Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
► Voraussetzungen für das Vorliegen einer Erfüllung, § 362 BGB, u. a. Theorie der realen Leistungsbewirkung. ► Unmöglichkeit der Leistung, §§ 275 I, 326 I 1 BGB. ► Teilunmöglichkeit; Berechnung der Gegenleistung bei einem Werkvertrag, §§ 326 I 1, 441 III, 631 BGB
BGH Urteil vom 14. 1. 2010 (VII ZR 106/08) NJW 2010, 1282
Fall (Entsorgung von Baggergut)
Die H-GmbH war Auftraggeber von umfangreichen Baggerarbeiten im Kieler Hafen, zu denen das Ausbaggern und die Entsorgung des Baggerguts gehörten. Sie vergab den gesamten Auftrag an die B-GmbH als Hauptunternehmerin. Diese nahm das Ausbaggern vor. Mit der Entsorgung des Baggerguts beauftragte B die K-GmbH als Nachunternehmerin. K transportierte das gesamte Baggergut auf eine Deponie. Dabei stellte sich heraus, dass die Kapazität der Deponie überschritten war, so dass ein Teil des Baggerguts dort, wo es abgelagert worden war, nicht bleiben konnte und anderweitig entsorgt werden musste. Als K der B 350.000 EUR in Rechnung stellte, verweigerte B die Zahlung mit der Begründung, dass eine vollständige ordnungsgemäße Endlagerung noch nicht erfolgt sei. Daraufhin verklagte K die B auf Zahlung und erhielt ein Urteil, nach dem B zur Zahlung von 180.000 EUR verpflichtet wurde.
Wegen der noch ausstehenden vollständigen Entsorgung des Baggerguts nahm K umfangreiche vorbereitende Arbeiten vor, vor allem den Zusatz von Flugasche zum Baggergut, wodurch dieses endlagerfähig wurde, die Herrichtung weiterer Abschnitte der Deponie, der Bau einer Pumpstation zum Zwecke der Entwässerung und die Vorbereitung einer weiteren Zwischenlagerung. Dabei entstanden der K Kosten in Höhe von 100.000 EUR. Die endgültige Umlagerung erfolgte aber zunächst nicht, weshalb sich die Firma H einschaltete und K mit der endgültigen Entsorgung durch Vornahme der Umlagerung beauftragte. K nahm die endgültige Deponierung vor und erhielt dafür von H 70.000 EUR. Die auf die Rechnung über 350.000 EUR noch ausstehenden 170.000 EUR will K gegenüber B geltend machen, ist aber bereit, sich die von H erhaltenen 70.000 EUR anrechnen zu lassen. Hätte eine Klage der K gegen B auf Zahlung von 100.000 EUR Aussicht auf Erfolg ?
I. Anspruchsgrundlage ist der zwischen K und B über die Entsorgung des Baggerguts geschlossene Werkvertrag (§ 631 I BGB), aus dem K als Werkunternehmer von B als Auftraggeber den vereinbarten Werklohn verlangen kann. Es kann davon ausgegangen werden, dass dieser Werklohn sich ursprünglich auf 350.000 EUR belief. Davon sind die bereits erfolgreich eingeklagten 180.000 EUR sowie der von H an K gezahlte Betrag von 70.000 EUR, den K sich anrechnen lassen will, abzuziehen. Es bleibt der von K geltend gemachte Betrag von 100.000 EUR.
II. Der in Höhe von 100.00 EUR zunächst fortbestehende Anspruch der K könnte nach § 326 I 1 BGB ganz oder teilweise erloschen sein.
1. Nach dieser Vorschrift verliert bei einem gegenseitigen Vertrag der Schuldner seinen Anspruch auf die Gegenleistung, soweit er seine eigene Leistung nach § 275 I - III BGB nicht mehr zu erbringen braucht. Der zwischen B und K geschlossene Werkvertrag ist ein gegenseitiger Vertrag i. S. der §§ 320 ff. BGB. Der K könnte es unmöglich geworden sein (§ 275 I BGB), das anderweitig abzulagernde Baggergut einer ordnungsgemäßen Entsorgung zuzuführen.
a) Da das restliche noch zu entsorgende Baggergut inzwischen ordnungsgemäß abgelagert wurde, könnte K ihre Verpflichtungen aus dem Werkvertrag erfüllt haben, was es ausschließen würde, Unmöglichkeit anzunehmen.
aa) Erfüllung liegt nach § 362 I BGB vor, wenn der Schuldner seine Leistung erbracht hat. Leistung der K war die endgültige Entsorgung des gesamten Baggerguts. Sie ist inzwischen vorgenommen worden, so dass angenommen werden könnte, dass der von K geschuldete Erfolg eingetreten ist.
bb) Jedoch bleibt fraglich, ob K als Schuldnerin der B die Leistung an B als ihre Gläubigerin erbracht hat. Wegen des zwischen H und K geschlossenen weiteren Vertrages könnte die Leistung von K an H und nicht an B erbracht worden sein. Eine Lösung dieses Problems könnte dadurch gefunden werden, dass die Voraussetzungen für eine Erfüllung genauer bestimmt werden. Würde der Theorie der realen Leistungsbewirkung gefolgt, könnte der Tatbestand unter aa) für die Erfüllung ausreichen. Anders läge es, wenn zusätzliche Voraussetzungen für eine Erfüllung vorliegen müssten. Allerdings kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein auf die Erfüllung gerichteter Vertrag zwischen Schuldner und Gläubiger - der hier im Verhältnis K und B nicht vorläge - erforderlich ist, weil die dahingehende Vertragstheorie praktisch nicht mehr vertreten wird. In Betracht kommen aber die Theorie der finalen Leistungsbewirkung, bei der entweder die Parteien oder der Schuldner bei der Leistung eine Tilgungsbestimmung treffen (Lorenz NJW 2007, 3491),und die - ähnliche - Zweckvereinbarungstheorie.
cc) Zum richtigen Verständnis der Erfüllung hat der BGH in der - denselben Streitfall betreffenden - Entscheidung NJW 2007, 3488 („Ausbaggern und Entsorgen“) Stellung genommen. Dabei folgt er grundsätzlich der Theorie der realen Leistungsbewirkung, lässt dies aber nicht ausreichen, wenn eine genauere Zuordnung der Leistungsbewirkung zu einem von mehreren Schuldverhältnissen erforderlich wird. (Die folgenden Zitate bis einschließlich b) stammen aus der BGH-Entscheidung NJW 2007, 3488.)
(1) BGH Rdnr. 17: Zwar tritt die Erfüllungswirkung regelmäßig als objektive Folge der Leistungsbewirkung ein, ohne dass weitere Umstände hinzutreten müssten… Voraussetzung ist aber, dass die Leistung einem bestimmten Schuldverhältnis zugeordnet werden kann, was etwa der Fall ist, wenn es sich dabei um die allein geschuldete handelt und keine andere, gleichartige Schuld besteht… Unproblematisch lässt sich der Erlöschenstatbestand ferner feststellen, wenn der Schuldner (einem einzigen Gläubiger) aus mehreren Schuldverhältnissen verpflichtet ist und das Geleistete zur Tilgung aller Verbindlichkeiten ausreicht (BGH NJW 1991, 1294). Eine rechtsgeschäftliche Einigung oder einseitige Tilgungsbestimmung des Schuldners ist in solchen Fällen nicht notwendig.
(2) Rdnr. 18: Es ist indes anerkannt, dass es besondere Sachverhaltsgestaltungen geben kann, in denen die bloße Bewirkung der Leistung für deren eindeutige Zuordnung nicht genügt (vgl. Staudinger/Olzen, Vorb. §§ 362 ff. Rdnr. 14 a. E.), etwa weil die Leistung nicht ausreicht, um alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Verbindlichkeiten abzudecken (Wenzel in: MünchKomm, § 362 Rdnr. 12), aber auch dann, wenn auf Grund der Interessenlage der Beteiligten Zweifel daran bestehen, dass eine Leistung mehreren Schuldverhältnissen zugeordnet werden kann. Um einen solchen Fall handelt es sich hier.
Rdnr. 19: K hat das Baggergut ordnungsgemäß endgelagert. Das von K zusätzlich infolge der Beauftragung durch H Geleistete hat dementsprechend, äußerlich betrachtet, ausgereicht, um alle Verbindlichkeiten abzudecken. Jedoch bestanden diese nicht…gegenüber einem einzigen Gläubiger, sondern gegenüber zwei unterschiedlichen. Dies waren hier einerseits H als Auftraggeber sowohl des B als auch des K und andererseits B als Hauptunternehmer. In solchem Fall kann die Zuordnung der Leistung durch Zweckvereinbarung der Parteien oder durch eine einseitige Tilgungsbestimmung des Schuldners erfolgen.
Da hier aber weder eine Zweckvereinbarung noch eine Tilgungsbestimmung feststellbar sind, entnimmt der BGH die zusätzlich zur realen Leistungsbewirkung erforderliche Zuordnung der Leistung der Interessenlage. Rdnr. 20: Erbringt der Nachunternehmer Teile seiner dem Hauptunternehmer noch geschuldeten Leistung auf Grund eines gesonderten Vertrags direkt für dessen Auftraggeber, kann dies…nicht bestimmungsgemäß zugleich dem Nachunternehmer-Vertragsverhältnis zugeordnet werden. Andernfalls käme es zu dem unerwünschten Ergebnis, dass der Nachunternehmer für die tatsächlich nur einmal erbrachte Leistung zweimal Geld erhielte: vom Hauptunternehmer (hier: von B) und vom Auftraggeber (hier: von H), während der Auftraggeber diese Leistung zweimal bezahlen müsste: einmal direkt an den Nachunternehmer und einmal über den Hauptunternehmer. BGH Rdnr. 20: Mit Blick auf die vergütungsrechtlichen Konsequenzen der Erfüllung der Verpflichtungen des Werkunternehmers entspricht es dem - für die Beteiligten erkennbaren - Willen des Auftraggebers allein, dass der Nachunternehmer, der einen Teil der Leistung direkt für ihn ausführt und dafür von ihm vergütet wird, diesen Teil nicht zugleich für den Hauptunternehmer erbringt… Aus der maßgeblichen Sicht des Auftraggebers erbringt der Nachunternehmer…die konkret abgesprochene Leistung deshalb stillschweigend nur für ihn und nicht auch für den Hauptunternehmer.
Somit liegt keine Erfüllung durch K gegenüber B vor, sondern ausschließlich eine Leistung des K an H. Eine Erfüllung der dem K gegenüber B obliegenden Pflicht zur Entsorgung des Baggerguts war nicht erfolgt und kann dem Eintritt der Unmöglichkeit nicht entgegenstehen.
b) Da das Baggergut inzwischen ordnungsgemäß endgelagert wurde, kann eine solche Entsorgung nicht mehr (nochmals) vorgenommen werden, weshalb der K die Erfüllung ihrer Verpflichtung gegenüber B unmöglich geworden ist. Es handelt sich um eine Unmöglichkeit durch anderweitige Zweckerreichung. So Lorenz NJW 2007, 3491 und BGH Rdnr. 21: …ist ihr [der K] die Erfüllung des Teils, den sie direkt für H erbracht hat, im Verhältnis zu B unmöglich geworden (§ 275 I BGB). Nach § 326 I 1 führt das grundsätzlich zum Verlust des Gegenanspruchs, also des Anspruchs der K auf die Vergütung. Denn insoweit trägt K die Gegenleistungs- bzw. Preisgefahr.
2. Nach § 326 II 1 verliert K den Vergütungsanspruch nicht, wenn B als Gläubiger der Leistung, die unmöglich geworden ist, für die Unmöglichkeit allein oder weit überwiegend verantwortlich ist. Grund für die Unmöglichkeit im vorliegenden Fall war, dass K die gegenüber B geschuldete Leistung unmittelbar an H erbracht hat. Hierfür war B nicht verantwortlich. Vielmehr war es zu dem zusätzlichen Auftrag zwischen H und K gekommen, weil K die Entsorgung nicht vollständig erbracht hatte. Also lag die Verantwortlichkeit bei K und evtl. bei H, nicht jedoch bei B. § 326 II 1 steht somit dem Anspruchsverlust nicht entgegen.
3. Die der K unmöglich gewordene Leistung war aber nur ein Ausschnitt aus dem Gesamtvertrag K - B. Einen anderen Teil - Ablagerung der noch im Rahmen der Deponiekapazität liegenden Abfallmenge und die Vorbereitung für die Ablagerung des weiteren Baggerguts - hat K gegenüber B erbracht. Somit liegt eine Teilunmöglichkeit vor.
a) Hierzu bestimmt § 326 I 1 2. HS BGB, dass § 441 III BGB entsprechende Anwendung findet. § 441 III betrifft die Minderung beim Kaufvertrag. Bei ihr ist der Kaufpreis in dem Verhältnis herabzusetzen, in welchem zur Zeit des Vertragsschlusses der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand zu dem wirklichen Wert gestanden haben würde.
BGH Rdnr. 14: Hat der Schuldner eine Teilleistung erbracht, so findet hinsichtlich der Gegenleistung § 441 Abs. 3 BGB entsprechend Anwendung, § 326 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. BGB. Danach wird die für die Gesamtleistung vereinbarte Vergütung gemindert. Ausgehend davon, dass der Wert der vereinbarten Leistung dem wirklichen Wert entspricht, bestimmt sich die Minderung nach dem Wert des durch die Teilunmöglichkeit nicht erbrachten Teils.
b) In welcher Weise dieser Wert zu bestimmen ist, ergibt sich aus § 441 Abs. 3 BGB nicht. Da die Vorschrift des Kaufrechts nur entsprechend auf andere Verträge anzuwenden ist und darüber hinaus ein anderer Fall zu beurteilen ist als eine Minderung wegen Mängeln, lässt das Gesetz einen ausreichenden Spielraum für die im Einzelfall angemessene Wertermittlung. Diese muss sich auch nach der Eigenart des Vertrages und der geschuldeten Leistung richten.
aa) Das OLG als Berufungsgericht war vom jeweiligen Leistungserfolg ausgegangen und hatte die Menge des von K bereits für B endgültig abgelagerten Baggerguts der Menge gegenübergestellt, die K für H deponiert hat, woraus sich ein Quotient ergab, aus dem sich der Minderungsbetrag errechnen lässt.
bb) Dem widerspricht der BGH vor allem deshalb, weil dabei die von K erbrachten vorbereitenden Leistungen wie die Konditionierung des Baggerguts und die Herrichtung weiterer Abschnitte der Deponie außer Betracht blieben. Der Eigenart eines Werkvertrags entspreche es, auch diese Leistungen zu berücksichtigen und sie K gut zu schreiben.
BGH Rdnr. 16: Die Berechnung des BerGer.…lässt die Besonderheiten unberücksichtigt, die sich aus der teilweisen Unmöglichkeit eines Bauvertrages ergeben. Denn der Werkerfolg wird durch eine Vielzahl von Teilleistungen bewirkt, die selbständig bewertet werden können. Sind Teilleistungen bis zum Eintritt der Unmöglichkeit ausschließlich für den Hauptunternehmer erbracht, so ist es jedenfalls dann interessengerecht, dass dieser sie ihrem Wert entsprechend vergütet, wenn die Werkleistung insgesamt fertig gestellt wird. Denn mit der Fertigstellung des Werks hat sich ihr Wert auch für den Hauptunternehmer realisiert. Gleiches gilt in seinem Verhältnis zum Auftraggeber. Es besteht bei der Wertermittlung entsprechend § 441 Abs. 3 BGB kein Grund, die vor Eintritt der Unmöglichkeit bereits erbrachten Teilleistungen nachträglich einer Quotierung zu unterwerfen, die das Synallagma des erfüllten Vertrages empfindlich stört.
Rdnrn. 17, 18: Vielmehr entspricht der Eintritt der Teilunmöglichkeit wirtschaftlich der Kündigung des Vertrages. Sowohl der Eintritt der Teilunmöglichkeit als auch die Kündigung führen dazu, dass die Leistungspflicht des Unternehmers hinsichtlich des nicht mehr zu erbringenden Teils vor vollständiger Erfüllung des Vertrages erloschen ist. Es liegt daher nahe, die Wertminderung im Falle des § 326 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. BGB i.V.m. § 441 Abs. 3 BGB nach den Grundsätzen zu berechnen, wie sie für die Abrechnung eines gekündigten Werkvertrages gelten….(BGH BauR 1999, 631; BauR 1999, 1292, 1293). Sie stellen auf das Preisgefüge des Vertrages ab und lassen es zu, Teilleistungen nach diesem Preisgefüge zu bewerten. Da auch die nach § 441 Abs. 3 BGB vorzunehmende Minderung einen angemessenen Ausgleich dafür schaffen soll, dass ein Teil der Leistung nicht mehr erbracht wird, können diese Grundsätze ohne weiteres herangezogen werden… Die Vergütung für die erbrachten Leistungen ist danach auf der Grundlage der nach dem Vertrag maßgebenden Vergütungsvereinbarung zu ermitteln, § 631 Abs. 1 BGB.
cc) Nach der Angabe im Sachverhalt hat K umfangreiche vorbereitende Leistungen für die Deponierung des restlichen Baggerguts erbracht. Zu dem damaligen Zeitpunkt war der zusätzliche Auftrag der H an K noch nicht erteilt. Diese vorbereitenden Leistungen hat K folglich noch für B erbracht. Nach den Ausführungen des BGH oben bb) ist es interessengerecht, dass B diese ihrem Wert entsprechend vergütet. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Wert dieser Leistungen den aufgewandten Kosten entspricht. Die Kosten beliefen sich auf 100.000 EUR. Daraus folgt, dass der Minderungsbetrag sich auf die 70.000 EUR beschränkt, die K von H erhalten hat und sich anrechnen lassen will. In Höhe von 100.000 EUR bleibt der Vergütungsanspruch der K bestehen, so dass eine auf diesen Betrag gerichtete Klage der K gegen B Aussicht auf Erfolg hat.
Zusammenfassung