► Rückforderung von Spieleinsätzen bei Spielverträgen trotz Vereinbarung einer „Spielsperre“ §§ 812, 138 BGB ► Schadensersatzansprüche wegen Verletzung von Kontrollpflichten einer Selbst-Spielsperre § 280 BGB ► Freie Beweiswürdigung nach § 286 ZPO ► Schadenss chätzung nach § 287 II ZPO
OLG Hamm Urteil vom 04.12.2006 (22 U 250/05) – juris –
Fall (Rückerstattungsanspruch von Spieleinsätzen?)
K, der spätere Kläger, verspielte zunehmend höhere Bargeldbeträge in der Spielbank der Fa. B in der Stadt S. Aufgrund einer Initiative des K selbst kam es zur Vereinbarung einer sog. „Spielsperre“ mit B, da K sich nicht in der Lage sah, seinen ruinösen Hang zum Spiel zu kontrollieren. Bei Abschluss der Vereinbarung wies der zuständige Mitarbeiter der B den K darauf hin, dass er nunmehr in den großen Spielsaal nicht mehr eingelassen würde. Der Zugang zum Automatenspielsaal werde dagegen nicht kontrolliert. In dem darauf folgenden Halbjahr hob K an Geldautomaten in der näheren Umgebung der Spielbank insgesamt 62.812,21 € ab und verspielte diese im Automatenspielsaal der Spielbank. Abhebung von Geld im Wege des Telecash in der Spielbank selbst vermied der K, da er Sorgen hatte, bei dieser Gelegenheit identifiziert und des Spielcasinos verwiesen zu werden.
Kann K von B Rückzahlung der 62.812,21 € verlangen?
Ergänzungsfrage: Kann K erfolgreich klagen, wenn B bestreitet, dass K die abgehobenen Beträge tatsächlich vollständig im Automatenspielsaal verspielt hat?
I. Ein Anspruch des K könnte sich aus Bereicherungsrecht gem. § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB ergeben. Dann müssten die jeweils zwischen dem und der Spielbank konkludent abgeschlossenen Spielverträge an den Geldautomaten unwirksam sein.
1. Eine Unwirksamkeit der Spielverträge wegen Geschäftsunfähigkeit des K nach § 104 Nr. 2 BGB kommt nicht in Betracht. Dem Sachverhalt ist nicht zu entnehmen, dass die „Spielsucht“ des K derart krankhaft war, dass sie seine freie Willensbestimmung ausschloss.
2. Eine Unwirksamkeit der Spielverträge könnte sich aus dem Gesichtspunkt ergeben, dass ein trotz Eigensperre eines Spielers zwischen ihm und der Spielbank abgeschlossener Spielvertrag unwirksam wäre. Eine solche vertraglich oder nach § 138 BGB begründete Unwirksamkeit wird vom OLG jedoch unter Berufung auf die Rechtsprechung des BGH abgelehnt: Nach den aktuellen Urteilen des BGH vom 15.12.2005 - III ZR 65/05 und III ZR 66/05 ist es nicht zu billigen, den Vertrag über die Selbstsperre so auszulegen, dass die mit einem Spieler, der sich trotz der bestehenden Sperre den Zugang zur Spielbank beschafft, geschlossenen Spielverträge als nichtig zu behandeln und dem Spieler nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen einen Anspruch auf Herausgabe der verlorenen Spieleinsätze zu gewähren, weil dies den berechtigten Interessen der Spielbank nicht gerecht wird. Denn auf der Grundlage eines solchen Lösungsansatzes wäre eine Zahlungspflicht der Bank auch dann zu bejahen, wenn sie ihrer Kontrollpflicht nachgekommen wäre und der gesperrte Spieler sich etwa unter Verwendung gefälschter Ausweispapiere den Zugang zur Bank erschlichen hätte. Dass in einem solchen Falle die Spielbank im Gegenzuge auch einen etwaigen ausgezahlten Spielgewinn zurückfordern könnte, wäre kein angemessener Ausgleich, da es nahe liegt, dass nur der Spieler, der Verluste erleidet, sich der Bank gegenüber offenbart, während der Spielgewinner bestrebt sein dürfte, die Spielbank unter Mitnahme des Gewinns unerkannt zu verlassen. Zudem wäre ein solch überschießendes Fehlverhalten des Spielers ein Umstand, den die Spielbank dem Spieler jedenfalls nach § 254 BGB entgegenhalten könnte.
II. Ein Anspruch des K könnte sich aus § 280 Abs. 1 BGB wegen positiver Vertragsverletzung der Spielsperre ergeben.
1. Dann müsste die Beklagte die Vereinbarung über die Spielsperre schuldhaft verletzt haben. In Betracht kommt die Verletzung einer von ihr im Rahmen der Spielsperre übernommene Überwachungspflicht gegenüber dem K. Das OLG entnimmt im Wege der Vertragsauslegung der einvernehmlich zwischen Spieler und Spielbank vereinbarten Spielsperre eine derartige Pflicht: Anders als bei einer von der Spielbank einseitig einer bestimmten Person erteilten Spielsperre, durch welche die Spielbank in zulässiger Weise von ihrem Hausrecht Gebrauch macht, geht es bei einer einvernehmlich zwischen Spieler und Spielbank vereinbarten Spielsperre darum, dass die Spielbank dem von ihr als berechtigt erkannten Individualinteresse des Spielers entsprechen will. Der sog. "Eigensperre" liegt die kritische Selbsterkenntnis eines durch Spielsucht gefährdeten Spielers in einer Phase zugrunde, in der er zu einer solchen Einschränkung und Selbstbeurteilung fähig ist. Die Spielbank geht mit der Annahme des Antrags auf Eigensperre eine vertragliche Bindung gegenüber dem Antragsteller ein, die auch und gerade dessen Vermögensinteresse schützt, ihn vor den aufgrund seiner Spielsucht zu befürchtenden wirtschaftlichen Schäden zu bewahren. Inhaltlich ist eine solche vertragliche Verpflichtung der Spielbank darauf gerichtet, in ihren Betrieben das Zustandekommen von Spielverträgen mit dem gesperrten Spieler zu verhindern.
Der Spielsperre ist nach Ansicht des OLG auch die Vereinbarung einer Überwachungspflicht hinsichtlich des Automatenspielsaal zu entnehmen, selbst wenn dem Kläger bei Einrichtung der Spielsperre von Mitarbeitern der Beklagten erklärt worden ist, beim Zutritt zum Automatenspielsaal finde keine Personenkontrolle statt. Denn die Überwachung der Selbstsperre stellte die essentielle Vertragspflicht der Beklagten dar (BGH a.a.O.): Allerdings besteht eine solche Verpflichtung zur Verhinderung des Zustandekommens von Spielverträgen grundsätzlich nur im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren. Nachdem der BGH es in den von ihm entschiedenen Fällen (s.o.) noch offenlassen hatte, ob die Durchführung von Personenkontrollen beim Zutritt zu dem in gesonderten Räumen veranstalteten Automatenspiel für die Spielbankleitung zumutbar ist, bejaht das OLG dies: Denn der Sinn der einvernehmlich vereinbarten Spielsperre bestand gerade darin, den Kläger in Zukunft vom Spielbetrieb insgesamt auszuschließen, wozu auch das Automatenspiel gehörte. Die Überwachung der Einhaltung der Spielsperre war gerade die von der Beklagten übernommene "Kardinalpflicht" aus dem abgeschlossenen Selbstsperrvertrag. Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob dem Kläger von vornherein durch ausdrückliche Hinweise des Spielbankpersonals bekannt gewesen ist, dass eine Personenkontrolle vor dem Zutritt zum Automatenspielsaal nicht stattfinden werde. Jedenfalls spätestens nach dem ersten erfolgreichen Zutrittsversuch des Klägers war diesem natürlich bekannt, dass Kontrollen tatsächlich nicht stattfinden würden. Es ist nicht erkennbar, dass die Durchführung von Ausweis- und Personenkontrollen für die Beklagte solch hohe zusätzliche Personalkosten verursachen würde, dass derartige Maßnahmen für sie nicht zumutbar wären. Dies gilt einmal im Hinblick auf die durch den "Spielsperrevertrag" übernommenen vertraglichen Verpflichtungen in Bezug auf den Schutz der Vermögensinteressen der einvernehmlich in die Spielsperre einbezogenen Spieler. Zum anderen ist bei der Frage der Zumutbarkeit konkreter Kontrollmaßnahmen auch zu berücksichtigen, dass sich für die verfassungsgemäße Ausgestaltung eines Wett- oder Spielmonopols materiell-rechtliche und organisatorische Anforderungen ergeben, deren Umsetzung im Einzelfall zwar grundsätzlich dem Gesetzgeber obliegt, die jedoch in jedem Fall an dem Ziel der Suchtbekämpfung und des damit verbundenen Zieles des Spielerschutzes auszurichten ist, auch etwa durch Vorkehrungen wie der Möglichkeit der Selbstsperre (vgl. BVerfG, Urteil v. 28.03.2006 - 1 BvR 105401).
2. Der grundsätzlich gegebene Anspruch aus positiver Vertragsverletzung könnte jedoch ausgeschlossen oder eingeschränkt sein unter dem Gesichtspunkt eines Mitverschuldens des Klägers gem. § 254 BGB. Dieser hat sich schließlich bewusst gegen die Selbst-Spielsperre verstoßen und Kontrollen bei einer eventuellen Geldabhebung im Spielcasino durch Abhebungen außerhalb an Geldautomaten umgangen.
a) Es ergibt sich jedoch bereits aus der Natur des Selbstsperrevertrags, dass die wegen Verletzung ihrer Kontrollpflichten haftbare Spielbank dem gesperrten Spieler nicht dessen "einfaches" Fehlverhalten haftungsmindernd entgegenhalten kann, etwa er habe zur Befriedigung seiner Spielsucht das Hausrecht der Bank verletzt, sich nicht als gesperrter Spieler offenbar oder in Kenntnis fehlender Kontrollen den Zutritt zum Automatenspielsaal gesucht.
b) Ein als Mitverschulden gem. § 254 BGB anzusehendes Fehlverhalten des Klägers liegt auch nicht etwa darin, dass er es vermieden hat, sich Bargeld an der Spielbankkasse im Wege des EC-Cash-Verfahrens zu besorgen, bei welchem er damit rechnen musste, wegen des stattfindenden Abgleichs mit der Sperrekartei aufzufallen und in der Folge abgewiesen zu werden. Ein solches Verhalten ist nicht vergleichbar etwa mit dem Einschleichen eines gesperrten Spielers unter Verwendung gefälschter Ausweispapiere, welches nach den genannten BGH-Entscheidungen als überschießendes Fehlverhalten des Spielers anzusehen wäre mit der Folge, dass ihm die Spielbank den Einwand nach § 254 BGB entgegenhalten könnte.
→ Der K hat damit einen Rückzahlungsanspruch aus § 280 BGB gegen die B.
Ergänzungsfrage: Kann K erfolgreich klagen, wenn B bestreitet, dass K die abgehobenen Beträge tatsächlich vollständig im Automatenspielsaal verspielt hat?
Der K muss seinen Schaden der Höhe nach beweisen. Wenn ihm dies nicht durch Zeugenaussagen gelingt, was in der Praxis kaum vorkommen dürfte, kommt eine Überzeugungsbildung des Gerichts nach § 286 ZPO aus der Anhörung des K oder aus Indizien in Betracht. Im vorliegenden Fall hat das OLG den Kläger angehört und seine Einlassung als grundsätzlich glaubhaft angesehen. Aus der Tatsache, dass die in der Klage geltend gemachten Barabhebungen im unmittelbaren Umkreis um das Spielcasino lagen, hat das OLG geschlossen, dass die Geldabhebungen vom Kläger mit dem Ziel vorgenommen worden sind, sich Bargeld für den Einsatz am Automatenspiel in der Spielbank der Beklagten zu verschaffen (Indizienbeweis).
Die Schadenshöhe selbst kann nach § 287 II ZPO vom Gericht geschätzt werden. Im vorliegenden Fall hat das OLG der Klage nicht in vollem Umfang stattgegeben. Denn im Rahmen der Schätzung ist das OLG nicht davon ausgegangen, dass der Kläger sämtliche in Rede stehenden Beträge, die er mit Hilfe seiner EC-Card vom Konto abgehoben hat, an den Automaten in der Spielbank der Beklagten verspielt hat.Es ist wenig plausibel und auch nicht besonders lebensnah, dass der Kläger bei seinen zahlreichen Besuchen von dem abgehobenen Geld nicht auch Speisen und Getränke verzehrt hat. Das OLG hielt es daher für angebracht, im Wege der Schätzung (§ 287 II ZPO) pro Aufenthaltstag 25 € für Speisen und Getränke in Abzug zu bringen.