Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
► § 433 BGB: Nichterfüllung des Kaufvertrages durch Verkäufer; Deckungskauf des Käufers; nachträgliche Erfüllung durch Verkäufer. ► Anspruch des Käufers auf Schadensersatz statt der Leistung, §§ 280 I, III, 281 BGB. ► Anspruch auf Verzugsschaden, §§ 280 I, II, 286 BGB. ► Begriff des Verzögerungsschadens; Abgrenzung zum Schaden statt der Leistung
BGH Urteil vom 3. 7. 2013 (VIII ZR 169/12) NJW 2013, 2959 (für BGHZ vorgesehen)
Fall (Biodiesel)
Firma I, die spätere Insolvenzschuldnerin, betrieb eine Spedition. Sie bezog ihren Treibstoff von der B-GmbH. Am 31. 10. 2011 kaufte I von B 2 Mio. Liter Biodiesel für 66 Euro pro 100 Liter, zu liefern in der Zeit vom 16. 4. bis 30. 9. 2012. Nachdem B im April und Mai 2012 insgesamt 355.000 Liter Biodiesel geliefert hatte, teilte sie mit Schreiben vom 4. 6. 2012 der I mit, dass über das Vermögen ihrer Lieferantin L das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei und dass sie von L keinen Diesel mehr erhalte. Da es für sie wirtschaftlich nicht tragbar sei, sich den Biodiesel am Spotmarkt zu Tagespreisen zu besorgen, müsse sie eine weitere Belieferung der I ablehnen; das sei endgültig. I deckte sich deshalb in den Monaten Juni bis September 2012 sukzessive mit Diesel anderer Lieferanten ein, musste dafür aber wesentlich mehr bezahlen, als sie bei einer Belieferung durch B hätte aufwenden müssen; insgesamt beliefen sich die Mehrkosten auf 175.000 Euro.
Daneben verfolgte I ihren Erfüllungsanspruch gegen B weiter und klagte gegen B auf Lieferung. B wurde im Jahre 2013 verurteilt, an I die noch ausstehenden 1.645.000 Liter entsprechend dem Vertrag vom 31. 10. 2011 zu liefern. B kam dem Urteil nach und lieferte die noch geforderten 1.645.000 Liter, die von I bezahlt wurden.
Ende 2013 musste I Insolvenz anmelden. K wurde zum Insolvenzverwalter bestellt. Bei Durchsicht der bei I vorhandenen Unterlagen stieß K auf die der Insolvenzschuldnerin entstandenen Mehrkosten von 175.000 Euro und verlangte von B ihren Ausgleich. Nachdem B eine Zahlung abgelehnt hatte, erhob K gegen B Klage auf Zahlung von 175.000 Euro. Ist die Klage begründet?
I. Die Befugnis des K zur Klage ergibt sich aus § 80 I InsO. Danach geht mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Nach der herrschenden Amtstheorie darf der Insolvenzverwalter die zur Insolvenzmasse gehörenden Rechte kraft seines Amtes im eigenen Namen geltend machen, insbesondere auch durch Klage. Der Erfolg der Klage hängt davon ab, ob ein zur Insolvenzmasse gehörendes Recht vorhanden ist. Im vorliegenden Fall ist das der Fall, wenn zugunsten der I ein Anspruch gegen B in Höhe von 175.000 Euro entstanden ist und noch besteht. Also ist ein Anspruch der I gegen B zu prüfen.
II. Anspruchsgrundlage könnte ein auf Schadensersatz statt der Leistung gerichteter Anspruch aus §§ 280 I, III, 281 BGB sein.
1. Dann müssten die hierfür bestehenden Voraussetzungen erfüllt sein.
a) I und B haben am 31. 10. 2011 einen Kaufvertrag (§ 433 BGB) über 2 Mio. Liter Biodiesel geschlossen.
b) Hiervon hat B 355.000 Liter geliefert. Die weiteren 1.645.000 Liter hat B bis Ende September 2012, dem spätesten Lieferzeitpunkt für diesen Teil, nicht geliefert. Insoweit hat sie ihre Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt (§ 280 I 1) und die Leistung nicht wie geschuldet erbracht (§ 281 I 1). Auf die Voraussetzung des § 281 I 2 kommt es nicht an, weil I keinen Schadensersatz für das Nichterbringen der ganzen Leistung verlangt.
c) Die grundsätzlich nach § 281 I 1 erforderliche Fristsetzung zur Leistung war nach § 281 II entbehrlich, weil B im Schreiben vom 4. 6. 2012 die noch ausstehende Leistung ernsthaft und endgültig verweigert hat.
d) Nach § 280 I 2 haftet B nicht, wenn sie die Nichtleistung nicht zu vertreten hat. Grund für die Nichtleistung war für B die Insolvenz der L. Jedoch wird B dadurch nicht entlastet. Es handelte sich um eine Gattungsschuld, und die Lieferung aus der Gattung Biodiesel war noch möglich. Dass der Einkauf über den Spotmarkt deutlich teurer war, ist unerheblich, weil B insoweit das Beschaffungsrisiko trug (vgl. § 276 I 1 BGB). Indem B sich den Biodiesel in den Monaten Juni bis September nicht anderweit besorgt und statt dessen die Lieferung gegenüber I verweigert hat, hat sie die Pflichtverletzung vorsätzlich begangen.
e) Dadurch wurde I dazu veranlasst, sich den Diesel anderweit durch Deckungskäufe zu besorgen, was zu einem Schaden durch Mehrkosten in Höhe von 175.000 Euro geführt hat. Dabei handelt es sich um einen Schaden, der bei I durch Ausbleiben der Leistung der B eingetreten ist, also um einen Schaden statt der Leistung. Folglich lagen die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch aus §§ 280 I, III, 281 Ende September 2012 vor.
2. Der Anspruch aus §§ 280, 281 BGB auf Schadensersatz könnte deshalb entfallen sein, weil I auch den Erfüllungsanspruch weiter verfolgt und durchgesetzt hat.
a) Den im Vergleich zum vorliegenden Fall umgekehrten Fall regelt § 281 IV BGB. Danach entfällt der Anspruch auf Erfüllung, wenn der Käufer Schadensersatz verlangt.
b) Nicht gesetzlich geregelt sind die Auswirkungen eines (späteren) Erfüllungsverlangens auf einen (früher entstandenen) Schadensersatzanspruch.
aa) Allein das Verlangen einer Erfüllung kann den Schadensersatzanspruch nicht zum Wegfall bringen. Vielmehr ist der Gläubiger berechtigt, Erfüllung zu verlangen und später zum Schadensersatz überzugehen. Das folgt auch aus § 281 I 1, denn die Fristsetzung zur Leistung ist eine Form des Erfüllungsverlangens. Bis zum Verlangen von Schadensersatz (§ 281 IV) hat der Gläubiger ein Wahlrecht zwischen dem Erfüllungsanspruch und einem - tatbestandlich vorliegenden - Schadensersatzanspruch.
bb) Der Schadensersatzanspruch statt der Leistung muss aber erlöschen, wenn der Gläubiger die Leistung erhält. Würde der Gläubiger die Leistung selbst und daneben Schadensersatz statt der Leistung erhalten, würde der Wert, der dem Gläubiger zusteht, unberechtigt verdoppelt. Auch entspricht der Wegfall des Schadensersatzanspruchs in solchem Fall dem Grundsatz, dass die Erfüllung Vorrang vor einem Ersatzanspruch hat. Somit hat I ihren Anspruch aus §§ 280, 281 dadurch verloren, dass B den noch ausstehenden Diesel auf Verlangen der I geliefert hat.
BGH [29]: Der Kläger kann den geltend gemachten Anspruch auf Ersatz der Kosten des Deckungskaufs nicht auf § 280 Abs. 1, 3, § 281 BGB stützen. Zwar lagen die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung zunächst vor, weil die Beklagte die Vertragserfüllung…endgültig verweigert hatte und es deshalb keiner Fristsetzung mehr bedurfte. Grundsätzlich hat der Gläubiger auch die Wahl, ob er Schadensersatz statt der Leistung verlangt oder auf Vertragserfüllung besteht; auch lässt das Erfüllungsverlangen des Gläubigers grundsätzlich dessen Befugnis unberührt, wieder zu einem Schadensersatzanspruch statt der Leistung überzugehen (BGH NJW 2006, 1198 Rn. 19). Der Gläubiger kann aber - selbstverständlich - nicht beides verlangen. Deshalb erlischt der Anspruch des Gläubigers auf die Leistung, wenn er statt der Leistung Schadensersatz verlangt (§ 281 Abs. 4 BGB). Umgekehrt schließt auch die Erfüllung, auf die der Kläger die Beklagte erfolgreich in Anspruch genommen hat, einen Anspruch auf Erstattung von (Mehr-)Kosten eines zuvor getätigten eigenen Deckungsgeschäftes aus. Im Ergebnis kommt es somit zu einem „beidseitigen Wirken des § 281 IV BGB“ (Hilbig-Lugani NJW 2013, 2961).
K steht kein Anspruch aus §§ 280 I, III, 281 zu.
III. Anspruchsgrundlage kann ein Schadensersatzanspruch wegen Verzuges sein (§§ 280 I, II, 286 BGB).
1. Dann müsste B mit einer Verpflichtung aus dem Vertrag vom 31. 10. 2011 in Verzug gekommen sein.
a) In den Monaten Juni bis September 2012 ist B ihrer fälligen Verpflichtung, insgesamt weitere 1.645.000 Liter Diesel zu liefern, nicht nachgekommen.
b) Eine Mahnung war nach § 286 II Nr. 3 BGB entbehrlich, weil B die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert hat.
c) Mangelndes Verschulden (§ 286 IV BGB) der B liegt aus denselben Gründen, wie oben II 1 d) dargelegt, nicht vor. B war somit in der Zeit ab dem 4. 6. 2012 mit den jeweils geschuldeten Teilleistungen in Verzug.
2. Dadurch muss dem Gläubiger ein Schaden entstanden sein. Das BerGer. hatte dazu ausgeführt (vgl. BGH [9]), der Kläger könne von der Beklagten Ersatz des geltend gemachten Verzögerungsschadens nach § 280 Abs. 1 und 2, § 286 BGB… verlangen. Wenn sich der Gläubiger zu höheren Preisen eindecken müsse, weil der Schuldner zunächst nicht leiste, sei nicht zweifelhaft, dass der Gläubiger die Mehrkosten des Deckungsgeschäfts als Verzögerungsschaden geltend machen könne, denn diese Mehrkosten wären nicht entstanden, wenn der Schuldner rechtzeitig geleistet hätte. Ein Gläubiger sei nicht gehindert, neben der Erfüllung Ersatz eines Verzögerungsschadens zu verlangen.
Dabei wird aber übersehen, dass der unter §§ 280, 286 fallende Verzögerungsschaden zum Schaden statt der Leistung und damit zum Anspruch aus §§ 280, 281 abzugrenzen ist. Die beim Anspruch aus §§ 280, 281 oben II 2b) auf der Ebene der Ansprüche behandelte Frage, ob neben der Erfüllung auch die Kosten eines Deckungskaufs verlangt werden können, ist hier innerhalb des Begriffs des Verzögerungsschadens zu entscheiden. Die beim Deckungskauf entstandenen Mehrkosten können nur über §§ 280, 286 verlangt werden, wenn sie noch zum Verzögerungsschaden gehören und neben die Erfüllung treten, nicht dagegen, wenn sie ausschließlich zum Schadensersatz statt der Leistung gehören.
a) BGH [14 - 19] führt zunächst aus, dass die Frage, ob die Kosten eines Deckungskaufs noch zum Verzögerungsschaden gehören, bisher höchstrichterlich nicht entschieden wurde und in der Literatur umstritten ist.
b) Von einer Mindermeinung wird vertreten, die Kosten des Deckungskaufs könnten ein Verzögerungsschaden sein. BGH [20 - 23]: Einige Autoren ordnen die Kosten eines Deckungskaufs als Verzögerungsschaden ein, wenn der Käufer das Deckungsgeschäft vor dem Erlöschen des Erfüllungsanspruchs tätigt. Gegenstand des Schadensersatzes statt der Leistung sei allein derjenige Schaden, der durch das endgültige Ausbleiben der Leistung verursacht werde, etwa wenn der Käufer nach dem erklärten Rücktritt oder nach dem Verlangen von Schadensersatz statt der Leistung einen Deckungskauf vornehme (Lorenz in Festschrift Leenen, 2012, S. 147, 153; Faust in Festschrift Huber, 2006, S. 239, 254; Klöhn, JZ 2010, 46, 47). Die Einordnung als Verzögerungsschaden führt allerdings nach dieser Auffassung nicht dazu, dass der Käufer die Mehrkosten des Deckungsgeschäfts ohne weiteres neben dem Erfüllungsanspruch geltend machen kann. Welche weiteren Voraussetzungen danach bestehen, wird vom BGH unter [22, 23] dargelegt, ist kompliziert und kann hier offen bleiben. -Nach Hilbig-Lugani NJW 2013, 2961 (in einer Anmerkung zu der BGH-Entscheidung) kommen diese Auffassungen zu demselben Ergebnis wie nachfolgend dargestellt.
c) Nach ganz herrschender Auffassung, der auch der BGH folgt, sind die Kosten eines Deckungskaufs kein Verzögerungsschaden. BGH [24 - 28]:
aa) Nach der im Schrifttum ganz überwiegend vertretenen Ansicht können die Mehrkosten eines Deckungsgeschäfts grundsätzlich nur einen Schaden statt der Leistung darstellen und daher nur unter den Voraussetzungen von § 280 Abs. 1 und 3, § 281 BGB geltend gemacht werden (Erman/Grunewald, BGB, 13. Aufl., § 437 Rn. 13; MünchKommBGB/Ernst, 6. Aufl., § 286 Rn. 118; Staudinger/Otto, BGB, Neubearb. 2009, § 280 E 39 und E 5; Staudinger/Löwisch/Feldmann, a. a. O., § 286 Rn. 176; NK-BGB/Dauner-Lieb, 2. Aufl., § 280 Rn. 65; Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Aufl., § 286 Rn. 41; Schmidt-Kessel in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 7. Aufl., § 280 Rn. 32;… Tiedtke/Schmitt, BB 2005, 615, 617; Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 737; Kaiser in Festschrift Westermann, 2008, S. 351, 352; Ostendorf, NJW 2010, 2833, 2838).
bb) Verlange der Käufer die Erstattung der Kosten eines Deckungskaufs, mache er keinen Begleitschaden wegen Verzögerung der Leistung geltend, sondern einen Schaden wegen Ausbleibens der geschuldeten Leistung (Kaiser, a. a. O.; Staudinger/Löwisch/Feldmann, a. a. O.; Schmidt-Kessel, a. a. O.). Ein Deckungskauf sei eine endgültige Ersetzung der ursprünglich erwarteten Leistung durch eine gleichwertige andere; der Schaden ersetze funktional die Leistung, so dass ein Schaden statt der Leistung vorliege (Staudinger/Otto, a. a. O. E 39; NK-BGB/Dauner-Lieb, a. a. O.). Beschaffe sich der Gläubiger die geschuldete Leistung am Markt, stelle er genau den Zustand her (und zwar in Natur), der bei einer Naturalleistung des Schuldners bestünde (Grigoleit/Riehm, a. a. O. S. 736). Teilweise wird darauf abgestellt, dass zur Abgrenzung zwischen dem Schadensersatz statt der Leistung und dem Schadensersatz „neben der Leistung“ zu fragen sei, ob eine Nacherfüllung den eingetretenen Schaden beseitigt hätte (Staudinger/Otto, a. a. O. E 24 f.; Tiedtke/Schmitt, a. a. O.; Ostendorf, a. a. O. S. 2836 f.; Erman/Grunewald, a. a. O.…).
cc) Der Senat folgt der letztgenannten Auffassung. Mehrkosten eines eigenen Deckungskaufs des Käufers sind nicht als Verzögerungsschaden nach § 280 Abs. 1, 2, § 286 BGB ersatzfähig. Denn bei derartigen Kosten handelt es sich nicht um einen Verzögerungs- oder Begleitschaden, sondern um einen Schaden, der an die Stelle der Leistung tritt und den der Gläubiger deshalb nur unter den Voraussetzungen der § 280 Abs. 1, 3, § 281 BGB und somit nicht neben der Vertragserfüllung beanspruchen kann. Wie die Revision zutreffend ausführt, wäre der Kläger, falls ihm neben der im Vorprozess erfolgreich geltend gemachten Vertragserfüllung ein Anspruch auf Erstattung der Mehrkosten des eigenen Deckungskaufs zugebilligt würde, zum Nachteil der Beklagten so gestellt, als hätte er die bestellte Dieselmenge zu dem vertraglich vereinbarten Preis doppelt zu beanspruchen. Hieran wird besonders deutlich, dass die Kosten des eigenen Deckungskaufs des Käufers, der an die Stelle der vom Verkäufer geschuldeten Leistung tritt, nicht neben dieser Leistung als Verzögerungsschaden geltend gemacht werden können.
d) Somit ist der Schaden der I, den sie mit den Kosten eines Deckungskaufs begründet, kein Schaden, der nach §§ 280, 286 verlangt werden kann. Folglich hat I (auch) keinen Anspruch aus §§ 280, 286. Eine weitere Anspruchsgrundlage ist nicht ersichtlich. Die Klage des K gegen B ist unbegründet. Der BGH hat die Klage, die in den Vorinstanzen LG und OLG noch Erfolg gehabt hatte, abgewiesen.
Zusammenfassung