Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
► Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch zum Schutz des Grundeigentums, § 1004 BGB; Voraussetzungen und Rechtsfolge; Unterlassungsanspruch, der durch aktives Tun zu erfüllen ist. ► Duldungspflicht aus § 906 BGB; landesrechtliches Nachbarrecht. ► Auslegung von Gesetzen: „übertreten“ von Wasser auch durch unterirdischen Zufluss?
BGH Urteil vom 12. 6. 2015 - V ZR 168/14 -
Fall (Niederschlagswasser)
E ist Eigentümer eines im Grundbuch unter Nr. 74 eingetragenen Grundstücks, das er überwiegend gärtnerisch nutzt. Das Nachbargrundstück, eingetragen unter Nr. 76, gehört B. Auf diesem betreibt B eine Kfz.-Werkstatt. Vor einigen Jahren hat B auf dem Grundstück Kfz.-Abstellplätze und eine Halle errichten lassen. In diesem Zusammenhang wurde das Gelände durch ein Verbundsteinpflaster teilweise versiegelt. Da das Grundstück nicht an eine öffentliche Kanalisation angeschlossen ist, wird das Niederschlagswasser in eine Versickerungsanlage geleitet. Die Oberflächen der Grundstücke des E und des B sind durch eine Kante voneinander abgetrennt.
Seit einiger Zeit stellt E fest, dass der Grundwasserspiegel auf seinem Grundstück stark angestiegen ist, so dass in seinem Garten die bisher angebauten Pflanzen nicht mehr gedeihen. In einem Sachverständigengutachten wird festgestellt, dass infolge der Bebauung und Teilversiegelung des Grundstücks des B das anfallende Niederschlagswasser auf diesem Grundstück nicht mehr ausreichend versickern kann und dass auch die Versickerungsanlage nur wenig Wasser auf dem Grundstück des B hält. Das meiste Wasser versickert zwar, fließt aber mit dem Grundwasserstrom unter den Garten des E.
E verlangt von B Maßnahmen, die den Zustrom von Wasser, der Folge des baulichen Zustandes des Grundstücks des B ist, verhindern. Er beruft sich auf § 37 des Landes-Nachbarrechtsgesetzes (NachbG), in dem unter der Überschrift „Dachtraufe“ bestimmt ist: „Der Eigentümer und der Nutzungsberechtigte eines Grundstücks müssen ihre baulichen Anlagen so einrichten, dass Niederschlagswasser nicht auf das Nachbargrundstück tropft, auf dieses abgeleitet wird oder übertritt.“ Auch befürchtet E, dass das von dem Werkstattgelände des B abfließende Regenwasser mit Schadstoffen belastet ist. Demgegenüber hält B § 37 NachbG nach Wortlaut und Gesetzessystematik für nicht einschlägig. Auch sei ein Grundwasserstrom unterhalb der Grundstücke ein natürlicher Vorgang, sei ortsüblich und von E hinzunehmen. Bau der Halle und Pflasterung lägen schon mehr als drei Jahre zurück, so dass eventuelle Ansprüche des E verjährt wären. Hat eine Klage des E Aussicht auf Erfolg?
I. Gegen die Zulässigkeit einer Klage bestehen keine Bedenken. Da E und B Privatpersonen sind, ist die Klage im Zivilrechtsweg (§ 13 GVG) zu verfolgen. Im Originalfall haben Landgericht, OLG und letztlich der BGH den Rechtsstreit entschieden. Welche Maßnahmen E im einzelnen verlangen kann und welcher Klageantrag zu stellen ist, wird zweckmäßigerweise erst behandelt, wenn geklärt ist, ob E einen Anspruch hat und welche Anspruchsgrundlage eingreift.
II. Für die Begründetheit der Klage bedarf es eines Anspruchs des E gegen B. § 37 NachbG (in NRW: § 27 NachbG NRW) ist zwar für die Lösung des Falles von Bedeutung, wurde aber von den Gerichten im vorliegenden Fall nicht als Anspruchsgrundlage herangezogen. Die Vorschrift zielt ihrem Wortlaut nach nur auf ein bestimmtes Verhalten des Grundstücksberechtigten und regelt nicht, ob der beeinträchtigte Nachbar darauf einen Anspruch hat und was ggfs. Inhalt dieses Anspruchs wäre. Allerdings ist nicht zweifelhaft, dass die Vorschrift im Interesses des Nachbarn erlassen ist, so dass es möglich wäre, dem Nachbarn im Wege der Auslegung daraus einen Anspruch zuzubilligen. Eine dahingehende Auslegung würde sich aber auf die dort geregelten Fälle, dass Wasser „tropft, auf dieses abgeleitet wird oder übertritt“, beschränken. Demgegenüber gewährt der sogleich zu prüfende § 1004 BGB einen umfassenderen Schutz, so dass eine Anwendung dieser Vorschrift vorzugswürdig ist. Auch ist nicht anzunehmen, dass § 37 als landesrechtliche Vorschrift neben die bundesrechtliche Anspruchsgrundlage des § 1004 tritt oder diese sogar verdrängt.
III: Anspruchsgrundlage für einen Anspruch des E gegen B kann § 1004 I BGB sein. Dabei kann an dieser Stelle noch offen bleiben, ob ein Anspruch auf Störungsbeseitigung (§ 1004 I 1) oder auf Unterlassung (§ 1004 I 2) in Betracht kommt. Die wesentlichen Voraussetzungen für beide Formen des Anspruchs sind gleich und nachfolgend zu prüfen.
1. Es muss eine Beeinträchtigung des Eigentums des E vorliegen, die nicht in einer Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes besteht (Abgrenzung zu § 985 BGB). Nach h. M. ist Eigentumsbeeinträchtigung jede von außen kommende Einwirkung auf die Sache, die für den Eigentümer nachteilig oder ihm jedenfalls unwillkommen ist (vgl. Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, 8. Aufl. 2011, § 35 Rdnr. 2). Zum Grundstück des E gehört auch der Bereich unterhalb der Erdoberfläche (§ 905 BGB). Auf diesen wirkt der Zufluss von zusätzlichem Grundwasser ein. Er ist für E nachteilig, weil E die Pflanzen, die er anbauen will (§ 903 BGB), nicht mehr sinnvoll anbauen kann. Diese Nutzungseinschränkung ist eine Eigentumsbeeinträchtigung.
2. Der Anspruch aus § 1004 I BGB richtet sich gegen den Störer. Störer ist, wem die Beeinträchtigung des Eigentums aufgrund einer Kausalbeziehung zugerechnet werden kann. Ähnlich wie im Polizei- und Ordnungsrecht wird zwischen Handlungsstörer und Zustandsstörer unterschieden. Handlungsstörer ist, wer die Beeinträchtigung durch sein Verhalten adäquat kausal verursacht (BGH NJW 2005, 1366, 1368/9; 2007, 432/3). Zustandsstörer ist der Eigentümer, Besitzer oder Verfügungsbefugte einer Sache, von der die Beeinträchtigung ausgeht, sofern die Beeinträchtigung zumindest mittelbar auf seinen Willen zurückzuführen ist oder er den störenden Zustand willentlich aufrecht erhält (BGH a. a. O.); das Eigentum an der störenden Sache allein begründet noch keine Verantwortlichkeit i. S. des § 1004 BGB. Rechtsfolgen hängen von der Unterscheidung Handlungs- und Zustandsstörer nicht ab, sie kann aber die Subsumtion erleichtern.
a) Damit B Handlungsstörer ist, müsste das Veranlassen der baulichen Maßnahmen sowie die Einrichtung der nicht ausreichend dimensionierten Versickerungsanlage adäquat kausal die Beeinträchtigung des E herbeigeführt haben. Adäquat kausal sind diese Maßnahmen, wenn sie nach der Lebenserfahrung geeignet waren, zu dem Grundwasseranstieg bei E und zu der Nutzungseinschränkung zu führen. Auf den ersten Blick ist eine derartige Nutzungseinschränkung als Folge einer offenbar normalen Bebauung allerdings fernliegend. Andererseits liegt es nicht gänzlich außerhalb der Lebenserfahrung, dass eine unzulängliche Niederschlagswasserentsorgung zu einer Wasseransammlung beim Nachbarn und dort zu Schäden führt. Diese Überlegung spricht dafür, B als Handlungsstörer anzusehen. Nach MüKo/Baldus, 6. Aufl. 2013, § 1004 Rdnr. 153 ist es allerdings zweifelhaft, ob es für eine Handlungsstörung ausreicht, wenn ein gegenwärtiges störendes Handeln nicht mehr vorliegt und lediglich an ein Handeln in der Vergangenheit angeknüpft wird. Ob B Handlungsstörer ist, soll deshalb letztlich offen bleiben.
b) B ist jedenfalls Zustandsstörer. Der schädigende Wasserzufluss ist eine Folge der Beschaffenheit seines Grundstücks, die darin besteht, dass wegen der Bebauung und teilweisen Versiegelung auf dem Grundstück nicht genügend Regenwasser versickern kann. Die Beschaffenheit des Grundstücks hat B durch die baulichen Maßnahmen willentlich herbeigeführt und hält sie willentlich aufrecht. Sie ist keine reine Folge eines Naturereignisses. Bei einem natürlichen Verlauf würde das Niederschlagswasser auf dem Grundstück versickern oder oberflächlich ablaufen. B ist somit Störer i. S. des § 1004 I BGB.
3. Dem Anspruch könnte eine Duldungspflicht des E entgegenstehen. Auch könnten sich aus einem Rechtswidrigkeitserfordernis weitere Anforderungen ergeben.
a) Dass eine Duldungspflicht zu prüfen ist und dass der Anspruch aus § 1004 I BGB nur durchgreift, wenn diese nicht besteht, folgt aus der Regelung des § 1004 II BGB. Teilweise wird auch die Rechtswidrigkeit der Beeinträchtigung verlangt (Palandt/Bassenge, BGB, 75. Aufl. 2016, § 1004 Rdnr. 12, 34). Andererseits wird darauf hingewiesen, dass § 1004 BGB die Rechtswidrigkeit nicht als Voraussetzung enthält (MüKo/Baldus § 1004 Rdnr. 192) und dass auch bei der Parallelvorschrift des § 985 BGB die Rechtswidrigkeit des Besitzes keine Voraussetzung für den Herausgabeanspruch ist (NomosKomm/Schulte-Nölke, BGB, 8. Aufl. 2014, § 1004 Rdnr. 6). Andere verlangen zwar Rechtswidrigkeit, setzen diese aber mit dem Fehlen einer Duldungspflicht gleich (Nachw. bei Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, 8. Aufl. 2011, S. 297 Fn. 64). Wird Rechtswidrigkeit als Voraussetzung verlangt, ist zusätzlich umstritten, ob es auf die Rechtswidrigkeit der die Störerhaftung begründenden Handlung oder auf den Beeinträchtigungszustand ankommt (vgl. Westermann/Gursky/Eickmann S. 297 Fn. 64, 65). Zu den aufgeworfenen Fragen wird hier dahingehend Stellung genommen, dass kein Bedürfnis dafür ersichtlich ist, über die Regelung des § 1004 II hinaus Rechtswidrigkeit als (ungeschriebene) Voraussetzung für einen Anspruch aus § 1004 zu fordern. Der BGH hat den Anspruch aus § 1004 bejaht, ohne etwas zur Rechtswidrigkeit auszuführen. Deshalb erfolgt in dieser Falllösung keine selbstständige Prüfung der Rechtswidrigkeit.
b) Die nach § 1004 II den Anspruch ausschließende Duldungspflicht kann sich aus privatrechtlichen und aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften sowie aus einem Vertrag ergeben (Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, S. 297). Im vorliegenden Fall könnte § 906 BGB eine Duldungspflicht begründen. Danach hat ein Eigentümer bestimmte vom Nachbargrundstück ausgehende Einwirkungen zu dulden.
aa) Die Vorschrift behandelt die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnlichen von einem anderen Grundstück ausgehenden Einwirkungen. Wasser wird dort nicht aufgeführt. Bei der Frage, was ähnliche Einwirkungen sind, ist davon auszugehen, dass § 906 nur „unwägbare Stoffe“ (Vorschriftsüberschrift), sog. Feinimmissionen erfasst, während Wasser eine Grobimmission ist, die nicht unter § 906 fällt (Palandt/Bassenge, 75. Aufl. 2016, § 906 Rdnr. 5). BGH [9] Als sog. Grobimmission zählt der Wasserzufluss als solcher nicht zu den Immissionen im Sinne des § 906 Abs. 1 BGB (BGHZ 90, 255, 258). Etwas anderes gilt nur, wenn eine unwägbare Substanz im Sinne der Vorschrift in abfließendes Regenwasser gerät und auf diese Weise dem Nachbargrundstück zugeführt wird (BGHZ 90, 255, 259). Daher ist § 906 BGB bei der Beurteilung, ob ein Eigentümer einen von einem Nachbargrundstück herrührenden Wasserzufluss dulden muss, grundsätzlich nicht heranzuziehen… Dem steht nicht entgegen, dass nach der st. Rspr. des Senats ein Ausgleichsanspruch entsprechend § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auch bei Störungen durch Grobimmissionen wie Wasser in Betracht kommt (BGHZ 157, 188, 190; 198, 327 Rn. 7). Um einen solchen Anspruch geht es hier aber nicht.
Selbst wenn § 906 I BGB anwendbar wäre, würde eine Duldungspflicht des E daran scheitern, dass § 906 I eine nur unwesentliche Beeinträchtigung verlangt, dass aber die Unmöglichkeit, wie bisher Pflanzen in dem Garten anzubauen, eine wesentliche Beeinträchtigung ist.
bb) § 906 Abs. 2 BGB erfasst auch wesentliche Beeinträchtigungen, wenn sie ortsüblich sind, was B behauptet. Auch hier muss aber eine Feinimmission gegeben sein; Wasser fällt auch nicht unter § 906 II. Schon deshalb greift § 906 II nicht ein. Davon abgesehen, kann der Wasserzufluss nicht ortsüblich sein, weil es bei gewerblich genutzten Grundstücken der absolute Normalfall ist, dass das Niederschlagswasser durch eine öffentliche Kanalisation abgeführt wird, entweder zusammen mit dem Schmutzwasser (Mischkanalisation) oder durch eine eigene Leitung (Trennkanalisation), so dass es nicht dem Nachbargrundstück zugeführt wird. Aus § 906 BGB ergibt sich also keine Duldungspflicht des E.
c) § 37 NachbG begründet keine Duldungspflicht des Grundstückseigentümers zugunsten von Einwirkungen aus dem Nachbargrundstück. Vielmehr enthält die Vorschrift Verbote zum Schutze des Eigentümers, verstärkt also die Rechtsstellung des Eigentümers und beschränkt diese nicht. Allerdings ist im vorliegenden Fall nicht zweifelsfrei, ob sich eine Duldungspflicht des E daraus ergeben könnte, dass das zusätzliche Wasser zusammen mit dem natürlichen Grundwasserstrom, den E zu dulden hat, unter sein Grundstück fließt. Dieser Zweifel würde ausgeräumt, wenn sich aus § 37 NachbG ergeben würde, dass B gegen diese Vorschrift verstößt und E den Wasserzufluss nicht zu dulden brauchte. Für die Vertreter der Rechtsauffassung, nach der für einen Anspruch aus § 1004 die positive Feststellung erforderlich ist, dass die Beeinträchtigung rechtswidrig ist (oben 3 a), könnte § 37 eine dahingehende Feststellung ermöglichen und wäre insofern sinnvoll und anzuwenden. Noch weiter geht der BGH, indem er Vorschriften des Nachbarrechts zum Inhalt des Anspruchs aus § 1004 macht. [7] Inhalt und Umfang des Anspruchs aus § 1004 BGB im Einzelnen ergeben sich bei derartigen Beeinträchtigungen aus der gesetzlichen Regelung des Nachbarrechts, das durch einen Ausgleich der einander widerstreitenden Interessen der Nachbarn gekennzeichnet ist und sich nicht nur als Bundesrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch befindet (§§ 906 ff. BGB), sondern auch in den die allgemeinen nachbarrechtlichen Bestimmungen ändernden und ergänzenden Vorschriften des Bundesrechts (z. B. § 37 WHG) sowie in den Vorschriften des Landesrechts enthalten ist, die nach Art. 1 Abs. 2 und Art. 124 Satz 1 EGBGB dem Landesgesetzgeber vorbehalten sind. Nur in dem hiernach gegebenen Rahmen kann der Eigentümer Beeinträchtigungen abwehren (vgl. BGH NJW-RR 2000, 537, 538). BGH [8] Inwieweit der Kläger den Zufluss vermehrten Sickerwassers auf sein Grundstück verhindern kann, richtet sich nach § 37 Abs. 1 NachbG.
d) Somit ist zu prüfen, ob B im vorliegenden Fall gegen § 37 NachbG verstößt. Von den drei Fällen des § 37 kommt nur in Betracht, dass Niederschlagswasser vom Grundstück des B auf das des E „übertritt“. Damit ist zunächst der oberirdische Zufluss gemeint, der im vorliegenden Fall nicht gegeben ist. Die für den vorliegenden Fall wesentliche Frage geht dahin, ob ein Übertreten auch vorliegt, wenn Wasser unterirdisch zum Nachbargrundstück fließt. Nach der bisher ganz überwiegenden Auffassung in Lit. und Rspr. (so BGH [12]) ist ein „Übertreten“ von Niederschlagswasser auf das Nachbargrundstück nur gegeben, wenn es sich um einen oberirdischen Zufluss von einem Grundstück auf das Nachbargrundstück handelt. Demgegenüber sollen die nachbarrechtlichen Vorschriften keinen Beseitigungsanspruch begründen, wenn das Wasser auf dem Grundstück, auf dem es als Niederschlag auftrifft, einsickert und dabei den Boden des Nachbargrundstücks unterirdisch durchfeuchtet (folgen Nachw.).Zur Begründung wird im Wesentlichen auf den Wortlaut der nachbarrechtlichen Vorschriften verwiesen. Bei einem Einsickern in den Boden könne man nicht davon sprechen, dass Niederschlagswasser „übertrete" (Dehner, Nachbarrecht, 7. Aufl., B § 26 III. 1 c).
Der BGH hat zu dieser Frage bisher nicht Stellung genommen und prüft nach den Regeln für die Auslegung von Gesetzen, ob unter „Übertreten“ auch der unterirdische Zufluss zu verstehen ist.
(1) Zwar legt der Wortlaut von „übertritt“ eine positive Antwort auf die gestellte Frage nicht nahe (vgl. oben nach d), er steht ihr aber auch nicht entgegen. BGH [15] Ebenso wie bei den anderen Alternativen des § 37 Abs. 1 NachbG, nämlich dem Tropfen und dem Ableiten von Niederschlagswasser auf das Nachbargrundstück, wird auch mit dem „Übertreten“ eine Modalität der Ortsveränderung des Wassers von dem einen Grundstück auf das andere beschrieben. Begrifflich ist diese Modalität nicht auf einen oberirdischen Zufluss beschränkt. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Ausdruck „übertreten“ unter anderem im Sinne von „irgendwohin gelangen“ (vgl. Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 3. Aufl., Band 9, Stichwort „übertreten“) oder aber auch im Sinne von „etwas gelangt in etwas hinein“ (vgl. Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Sechster Band 1981, Stichwort „übertreten“) verstanden. Nach der Wortlautauslegung wäre es also möglich, dass ein „Übertreten“ auch den unterirdischen Zufluss erfasst.
(2) Da Materialien aus der Entstehungsgeschichte nicht vorliegen, ist (3) die Gesetzessystematik heranzuziehen.
(a) Die Vorschrift steht in einem Zusammenhang, der mit „Dachtraufe“ überschrieben ist. BGH [20] Zwar mag diese Überschrift Vorschriften erwarten lassen, die sich mit dem Traufwasser befassen, also Niederschlagswasser, das vom Dach abtropft oder über Dachrinnen und Fallrohre abgeleitet wird. Hierauf beschränkt sich der Abschnitt jedoch nicht. Vielmehr erklärt sich die Überschrift damit, dass das Gesetz gerade kein Traufrecht anerkennen wollte. Dieser Zielsetzung entspricht ein Normverständnis, das nicht der ursprünglichen Vorstellung des vom Dach tropfenden Niederschlagswassers verhaftet bleibt, sondern auf die bebauungsbedingte Veränderung des Abflusses des Niederschlagswassers zu Lasten des Nachbarn abstellt. Dann aber kommt es auf den Weg, den das Niederschlagswasser vermehrt zum Nachbarn nimmt, nicht entscheidend an.
(b) Ein systematisches Argument für eine weite Auslegung von „Übertreten“ ergibt sich aus einem Blick auf die andere Alternative des § 37 NachbG, das „Ableiten“. BGH [19] Der Zweck der Vorschrift, den Eigentümer vor einem Eingriff in den natürlichen Ablauf des Wassers zu schützen, gebietet es, unter einem „Ableiten“ sowohl das ober- als auch das unterirdische gezielte oder unbewusste Ableiten zu verstehen (…). Es kann keinen Unterschied machen, ob ein Grundstückseigentümer, der das auf seinen baulichen Anlagen niedergehende Wasser auffängt und es über ein Rohr auf das benachbarte Grundstück ableitet, das Rohr ober- oder unterirdisch verlegt. Gleiches könnte man auch für „Übertreten“ annehmen. Systematische Überlegungen sprechen somit für eine weite Auslegung von „Übertreten“, ohne dass sie aber entscheidend wären.
(4) Letztlich muss eine teleologische Auslegung, d. h. eine Auslegung nach Sinn und Zweck des Gesetzes, entscheiden. BGH [18] Wenn der Eigentümer auf seinem Grundstück bauliche Anlagen errichtet, die ursächlich dafür sind, dass dem Nachbargrundstück vermehrt Niederschlagswasser zugeführt wird, greift er in den natürlichen Ablauf des Wassers ein. Gegen solche Beeinträchtigungen seines Eigentums soll § 37 Abs. 1 NachbG den Nachbarn schützen (vgl. hierzu Dehner, Nachbarrecht, 7. Aufl., § 26 III 2 b). Bauliche Anlagen können aber nicht nur dazu führen, dass Niederschlagswasser, das ohne die Anlagen auf dem Grundstück verblieben wäre, von der Oberfläche des Grundstücks auf die Oberfläche des Nachbargrundstücks fließt. Ebenso können die baulichen Anlagen zur Folge haben, dass das Niederschlagswasser nur teilweise auf dem Grundstück versickert und als Sickerwasser unterirdisch vermehrt auf das Nachbargrundstück übertritt. Der Eigentümer ist in beiden Fällen gleichermaßen schutzwürdig. So liegt es, wenn die baulichen Anlagen dazu führen, dass das Niederschlagswasser gesammelt an einer bestimmten Stelle auf dem Grundstück auftrifft, und diese Konzentration die ansonsten erfolgende weit- und tiefflächige Versickerung verhindert und zu einem vermehrten unterirdischen Zufluss von Sickerwasser auf dem Nachbargrundstück führt.
Somit sprechen systematische Erwägungen und letztlich entscheidend der Schutzzweck des § 37 NachbG dafür, ein Übertreten des Wassers auch dann anzunehmen, wenn das Wasser unterirdisch zum Nachbargrundstück gelangt. Folglich war B nach § 37 NachbG verpflichtet, das zu verhindern. Da er dieser Verpflichtung in der Vergangenheit nicht nachgekommen ist und ihr auch gegenwärtig nicht nachkommt, verstößt er gegen § 37 NachbG. Damit steht fest, dass ein Anspruch aus § 1004 I BGB gegeben ist.
e) Dagegen liegt ein Verstoß gegen § 37 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) nicht vor. Nach § 37 WHG darf der natürliche Wasserabfluss nicht zum Nachteil eines anderen Grundstücks verändert werden. BGH [10] Die wasserrechtlichen Vorschriften des § 37 WHG finden nur auf wild abfließendes Wasser Anwendung, also auf Wasser, das unmittelbar auf den unversiegelten Boden fällt. Hiervon zu unterscheiden ist sog. Baulichkeitswasser, das von einem auf dem Nachbargrundstück stehenden Gebäude bzw. einer baulichen Anlage auf das bebaute Grundstück abgelaufen und von dort auf das Nachbargrundstück gelangt ist. Auf dieses ist die Vorschrift des § 37 NachbG anzuwenden (…). Der Vorrang des Nachbarrechts gegenüber dem Wasserrecht gilt auch dann, wenn Niederschlagswasser von einer baulichen Anlage zunächst auf das eigene Grundstück abfließt und anschließend auf das Nachbargrundstück übertritt (…).
4. Nunmehr ist zu entscheiden, ob § 1004 I Satz 1 oder Satz 2 BGB eingreift, weil bei Satz 2 die weitere Voraussetzung vorliegen muss, dass zukünftig Beeinträchtigungen zu besorgen sind. Außerdem hängt die Rechtsfolge von der Einordnung ab.
a) Bei dem Anspruch nach Satz 1 verlangt der Eigentümer Beseitigung einer eingetretenen Störung, bei Satz 2 verlangt er Unterlassung künftiger Störungen. Das Interesse des E kann nur auf Unterlassung eines weiteren unterirdischen Zuflusses von Wasser gerichtet sein. Dagegen spricht nicht, dass B diesen Zufluss nur durch ein aktives Tun verhindern kann, etwa durch Anschluss an eine Kanalisation, durch die Verbesserung der vorhandenen Versickerungsanlage oder durch eine zusätzliche Anlage. Es ist anerkannt, dass es Unterlassungspflichten gibt, die nur durch aktives Handeln erfüllt werden können. Wer zur Unterlassung des Betriebs einer Maschine verurteilt wird, muss, wenn die Maschine in Betrieb ist, diese abstellen. BGH [28] Die Verurteilung des Beklagten zu einem positiven Tun, nämlich zur Ergreifung geeigneter Maßnahmen, durch die verhindert wird, dass Sickerwasser von seinem Grundstück auf das Grundstück des Klägers einsickert, ändert nichts an dem Bestehen einer Unterlassungsverpflichtung. Es geht dem Kläger darum, künftige Störungen seines Eigentums zu verhindern. Lässt sich - wie hier - die drohende Beeinträchtigung nur durch aktives Eingreifen verhindern, schuldet der zur Unterlassung Verpflichtete das erforderliche positive Tun (BGH NJW 2004, 1035, 1037). Somit ist § 1004 I Satz 2 BGB Anspruchsgrundlage.
b) BGH [27] Die weitere Voraussetzung für einen Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB, dass weitere Beeinträchtigungen zu besorgen sind, ist erfüllt. Da…der Beklagte das Eigentum des Klägers bereits beeinträchtigt hat, spricht für das Vorliegen der erforderlichen Wiederholungsgefahr eine tatsächliche Vermutung (vgl. BGH NJW 2004, 1035, 1036).
5. Aus der Bejahung einer Unterlassungspflicht folgt auch, dass dieser Anspruch nicht - wie von B geltend gemacht - verjährt ist. BGH [31] Der Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB verjährt in der Regelverjährungsfrist, die… nach §§ 195, 199 Abs. 4 BGB drei Jahre bzw. maximal 10 Jahre beträgt (vgl. BGH NJW 2014, 2861 Rn. 7). In allen Fällen setzt der Lauf der Verjährungsfrist voraus, dass der Anspruch entstanden ist. Bei Unterlassungsansprüchen kommt es insoweit gemäß § 199 Abs. 5 BGB auf die Zuwiderhandlung an. Diese kann hier nicht bereits in der…Errichtung der Halle gesehen werden. Der Schwerpunkt der Störung liegt vielmehr darin, dass es der Beklagte seit dieser Errichtung dauernd unterlässt, die baulichen Anlagen auf seinem Grundstück so einzurichten - beispielsweise durch eine ordnungsgemäße Entwässerung -, dass nicht vermehrt Niederschlagswasser auf das Grundstück des Klägers einsickert. Bei einer derartigen Sachlage kommt eine Verjährung des Unterlassungsanspruchs nicht in Betracht, wobei dahinstehen kann, ob es sich um eine einheitliche Dauerhandlung handelt, die den rechtswidrigen Zustand fortlaufend aufrechterhält und die Frist deshalb gar nicht in Gang gesetzt wird, oder wiederholte Störungen jeweils neue Ansprüche begründen (vgl. BGH Urteil vom 8. Mai 2015 - V ZR 178/14 juris Rn. 9). Zum selben Ergebnis, aber mit einer anderen Begründung kommt NomosKomm BGB/Schulte-Nölke § 1004 Rdnr. 13. Danach ist der zugunsten eines Grundstückseigentümers aus § 1004 fließende Anspruch ein Anspruch aus einem eingetragenen Recht, der nach § 902 I 1 BGB keiner Verjährung unterliegt.
6. Abschließend ist die Rechtsfolge des § 1004 I 2 BGB genauer zu bestimmen. Aus ihr ergibt sich der von E zu stellende Klageantrag, mit dem eine Klage des E Erfolg hätte. Rechtsfolge und Klageantrag lassen sich so formulieren wie der Tenor des BGH-Urteils, welcher lautet:
Der Beklagte wird verurteilt, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, durch die verhindert wird, dass aufgrund der baulichen Gestaltung seines Grundstücks in M. (eingetragen im Grundbuch für M., Flurstück-Nummer 76) vermehrt Sickerwasser von diesem Grundstück in das angrenzende Gartengrundstück des Klägers (eingetragen im Grundbuch für M., Flurstück-Nummer 74) einsickert, dort den Grundwasserstand erhöht und die Nutzbarkeit des Grundstücks beeinträchtigt.
Ergänzende Hinweise:
I. In der Falllösung nicht behandelt wurde die Befürchtung des E, dass das von dem Werkstattgelände des B abfließende Regenwasser mit Schadstoffen belastet ist. Denn abgesehen davon, dass das eine bloße Befürchtung war, die nicht durch Tatsachen untermauert wurde, kam es für die Prüfung und das Ergebnis nicht darauf an. Allerdings sind Fälle, in denen das Grundstück mit schadstoffbelastetem Grundwasser unterspült wird, nicht selten.
1. Vom OLG Köln behandelt wurde ein Fall, in dem der Grundstückseigentümer vom Emittenten Schadensersatz verlangt. Der Fall liegt dem BGH in der Revisionsinstanz vor und wird dort unter dem Aktenzeichen V ZR 152/14 geführt. Besprochen wird die Problematik solcher Fälle von Nusser/Müller in der „Zeitschrift für Deutsches und Europäisches Wasser-, Abwasser- und Bodenschutzrecht“ (W+B) 2015, 24-30.
2. Zur kaufrechtlichen Sachmängelproblematik BGH NJW 2013, 1671: Ein zu Wohnzwecken genutztes Grundstück ist mit einem Sachmangel im Sinne des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB behaftet, wenn es von Grundwasser durchströmt wird, das mit Giftstoffen (Cyaniden) belastet ist.
II. Dass das Eigentum an dem unterirdisch strömenden Wasser keine Bedeutung hatte, ergibt sich auch daraus, dass es am fließenden Wasser und am Grundwasser kein Eigentum gibt. § 4 II WHG: „Wasser eines fließenden oberirdischen Gewässers und Grundwasser sind nicht eigentumsfähig.“
Zusammenfassung