Umfang der Verkäuferpflichten bei der Nacherfüllung gemäß § 439 BGB. Auslegung des Art. 3 der EU-Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf. Verpflichtung des Verkäufers zum Ersatz der Kosten für den Ausbau der mangelhaften und den Einbau der nachgelieferten Sache. Richtlinienkonforme Auslegung des § 439 BGB. Verweigerung der Kostentragung wegen Unverhältnismäßigkeit


EuGH
Urteil vom 16. 6. 2011 (C-65/09, Bodenfliesen, und C-87/09, Spülmaschine) NJW 2011, 2269

Fall (Bodenfliesen)

K kaufte von der W-GmbH Bodenfliesen zum Preis von 1 382 Euro. Nachdem K die Fliesen in seinem Haus hatte verlegen lassen, stellte er auf der Oberfläche Schattierungen fest, die mit bloßem Auge zu erkennen waren. Ursache waren Mikroschleifspuren, die bei der Herstellung beim Lieferanten L der W entstanden waren und auf einem Fabrikationsfehler beruhten. Eine Beseitigung des Fehlers war nicht möglich. K verlangte von W die Lieferung fehlerfreier Fliesen sowie Ersatz der Kosten für den Austausch der Fliesen, d. h. für die Entfernung und Entsorgung der fehlerhaften Fliesen und die Verlegung der neuen Ware. Die Nachlieferung würde W mit 1.200 Euro belasten. Die Kosten für den Austausch belaufen sich laut Sachverständigengutachten auf 5.380 Euro, unabhängig davon, ob W oder ein anderes Unternehmen diese Arbeiten vornimmt. W lehnt die Ansprüche des K als unzumutbar ab. Auch habe er darauf vertrauen dürfen, dass die von L gelieferten Fliesen ebenso einwandfrei waren wie frühere Lieferungen.

K bittet um eine gutachtliche Stellungnahme zu der Frage, ob ihm Ansprüche auf Lieferung neuer Fliesen und auf Kostenersatz zustehen. Soweit es dabei auf Vorschriften des EU-Rechts ankommt, sind diese im Rahmen des Gutachtens zu entscheiden.

Aus der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie (1999/44/EG, ABl. L 171, S. 12).

Nach dem ersten Erwägungsgrund „leistet die Gemeinschaft durch die Maßnahmen, die sie nach Artikel 95 EG-Vertrag [heute: Art. 114 AEU] erlässt, einen Beitrag zur Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus.“

Art. 3 („Rechte des Verbrauchers“):

„(1) Der Verkäufer haftet dem Verbraucher für jede Vertragswidrigkeit, die zum Zeitpunkt der Lieferung des Verbrauchsgutes besteht.

(2) Bei Vertragswidrigkeit hat der Verbraucher entweder Anspruch auf die unentgeltliche Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung nach Maßgabe des Absatzes 3 oder auf angemessene Minderung des Kaufpreises oder auf Vertragsauflösung in Bezug auf das betreffende Verbrauchsgut…

(3) Zunächst kann der Verbraucher vom Verkäufer die unentgeltliche Nachbesserung des Verbrauchsgutes oder eine unentgeltliche Ersatzlieferung verlangen, sofern dies nicht unmöglich oder unverhältnismäßig ist.

Eine Abhilfe gilt als unverhältnismäßig, wenn sie dem Verkäufer Kosten verursachen würde, die

verglichen mit der alternativen Abhilfemöglichkeit unzumutbar wären.

Die Nachbesserung oder die Ersatzlieferung muss innerhalb einer angemessenen Frist und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher erfolgen, wobei die Art des Verbrauchsgutes sowie der Zweck, für den der Verbraucher das Verbrauchsgut benötigte, zu berücksichtigen sind.

(4) Der Begriff ‚unentgeltlich‘ in den Absätzen 2 und 3 umfasst die für die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes notwendigen Kosten, insbesondere Versand-, Arbeits- und Materialkosten.“

I. Die von K gegen W geltend gemachten Ansprüche könnten sich aus §§ 437 Nr. 1, 439 BGB ergeben.

1. K und W haben einen Kaufvertrag über die Bodenfliesen geschlossen.

2. Die Fliesen müssten bei Gefahrübergang, d. h. bei der Übergabe, mangelhaft gewesen sein, wobei im vorliegenden Fall § 434 I 2 Nr. 2, 2. Fall, in Betracht kommt. Die Fliesen hatten wegen der Mikroschleifspuren eine nachteilige Beschaffenheit. Diese betraf zwar nur ihr Aussehen. Der Käufer hat aber gerade bei Gegenständen für die Wohnung ein Recht darauf, dass der Gegenstand auch optisch einwandfrei ist. Deshalb eigneten sich die Fliesen mit Schleifspuren nicht für die Verwendung in der Wohnung und hatten nicht die übliche Beschaffenheit; K konnte die Lieferung von fehlerfrei produzierten Fliesen erwarten. Die gelieferten Fliesen waren somit mangelhaft. Ein Verschulden des Verkäufers ist nicht erforderlich.

3. Folglich kann K von W Nacherfüllung verlangen.

II. Nacherfüllung durch Beseitigung des Mangels ist nicht möglich, also bleibt nur der Anspruch auf Lieferung einer mangelfreien Sache. K kann von W Lieferung neuer, mangelfreier Fliesen verlangen.

III. Das Hauptproblem des Falles besteht in der Frage, ob sich der Anspruch auch auf Ersatz der Kosten für den Austausch der Fliesen erstreckt, also auch auf die Kosten für die Entfernung und Entsorgung der fehlerhaften Fliesen und die Verlegung der neuen Ware.

1. Ursprünglich hatte der BGH aus dem Wortlaut des § 439 BGB und dem System der Gewährleistungsansprüche geschlossen, dass der Käufer Kosten weder für den Ausbau noch für den Einbau verlangen könne (NJW 2008, 2837 - Parkettstäbe, und NJW 2009, 1660, Vorlagebeschluss im vorliegenden Fall). Durch § 439 solle der Käufer nur erhalten, was ihm nach dem Kaufvertrag zusteht. Das ist die Lieferung einer fehlerfreien Sache, aber weder Ausbau noch Einbau. Würde er auch die Kosten für Ausbau und Einbau erhalten, würde er so gestellt, als wäre keine fehlerhafte Leistung erfolgt; was nur als Schadensersatz i. S. des § 249 BGB möglich wäre. Ein Schadensersatzanspruch setzt aber Verschulden voraus, §§ 437 Nr. 3, 280 BGB. Im vorliegenden Fall hat W nicht schuldhaft gehandelt. Sie brauchte die Fliesen vor der Lieferung nicht auf Schleifspuren zu untersuchen. Auch ist der Vorlieferant kein Erfüllungsgehilfe des Verkäufers i. S. des § 278 BGB.

2. Etwas anderes könnte sich daraus ergeben, dass die EU-Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie den Verkäufer zu einer weitergehenden Leistung verpflichtet und dass diese Verpflichtung auch ins deutsche Kaufrecht übernommen werden muss. Ob das der Fall ist, hängt zunächst von der Auslegung des Art. 3 der Richtlinie ab.

Der EuGH, dem diese Frage von deutschen Gerichten vorgelegt worden war, legt in seinem Urteil zunächst dar, dass diese Frage umstritten ist. So haben in dem Verfahren die Firma W sowie die deutsche, die belgische und die österreichische Regierung in dem Sinne Stellung genommen, dass der Käufer ausschließlich die Kaufsache und keine Ausbau- oder Einbaukosten verlangen könne (so wie der BGH oben 1.). Demgegenüber haben die spanische und die polnische Regierung sowie die EU-Kommission eine weitergehende Auffassung vertreten. Der EuGH nimmt dazu wie folgt Stellung.

a) EuGH [45 - 49]: Zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts bestimmt Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie, dass der Verbraucher vom Verkäufer die unentgeltliche Nachbesserung des Verbrauchsguts oder eine unentgeltliche Ersatzlieferung verlangen kann… Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, geht demnach aus dem Wortlaut von Art. 3 der Richtlinie wie auch im Übrigen aus den einschlägigen Vorarbeiten der Richtlinie hervor, dass der Unionsgesetzgeber die Unentgeltlichkeit der Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts durch den Verkäufer zu einem wesentlichen Bestandteil des durch die Richtlinie gewährleisteten Verbraucherschutzes machen wollte. Diese dem Verkäufer auferlegte Verpflichtung, die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts unentgeltlich zu bewirken, sei es durch Nachbesserung, sei es durch Austausch des vertragswidrigen Verbrauchsguts, soll den Verbraucher vor drohenden finanziellen Belastungen schützen, die ihn in Ermangelung eines solchen Schutzes davon abhalten könnten, seine Ansprüche geltend zu machen (vgl. Urteil Quelle, C-404/06, Slg. 2008, 2685, Randnrn. 33 und 34).

Wenn aber der Verbraucher im Fall der Ersatzlieferung für ein vertragswidriges Verbrauchsgut vom Verkäufer nicht verlangen könnte, dass er den Ausbau des Verbrauchsguts aus der Sache, in die es gemäß seiner Art und seinem Verwendungszweck eingebaut wurde, und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts in dieselbe Sache oder die entsprechenden Kosten übernimmt, würde diese Ersatzlieferung für ihn zu zusätzlichen finanziellen Lasten führen, die er nicht hätte tragen müssen, wenn der Verkäufer den Kaufvertrag ordnungsgemäß erfüllt hätte. Wenn dieser nämlich von vornherein ein vertragsgemäßes Verbrauchsgut geliefert hätte, hätte der Verbraucher die Einbaukosten nur einmal getragen und hätte keine Kosten für den Ausbau des mangelhaften Verbrauchsguts tragen müssen.

Würde Art. 3 der Richtlinie dahin ausgelegt, dass er den Verkäufer nicht verpflichtet, den Ausbau des vertragswidrigen Verbrauchsguts und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts oder die entsprechenden Kosten zu übernehmen, hätte dies somit zur Folge, dass der Verbraucher, um die ihm durch den genannten Artikel verliehenen Rechte ausüben zu können, diese zusätzlichen Kosten tragen müsste, die sich aus der Lieferung eines vertragswidrigen Verbrauchsguts durch den Verkäufer ergeben. In diesem Fall würde die Ersatzlieferung für das Verbrauchsgut entgegen Art. 3 Abs. 2 und 3 der Richtlinie nicht unentgeltlich für den Verbraucher vorgenommen.

b) EuGH [50]: Zwar gehören die Kosten für den Ausbau des vertragswidrigen Verbrauchsguts und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts nicht zu den Kosten, die ausdrücklich in Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie genannt sind, wonach der Begriff „unentgeltlich“ „die für die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes notwendigen Kosten, insbesondere Versand-, Arbeits- und Materialkosten“, umfasst. Der Gerichtshof hat jedoch bereits entschieden, dass sich aus der Verwendung des Adverbs „insbesondere“ durch den Unionsgesetzgeber ergibt, dass diese Aufzählung nur Beispiele enthält und nicht abschließend ist (vgl. Urteil Quelle, Randnr. 31). Außerdem sind diese Kosten nunmehr notwendig, damit das vertragswidrige Verbrauchsgut ersetzt werden kann, und stellen folglich „für die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes notwendige Kosten“ im Sinne von Art. 3 Abs. 4 dar.

c) EuGH [52, 53]: Ferner ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie die Nachbesserung eines vertragswidrigen Verbrauchsguts und die Ersatzlieferung nicht nur unentgeltlich, sondern auch innerhalb einer angemessenen Frist und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher zu erfolgen haben… So kann der Umstand, dass der Verkäufer das vertragswidrige Verbrauchsgut nicht ausbaut und das als Ersatz gelieferte Verbrauchsgut nicht einbaut, zweifellos eine erhebliche Unannehmlichkeit für den Verbraucher darstellen, insbesondere in Fällen wie denen der Ausgangsverfahren, in denen das als Ersatz gelieferte Verbrauchsgut, um seiner üblichen Bestimmung entsprechend verwendet werden zu können, zunächst eingebaut werden muss, was den vorherigen Ausbau des vertragswidrigen Verbrauchsguts erforderlich macht.

d) Unter [55] verweist der EuGH noch darauf, dass nach dem ersten Erwägungsgrund der Richtlinie diese ein hohes Verbraucherschutzniveau gewährleisten soll. Andererseits würden die Interessen des Verkäufers dadurch geschützt, dass er die Leistung im Falle der Unverhältnismäßigkeit verweigern (dazu noch IV:) und außerdem bei seinem Lieferanten Rückgriff nehmen könne.

e) EuGH [62]: Nach alledem ist Art. 3 Abs. 2 und 3 der Richtlinie dahin auszulegen, dass, wenn der vertragsgemäße Zustand eines vertragswidrigen Verbrauchsguts, das vor Auftreten des Mangels vom Verbraucher gutgläubig gemäß seiner Art und seinem Verwendungszweck eingebaut wurde, durch Ersatzlieferung hergestellt wird, der Verkäufer verpflichtet ist, entweder selbst den Ausbau dieses Verbrauchsguts aus der Sache, in die es eingebaut wurde, vorzunehmen und das als Ersatz gelieferte Verbrauchsgut in diese Sache einzubauen, oder die Kosten zu tragen, die für diesen Ausbau und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts notwendig sind. Diese Verpflichtung des Verkäufers besteht unabhängig davon, ob er sich im Kaufvertrag verpflichtet hatte, das ursprünglich gekaufte Verbrauchsgut einzubauen.

3. In seinem Urteil hat der EuGH über die Auslegung der Richtlinie entschieden (Art. 267 I b) AEU). Da K einen Anspruch aus §§ 437, 439 BGB geltend macht, muss geklärt werden, welche Bedeutung diese Auslegung für das deutsche Recht hat. Folgt man der Auslegung des BGH (oben 1.), steht das deutsche Recht mit dem (sekundären) EU-Recht in Widerspruch, und wegen des Anwendungsvorrangs des EU-Rechts wäre § 439 (teilweise) unanwendbar. Vorzuziehen ist aber eine EU-Rechts-konforme, d. h. in diesem Fall richtlinienkonforme Auslegung des § 439 (Lorenz NJW 2011, 2243; Faust JuS 2011, 747; auch Looschelders JA 2011, 631 spricht einleitend von einer richtlinienkonformen Auslegung, will die Anpassung an das EU-Recht aber durch analoge Anwendung des § 439 II auf die Ausbau- und Einbaukosten vornehmen). Danach ergibt sich der Anspruch des K auf die Ausbau- und Einbaukosten entweder daraus, dass unter Lieferung einer mangelfreien Sache i. S. des § 439 I auch die genannten Kosten verstanden werden (in diese Richtung auch EuGH [54]), oder aus einer analogen Anwendung des § 493 II.

IV. W könnte ein Recht zur vollständigen oder teilweisen Verweigerung der Zahlung von Kosten in Höhe von 5.380 Euro zustehen (§ 439 III BGB). Dann müsste diese Art der Nacherfüllung unverhältnismäßig sein.

1. § 439 III 1 und 3 behandelt zunächst den Fall, dass es zwei Arten von Nacherfüllung gibt und eine davon unverhältnismäßig ist (relative Unverhältnismäßigkeit); dann kann der Verkäufer die unverhältnismäßige Art der Nacherfüllung verweigern (§ 439 III 3 1. Satzteil). Im vorliegenden Fall gibt es nur die eine Möglichkeit: die Lieferung neuer Fliesen mit Aus- und Einbau. Diese eine Möglichkeit könnte wegen der Höhe der beim Aus- und Einbau entstehenden Kosten von 5.380 Euro unverhältnismäßig sein (absolute Unverhältnismäßigkeit), was nach § 439 III 3 letzter Satzteil den Verkäufer zur Verweigerung der Nacherfüllung berechtigt. (EuGH [21] verweist auf den Vorlagebeschluss des BGH: In der vorliegenden Rechtssache sei die begehrte Nacherfüllung…ein solcher Fall der absoluten Unverhältnismäßigkeit.) Dem Käufer bliebe dann nur noch der Rücktritt oder die Minderung nach § 437 Nr. 2.

2. Der Wegfall des Rechts des Verkäufers auf Ersatz der Kosten für den Aus- und Einbau könnte aber mit der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie unvereinbar sein.

a) Nach Art. 3 III UAbs. 2 (= Art. 3 III Satz 2) der Richtlinie beschränkt sich das Verweigerungsrecht auf den Fall „verglichen mit der alternativen Abhilfemöglichkeit“, also auf die relative Unverhältnismäßigkeit.

EuGH [67, 68, 71, 73]: Nach Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie gilt eine Abhilfe als unverhältnismäßig, wenn sie dem Verkäufer Kosten verursachen würde, die angesichts des Wertes, den das Verbrauchsgut ohne die Vertragswidrigkeit hätte, unter Berücksichtigung der Bedeutung der Vertragswidrigkeit und nach Erwägung der Frage, ob auf die alternative Abhilfemöglichkeit ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher zurückgegriffen werden könnte, verglichen mit der alternativen Abhilfemöglichkeit unzumutbar wären. Daher ist festzustellen, dass…Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 den Begriff „unverhältnismäßig“ ausschließlich in Beziehung zur anderen Abhilfemöglichkeit definiert und damit auf Fälle der relativen Unverhältnismäßigkeit eingrenzt. Im Übrigen geht aus dem Wortlaut und der Systematik von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie eindeutig hervor, dass sich dieser auf die beiden Arten der in erster Linie vorgesehenen Abhilfe bezieht, d. h. die Nachbesserung des vertragswidrigen Verbrauchsguts und die Ersatzlieferung… Erweist sich nur eine dieser beiden Abhilfen als möglich, kann der Verkäufer die einzige Abhilfe, durch die sich der vertragsgemäße Zustand des Verbrauchsguts herstellen lässt, somit nicht verweigern. Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie schließt folglich aus, dass eine nationale gesetzliche Regelung dem Verkäufer das Recht gewährt, die einzig mögliche Art der Abhilfe wegen ihrer absoluten Unverhältnismäßigkeit zu verweigern…

b) Jedoch lässt der EuGH es zu, die vom Verkäufer zu tragenden Kosten auf einen angemessenen Betrag zu begrenzen. [74]: In diesem Zusammenhang ist…darauf hinzuweisen, dass Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie nicht ausschließt, dass der Anspruch des Verbrauchers auf Erstattung der Kosten für den Ausbau des vertragswidrigen Verbrauchsguts und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts, falls erforderlich, auf einen Betrag beschränkt wird, der dem Wert, den das Verbrauchsgut hätte, wenn es vertragsgemäß wäre, und der Bedeutung der Vertragswidrigkeit angemessen ist. Eine solche Beschränkung lässt das Recht des Verbrauchers, Ersatzlieferung für das vertragswidrige Verbrauchsgut zu verlangen, nämlich unberührt. „Angemessen“ ist allerdings ein sehr unbestimmter Begriff. Darüber hinaus ist die folgende Aussage unter [76] nicht frei von Widerspruch: Die Möglichkeit, eine solche Herabsetzung vorzunehmen, darf nicht zur Folge haben, dass das Recht des Verbrauchers auf Erstattung dieser Kosten in Fällen, in denen er das vertragswidrige Verbrauchsgut gutgläubig vor Auftreten des Mangels gemäß seiner Art und seinem Verwendungszweck eingebaut hat, in der Praxis ausgehöhlt wird.

c) Zusammenfassend EuGH [78]: Nach alledem ist Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie dahin auszulegen, dass er ausschließt, dass eine nationale gesetzliche Regelung dem Verkäufer das Recht gewährt, die Ersatzlieferung für ein vertragswidriges Verbrauchsgut als einzig mögliche Art der Abhilfe zu verweigern, weil sie ihm wegen der Verpflichtung, den Ausbau dieses Verbrauchsguts aus der Sache, in die es eingebaut wurde, und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts in diese Sache vorzunehmen, Kosten verursachen würde, die verglichen mit dem Wert, den das Verbrauchsgut hätte, wenn es vertragsgemäß wäre, und der Bedeutung der Vertragswidrigkeit unverhältnismäßig wären. Art. 3 Abs. 3 schließt jedoch nicht aus, dass der Anspruch des Verbrauchers auf Erstattung der Kosten für den Ausbau des mangelhaften Verbrauchsguts und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts in einem solchen Fall auf die Übernahme eines angemessenen Betrags durch den Verkäufer beschränkt wird.

3. Wie dieses Ergebnis im deutschen Recht umzusetzen ist, ist ungeklärt (unterschiedliche Vorschläge dazu bei Lorenz NJW 2011, 2243/4; Faust JuS 2011, 747/8; Looschelders JA 2011, 631). Eine einfache richtlinienkonforme Auslegung des § 439 III 3 dürfte angesichts der eindeutigen Regelung im letzten Satzteil nicht ausreichen. (Hierzu wird der BGH, wenn er den Bodenfliesen-Fall endgültig entscheidet, noch Stellung nehmen. Letztlich wird der deutsche Gesetzgeber diese Vorschrift den Vorgaben des EU-Rechts in der Auslegung des EuGH anzupassen haben.)

a) Hier wird vorgeschlagen, § 439 III 3 letzter Satzteil wegen Verstoßes gegen die Richtlinie für unanwendbar zu erklären. Dadurch entsteht eine Gesetzeslücke, die durch eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung (diese Rechtsfigur bei BGH NJW 2009, 427, Quelle) auszufüllen ist. Danach darf W den Ersatz der Kosten für den Aus- und Einbau dem Grunde nach trotz ihrer enormen Höhe nicht verweigern.

b) Die Kosten sind aber auf einen angemessenen Betrag herabzusetzen, wobei sich der Maßstab aus Art. 3 III UAbs. 2 der Richtlinie (ebenso § 439 III 2 BGB) ergibt. Der Wert der Fliesen würde ohne den Mangel 1.382 Euro betragen. Der BGH hat 150 % dieses Wertes als Obergrenze für den zumutbaren Betrag angesetzt (NJW 2009, 1661; Looschelders JA 2011, 631). Nimmt man jedoch hinzu, dass die Bedeutung des Mangels, da er die Verwendbarkeit der Fliesen nicht schwerwiegend eingeschränkt hat, nicht groß ist, muss dieser Wert deutlich herabgesetzt werden. Danach erscheinen 100 % als angemessen.

Ergebnis: K kann von W neue Fliesen verlangen und Zahlung von Kosten für den Aus- und Einbau in Höhe von 1.382 Euro; den anderen Teil der Kosten muss K selbst tragen.

Zusammenfassung