Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
► Gewährleistung wegen Sachmängeln, §§ 434, 437 BGB. ► Voraussetzungen für Rücktrittsrecht (§ 323 BGB) und Schadensersatz statt der Leistung (§ 281 BGB). ► Notwendigkeit einer Fristsetzung zur Nacherfüllung; Ausnahme nach §§ 323 II Nr. 1, 281 II BGB. ► Ausschluss neuen Vorbringens in der Berufungsinstanz nach § 531 ZPO; Nichtanwendung auf unstreitige Tatsachen
BGH Urteil vom 20. 5. 2009 (VIII ZR 247/06) NJW 2009, 2532
Fall (Lahmender Wallach)
Frau E war Eigentümerin des braunen Wallachs Cäsar, den sie im Betrieb der B-GmbH zum Zwecke des Beritts und Verkaufs eingestellt hatte. Dort entdeckte der Sohn der Frau K das Pferd und veranlasste seine Mutter, es im März 2006 von B als Turnierpferd für 20.000 Euro zu kaufen. Nach Zahlung des Kaufpreises erhielt K das Pferd noch im März 2006 übereignet. In der Folgezeit zeigte sich, dass das Pferd nach Belastungen lahmte. Im August 2007 lag die Diagnose des Tierarztes vor. Danach litt das Pferd schon seit mehreren Jahren an einer Krankheit, deren Heilung zwar möglich, aber sehr langwierig sein würde. Dass B bei Kaufabschluss von der Erkrankung des Wallachs Kenntnis hatte, ließ sich nicht feststellen.
Mit Schreiben ihrer Rechtsanwälte vom 20. 8. 2007 erklärte K gegenüber B den Rücktritt vom Kaufvertrag und forderte B auf, 20.000 Euro Zug um Zug gegen Rücknahme des Pferdes bis zum 3. 9. 2007 zu zahlen. Da B dem nicht nachkam, erhob K am 22. 2. 2008 Klage gegen B und verlangte neben der Rückzahlung des Kaufpreises auch Erstattung der ihr entstandenen Aufwendungen für das Pferd (Kosten der Unterbringung, des Futters, der artgerechten Bewegung, des Hufschmiedes, des Tierarztes, der Tierhalterpflichtversicherung). Das Landgericht wies die Klage u. a. mit der Begründung ab, es fehle an einer Aufforderung der K gegenüber B zur Nacherfüllung und an einer Fristsetzung.
K legte in zulässiger Weise Berufung beim Oberlandesgericht ein und setzte in der Berufungsbegründungsschrift vom 22. 11. 2008 der B eine Frist von einem Monat zur Behebung des Mangels. B bestritt den Mangel und machte außerdem geltend, sie sei gar nicht Verkäufer gewesen, sondern Verkäuferin könne nur die damalige Eigentümerin E gewesen sein. Weiterhin berief sie sich auf Verjährung. In der Berufungsverhandlung stellte K wiederum die gleichen Anträge wie in der ersten Instanz. B verlangte Zurückweisung der Berufung. Wie wird das OLG entscheiden ?
Die Berufung hat Erfolg, wenn das Landgericht die Klage zu Unrecht abgewiesen hat, was der Fall ist, wenn der K die geltend gemachten Ansprüche gegen B zustehen.
A. Ansprüche auf Rückzahlung des Kaufpreises und auf Ersatz von Verwendungen können sich aus §§ 434 I, 437 Nr. 2, 323 I, 346 I, 347 II 1 BGB ergeben.
I. Hierfür müssten die Voraussetzungen vorliegen.
1. K und B haben im März 2006 einen Kaufvertrag über den Wallach Cäsar geschlossen, der nach § 90a, 3 BGB als Kaufvertrag über eine bewegliche Sache gilt.
2. Das Pferd als Kaufgegenstand müsste bei Gefahrübergang, d. h. bei Übergabe (§ 446 BGB), einen Sachmangel gemäß § 434 I BGB aufgewiesen haben.
a) Da das Pferd als Turnierpferd verkauft wurde, war eine Beschaffenheitsvereinbarung getroffen worden (§ 434 I 1 BGB). Diese Beschaffenheit traf aber nicht zu, weil das Pferd Belastungen nicht gewachsen war und lahmte.
b) Würde man eine Beschaffenheitsvereinbarung nicht annehmen, so ergäbe sich der Sachmangel aus § 434 I 2 Nr. 2, weil das Tier wegen der Erkrankung die gewöhnliche Beschaffenheit, nämlich Gesundheit, nicht aufweist.
c) Dieser Mangel bestand schon seit mehreren Jahren, also auch bei der Übergabe im Anschluss an den Kaufabschluss im März 2006.
3. Der für obige Anspruchsgrundlage wesentliche Rücktritt hat nach §§ 437 Nr. 2, 323 I weiter zur Voraussetzung, dass K als Käuferin der Verkäuferin B eine angemessene First zur Nacherfüllung gesetzt hat und dass diese erfolglos geblieben ist.
a) Die Fristsetzung ist allerdings entbehrlich, wenn die Nacherfüllung unmöglich ist (§§ 275, 326 V), d. h. im vorliegenden Fall, wenn die Erkrankung des Tieres unheilbar ist. Das ist aber nach der Diagnose des Tierarztes nicht der Fall.
b) Nach § 323 II Nr. 1 ist eine Fristsetzung auch entbehrlich, wenn der Schuldner die Nacherfüllung ernsthaft und endgültig verweigert. Diese Voraussetzung könnte sich daraus ergeben, dass B in der Berufungsinstanz bestritten hat, dass sie Verkäuferin war und dass ein Mangel besteht.
aa) BGH Rdnr. 13: An die tatsächlichen Voraussetzungen für die Annahme einer endgültigen Erfüllungsverweigerung sind strenge Anforderungen zu stellen; sie liegt nur vor, wenn der Schuldner eindeutig zum Ausdruck bringt, er werde seinen Vertragspflichten nicht nachkommen (BGH NJW 2006, 1195, Tz. 25). Aus dem Verhalten der Beklagten müsste deshalb mit hinreichender Sicherheit geschlossen werden können, dass sie auch einer Aufforderung zur Nacherfüllung – und sei es aus ihrer Sicht nur aus Kulanzgründen – nicht nachgekommen wäre.
bb) Der BGH hat diese Frage offen gelassen. Sie lässt sich aber entscheiden. Soweit es um den Rücktritt im Schreiben vom 20. 8. 2008 geht, lag schon deshalb keine Erfüllungsverweigerung vor, weil die Stellungnahme der B erst im gerichtlichen Verfahren in der zweiten Instanz erfolgt ist. Im übrigen ist es das Recht einer jeden Partei, im Prozess die für sie ungünstigen Behauptungen der anderen Partei zu bestreiten. Daraus kann nicht der Schluss gezogen werden, dass B unter keinen Umständen bereit gewesen wäre, das Pferd Cäsar noch tierärztlich behandeln zu lassen. Eine Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung war deshalb auch nicht entbehrlich. (Auch das OLG im vorliegenden Fall hatte die Fristsetzung für nicht entbehrlich erklärt, vgl. BGH Rdnr. 13).
c) Bis zum Abschluss des Verfahrens vor dem LG ist keine Fristsetzung erfolgt. Eine Fristsetzung hat K aber in der Berufungsbegründungsschrift vom 22. 11. 2008 ausgesprochen. Sie hat auch zu einem erfolglosen Ablauf der Frist geführt.
aa) Jedoch könnte K mit diesem Vorbringen nach § 531 II ZPO ausgeschlossen (präkludiert) sein. Nach dieser Vorschrift sind in der Berufungsinstanz neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nur in den dort aufgeführten drei Ausnahmefällen zugelassen. Im vorliegenden Fall könnte Nr. 3 eingreifen, wonach in der ersten Instanz nicht geltend gemachtes Vorbringen nur dann noch in der Berufungsinstanz zulässig ist, wenn es nicht auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht. Angesichts der klaren Regelung in den §§ 437 Nr. 2, 3, 323 I, 281 II BGB müsste die unterlassene Fristsetzung durch K bzw. ihre Bevollmächtigten als Nachlässigkeit gewertet werden.
bb) Der BGH legt § 531 II ZPO aber einschränkend aus. Rdnr. 15, 16:
Der Ausschluss neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel im Berufungsrechtszug gilt, auch soweit sie im ersten Rechtszug aus Nachlässigkeit nicht geltend gemacht worden sind, nicht für unstreitige Tatsachen. Aus der die Zwecke des Zivilprozesses und der Präklusionsvorschriften berücksichtigenden Auslegung der § 529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 ZPO ergibt sich, dass unter „neue Angriffs- und Verteidigungsmittel“ im Sinne des § 531 ZPO lediglich streitiges und beweisbedürftiges Vorbringen fällt. Nicht beweisbedürftiges Vorbringen hat das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 ZPO seiner Entscheidung ohne weiteres zugrunde zulegen (BGHZ 161, 138, 141 ff.; 166, 29, Tz. 6; BGHZ 177, 212, Tz. 9 ff.…).
Das gilt auch für die als solche nicht streitige Fristsetzung zur Nacherfüllung im Sinne von § 323 Abs. 1, § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB, die erst im Laufe des Berufungsverfahrens erfolgt ist. Zwar werden dadurch nicht nur neue Tatsachen in den Rechtsstreit eingeführt, sondern es wird durch den erfolglosen Ablauf der Frist die materielle Rechtslage umgestaltet, weil der Gläubiger erst danach berechtigt ist, vom Vertrag zurückzutreten und Schadensersatz statt der Leistung zu verlangen. Das steht der Berücksichtigung der Fristsetzung zur Nacherfüllung jedoch nicht entgegen. Sie unterscheidet sich insofern nicht von der erstmals im Berufungsverfahren erfolgenden Erhebung einer Einrede oder Ausübung eines materiell-rechtlichen Gestaltungsrechts. Auch diese sind ungeachtet – oder besser wegen – ihrer materiell-rechtlichen Wirkungen vom Berufungsgericht zu berücksichtigen, wenn die die Einrede oder das Gestaltungsrecht begründenden Tatsachen unstreitig sind (vgl. BGHZ 177, 212, Tz. 13 ff., 15). Andernfalls müsste das Berufungsgericht sehenden Auges auf einer falschen, von keiner Partei vorgetragenen tatsächlichen Grundlage entscheiden.
cc) Die im Berufungsrechtszug vorgenommene Fristsetzung durch K sowie der erfolglose Ablauf der Frist sind von B nicht bestritten worden. Somit müssen diese Tatsachen berücksichtigt werden. Die Frist von einem Monat war auch angemessen. Damit hat K ein Rücktrittsrecht erlangt.
4. Der Rücktritt müsste auch erklärt worden sein.
a) Hierfür dürfte die Erklärung vom 20. 8. 2007 nicht ausreichen, weil damals die Rücktrittsvoraussetzungen noch nicht vorlagen; es fehlte an der Fristsetzung.
b) Die Klageanträge der K in der Berufungsinstanz, die nach dem Fristablauf gestellt wurden, lassen sich aber als erneute Rücktrittserklärung auslegen. So sieht der BGH (Rdnr: 14) einen Rücktritt darin, dass die Klägerin die Beklagte jedenfalls mit ihrer Berufungsbegründung…erfolglos zur Beseitigung des Mangels…aufgefordert und danach konkludent erneut den Rücktritt vom Vertrag erklärt hat, indem sie vor dem Berufungsgericht weiterhin mit dem Antrag auf Rückzahlung des Kaufpreises verhandelt hat.
5. Der Rücktritt führt allerdings dann nicht zur Umgestaltung des Vertragsverhältnisses, wenn der damit geltend gemachte Sachmängelanspruch nach §§ 437 Nr. 2, 438 IV 1, 218 BGB verjährt ist. B hat sich auf Verjährung berufen (§ 214 I BGB).
a) § 218 verweist auf die Verjährung des Nacherfüllungsanspruchs. Dieser verjährt nach § 438 I Nr. 3, II BGB in zwei Jahren nach Ablieferung des Sache. Danach wäre hier Verjährung im März 2008 eingetreten, also noch vor Ausübung des Rücktrittsrechts durch K nach dem 22. 11. 2008.
b) Jedoch hemmt eine Klageerhebung die Verjährung (§ 204 I Nr. 1 BGB). Das gilt auch, wenn die Klage nicht auf Nacherfüllung, sondern statt dessen auf Rückzahlung gerichtet wurde (§ 213 BGB). Somit hemmte die am 22. 2. 2008, noch vor Eintritt der Verjährung, erhobene Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises wegen des Mangels die Verjährung. Eine Verjährung kann dem Anspruch der K nicht entgegen stehen.
Die Voraussetzungen für Ansprüche wegen Rücktritts vom Kaufvertrag liegen vor.
II. Aus §§ 437 Nr. 2, 323 I, 346 I, 347 II 1 BGB müssten sich auch die von K erstrebten Rechtsfolgen ergeben.
1. Der Anspruch auf Rückzahlung der 20.000 Euro folgt aus § 346 I BGB. Er ist von B um Zug gegen Rückgabe des Pferdes, zu der K bereit ist, zu erfüllen (§ 348 BGB).
2. Nach § 347 II 1 sind der K die notwendigen Verwendungen zu ersetzen. Es kann davon ausgegangen werden, dass die von K geltend gemachten Kosten (der Unterbringung des Pferdes, für Futter, für eine artgerechte Bewegung, Kosten des Hufschmiedes, des Tierarztes, der Tierhalterpflichtversicherung) auch notwendig waren.
Ergebnis zu A: Die von K gegen B geltend gemachten Ansprüche ergeben sich aus der geprüften Anspruchsgrundlage. Bereits deshalb ist die Berufung begründet.
B. Für die Ansprüche der K könnten weitere Anspruchsgrundlagen eingreifen.
I. Der Anspruch auf Zahlung der 20.000 Euro könnte als Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gerechtfertigt sein (§§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 BGB).
1. Diese Anspruchsgrundlage kann neben den Ansprüchen wegen Rücktritts bestehen, weil beide Anspruchsgrundlagen nebeneinander möglich sind (§ 325 BGB; auch der BGH verweist unter Rdnr. 11 auf beide Anspruchsgrundlagen).
2. Dass die Voraussetzungen Kaufvertrag, Sachmangel, vergebliche Fristsetzung, keine Verjährung vorliegen, ergibt sich aus den Ausführungen A I 1., 2., 3 und 5.
3. Hinzukommen muss das Vertretenmüssen der B (§ 280 I 2 BGB). Dabei kann offen bleiben, ob sich das Vertretenmüssen auf den Sachmangel oder dessen Nichtbeseitigung erstrecken muss. Nach § 280 I 2 oblag es der B, ein fehlendes Vertretenmüssen darzutun. Das ist nicht geschehen. Somit ist von einem Vertretenmüssen auszugehen.
4. Die Rechtsfolge ist auf Schadensersatz statt der Leistung gerichtet.
a) Der Schaden der K besteht darin, dass sie 20.000 Euro gezahlt hat, ohne dafür eine mangelfreie Leistung zu erhalten. Da sie einen Anspruch auf ein gesundes Pferd hatte (§ 433 I 2 BGB), braucht sie sich den Wert des kranken Pferdes nicht anrechnen zu lassen. Die 20.000 Euro sind somit der Schaden der K. Auch hierbei muss sie, damit sie aus dem Schadensfall keinen Vorteil zieht, das Pferd zurückgeben.
b) Die von K gemachten Verwendungen mögen sich zwar auch als Vermögensnachteile darstellen, sind aber keine Nachteile, die aus dem Nichterbringen der Leistung folgen, sondern gerade deshalb entstanden sind, weil B (vermeintlich) geleistet hat. Sie fallen also nicht unter den Schaden „statt der Leistung“.
II. Die Aufwendungen für das Pferd könnten nach §§ 437 Nr. 3, 284 BGB zu ersetzende Aufwendungen sein.
1. Eine Bejahung vergeblicher Aufwendungen i. S. des § 284 lässt sich mit der Begründung vertreten, dass K diese Aufwendungen im Vertrauen darauf gemacht hat, dass das Pferd Cäsar gesund war und bei ihr bleiben würde. Das entsprach aber wegen der nicht mangelfreien Leistung der B nicht den Tatsachen.
2. Aufwendungen nach § 284 können aber nur „anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung“ verlangt werden. Somit könnte K, wenn sie die Aufwendungen nach § 284 ersetzt verlangt, nicht gleichzeitig Rückzahlung der 20.000 Euro nach oben I. verlangen. Dieses Ergebnis widerspricht ihrer Interessenlage, so dass sie einen Anspruch aus § 284 nicht geltend machen wird. Die hier unter B. geprüften weiteren Anspruchsgrundlagen stützen deshalb zusätzlich nur den Anspruch auf Rückzahlung der 20.000 Euro, nicht dagegen auch den Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen. Letztere kann K nur über den Anspruch wegen Rücktritts (oben A.) verlangen.
Zusammenfassung