Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Ansprüche des Käufers bei Sachmangel, § 437 BGB. Nacherfüllung durch Lieferung einer mangelfreien Sache, § 439 I Alternative 2 BGB. Rechtslage nach Einbau der mangelhaften Sache; Verpflichtung des Verkäufers zum Ausbau der mangelhaften und Einbau der mangelfreien Sache. EU- richtlinienkonforme Auslegung des § 439 I BGB im Fall des Verbrauchsgüterkaufs, § 474 BGB. Ausdehnung auf Verkäufe zwischen Unternehmen ?


BGH
Urteil vom 17. 10. 2012 (VIII ZR 226/11) NJW 2013, 220 (für BGHZ vorgesehen)

Fall (Granulat für Kunstrasen)

Die K-GmbH ist ein vorwiegend im Sportplatzbau tätiges Bauunternehmen und erhielt von zwei Gemeinden Aufträge zum Bau von Kunstrasenplätzen. Sie bestellte das „für den Bau von Kunststoffrasenplätzen geeignete Granulat“ bei der B-Baustoffhandel GmbH. Diese bezog das Material von V und lieferte es an K weiter. Schon kurze Zeit nach der Inbetriebnahme der Plätze waren diese unbespielbar geworden. Es stellte sich heraus, dass das Granulat für Kunstrasenplätze ungeeignet war, was aber weder für B noch für K erkennbar war. B beschaffte das für Kunstrasenplätze geeignete SBR-Granulat und stellte es der K kostenlos zur Verfügung, weigerte sich aber, das ungeeignete Material auszubauen und das neue Material einzubauen oder dafür die Kosten zu tragen. Nachdem B diese Weigerung für endgültig erklärt hatte, ließ K das Aus- und Einbauen von einem anderen Unternehmen vornehmen. K verlangt von B Zahlung der Kosten für den Ausbau des ungeeigneten Granulats in Höhe von 15.249 Euro und der Kosten für den Einbau des Ersatzgranulats in Höhe von 9.660 Euro. Ist der Anspruch begründet ?

I. Anspruchsgrundlage könnte ein Anspruch auf Nacherfüllung aus §§ 437 Nr. 1, 439 I BGB sein.

1. Indem K ein Angebot zum Kauf von Granulat, das für Kunstrasenplätze geeignet ist, abgegeben und B diese Bestellung angenommen hat, haben sie einen Kaufvertrag über die von K bestellte Ware geschlossen.

2. Das gelieferte Granulat war für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung als Baumaterial für Kunstrasenplätze nicht geeignet und deshalb mangelhaft i. S. von § 434 I 2 Nr. 1 BGB.

3. K hatte somit einen Anspruch auf Nacherfüllung i. S. des § 439 I Alt. 2.

a) Er richtete sich auf die Lieferung einer mangelfreien Sache (womit sich der ursprüngliche Erfüllungsanspruch nach § 433 I 2 BGB in einen Gewährleistungsanspruch umwandelt, Lorenz NJW 2013, 207 unter Hinweis auf BGHZ 177, 224). Diese Verpflichtung hat B durch die Lieferung des SBR-Granulats erfüllt (BGH [13]).

b) Ob B darüber hinaus zum Aus- und Einbau verpflichtet war, kann an dieser Stelle noch offen bleiben. Denn der von K geltend gemachte Anspruch richtet sich nicht auf den Aus- und Einbau, sondern auf die Erstattung von Kosten, die dadurch entstanden sind, dass K diese Arbeiten an einen Dritten vergeben hat. Falls B zum Aus- und Einbau verpflichtet war, durfte er selbst den Auftrag für diese Arbeiten vergeben und brauchte nicht hinzunehmen, dass K ihm diese Befugnis nahm, indem er den Auftrag vergab und damit auch die Höhe der Kosten beeinflusste. Deshalb richtet sich der Anspruch aus § 439 I nicht unmittelbar auf Erstattung der Kosten für die Mängelbeseitigung. § 439 I greift als Anspruchsgrundlage nicht ein (Looschelders JA 2013, 149).

II. K könnte einen Schadensersatzanspruch aus §§ 437 Nr. 3, 280 I, III 281 BGB haben. Dann müsste B durch die mangelhafte Leistung selbst oder die dadurch veranlasste weitere Abwicklung des Kaufvertrages eine vertragliche oder gesetzliche Verpflichtung schuldhaft verletzt haben.

1. Verletzte Pflicht konnte die Pflicht zur mangelfreien Lieferung der Kaufsache sein.

a) B war nach dem Kaufvertrag zur Lieferung von Granulat verpflichtet, das für Kunstrasenplätze geeignet war (§ 433 I 2 BGB). Diese Pflicht hatte er verletzt (§ 280 I 1 BGB).

b) Diese Pflichtverletzung müsste er zu vertreten haben (§ 280 I 2). B hatte das Material nicht selbst hergestellt, sondern war als Baustoffhandel GmbH berechtigt, es von einem Vorlieferanten zu beziehen. Der Vorlieferant ist nach h. M. nicht Erfüllungsgehilfe des Verkäufers, so dass der Verkäufer sich ein Verschulden des Vorlieferanten nicht nach § 278 BGB zurechnen lassen muss (BGHZ 177, 224, 235; Lorenz NJW 2013, 207 bezeichnet dies als „noch“ herrschende Ansicht). Ein eigenes Verschulden des B scheidet deshalb aus, weil die Fehlerhaftigkeit des Materials für B nicht erkennbar war und ihn auch keine Untersuchungspflicht traf (ist der Normalfall bei einem Zwischenhändler, so Looschelders JA 2013, 150; zum Nichtbestehen einer Untersuchungspflicht Lorenz NJW 2013, 207).

K hat keinen Schadensersatzanspruch gegen B wegen einer Verletzung des § 433 I 2.

2. Verletzte Pflicht könnte die Verpflichtung zur Nacherfüllung sein (§ 439 I Alt. 2 BGB), wenn diese auch den Ausbau des mangelhaften und den Einbau des mangelfreien Materials umfasst. Allerdings ist dem Wortlaut dieser Vorschrift, die nur von „Lieferung“ spricht, nicht zu entnehmen, dass auch Werkleistungen wie der Aus- und Einbau davon erfasst werden. Etwas anderes könnte sich aber aus einer EU-richtlinienkonformen Auslegung der Vorschrift ergeben.

a) Für den Verbrauchsgüterkauf (§ 474 BGB), der der EU-Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie unterliegt, haben EuGH NJW 2011, 2269 und dem folgend BGHZ 192, 148 = NJW 2012, 1073 entschieden, dass die Nachlieferung i. S. des § 439 I auch den Ausbau und Abtransport der eingebauten mangelhaften Sache erfasst (zur Methode der richtlinienkonformen Auslegung in diesem Fall vgl. Lorenz NJW 2013, 207/8). Daran hält der BGB im vorliegenden Urteil fest, so LS 1 und [16]: In der abschließenden Entscheidung über den dem EuGH vorgelegten Fall des Verbrauchsgüterkaufs hat der Senat § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB richtlinienkonform dahin ausgelegt, dass die Nacherfüllungsvariante „Lieferung einer mangelfreien Sache" auch den Ausbau und den Abtransport der mangelhaften Kaufsache umfasst (…). Für den Einbau der als Ersatz gelieferten Kaufsache kann aufgrund des Urteils des Gerichtshofs nichts anderes gelten; auch insoweit ist eine richtlinienkonforme Auslegung des § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB für den Verbrauchsgüterkauf geboten.

b) Im vorliegenden Fall handelt es sich nicht um einen Kauf zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher (§ 474 I BGB), sondern um den Kaufvertrag zwischen zwei Unternehmen (§ 14 BGB). Dieser unterliegt nicht den Regeln über den Verbrauchsgüterkauf. Hier besteht also keine europarechtliche Verpflichtung zu einer richtlinienkonformen Auslegung, sondern die Auslegung kann sich allein nach methodischen Grundsätzen des deutschen Rechts richten und auch zum Ergebnis kommen, dass entsprechend dem Wortlaut des § 439 I (oben 2.) ein Aus- und Einbau nicht geschuldet sind. Andererseits droht bei einer engeren Auslegung des § 439 I in den Fällen der Unternehmensverträge eine unerwünschte, „gespaltene“ Auslegung des § 439 I. Die damit aufgeworfene Frage, deren Beantwortung in der Lit. umstritten ist (Nachw. bei BGH [17], hatte der BGH im vorliegenden Fall zu entscheiden.

c) Dabei geht der BGH davon aus, dass eine richtlinienkonforme Auslegung auch auf außerhalb der Richtlinie liegende Fälle ausgedehnt werden kann. [20, 21]: Allerdings kann eine richtlinienkonforme Auslegung für das nationale Recht auch über den Geltungsbereich einer Richtlinie hinaus Bedeutung erlangen, wenn eine überschießende Umsetzung einer Richtlinie in das nationale Recht erfolgt ist (vgl. BGHZ 150, 248, 260 f.). Eine Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung richtlinienfreien Rechts ergibt sich bei einer solchen richtlinienüberschießenden Umsetzung zwar nicht aus dem Gemeinschaftsrecht. Sie kann sich aber aus nationalem Recht, das heißt aus einem entsprechenden Willen des nationalen Gesetzgebers, ergeben. Eine richtlinienüberschießende Umsetzung der Richtlinie liegt hier vor. Denn der Gesetzgeber hat die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben für die Nacherfüllung bei deren Umsetzung in das deutsche Recht nicht in die Sonderregelungen für den Verbrauchsgüterkauf (§§ 474 ff. BGB), sondern in die für alle Kaufverträge geltenden Bestimmungen der §§ 433 ff. BGB eingefügt.

d) Ob eine erweiternde Auslegung des § 439 I über die Fälle des Verbrauchsgüterkaufs hinaus dem Willen des deutschen Gesetzgebers entspricht, entnimmt der BGH dem Wortlaut der Vorschrift und der Entstehungsgeschichte. BGH [24 - 28]:

aa) Bei dem Nacherfüllungsanspruch aus § 439 Abs. 1 BGB handelt es sich nach der gesetzgeberischen Konzeption der Schuldrechtsreform um eine Modifikation des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs aus § 433 Abs. 1 BGB (BT-Drucks. 14/6040, S. 221). Bei der in § 439 Abs. 1 BGB als eine der beiden Alternativen der Nacherfüllung vorgesehenen Lieferung einer mangelfreien Sache decken sich nach der Vorstellung des Gesetzgebers, wie schon aus der gesetzlichen Formulierung hervorgeht, der Nacherfüllungsanspruch und der ursprüngliche Erfüllungsanspruch hinsichtlich der vom Verkäufer geschuldeten Leistungen; es ist lediglich anstelle der ursprünglich gelieferten mangelhaften Kaufsache nunmehr eine mangelfreie - im Übrigen aber gleichartige und gleichwertige - Sache zu liefern. Die Ersatzlieferung erfordert daher eine vollständige Wiederholung der Leistungen, zu denen der Verkäufer nach § 433 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB verpflichtet ist; der Verkäufer schuldet nochmals die Übergabe des Besitzes und die Verschaffung des Eigentums einer mangelfreien Sache - nicht weniger, aber auch nicht mehr. Denn mit der Nacherfüllung soll nach der gesetzgeberischen Konzeption der Schuldrechtsreform lediglich eine nachträgliche Erfüllung der Verkäuferpflichten aus § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB durchgesetzt werden; der Käufer soll mit der Nacherfüllung das erhalten, was er vertraglich zu beanspruchen hat (BT-Drucks. a. a. O.…).

bb) Ist demnach die Nacherfüllung darauf beschränkt, die nach § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB vom Verkäufer geschuldete Erfüllung im zweiten Anlauf zu bewerkstelligen, bewahrt sie den Käufer einer mangelhaften Sache nicht ohne Weiteres vor jedweden Vermögensnachteilen. Denn nach dem kaufrechtlichen Gewährleistungssystem der §§ 434 ff. BGB sind über das Erfüllungsinteresse hinausgehende Vermögensnachteile, die beim Käufer dadurch entstehen, dass dem Verkäufer die Erfüllung nicht schon beim ersten, sondern erst beim zweiten Versuch gelingt, nach der Vorstellung des deutschen Gesetzgebers - soweit nicht die besondere Kostenregelung des § 439 Abs. 2 BGB eingreift - nur nach den allgemeinen Regeln über den Schadens- oder Aufwendungsersatz auszugleichen (BT-Drucks. 14/6040, S. 224 f.…). Insofern gehören der Ausbau der mangelhaften Kaufsache und der Einbau der als Ersatz gelieferten Sache nach nationalem deutschem Recht grundsätzlich nicht zu der vom Verkäufer geschuldeten Nacherfüllung

cc) Diese Vorstellungen des deutschen Gesetzgebers über Inhalt und Umfang der Nachlieferungspflicht gemäß § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB stimmen nicht mit dem Verständnis des Gerichtshofs [= EuGH] über den Umfang der Nachlieferungspflicht gemäß Art. 3 Abs. 2 und 3 der Richtlinie überein. Es kann daher nicht angenommen werden, dass es dem Willen des deutschen Gesetzgeber entspräche, eine so weitgehende Ausdehnung der Nachlieferungspflicht, wie sie der Gerichtshof für den Verbrauchsgüterkauf verbindlich vorgenommen hat, im Wege richtlinienkonformer Auslegung über den Verbrauchsgüterkauf hinaus auch auf andere Kaufverträge zu erstrecken. Zwar hat der Gesetzgeber mit der Umsetzung der Vorgaben der Richtlinie für die Nacherfüllung in § 439 BGB eine einheitliche Regelung für alle Kaufverträge angestrebt. Dies beruhte jedoch auf dem dargelegten Fehlverständnis über den von der Richtlinie für den Verbrauchsgüterkauf vorgegebenen Umfang der Nacherfüllungspflicht bei der Ersatzlieferung einer mangelfreien Sache. Deshalb spricht nichts dafür, dass der Gesetzgeber die Nachlieferungspflicht gemäß § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB einheitlich für alle Kaufverträge geregelt hätte, wenn ihm die spätere Auslegung der Richtlinie durch den Gerichtshof bekannt gewesen wäre. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die Umsetzung der Vorgaben der Richtlinie für die Nachlieferungspflicht auf den Verbrauchsgüterkauf beschränkt hätte, wenn ihm damals bereits bekannt gewesen wäre, dass der Gerichtshof der Nachlieferung einen über die Wiederholung der Verkäuferpflichten hinausgehenden, in den Werkvertrag hinein reichenden Inhalt zuweist (…).

dd) Lorenz NJW 2013, 208 stimmt dem BGH zu (ebenso Looschelders JA 2013, 149) und fügt hinzu: „Aus der Sichtweise des deutschen Rechts handelt es sich bei den Aus- und Einbaukosten ganz eindeutig um Schadensersatzansprüche in Bezug auf das Integritätsinteresse in Form sogenannter Mangelfolgeschäden, nicht aber um Erfüllungsansprüche. Verschuldensunabhängige Schadensersatzansprüche des Käufers wollte der Gesetzgeber aber…erklärtermaßen nicht einführen.“ Damit bezieht sich Lorenz auf die im vorliegenden Zusammenhang (unter 2.) allein zu prüfende Frage, ob der Verkäufer aus §§ 437 Nr. 1, 439 I verschuldensunabhängig den Aus- und Einbau schuldet, und verneint diese. Davon zu unterscheiden ist die (weitere) Frage, ob im Falle einer Bejahung (wie beim Verbrauchsgüterkauf) eine schuldhafte Verletzung dieser Pflicht zu einem Schadensersatzanspruch führt, was nicht in Zweifel gezogen werden soll.

ee) Somit ist eine richtlinienkonforme Auslegung des § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB über den Verbrauchsgüterkauf hinaus auf den großen Bereich der Kaufverträge zwischen Unternehmern oder zwischen Verbrauchern abzulehnen.

Insoweit gilt nichts anderes als hinsichtlich der Regelung in § 439 Abs. 4 BGB, deren richtlinienkonforme Reduktion der Senat ebenfalls nicht auf alle Kaufverträge erstreckt, sondern unter Berufung auf die Gesetzesmaterialien auf den Verbrauchsgüterkauf beschränkt hat (BGHZ 179, 27). Diese Entscheidung hat der Gesetzgeber durch die Neuregelung in § 474 Abs. 2 BGB, welche die richtlinienkonforme Einschränkung des § 439 Abs. 4 BGB auf den Verbrauchsgüterkauf beschränkt, bestätigt. Eine gleiche Bestätigung ist für die hier entschiedene Frage zu erwarten. Es liegt ein Referentenentwurf vor, der in einem neuen § 474a den Anspruch auf Ein- und Ausbau regelt und auf den Verbrauchsgüterkauf beschränkt; er soll voraussichtlich am 13. 6. 2014 in Kraft treten (Looschelders JA 2013, 150; Lorenz NJW 2013, 209). Tritt dieser in Kraft, entfällt das Problem einer „gespaltenen“ Auslegung des § 439 I, weil dann überhaupt keine Auslegung mehr erforderlich wird.

e) Ergebnis: B war nicht zum Ausbau des mangelhaften Materials und zum Einbau des Ersatzgranulats verpflichtet und konnte deshalb eine solche Verpflichtung auch nicht verletzen. §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 greifen als Anspruchsgrundlage nicht ein. Der von K geltend gemachte Anspruch auf Ersatz von Kosten in einer Gesamthöhe von 24.909 Euro besteht nicht.


Zusammenfassung