Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Abwicklung eines Kaufvertrages über einen gebrauchten Pkw nach Rücktritt wegen eines Sachmangels, §§ 437 Nr. 2, 323 I BGB. Herausgabe von Nutzungen (Gebrauchsvorteilen) für die zwischenzeitlich gefahrenen km, §§ 346 I, II Nr. 1 BGB. Berechnung der Gebrauchsvorteile


BGH
Urteil vom 16. 9. 2009 (VIII ZR 243/08) NJW 2010, 148 (für BGHZ vorgesehen)

Fall (Gebrauchter BMW 316i)

Frau K erwarb beim Kraftfahrzeughändler V zum Privatgebrauch einen gebrauchten BMW 316i zum Preis von 4.100 €. Das Fahrzeug war 174 000 km gelaufen. Bei einer Inspektion stellte sich heraus, dass es einen Unfallschaden hatte. Dabei war der Rahmen beschädigt worden, auch waren bei der Reparatur nicht zugelassene Teile (Reifen, Felgen, Auspuff) verwendet worden. K verhandelte deshalb mit V, doch konnte keine Einigkeit darüber erzielt werden, ob bei der Rückabwicklung zu berücksichtigen ist, dass K mit dem Fahrzeug zwischenzeitlich 10 000 km gefahren ist. Schließlich forderte K den V schriftlich auf, ein gleichartiges, aber mangelfreies Auto zu liefern, Zug um Zug gegen Rückgabe des gelieferten BMW 316i, und setzte dafür eine Frist. Auf dieses Schreiben antwortete V nicht. Nach Fristablauf erklärte K den Rücktritt vom Kaufvertrag und verlangte von V Rückzahlung des Kaufpreises über 4.100 € Zug um Zug gegen Rückgabe des BMW. V verweigerte das. Hilfsweise will er von dem Kaufpreis einen Betrag abziehen, den er so berechnet, dass er den Kaufpreis auf die zu erwartende Restlaufzeit des Fahrzeugs verteilt, woraus sich ein Betrag von 0,08 € pro km ergibt, insgesamt 800 €. K macht demgegenüber geltend, V könne allenfalls den Wertverlust in Rechnung stellen, der aber angesichts der bereits hohen Laufleistung bei Kaufabschluss gering sei, zumal sie das Auto auch gut erhalten habe.

K fragt, ob ihr ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises zustehe und ggfs. in welcher Höhe. Soweit Zinsen verlangt werden können, reicht eine dahingehende Feststellung aus; der Zinsbetrag braucht nicht berechnet zu werden.

I. Ein Anspruch der K gegen V auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 4.100 € kann sich aus §§ 437 Nr. 2, 323 I, 346 I BGB ergeben. Hierfür müssten die Voraussetzungen vorliegen.

1. K und B haben einen Kaufvertrag über den BMW 316i geschlossen.

2. Das Fahrzeug müsste bei Gefahrübergang, d. h. bei Übergabe (§ 446 BGB), einen Sachmangel gemäß § 434 I BGB aufgewiesen haben.

a) Eine Beschaffenheitsvereinbarung i. S. des § 434 I 1 haben die Kaufvertragsparteien nicht getroffen. Sie war auch nicht nötig, weil sich die erwartete Beschaffenheit bei einem Fahrzeug aus dessen Verwendungszweck ergibt.

b) Auch eine besondere Verwendung i. S. des § 434 I 2 Nr. 1 wurde nach dem Vertrag nicht vorausgesetzt.

c) Der BMW 316i eignete sich zwar noch für die gewöhnliche Verwendung, wies jedoch nicht die gewöhnliche und von der Käuferin K erwartete Beschaffenheit auf (§ 434 I 2 Nr. 2 BGB). Auch bei einem Gebrauchtwagen wird, wenn beim Verkauf nicht auf einen Unfallschaden hingewiesen wird, erwartet, dass das Fahrzeug jedenfalls keinen Schaden erlitten hat, der über einen Bagatellschaden hinausgeht. Bereits ein Unfall mit einem Schaden am Rahmen ist nicht mehr unerheblich. Nimmt man hinzu, dass wesentliche Teile wie Räder und Auspuff nicht zugelassen sind, ist ein Mangel i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 gegeben, der auch im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorlag.

3. Es müssten auch die Voraussetzungen für einen Rücktritt vorgelegen haben. Diese sind nach § 323 I, dass der Verkäufer als Schuldner eine fällige Leistung nicht erbracht hat, der Käufer ihm eine Frist gesetzt hat und diese erfolglos geblieben ist.

a) Aufgrund des Mangels konnte K nach § 437 Nr. 1 BGB Nacherfüllung durch Beseitigung des Mangels oder Lieferung einer mangelfreien Sache (§ 439 I BGB) verlangen.

b) Dieser Anspruch bestünde allerdings nicht, wenn dem V beide Formen der Nacherfüllung unmöglich wären (§ 275 I BGB). Ob eine Beseitigung des Schadens am Rahmen des Fahrzeugs technisch möglich ist, ist zweifelhaft, braucht aber nicht entschieden zu werden, weil K Nachlieferung durch Lieferung eines anderen Fahrzeugs verlangt hat.

aa) Die Erfüllung dieses Anspruchs könnte deshalb unmöglich sein, weil die Pflicht zur Lieferung des gebrauchten BMW 316i durch V eine Pflicht zur Lieferung einer ganz bestimmten Sache war (Stückschuld) und diese Pflicht nicht durch Lieferung einer anderen Sache erfüllt werden kann. Nach h. M. (BGH NJW 2006, 2839 = Juratelegramm PrivatR / BGB / Schuldverhältnisse § 437 Fall „Schlecht reparierter Gebrauchtwagen“) kann § 439 BGB aber nicht dahin ausgelegt werden, dass bei Verkauf einer bestimmten Sache Nachlieferung von vornherein ausscheidet. Vielmehr hat der Gesetzgeber der Nacherfüllung Vorrang eingeräumt und den Unterschied zwischen Stückschuld und Gattungsschuld weitgehend aufgegeben. Ob beim Gebrauchtwagenkauf der Verkäufer seine Leistungspflicht nur durch Lieferung des ausgesuchten Autos erfüllen soll, ist durch Auslegung der Vertragserklärungen zu entscheiden. Vielfach wird sich ergeben, dass es beim Gebrauchtwagenkauf dem Käufer gerade auf das ausgesuchte Fahrzeug ankam. Im vorliegenden Fall bestehen jedoch keine Anhaltspunkte dahin, dass K gerade auf die Lieferung des ausgesuchten BMW 316i besonderen Wert gelegt hätte. Dafür spricht auch, dass sie bei ihrem Nachlieferungsverlangen ein gleichartiges Fahrzeug verlangt hat, d. h dass sie mit einem anderen Fahrzeug dieses Typs einverstanden war. Auch V hat sich nicht darauf berufen, dass ein gleichartiges Fahrzeug nicht zu beschaffen sei. Unmöglichkeit der Nachlieferung war somit nicht anzunehmen.

bb) Im Übrigen würde sich bei einer gegenteiligen Annahme, d. h. wenn angenommen würde, dem V sei die Nachlieferung unmöglich gewesen, im Ergebnis nichts ändern. Denn dann stünde K ein Rücktrittsrecht nach § 323 I ohne Fristsetzung zu (§ 326 V).

c) K als Käuferin hat V eine angemessene Frist zur Nachlieferung gesetzt, die ergebnislos abgelaufen ist. Somit liegen die Voraussetzungen des § 323 I vor.

4. K hat den Rücktritt erklärt und dadurch einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises über 4.100 € (§ 346 I BGB) erlangt.

5. Nach § 346 I kann K auch die gezogenen Nutzungen verlangen. Nach §§ 100, 99 II BGB gehören dazu die Erträge einschließlich von Zinsen (Palandt/Ellenberger, BGB, 68. Aufl. 2009, § 99 Rdnr. 3). Da anzunehmen ist, dass V den Kaufpreis entweder auf einem Konto angelegt hat, das Zinsen bringt, oder insoweit seinen Kreditbedarf vermindert und dadurch Zinsen spart, muss er für den Grundbetrag über 4.100 € auch die darauf entfallenden Zinsen zahlen.

II. Dass K diesen Anspruch nur Zug um Zug gegen Rückgabe des BMW durchsetzen kann (§ 348 BGB), hat sie anerkannt.

III. Der Geldbetrag, den K verlangen kann, könnte sich durch Aufrechnung vermindern (§ 387 BGB). Indem V erklärt hat, er wolle einen Betrag abziehen, hat er eine Aufrechnungserklärung abgegeben. Es bleibt die Frage, ob ihm ein gleichartiger, d. h. auf Geld gerichteter, Gegenanspruch zusteht.

1. V könnte einen Anspruch auf Wertersatz wegen Nutzungen haben.

a) Wie oben I. 1 - 5. begründet wurde, ist K wirksam vom Kaufvertrag zurückgetreten. Unter I. 6. wurde auch bereits ausgeführt, dass sie einen Anspruch auf die Nutzungen des von ihr gezahlten Kaufpreises hat. Diese Anspruchsgrundlage (§ 346 I BGB) gilt für beide Parteien und greift deshalb auch zu Gunsten des V ein. Danach hat er einen Anspruch auf Herausgabe der Nutzungen in der Form der von K erlangten Gebrauchsvorteile durch Benutzung des Autos.

b) Allerdings könnte eine europarechtskonforme Auslegung des § 346 BGB oder eine Rechtsfortbildung zu einem Wegfall des Anspruchs auf Nutzungsherausgabe führen.

aa) Im Fall „Quelle-Backofen“ wurde ein Anspruch auf Nutzungsersatz verneint, weil er mit der EU-Verbrauchsgüterrichtlinie nicht in Einklang stand (EuGH NJW 2008, 1433, vgl. auch BGH NJW 2009, 427). Den im dortigen Fall gebotenen Wegfall eines Anspruchs des Verkäufers aus § 346 BGB hat der Gesetzgeber inzwischen geregelt, indem er in § 474 II BGB bestimmt hat, dass im Fall der Nachlieferung (§ 439 BGB) § 439 IV (nur) mit der Maßgabe anzuwenden ist, „dass Nutzungen nicht herauszugeben oder durch ihren Wert zu ersetzen sind.“

bb) Diese Rechtslage gilt aber nur für den Fall der Nachlieferung und nicht für den des Rücktritts. BGH Rdnr. 15: Entgegen der Auffassung der Revision steht europäisches Recht einem Anspruch auf Nutzungswertersatz im Falle der Rückabwicklung eines Verbrauchsgüterkaufs nicht entgegen. Die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 17. April 2008 (Rs. C-404/06, NJW 2008, 1433 - Quelle AG/Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände) bezieht sich auf das Recht des Verbrauchers auf Ersatzlieferung, an dessen Geltendmachung dieser nicht durch eine Verpflichtung zu Nutzungswertersatz gehindert werden soll, nicht aber auf eine Rückabwicklung des Vertrages, bei der der Käufer - anders als bei der Nacherfüllung - seinerseits den gezahlten Kaufpreis nebst Zinsen zurückerhält. Zu Recht verweist die Revisionserwiderung auf den 15. Erwägungsgrund der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. EG Nr. L 171, S. 12; Verbrauchsgüterkaufrichtlinie), der es ausdrücklich gestattet, die Benutzung der vertragswidrigen Ware im Falle der Vertragsauflösung zu berücksichtigen; hierauf nimmt auch der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in seiner Entscheidung Bezug (a. a. O., Tz. 38 f.). Auch in der Literatur wird - soweit ersichtlich - nicht vertreten, dass die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie entgegen ihrem eindeutigen 15. Erwägungsgrund einer Regelung des nationalen Rechts entgegensteht, die - wie § 346 Abs. 1 BGB - den Käufer im Fall des Rücktritts verpflichtet, gezogene Nutzungen herauszugeben oder hierfür Wertersatz gemäß § 346 Abs. 2 BGB zu leisten.

Der BGH hat auch eine Vorlage an den EuGH (nunmehr nach Art. 267 AEU) für nicht nötig erachtet. Rdnr. 16: Die Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte der Mitgliedstaaten entfällt, wenn die gemeinschaftsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum mehr bleibt ("acte clair", vgl. nur EuGH Slg. 2005, I S. 8151, Rdnr. 33 - Intermodal Transports BV/Staatssecretaris van Financiën; ferner BGHZ 174, 273, Tz. 34; 178, 243, Tz. 31). Letzteres ist hier - wie vorstehend dargestellt - der Fall.

cc) Dass die Fälle der Nachlieferung und des Rücktritts unterschiedlich behandelt werden, bedeutet auch keinen Wertungswiderspruch, weil - wie der BGH oben bb) ausgeführt hat - der Käufer im Falle des Rücktritts ebenfalls die Nutzungen des Kaufpreises ersetzt erhält, während das bei der Nachlieferung nicht der Fall ist (zur Frage eines Wertungswiderspruchs in diesem Fall genauer Höpfner NJW 2010, 128/9).

c) § 346 I BGB wird im vorliegenden Fall somit nicht auf Grund EU-Rechts eingeschränkt.

d) Allerdings kann K die in der Benutzung des BMW liegenden Gebrauchsvorteile nach deren Natur nicht herausgeben. In solchem Fall hat der Schuldner nach § 346 II Nr. 1 BGB Wertersatz in Geld zu leisten. Folglich steht V ein Gegenanspruch gegenüber K zu, mit dem er aufrechnen konnte.

2. Fraglich ist noch, wie der Wertersatz berechnet wird.

a) Im Sachverhalt sind zwei mögliche Berechnungsarten wiedergegeben: (1) Der Kaufpreis (4.100 €) wird auf die zu erwartende Restlaufzeit des Fahrzeugs verteilt, woraus sich ein Betrag pro gefahrenen km ergibt, der im vorliegenden Fall 0,08 € pro km beträgt. (2) Die Gebrauchsvorteile werden nach dem eingetretenen Wertverlust berechnet, der im vorliegenden Fall möglicherweise zu einem niedrigeren Betrag führt. (3) Hinzu kommt die Berechnungsmethode nach dem üblichen Mietzins, der etwa für einen Mietwagen zu zahlen wäre, was im Normalfall zu einem höheren Betrag führen würde.

b) Der BGH hat im vorliegenden Fall, da insoweit die Entscheidung der Vorinstanz nicht Gegenstand der Revision war, zu dieser Frage nichts ausgeführt. In BGHZ 115, 47 LS 2 und S. 54 hat er die Streitrage für die damalige Wandlung entschieden: Der Betrag der Gebrauchsvorteile wird ermittelt durch Schätzung der zeitanteiligen linearen Wertminderung im Vergleich zwischen tatsächlichem Gebrauch und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer; dabei kann als Wert der Kaufsache deren vereinbarter Kaufpreis zugrunde gelegt werden. (w. Nachw. in diesem Sinne bei BGH S. 54; ebenso Höpfner NJW 2010, 128: Faust JuS 2009, 1052). Somit ist die oben unter (1) beschriebene Berechnungsmethode zutreffend. Sie führt im vorliegenden Fall zu einem Betrag von 0,08 € x 10.000 = 800 €. Mit einer Gegenforderung in dieser Höhe kann V aufrechnen.

Ergebnis: Der Anspruch der K gegen V beläuft sich auf 3.300 € zuzüglich Zinsen für die Dauer, während derer V über den Kaufpreis verfügen konnte.

Ergänzender Hinweis: EuGH NJW 2009, 3015 hatte die Frage zu entscheiden, ob nach Ausübung des Widerrufsrechts bei Fernabsatzverträgen (§§ 312d, 355, 357 BGB) es mit EU-Recht vereinbar ist, dass der Verbraucher/Käufer nach § 346 I Nutzungsersatz zu leisten hat. Er hat eine generelle Ersatzpflicht für unzulässig gehalten, sie aber unter Voraussetzungen, die er sehr unbestimmt formuliert hat, doch zugelassen. Vgl. die Besprechung von Faust JuS 2009, 1049.


Zusammenfassung