Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
► Fernabsatzvertrag, § 312b BGB; Widerrufsrecht des Verbrauchers, § 312d BGB. ► Rechtsfolgen des Widerrufs, § 357 BGB: Wertersatzanspruch des Verkäufers; Prüfungsrecht des Käufers
BGH Urteil vom 3. 11. 2010 (VIII ZR 337/09) NJW 2011, 56 (für BGHZ vorgesehen)
Fall (Wasserbett Las Vegas)
B betreibt ein Unternehmen, das über das Internet Wasserbetten anbietet. Am 9. 8. schloss B mit K per E-Mail einen Kaufvertrag über ein Wasserbett des Modells Las Vegas zum Preise von 1.265 Euro. Das Angebot hatte B dem K in einer der E-Mail angehängten pdf-Datei übermittelt. Der Text der E-Mail enthielt eine - im Übrigen ordnungsgemäße - Widerrufsbelehrung, in der es zu den Widerrufsfolgen hieß: „Können Sie uns die empfangene Ware ganz oder teilweise nicht oder nur in verschlechtertem Zustand zurückgewähren, müssen Sie uns insoweit gegebenenfalls Wertersatz leisten. Bei der Überlassung von Sachen gilt dies nicht, wenn die Verschlechterung der Sache ausschließlich auf deren Prüfung - wie sie Ihnen etwa im Ladengeschäft möglich gewesen wäre - zurückzuführen ist. Im Übrigen können Sie die Wertersatzpflicht vermeiden, indem Sie die Sache nicht wie Ihr Eigentum in Gebrauch nehmen und alles unterlassen, was deren Wert beeinträchtigt." Im weiteren Text der E-Mail hieß es: „Im Hinblick auf die o. g. Widerrufsbelehrung weisen wir ergänzend darauf hin, dass durch das Befüllen der Matratze des Wasserbettes regelmäßig eine Verschlechterung eintritt, da das Bett nicht mehr als neuwertig zu veräußern ist.“
Am 1. 9. wurde das Wasserbett dem K geliefert und von diesem bezahlt. K baute das Wasserbett auf, befüllte die Matratze mit Wasser und benutzte das Bett sodann drei Tage lang. Mit E-Mail vom 5. 9. an B erklärte K den Widerruf. In der E-Mail hieß es: „Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass ich bezüglich des Wasserbettkaufs von meinem Rückgaberecht Gebrauch machen möchte. In den letzten Tagen hatten wir die Möglichkeit, dieses ausgiebig zu testen." B ließ das Wasserbett abholen und erstattete dem K 258 Euro, was er damit begründete, das Bett sei nicht mehr verkäuflich; lediglich die Heizung mit einem Wert von 258 Euro sei wieder verwertbar. K verlangt von B weitere 1.007 Euro. Zu Recht ?
K kann einen Anspruch auf Rückzahlung des restlichen Kaufpreises wegen Widerrufs eines Fernabsatzvertrages haben. Anspruchsgrundlage dafür ist § 346 I in Verbindung mit §§ 312d I 1, 355, 357 BGB.
I. Die Voraussetzungen für den Anspruch ergeben sich aus §§ 312d I 1, 355 BGB.
1. Zwischen K und B ist ein Kaufvertrag zustande gekommen. Angebot und Annahme sind per E-Mail erklärt worden. Dass die Ausführungen des B über den Widerruf und seine Folgen zur Unwirksamkeit des Vertrages führen könnten, ist nicht ersichtlich; sie haben Bedeutung lediglich im Zusammenhang mit dem Widerruf. Der spätere Widerruf durch K führt nicht zur Unwirksamkeit des Vertrages, sondern nur zu dessen Rückabwicklung (§§ 355 I 1, 357 I 1, 346 I BGB).
2. K müsste ein Recht zum Widerruf erlangt haben. Ein Widerrufsrecht für könnte K nach § 312d I 1 BGB erworben haben. Dann müsste zwischen K und B ein Fernabsatzvertrag i. S. des § 312b BGB zustande gekommen sein.
a) Der zwischen K und B geschlossene Vertrag war ein Vertrag über eine Ware, das Wasserbett.
b) B war Unternehmer (§ 14 BGB) und K Verbraucher (§ 13 BGB).
c) Der Vertrag ist durch E-Mails, also ausschließlich durch Fernkommunikationsmittel (§ 312b II BGB) abgeschlossen worden. Der Vertragsschluss ist auch im Rahmen eines von B für den Fernabsatz organisierten Vertriebssystems erfolgt. Es handelte sich somit um einen Fernabsatzvertrag.
d) Einer der Ausnahmefälle nach § 312d IV, in denen kein Widerrufsrecht besteht, liegt beim Kauf eines Wasserbetts nicht vor. Das Widerrufsrecht ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass K das Wasserbett durch Befüllen mit Wasser verschlechtert hat. Diesem Gesichtspunkt trägt das Gesetz nicht durch Ausschluss des Widerrufsrechts Rechnung, sondern behandelt ihn auf der Rechtsfolgenseite durch Regelungen über den Wertersatz nach Erklärung des Widerrufs (allgemein § 346 II Nr. 3 BGB, speziell im Fall eines Verbrauchervertrages: § 357 III BGB, dazu noch unten III 2).
3. K müsste das Widerrufsrecht ordnungsgemäß ausgeübt haben.
a) Dem Verbraucher ist das Widerrufsrecht in § 312d „nach § 355“ eingeräumt; also gilt § 355 BGB. K hat den Widerruf per E-Mail vom 5. 9. erklärt und hat damit eine Widerrufserklärung abgegeben.
b) Sie müsste fristgerecht erfolgt sein. Nach § 355 II BGB beträgt die Frist 14 Tage, falls dem Verbraucher eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung erteilt wurde, was hier der Fall ist. Sie begann mit der Lieferung der Ware (§ 312d II BGB), also am 1. 9. und war am 5. 9., bei Erklärung des Widerrufs noch nicht abgelaufen.
c) Die Erklärung musste in Textform abgegeben werden (§§ 355 I 2, 126b BGB), wofür eine E-Mail ausreicht (Palandt/Ellenberger, BGB, 7. Aufl. 2011, § 126b Rdnr. 3).
K hat somit das Widerrufsrecht ordnungsgemäß ausgeübt. Die Voraussetzungen der §§ 312d I 1, 355 liegen vor. (Überblick zum Widerrufsrecht und dessen Folgen bei Lettl JA 2011, 9 ff.)
II. Die Rechtsfolge, die nach Ausübung des Widerrufsrecht eintritt, ergibt sich aus §§ 357 I 1, 346 I BGB. Danach kann K von B Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 1.265 Euro verlangen. Diese Verpflichtung hat B durch Zahlung von 258 Euro erfüllt. Es bleibt der von K eingeforderte Betrag in Höhe von 1.007 Euro.
III. Der Anspruch über 1.007 Euro könnte durch Aufrechnung (§§ 387, 389 BGB) erloschen sein.
1. Erforderlich ist eine Aufrechnungserklärung des B (§ 388 BGB). Ausdrücklich hat B eine Aufrechnung nicht erklärt. Er hat sich aber geweigert, einen über 258 Euro hinausgehenden Betrag zu zahlen, und das mit der Unverkäuflichkeit des Betts begründet. Darin liegt die Berufung auf einen Gegenanspruch wegen Unverkäuflichkeit, d. h. wegen einer Verschlechterung des Betts, und damit die Berufung auf einen Wegfall des Rückgabeanspruchs des K wegen eines Gegenanspruchs des B, was als schlüssige Aufrechnungserklärung ausgelegt werden kann.
2. Für die Aufrechnungslage nach § 387 BGB ist entscheidend, dass dem B ein Gegenanspruch zusteht.
a) Nach der Grundvorschrift des § 346 II Nr. 3 BGB erster Satzteil hat der zur Herausgabe verpflichtete Schuldner, also auch der Käufer, Wertersatz zu leisten, wenn die Sache sich verschlechtert hat.
b) Eine Ausnahme enthält der zweite Satzteil, wonach eine Verschlechterung durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme außer Betracht bleibt.
c) Von der Ausnahme unter b) weicht § 357 III 1 BGB ab - als (Gegen-) Ausnahme zu b) -, indem dem Verkäufer ein Wertersatzanspruch auch im Fall der bestimmungsgemäßen Ingebrauchnahme zugebilligt wird. Allerdings muss der dort vorgesehene Hinweis erfolgt sein. Auf den Wertersatz wegen Verschlechterung hat B den K in seiner zum Vertragsschluss führenden E-Mail hingewiesen. Fraglich ist, ob er auch auf die Möglichkeit hingewiesen hat, die Wertersatzpflicht zu vermeiden. War K nicht berechtigt, das Bett mit Wasser zu füllen, reichte der erfolgte Hinweis aus. Anders wäre es, wenn K das Recht hatte, das Bett mit Wasser zu füllen. Ob er dieses Recht hatte, ist die Hauptfrage dieses Falles und sogleich unter d) zu behandeln, weshalb auf die nachfolgenden Ausführungen verwiesen werden kann.
d) § 357 III 1 wird eingeschränkt durch § 357 III 3, so dass § 357 III 3 wiederum als Ausnahme von c) erscheint.
An dieser Stelle erfolgt ein Hinweis zum maßgeblichen Gesetzestext: Durch das „Gesetz…zur Neuordnung des Widerrufs- und Rückgaberechts“ (BGBl 2009 I, 2355 ff., in Kraft getreten am 11. 6. 2010) wurde in § 357 III ein neuer Satz 2 eingefügt. Dadurch wurde der bisherige Satz 2 (a. F.) zu Satz 3 (n. F.). Im Übrigen wurde die hier maßgebliche Regelung nicht geändert. Damit die Falllösung auf die neue Fassung passt, wird diese angewendet und werden auch die BGH-Zitate angepasst.
Nach § 357 III 3 gilt Satz 1 (= oben c) nicht, wenn die Verschlechterung ausschließlich auf die Prüfung der Sache zurückzuführen ist. B hat somit keinen Anspruch auf Wertersatz, wenn das Befüllen des Wasserbetts ausschließlich der Prüfung des Betts diente. Ob das der Fall ist oder ob in dem Befüllen und Benutzen eine darüber hinaus gehende Ingebrauchnahme lag, ist durch Auslegung des § 357 III 3 zu entscheiden. Dabei muss außer Betracht bleiben, dass K das Bett drei Tage lang benutzt hat; denn die Verschlechterung ist bereits beim erstmaligen Befüllen mit Wasser eingetreten (BGH [18, 19]).
aa) Der Wortlaut des § 357 III 3 lässt für den hier gegebenen Fall, dass der Umgang mit der Sache zu einem erheblichen Wertverlust führt, keine Entscheidung zu. Im Normalfall hat die Prüfung der Kaufsache jedenfalls keine Unverkäuflichkeit zur Folge, so dass der Wortsinn des Gesetzes für den Fall der Unverkäuflichkeit nicht ausreicht.
bb) Unter [20] verweist der BGH auf die Gesetzesbegründung: Aus den in der Gesetzesbegründung angeführten Beispielen - insbesondere dem Ausprobieren der Instrumente eines Pkws und der kurzen Testfahrt mit dem Pkw auf nicht-öffentlichem Gelände - ergibt sich, dass der Verbraucher grundsätzlich Gelegenheit haben soll, die durch Vertragsabschluss im Fernabsatz gekaufte Ware in Augenschein zu nehmen und „auszuprobieren". Das setzt bei Möbeln, die im zerlegten Zustand angeliefert werden, das Auspacken und den Aufbau der Möbelstücke voraus, gegebenenfalls auch das Aufblasen, Aufpumpen oder sonstige Befüllen mit einem Füllmedium, wie hier das Befüllen der Matratze mit Wasser. Denn der Verbraucher kann sich nur dann einen ausreichenden Eindruck von dem gekauften Möbelstück machen, wenn es aufgebaut ist. Somit spricht die Gesetzesbegründung dafür, in dem Befüllen mit Wasser eine Prüfung der Sache zu sehen.
cc) Zur Gesetzessystematik BGH [22]: Dass der Aufbau eines im Fernabsatz erworbenen Möbelstücks vom Begriff der Prüfung im Sinne des § 357 Abs. 3 Satz 3 BGB erfasst wird, ergibt sich auch aus der Fassung der Regelungen in § 357 Abs. 3 Satz 1 und 3 BGB. Denn die in Satz 3 geregelte Ausnahme setzt logisch voraus, dass die Voraussetzungen des Satzes 1 erfüllt sind, die Sache also in Gebrauch genommen wurde. Demzufolge erfasst der Begriff der Prüfung in § 357 Abs. 3 Satz 3 auch eine Ingebrauchnahme der Sache, jedenfalls dann, wenn die Ingebrauchnahme zu Prüfzwecken erforderlich ist (…). Das schließt auch den notwendigen Aufbau eines Möbelstücks zu Prüfzwecken ein. Dafür spricht auch die Gesetzesbegründung, nach der § 357 Abs. 3 Satz 3 vor allem klarstellende Funktion zukommt, weil eine Wertminderung in der Regel nicht durch die bloße Prüfung der Sache eintritt. Daraus ergibt sich aber im Umkehrschluss, dass der Ausnahmetatbestand des § 357 Abs. 3 Satz 3 jedenfalls auch in den Fällen anwendbar ist, in denen die Prüfung notwendigerweise eine Ingebrauchnahme der Sache voraussetzt und zu einer Verschlechterung führt.
dd) Sinn und Zweck des § 357 III 3 entnimmt der BGH [29] der EU-Richlinie, deren Umsetzung § 357 dient: Nach dem mit der Richtlinie 97/7/EG verfolgten Zweck soll dem Verbraucher die Möglichkeit gegeben werden, die gekaufte Ware zu prüfen und auszuprobieren, weil er keine Möglichkeit hatte, die Ware vor Abschluss des Vertrags zu sehen. Das ist im vorliegenden Fall aufgrund des Ausschlusses der Haftung in § 357 Abs. 3 Satz 3 für eine Verschlechterung, die ausschließlich auf die Prüfung der Sache zurückzuführen ist, gewährleistet. Denn von dem Ausschluss ist…auch die Prüfung umfasst, die notwendigerweise mit einer Ingebrauchnahme verknüpft ist… Das schließt jedenfalls den Aufbau des Wasserbetts und die Befüllung der Matratze mit Wasser ein.
Wenn somit einerseits bezweckt wird, den Käufer beim Fernabsatz dem Käufer im Präsenzhandel gleichzustellen, so muss andererseits auch das Interesse des Verkäufers einbezogen werden, die Wiederverkäuflichkeit der Ware zu erhalten. Das ist im Präsenzhandel dadurch möglich, dass der Verkäufer Muster bereit hält, die der Käufer beim Ausprobieren benutzen kann (BGH [22]). Demgegenüber kann beim Fernabsatz nur die Ware selbst benutzt werden, was bei bestimmten Waren so unwirtschaftlich werden kann, dass der Fernabsatz zum Erliegen kommt. Mit diesem Aspekt befasst sich die Anmerkung von Föhlisch NJW 2011, 3, 32/3, in der der Vorschlag gemacht wird, ein Prüfungsrecht nur in dem Umfang zuzubilligen, in dem die Wiederverkäuflichkeit der Ware erhalten bleibt; hierfür könnte der Katalog der Ausnahmen vom Widerrufsrecht in § 312d IV BGB erweitert werden. Auch diese Anmerkung stimmt aber ausgehend vom geltenden Recht der vom BGH vorgenommenen Auslegung zu und kommt zu dem Ergebnis (S. 32): „De lege lata steht also dem Verbraucher bei vielen Konsumartikeln ein weitreichendes kostenloses Prüfungsrecht zu, das vielfach dazu führt, dass der Unternehmer einen wirtschaftlichen Totalverlust oder zumindest einen hohen wirtschaftlichen Schaden hinnehmen muss, weil die geprüfte Ware durch Ingebrauchnahme nicht oder nur noch eingeschränkt verkehrsfähig ist.“
e) Somit hat K lediglich eine Prüfung des Wasserbetts i. S. des § 357 III 2 BGB vorgenommen, was einem Wertersatzanspruch des B entgegensteht. B hat keinen Gegenanspruch, mit dem er aufrechnen kann.
IV. Gesamtergebnis: Der Anspruch des K auf Erstattung des restlichen Kaufpreises in Höhe von 1.007 Euro ist nicht durch Aufrechnung erloschen, sondern besteht fort. K verlangt zu Recht Zahlung dieses Betrages.
Zusammenfassung