Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Mordversuch, §§ 211, 22 StGB. Rücktritt vom Versuch, § 24 StGB; fehlgeschlagener Versuch; unbeendeter und beendeter Versuch. Abgrenzung Tötungsdelikte - § 218 StGB. Schwangerschaftsabbruch, § 218 StGB

BGH Beschluss vom 2. 11. 2007 (2 StR 336/07) www.bundesgerichtshof.de

Fall (Schwangerschaftsabbruch durch Mordversuch)

A und die 16-jährige S nahmen intime Beziehungen zueinander auf, wovon S kurz danach schwanger wurde. Zunächst zogen A und S in eine gemeinsame Wohnung. Nach zwei Monaten trennte sich S jedoch von A und zog zu ihrer Mutter.

A suchte telefonisch und persönlich den weiteren Kontakt mit S und besuchte S in der Wohnung ihrer Mutter. Er bat S um eine weitere Chance. S antwortete, es werde keine weitere Chance geben, sondern sie wolle nur noch eine freundschaftliche Beziehung wegen des zu erwartenden gemeinsamen Kindes.

Daraufhin zog A, weil er S keinem anderen Mann gönnte, ein mitgebrachtes Küchenmesser von 12 cm aus der Tasche und stieß es S in Tötungsabsicht mit voller Wucht in die Brust. S schrie auf, zog sich das Messer aus der Brust und legte es vor sich auf den Tisch. A nahm es wieder auf und versetzte S noch weitere sieben Stiche in die Brust und in den Hals. Er rechnete auch damit, dass das ungeborene Kind mit sterben würde. Inzwischen war ein Bekannter (B) der S aus dem Nebenzimmer hinzugekommen und trat zwischen A und S. A, der dem B körperlich überlegen war, stieß B zur Seite. A erkannte, dass S an den Verletzungen sterben würde, wurde von Mitleid mit S erfasst und beschloss, „sie noch zu retten“. Er ging auf den Balkon und warf das Messer auf die Straße. Danach rief er von seinem Mobiltelefon die Nr. 112 an und forderte den Notarzt an.

S konnte durch die Hilfe des Notarztes und eine Notoperation gerettet werden. Sie wurde noch im Erstaufnahmeraum des Krankenhauses durch einen Notfallkaiserschnitt von einer Tochter T entbunden. Nach der sofortigen Herzoperation musste sie sich zwei weiteren Operationen unterziehen. In Folge der Operationen trug sie mehrere Narben am Oberkörper davon. T, die nach der Entbindung auf die Frühgeborenenintensivstation verlegt wurde, verstarb dort einige Tage später in Folge eines wegen der Stichverletzungen ihrer Mutter erlittenen Herz-Kreislauf-Stillstandes. Ohne diesen Herz-Kreislauf-Stillstand hätte sie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit überlebt.

Strafbarkeit des A ?

A. Mordversuch an S

 A könnte sich wegen versuchten Mordes (§§ 211, 23 I, 22 StGB) strafbar gemacht haben.

I. Dann müsste er Tatentschluss zur Begehung eines Mordes gehabt haben.

1. Er hatte den Entschluss gefasst, S durch Messerstiche zu töten.

2. Als Mordmerkmal kommt Heimtücke in Betracht. Es ist davon auszugehen, dass S in dem Augenblick des Gesprächs mit A, in dem es um die Gestaltung der Zukunft auch unter dem Aspekt des zu erwartenden gemeinsamen Kindes ging, nicht mit einem Angriff auf ihr Leben rechnete, also arglos war. Außerdem war sie gegenüber dem mit einem Messer ausgerüsteten A wehrlos. Beides hat A zur Begehung der Tat ausgenutzt. Dadurch wurde bereits ein Mordmerkmal erfüllt. Zusätzlich ist festzustellen, dass A aus niedrigen Beweggründen gehandelt hat. Einen Menschen umzubringen, weil man ihn keinem anderen Partner gönnt, ist ein das Leben missachtender, auf sittlich tiefster Stufe stehender Beweggrund. Somit hatte A Tatentschluss zur Begehung eines Mordes.

II. Durch die vorgenommenen Stiche hatte A zur Verwirklichung der Tat unmittelbar angesetzt (§ 22 StGB).

III. Die Strafbarkeit wegen versuchten Mordes könnte durch Rücktritt vom Versuch entfallen sein (§ 24 I 1 StGB).

1. Ein Rücktritt ist nur noch möglich, wenn die Versuchstat noch andauert, nicht dagegen, wenn sie fehlgeschlagen ist. Im vorliegenden Fall könnte ein Fehlschlag des Versuchs durch das Dazwischentreten des B eingetreten sein. Das hatte das Landgericht bejaht, während der BGH dem nicht folgt.

a) BGH Rdnr. 7: Richtig ist zwar, dass nach st. Rspr. des BGH ein strafbefreiender Rücktritt ausgeschlossen ist, wenn der Versuch fehlgeschlagen ist (vgl. etwa BGHSt 34, 53, 56; 35, 90, 94; 39, 221, 227; 41, 369)… Fehlgeschlagen ist der Versuch, wenn der Erfolgseintritt nach der letzten Ausführungshandlung im unmittelbaren Handlungsfortgang und mit nahe liegenden Mitteln

 Für die Feststellung eines Fehlschlags ist daher nicht in erster Linie auf den ursprünglichen Tatplan, sondern auf den Erkenntnishorizont des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung abzustellen.

b) Nach den Feststellungen des Landgerichts war hier zum Zeitpunkt der Vornahme der letzten Ausführungshandlung des Angeklagten der Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs, also der Tod der Geschädigten, objektiv ohne Weiteres möglich, denn S wäre ohne das Eingreifen des Notarztes binnen kurzer Zeit an den ihr von dem Angeklagten zugefügten Stichverletzungen gestorben. Dass der Angeklagte diese Sachlage verkannt und den Eintritt des Erfolgs irrtümlich für nicht mehr möglich gehalten haben könnte, wäre schon mit der Feststellung nicht vereinbar, dass er den Notruf gerade deshalb absetzte, um die Geschädigte "noch zu retten".

Somit steht ein Fehlschlag des Versuchs einem strafbefreienden Rücktritt nicht entgegen.

2. Ob die erste oder die zweite Rücktrittsvariante des § 24 I 1 StGB in Betracht kommt, hängt davon ab, ob ein nicht beendeter Versuch (dann 1. Alt,) oder ein beendeter Versuch (dann 2, Alt.) vorliegt.

a) Nicht beendet ist der Versuch, wenn der Täter davon ausgeht, dass es für die Herbeiführung der Tatvollendung, insbesondere für die Herbeiführung des Taterfolges, noch weiterer Handlungen bedarf. Glaubt er dagegen, bereits alles getan zuheben, damit die Tat vollendet wird, ist der Versuch beendet (BGH NStZ 2007, 399).

b) A hatte erkannt, dass er der S bereits so schwere Stichverletzungen zugefügt hatte, dass sie ohne Herbeirufen des Notarztes gestorben wäre (BGH oben 1b). Es lag somit ein beendeter Versuch vor. A konnte nur noch zurücktreten, wenn er gemäß § 24 I 1 2. Alt. StGB die Vollendung der Tat verhindert („tätige Reue“).

3. Für die Tatverhinderung braucht der Angeklagte nicht die entscheidende Ursache gesetzt zu haben. Es genügt, wenn er irgendein Verhalten vorgenommen hat, das - ggfs. zusammen mit anderen Ursachen - die Vollendung der Tat verhindert hat und dabei auch in Verhinderungsabsicht gehandelt hat (BGH NStZ 2006, 502). A hat den Notarzt herbeigerufen, dessen Eingreifen im Zusammenhang mit den späteren ärztlichen Maßnahmen den Tod der S verhindert hat. Dabei hatte er die Absicht, S zu retten. Folglich hat A den Tod der S verhindert.

4. Diese Handlung hat er ohne Zwang von außen und auch subjektiv aus freien Stücken vorgenommen, folglich auch freiwillig gehandelt.

Folglich ist A vom Mordversuch nach § 24 I 1 2. Alt. wirksam zurückgetreten und wird nicht wegen versuchten Mordes bestraft.

B. Gefährliche Körperverletzung, §§ 223, 224 I Nr. 2, Nr. 5 StGB

 I. A hat S durch die Stiche in ihren Körper vorsätzlich an der Gesundheit geschädigt.

II. Dies hat er mittels der Verwendung des Küchenmessers als eines gefährlichen Werkzeugs (Nr. 2) und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (Nr. 5) getan.

III. Diese Tat war vollendet, so dass ein Rücktritt nicht mehr in Betracht kam. A hat sich deshalb wegen gefährlicher Körperverletzung der S strafbar gemacht.

C. Eine schwere Körperverletzung (§ 226 I Nr. 3 StGB) könnte vorliegen, wenn S durch die Stiche oder die Operationsfolgen in erheblicher Weise dauernd entstellt worden wäre. Diese Voraussetzungen werden aber durch mehrere Narben am Oberkörper noch nicht erfüllt.

D. Vollendeter Mord an T (§ 211 StGB)

I. Die Messerstiche des A sind auch Ursache dafür gewesen, dass T an den Folgen des Angriffs auf ihre Mutter gestorben ist.

II. Voraussetzung für ein Tötungsdelikt nach §§ 211, 212, 222 StGB ist aber, dass ein Mensch getötet worden ist. Dass T im Zeitpunkt ihres Todes ein Mensch war, steht außer Zweifel. Fraglich ist aber: 1) ob diese Voraussetzung auch schon vorher, zum Tatzeitpunkt, erfüllt war und, falls diese Frage zu verneinen ist, 2) welcher Zeitpunkt für die Frage, ob T ein Mensch i. S. der §§ 211, 212, 222 war, maßgeblich ist.

1. Da das ungeborene Kind über die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs nach § 218 StGB geschützt wird, ist die Frage 1) gleichbedeutend mit der Frage nach der Abgrenzung des § 218 von §§ 211/212/222.

a) BGH Rdnr. 12 - 14: Die Grenzlinie der Anwendungsbereiche des § 218 StGB einerseits und der Tötungsdelikte andererseits war bis zum Jahre 1998 der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des § 217 StGB zu entnehmen. Denn nach dieser Vorschrift wurde eine Mutter, welche ihr nichteheliches Kind in oder gleich nach der Geburt tötete, mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft, während der Schwangerschaftsabbruch nach § 218 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe geahndet wird. Aus der Systematik dieser Normen folgte, dass eine Tötung nach Beginn der Geburt nicht mehr als Schwangerschaftsabbruch (Tötung der Leibesfrucht), sondern als Tötung eines Kindes, also eines Menschen, anzusehen war (BGHSt 31, 348, 350 f. m. w. N.). Ungeachtet der Aufhebung des § 217 StGB… wird diese Grenzlinie auch heute noch durch die Geburt bestimmt… Diese Abgrenzung…ergibt sich…aus der Systematik der Tatbestandsmerkmale der §§ 212 Abs. 1, 222 StGB einerseits und des § 218 Abs. 1 StGB andererseits, welche den Beginn des Menschseins mit der Folge der Anwendbarkeit der Tötungstatbestände erst an das Ende der Schwangerschaft, also die Geburt, anknüpft (ausführl. hierzu Küper GA 2001, 515, 533 ff.; H.J. Hirsch in Festschr. für Eser, 2005, S. 309 ff.; weit. Nachw. bei Fischer, StGB, 55. Aufl., vor § 211 Rdn. 3 a.E.).

b) Da somit die Geburt für die Abgrenzung maßgeblich ist, war T erst seit ihrer Geburt ein Mensch i. S. des § 211. Vorher war sie eine Leibesfrucht i. S. des § 218. Zum Tatzeitpunkt liegen danach die Voraussetzungen des § 211 nicht vor.

2. Allerdings könnte für die hier gegebene Situation eine Ausnahme eingreifen. Es könnte ausreichen, dass T im Zeitpunkt ihres Todes ein Mensch war, und dass deshalb ein Tötungsdelikt möglich war. Dieser Überlegung folgt der BGH jedoch nicht. Rdnr. 15: Eine rechtliche Bewertung der Tat als Tötungsdelikt zum Nachteil des Kindes ergibt sich hier auch nicht deswegen, weil zwar die Einwirkung des Angeklagten auf das Kind bereits vor der Geburt erfolgt, der tatbestandsmäßige Erfolg, also der Tod der Leibesfrucht, aber erst nach der Geburt des Kindes eingetreten ist (so allerdings für den Bereich der Vorsatzdelikte insb. Tepperwien, Praenatale Einwirkungen als Tötung oder Körperverletzung?, Tübingen 1973, 47 ff., 55 ff., 95 ff.,138 ff.). Denn maßgeblich für die Abgrenzung der Anwendungsbereiche des § 218 StGB einerseits und der Tötungsdelikte andererseits ist der Zeitpunkt, zu dem die auf die Herbeiführung des Erfolgs gerichtete Handlung des Täters auf das Opfer einwirkt. Dies war hier der Zeitpunkt des Eintritts des Herz-Kreislauf-Stillstandes des ungeborenen Kindes in Folge der Verletzung der Mutter.

Somit bleibt es bei dem unter 1b) gefundenen Ergebnis, dass auf die Tat des A § 211 nicht anwendbar ist. Vielmehr ist die Tat allein nach § 218 zu beurteilen.

E. Schwangerschaftsabbruch (§ 218 StGB)

I. A müsste die Schwangerschaft der S abgebrochen haben.

1. Eine Abtreibung - der Normalfall des § 218 - hat A nicht vorgenommen. Aber auch die (sonstige) Tötung eines Kindes im Mutterleib fällt unter den Schwangerschaftsabbruch.

BGH Rdnr. 16, 17: Diese rechtliche Bewertung ergab sich in den bis 1943 geltenden Fassungen der Abtreibungstatbestände bereits unmittelbar aus dem Wortlaut des Gesetzes: Denn sowohl die §§ 218, 220 in der ursprünglichen Fassung des Reichsstrafgesetzbuches als auch § 218 StGB in der Fassung des Gesetzes vom 18. Mai 1926 (RGBl. I, 239) sahen als Tatbestandsalternativen der Tötung der Leibesfrucht entweder "im Mutterleib" oder "durch seine Abtreibung" vor… Zwar enthält der Wortlaut des § 218 StGB in seinen Neufassungen…die beiden genannten Tatbestandsmodalitäten nicht mehr ausdrücklich. Nach st. Rspr. des BGH erfasst aber der Tatbestand weiterhin sowohl die Abtötung der Leibesfrucht im Mutterleib als auch die Tötung durch dessen Abtreibung (BGH, Urt. vom 12. Mai 1953 1 StR 796/52 ; BGHSt 10, 5 f.; 13, 21, 24; 31, 348, 352)…

Danach ist die Einwirkung auf die Leibesfrucht im Mutterleib, die später zum Tode des Kindes führt, ein Schwangerschaftsabbruch.

2. BGH Rdnr. 18: Einer Bestrafung wegen Schwangerschaftsabbruchs stünde hier nicht entgegen, dass das in der 25. Schwangerschaftswoche geborene Kind angesichts des Grades seiner Ausreifung mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits lebensfähig gewesen wäre… Es ist nicht zutreffend, dass der Tatbestand des § 218 Abs. 1 StGB nur bis zu dem Zeitpunkt verwirklicht werden könne, zu dem das ungeborene Kind bereits genügend ausgereift ist, um im Falle seiner Ausstoßung aus dem Mutterleib bereits selbständig weiterleben zu können. Vielmehr erfasst der Tatbestand gerade auch diejenigen Fälle, in denen die Einwirkung des Täters auf eine bereits selbständig lebensfähige Leibesfrucht zunächst zu einer Lebendgeburt geführt, das Kind jedoch die Verletzungen, die es durch die auf den verfrühten Abgang gerichteten Handlungen erlitten hatte, nicht überlebt

 3. Somit hat A durch seine Stiche in den Körper der S, die gleichzeitig so auf T eingewirkt haben, dass diese später verstorben ist, einen Schwangerschaftsabbruch begangen. Diese Tat hat A vorsätzlich begangen, weil er damit gerechnet hat, dass das ungeborene Kind abstirbt, und dies offensichtlich auch billigend in Kauf genommen hat.

II. A hat auch rechtswidrig und schuldhaft gehandelt.

III. Weiterhin greift die Qualifikation des § 218 III Nr. 2 StGB ein, wonach ein besonders schwerer Fall vorliegt, wenn der Täter leichtfertig die Gefahr des Todes der Schwangeren verursacht. Das muss erst recht gelten, wenn er die Gefahr des Todes sogar vorsätzlich herbeiführen will (LK/Kröger, 11. Aufl., § 218 Rdnr. 65).

Ergebnis: A ist strafbar wegen einer gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit (§ 52 I StGB) mit einem Schwangerschaftsabbruch in einem besonders schweren Fall.

Zusammenfassung