundstück daher nicht rechtzeitig abwehren kann.
2. Dass die weitere Voraussetzung - Einwirkung auf das Grundstück „über das zumutbare Maß hinaus“ - erfüllt ist, wurde bereits oben III vor IV ausgeführt.
3. Zur Rechtsfolge das § 906 II 2 analog führt der BGB Rdnr. 9 - 11 aus: Rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht an, dass sich Inhalt und Umfang des Anspruchs nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung bestimmen (vgl. BGHZ 142, 66, 70 ff.) und dass diese Entschädigung auch die Nachteile erfasst, die der hier Geschädigte infolge der Beeinträchtigung seiner Warenvorräte durch Rauch, Ruß und Löschwasser erlitten hat.
Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch entsprechend § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB dient als Kompensation für den Ausschluss primärer Abwehransprüche nach §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB (BGHZ 155, 99, 106), schützt also wie diese das Eigentum und den Besitz an einem Nachbargrundstück. Die Ausgleichsleistung knüpft an diese Rechtspositionen an; bei einer Besitzstörung richtet sie sich nach dem Vermögenswert, der auf dem Recht beruht, den Besitz innezuhaben. Folgt das Besitzrecht, wie hier, aus einem Mietvertrag über Gewerberäume, ist dies vor allem die Möglichkeit, den Besitz zur Unterhaltung eines Gewerbebetriebes zu nutzen. Daher sind die vermögenswerten Betriebsnachteile auszugleichen, die ihre Ursache in der Besitzstörung haben (vgl. BGHZ 147, 45, 52 f.). Zu diesen Nachteilen zählen die für eine ungestörte Fortführung des Gewerbebetriebs erforderlichen Aufwendungen. Das umfasst Aufwendungen für den Ersatz von Inventar, von Warenvorräten und ähnlichen Betriebsmitteln, die durch die Besitzstörung beschädigt worden sind (vgl. BGH a. a. O. S. 55 für unbrauchbar gewordenes Inventar sowie BGHZ 155, 99, 106 für eine beschädigte Betriebseinrichtung).
4. Somit hatte G gegen B einen Ausgleichsanspruch analog § 906 II 2 auf Ersatz der bei ihm infolge des Brandes eingetretenen Schäden erlangt. Dieser Anspruch ist nach § 86 I 1 VVG auf die K-AG übergegangen. Der Anspruch der K gegen B ist begründet.
Zusammenfassung