Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß / As. iur. Matthias Dominok, LL. M.

Mordmerkmale, § 211 StGB. Notwehr, § 32 StGB. Einschränkungen des Notwehrrechts

BGH Urteil vom 12. 2. 2003 (1 StR 286/04) NJW 2003, 1955 = BGHSt 48,207 und BGH Urteil vom 6. 10. 2004 (1 StR 286/04) www.bundesgerichtshof.de

Es handelt sich um einen schwierigen, aber zu zahlreichen interessanten und wichtigen Rechtsfragen führenden Fall, mit dem der BGH zweimal befasst war. Zunächst hatte das Landgericht den Angeklagten wegen Heimtückemordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Dagegen hatte der Angeklagte Revision eingelegt. Der BGH hatte in seinem ersten Revisionsurteil NJW 2003,1955 das Tatbestandsmerkmal der Heimtücke verneint und die Sache an das Schwurgericht zurückverwiesen. Dieses verurteilte den Angeklagten nun wegen eines Verdeckungsmordes. Die hiergegen eingelegte Revision des Angeklagten wurde vom BGH mit dem neueren Urteil vom 6. 10. 2004 verworfen. Im Folgenden wird der Fall unter Heranziehung beider BGH-Entscheidungen gelöst.

Fall (Wehrhaftes Erpressungsopfer)

Der A betrieb in nicht geringem Umfang Handel mit illegal kopierten CDs. Dies blieb auch seinem Bekannten B nicht verborgen. Dieser beschloss, aus seinem Wissen Kapital zu schlagen. Er drohte A, ihn zusammenschlagen zu lassen und bei der Polizei wegen der Geschäfte mit den Raubkopien anzuzeigen, falls er nicht an den Einnahmen des A beteiligt werde. Auf diese Weise presste er dem A in mehreren Teilbeträgen insgesamt 3.000 € ab. Damit war B jedoch nicht zufrieden. Eines Tages besuchte er A in dessen Wohnung und eröffnete ihm, dass er die sofortige Zahlung von weiteren 2.500 € verlange. Sollte A nicht zahlen, werde er unverzüglich bei der Polizei Anzeige erstatten. A lehnte die Zahlung des Betrags ab. Daraufhin kam es zu einem heftigen Streit, in dessen Verlauf B mit seinem Mobiltelefon demonstrativ im Beisein des A bei der Polizei anrief und einen Termin für den nächsten Tag vereinbarte, in dem er der Polizei sein Wissen um die illegalen Geschäfte des A mitteilen wollte. Bevor er die Wohnung verließ, drohte er A nochmals an, ihn zusammenschlagen zu lassen.

Am Abend des gleichen Tages erschien B stark angetrunken und in aggressiver Stimmung wiederum in der Wohnung des A, diesmal in Begleitung des C. Es kam erneut zum Streit wegen der Geldforderung des B. In dessen Verlauf forderte dieser erneut die Zahlung von 2.500 € und drohte für den Fall der Nichtzahlung, Wertgegenstände aus der Wohnung mitzunehmen und A bei der Polizei, dem Finanzamt und den Sozialbehörden anzuzeigen. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, ließ er sich von C dessen Mobiltelefon geben und stellte eine sofortige Meldung bei der Polizei in Aussicht. A bot daraufhin die Zahlung von 600 € an. B beharrte jedoch auf seiner ursprünglichen Forderung und erklärte, er werde jetzt Wertsachen aus der Wohnung des A mitnehmen, um so wenigstens an einen Teil seines Geldes zu kommen. Zudem drohte B, dass A demnächst mit dem Besuch tschetschenischer Freunde zu rechnen habe, die ihn aufschlitzen würden. Als A zur Zahlung der 2.500 € noch immer nicht bereit war, verlor B die Geduld und schrie mit dem Telefon des C in den Händen: „Ich brauche das Geld nicht! Ich rufe jetzt die Polizei an!“ A war nun von der Ernsthaftigkeit der Drohung überzeugt, holte eine Plastiktüte mit dem Geld, übergab sie dem C und stellte sich danach hinter die frei im Raum stehende Couch, auf der B mit dem Rücken zu ihm saß. Erfüllt von Hass und Zorn gegen den immer gierigeren B war er nunmehr entschlossen, eine Anzeige bei der Polizei und anderen Behörden mit allen Mitteln zu verhindern und sich des B für immer zu entledigen; auf die Sicherung seines Eigentums und des dem C übergebenen Geldes kam es ihm in diesem Augenblick nicht an. Für B völlig überraschend riss er dessen Kopf an den Haaren nach hinten und fügte ihm mit einem zuvor unauffällig eingesteckten Küchenmesser mit einer ca. 6 cm langen Klinge mehrere kräftige Schnitte an der Vorderseite des Halses zu, durch welche das Halsgewebe mitsamt sämtlicher großen Blutgefäße bis zur Wirbelsäule geöffnet wurde. Durch den schlagartigen Blutverlust wurde B sofort bewusstlos und verstarb wenige Augenblicke später infolge Verblutens, was A auch beabsichtigt hatte. C flüchtete, von A unbehelligt, mitsamt des Geldes. Strafbarkeit des A ?

I. A könnte sich durch sein Verhalten eines Totschlags gemäß § 212 I StGB strafbar gemacht haben.

1. Indem A dem B vorsätzlich mit dem Küchenmesser den Hals aufschnitt, hat A den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 212 I StGB erfüllt.

2. Weiterhin müsste A rechtswidrig gehandelt haben. Sein Verhalten könnte gemäß § 32 StGB durch Notwehr gerechtfertigt sein.

a) Hierfür müsste eine Notwehrlage vorgelegen haben. Dieses setzt einengegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff voraus.

aa) Ein Angriff ist jedes menschliche Verhalten, das die unmittelbare Gefahr der Verletzung eines Rechtsguts eines anderen begründet. Vorliegend waren gleich mehrere Rechtsgüter des A bedroht. Zum einen stellten die seit dem Beginn der Erpressung im Raum stehenden Drohungen des B einen permanenten Angriff auf die Willensfreiheit des A dar. Zum anderen waren Eigentum und Vermögen des A in akuter Gefahr. B hatte keinen Anspruch auf das Geld sowie die Gegenstände des A. Die Angriffe waren daher auch rechtswidrig.

bb)Gegenwärtig ist der Angriff, wenn er unmittelbar bevorsteht, begonnen hat oder noch fortdauert. Der Angriff auf die Willensfreiheit des A war gegenwärtig, da der Angriff angesichts der im Raum stehenden Drohungen des B begonnen hatte. A hatte allerdings das erpresste Geld bereits an C übergeben, als er gegen B vorging, so dass es an der Gegenwärtigkeit des Angriffs bezüglich des Eigentums und Vermögens fehlen könnte. Der Tatbestand der Erpressung gemäß § 253 I StGB war zu diesem Zeitpunkt bereits erfüllt. Es ist jedoch anerkannt, dass ein Angriff solange gegenwärtig bleibt, solange die Gefahr für das bedrohte Rechtsgut noch abgewendet werden kann und die Rechtsgutsverletzung noch nicht endgültig eingetreten ist ( Tröndle/Fischer § 32 Rdnr. 10). Die Erpressungstat von B und C war zwar bereits vollendet, aber noch nicht beendet, da B und C die Beute noch nicht gesichert hatten. Der Angriff von B und C auf das Eigentum des A war daher zum Zeitpunkt der Notwehrhandlung des A noch gegenwärtig.

b) Weiterhin müsste eine erforderliche Notwehrhandlung des A gegeben sein. Erforderlich ist alles, was eine wirksame Beendigung des Angriffs erwarten lässt und die endgültige Beseitigung der Gefahr am besten gewährleistet. Unter mehreren, gleich wirksamen Verteidigungsmöglichkeiten ist diejenige zu wählen, die den geringsten Schaden anrichtet. Geht der Angriff von mehreren Personen aus, so kann auch die nacheinander erfolgende Ausschaltung der Angreifer geeignet sein, den Angriff zu beenden. Allerdings hätte A eventuell zunächst eine körperliche Auseinandersetzung mit den Angreifern suchen und in deren Verlauf den Einsatz der potentiell tödlichen Klinge hätte androhen müssen.

BGH NJW 2003, 1957: Ist der Angreifer nämlich unbewaffnet und ihm die Bewaffnung des Verteidigers unbekannt, so ist je nach der Auseinandersetzungslage grundsätzlich zu verlangen, dass er den Einsatz der Waffe androht, ehe er sie lebensgefährlich oder gar gezielt tödlich einsetzt. Auf der anderen Seite muss der Verteidiger zur Schonung des Angreifers ein nicht bloß geringes Risiko, dass ein milderes Verteidigungsmittel fehlschlägt und dann keine Gelegenheit mehr für den Einsatz eines stärkeren Verteidigungsmittels bleibt, nicht eingehen. Auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang muss er sich nicht einlassen. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass sich A zwei Angreifern gegenüber sah, weshalb das Risiko, in einer körperlichen Auseinandersetzung zu unterliegen, als nicht gering einzustufen ist. Hinsichtlich einer möglichen Drohung mit dem Messer ist zweifelhaft, ob B und C durch die Bedrohung mit einem Küchenmesser mit einer nur 6 cm langen Klinge sich von ihrem Angriff hätten abbringen lassen. Die Notwehrhandlung war daher erforderlich.

c) Die Verteidigungshandlung müsste ferner gemäß § 32 I StGB geboten gewesen sein. Daran fehlt es, wenn trotz Erforderlichkeit der Verteidigung von dem Angegriffenen aus Rechtsgründen ein anderes Verhalten, also die Hinnahme der Rechtsgutsverletzung oder eine eingeschränkte und risikoreiche Verteidigung zu verlangen ist (Tröndle/Fischer § 32 Rdnr. 18). Um der Notwehr die vom Gesetzgeber gewollte Schärfe nicht zu nehmen, kann die Gebotenheit nur innerhalb enger Fallgruppen verneint werden.

aa) Eine solche Fallgruppe stellt die Notwehrprovokation dar, die sich wiederum in die Unterfälle der Absichtsprovokation und der Fahrlässigkeitsprovokationunterteilen lässt.

(1) Bei der Absichtsprovokation führt der Angegriffene die Verteidigungslage absichtlich herbei, um unter dem Deckmantel der Notwehr den Angreifer zu verletzen. Kennzeichnend ist also, dass der Täter den Verteidigungswillen nur vortäuscht, in Wahrheit aber angreifen will (Tröndle/Fischer § 32 Rdnr. 23). A hat sich zu seinem tödlichen Angriff erst entschlossen, als er auf Grund der Drohungen des B keinen anderen Ausweg mehr sah, als das geforderte Geld zu übergeben. Eine Absichtsprovokation des A liegt daher nicht vor.

(2) Führt der Angegriffene die Notwehrlage in rechtswidriger oder zumindest sozialethisch zu missbilligender Weise vorwerfbar herbei, so kann sein Notwehrrecht unter dem Gesichtspunkt der Fahrlässigkeitsprovokation eingeschränkt sein, wenn zwischen dem Vorverhalten und dem rechtswidrigen Angriff ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang besteht. Das fahrlässige Vorverhalten des A könnte darin liegen, dass er B und C in seine Wohnung ließ.A musste damit rechnen, dass die Erpresser ihre Forderung mit Nachdruck vorbringen würden und auf diese Weise eine Eskalation der Situation eintreten könnte. BGH NJW 2003, 1959: Indes führt die bloß fahrlässige oder gar leichtfertige Herbeiführung einer Notwehrlage nicht zu einer Einschränkung des Maßes der gebotenen Verteidigung. Entscheidend istnicht, ob der später Angegriffene die Entwicklung vorhersehen konnte, sondern ob der Angreifer sich durch das vorwerfbare Verhalten des von ihm Angegriffenen provoziert fühlen konnte. Daran aber fehlt es, denn das Einlassen ist ersichtlich nicht zur Provokation erpresserischer Drohungen geeignet. Ein weiterer möglicher Anknüpfungspunkt für das Vorliegen einer Fahrlässigkeitsprovokation ist der illegale Handel des A mit Raubkopien. Dieser erfüllt den Tatbestand der §§ 108 I Nr. 5, 108 a I UrhG. Der BGH weist jedoch darauf hin, dass auch demjenigen, der früher eine strafbare Handlung begangen hat, … grundsätzlich ein uneingeschränktes Notwehrrecht zur Seite steht, wenn er in einem anderen Zusammenhang selbst Opfer einer Straftat wird. Er hat nicht etwa deshalb, weil die gegen ihn gerichtete Tat … vom Täter an seine gegen die Rechtsgüter Dritter begangene eigene Straftat angeknüpft wird, einen „Status minderen Rechts“, der Erpresser nicht deswegen einen größeren, im Ergebnis nicht notwehrfähigen Freiraum für seinen Rechtsbruch (BGH NJW 2003, 1959). Die von A begangenen Straftaten nach dem UrhG richteten sich nicht gegen Rechtsgüter des B, da dieser nicht Inhaber der Urheberrechte an den vervielfältigten CDs ist. Der Verteidigungshandlung des A gegen den Angriff des B haftet daher unmittelbar kein eigenes Unrecht des A an, wie dies etwa bei einer direkt gegen B gerichteten Provokation der Fall gewesen wäre. Das Vorverhalten des A mag die Erpressung zwar kausal verursacht haben, eine vorwerfbare Provokation des B ist aber nicht gegeben. Zudem fehlt ein enger räumlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen den strafbaren Urheberrechtsverletzungen des A und dem erpresserischen Angriff des B. Eine notwehreinschränkende Fahrlässigkeitsprovokation des A liegt somit ebenfalls nicht vor.

bb) In der Lehre wird teilweise eine Einschränkung des Notwehrrechts des Erpressten im Fall einer Schweigegelderpressung („Chantage“) angenommen. Diese Form der Erpressung ist dadurch gekennzeichnet, dass der Täter mit der Offenbarung rechtlich verwerflicher Tatsachen droht und für sein Schweigen Geld fordert. Dabei führe der Erpresste die gegenüber dem Erpresser bestehende Notwehrlage durch sein rechtlich vorwerfbares Verhalten, mit dessen Offenbarung gedroht wird, selbst schuldhaft herbei (Tröndle/Fischer § 32 Rdnr. 19a m. w. Nachw.). Der BGH lehnt eine Einschränkung des Notwehrrechts in dieser Situation jedoch ab, wenn der Angriff des Erpressers auf die Willensentschließungsfreiheit zugleich in einen gegenwärtigen Angriff auf das Vermögen übergeht, mit weiteren Übelsandrohungen verstärkt wird und der Angreifer im Angesicht des Opfers dabei ist, mit aktuell realisierbaren – auch konkludenten – Drohungen gegen Sachwerte und etwa auch die körperliche Integrität des Opfers seinen Angriff auf das Vermögen zu vollenden und zu beenden (BGH NJW 2003, 1959). B hatte A gedroht, ihn „aufschlitzen“ zu lassen. Zudem kündigte er an, Wertgegenstände aus der Wohnung mitzunehmen, wobei A damit rechnen musste, dass B und C die Wegnahme mit körperlicher Gewalt durchsetzen würden. B schickte sich somit an, die Erpressung mittels weiterer Drohungen und aktuell realisierbarer Gewalt gegen A zu vollenden. Zumindest in solchem Fall ist das Notwehrrecht des A nicht aufgrund einer Schweigegelderpressung eingeschränkt.

Eine Einschränkung des Notwehrrechts des A greift somit nicht ein. Die Verteidigungshandlung des A war nach § 32 I StGB geboten.

d) Der Angegriffene muss ferner mit Verteidigungswillen handeln. Umstritten ist dabei, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Wille anzunehmen ist (Tröndle/Fischer § 32 Rdnr. 14 und Lackner/Kühl § 32 Rdnr. 7 m. w. Nachw.). Nach dem BGH handelt mit Verteidigungswillen, wer den Angriff als solchen und seine Rechtswidrigkeit erkennt und durch sein Verhalten der Rechtsverletzung entgegentreten will.

A war im Moment seiner Verteidigungshandlung von Hass und Zorn auf B erfüllt, der sich auf Kosten des A immer ungenierter bereichern wollte. Bereits das könnte der Annahme eines Verteidigungswillens im Wege stehen. Der BGH führt hierzu aus, dass die Annahme eines Verteidigungswillens auch dann in Frage komme, wenn neben der Abwehr des Angriffs auch andere Ziele und Motive, wie Hass, Wut oder Vergeltungsstreben verfolgt werden, solange sie den Verteidigungszweck nicht völlig in den Hintergrund drängen. Im vorliegenden Fall hat A den B nicht deshalb angegriffen, um den Verlust der 2.500 € oder die ersatzweise drohende Wegnahme von Wertgegenständen zu verhindern. Das zeigt sich auch daran, dass er nach der Tat keine Anstrengungen unternahm, die Flucht des C mitsamt des Geldes zu verhindern. Vielmehr handelte er allein, um eine Aufdeckung seiner eigenen Straftaten zu verhindern und „sich des B für immer zu entledigen“. Daraus folgt, dass der Wille des A auf eine Bereinigung der ihn bedrückenden Situation zielte und nicht auf eine Verteidigung gegen den Angriff auf sein Eigentum und Vermögen. Er handelte daher ohne den erforderlichen Verteidigungswillen.

Eine Rechtfertigung gemäß § 32 I StGB scheidet somit aus.A hat sich wegen eines Totschlags gemäß § 212 I StGB strafbar gemacht.

II. A könnte sich wegen Mordes gemäß § 211 II 2. Gruppe 1. Fall (Heimtücke) und 5. Fall (eine Straftat zu verdecken) StGB strafbar gemacht haben.

1 . Der Grundtatbestand des Totschlags gemäß § 212 I StGB ist objektiv und subjektiv erfüllt (vgl. I. 1.).

2. Weiterhin könnte A das Mordmerkmal der Heimtücke verwirklicht haben.

a) Heimtückisch handelt nach Ansicht des BGH, wer eine zum Zeitpunkt des Angriffs bestehende Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers in feindlicher Willensrichtung bewusst zur Tat ausnutzt, wobei die Wehrlosigkeit gerade auf der Arglosigkeit beruhen muss (Tröndle/Fischer § 211 Rdnr. 16, 20 m. w. Nachw.). Arglos ist, wer sich zur Tatzeit eines tätlichen Angriffs auf sein Leben nicht versieht (Wessels/Beulke, BT I, Rdnr. 110). B wurde durch den Angriff des A völlig überrascht, so dass er auf Grundlage der Definition der Rechtsprechung grundsätzlich arglos war.

b) Der BGH macht von seiner Heimtückedefinition jedoch eine Ausnahme, wenn eine Notwehrlage auf Grund eines gegenwärtigen und rechtswidrigen erpresserischen Angriffs durch den später Getöteten gegeben ist und dieser Angriff nicht nur im Fortwirken einer erpressungstypischen Dauergefahr besteht (Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit, etwa durch Setzen einer Frist zur Zahlung unter Übelsandrohung), sondern darüber hinaus in einer konkreten Tathandlung im Angesicht des Opfers, die unmittelbar die Verletzung eines beachtlichen Rechtsguts des Opfers besorgen lässt. Bei einer derartigen Angriffssituation müsse die Reichweite des Mordmerkmals der Heimtücke normativ eingeschränkt werden, weil der Gegenwehr hier ersichtlich nicht das Tückische in einem Maße innewohnt, welches den gesteigerten Unwert dieses Mordmerkmals kennzeichnet. Zu berücksichtigen sei, dass es regelmäßig der Angreifer sei, der durch sein Verhalten einen schützenden oder trutzwehrenden Gegenangriff herausfordert, mag dieser sich nun im Rahmen des durch Notwehr Gerechtfertigten halten oder deren Grenzen überschreiten. Für die Frage der Arglosigkeit ist Letzteres unerheblich. Mit seinem konkreten Angriff hat das spätere Opfer des Gegenangriffs in aller Regel seine Arglosigkeit bereits zuvor verloren ...Der Erpresser ist der wirkliche Angreifer. Dem Angegriffenen gesteht die Rechtsordnung das Notwehrrecht zu. Mit dessen Ausübung muss jeder Angreifer in einer solchen Lage grundsätzlich rechnen, weshalb der Erpresser … unter den hier gegebenen Umständen regelmäßig nicht gänzlich arglos sei. Die tatsächliche Überraschung des Erpressers durch den Gegenangriff des Opfers steht nach Ansicht des BGH der Verneinung von Arglosigkeit und damit des Merkmals der Heimtücke nicht entgegen. Hierdurch werde lediglich belegt, dass der Erpresser die Aussichten falsch eingeschätzt hat, seinen Rechtsbruch ohne Gegenwehr zu Ende führen zu können. Die Verneinung der Arglosigkeit erscheint nach Ansicht des BGH zudem im Hinblick auf den Wertungsgleichklang mit dem Notwehrrecht geboten. Gerade für ein zunächst unterlegenes Opfer kann es sich als unausweichlich erweisen, gegenüber dem überlegenen Rechtsbrecher, der gar noch von einem anderen Tatteilnehmer unterstützt wird, bei der Verteidigung einen Überraschungseffekt auszunutzen, soll die Notwehr überhaupt Aussicht auf Erfolg haben. Unter solchen Umständen erscheint es bei wertender Betrachtung nicht systemgerecht, dem sich wehrenden Opfer, wenn es in der gegebenen Lage – in der Regel plötzlich – in den Randbereich der erforderlichen und gebotenen Verteidigung gerät oder gar exzessiv handelt, das Risiko aufzulasten, bei Überschreitung der rechtlichen Grenzen der Rechtfertigung oder auch der Entschuldigung sogleich das Mordmerkmal der Heimtücke zu verwirklichen (BGH NJW 2003,1956; vgl. hierzu auch die teils zustimmenden, teils ablehnenden Stellungnahmen aus der Lehre: Roxin JZ 2003, 966; Schneider NStZ 2003, 428; Zacyk JuS 2004, 750; Otto NStZ 2004, 142; Rengier NStZ 2004, 233). B stieß gegenüber A erneut massive Drohungen aus. Zudem sah A sich in einer Situation, in welcher er augenblicklich entweder mit dem Verlust des Geldes oder von Wertgegenständen zu rechnen hatte und davon ausgehen musste, dass B unter Mithilfe des C seine Forderungen handgreiflich durchsetzen würde. Ausnahmebegründende Umstände liegen somit vor, weshalb bei wertender Betrachtung eine Arglosigkeit des B, obwohl dieser sich bis zum Beginn der Tat des A keines Angriffs auf sein Leben versah, zu verneinen ist.

Mangels Arglosigkeit des Opfers scheidet das Mordmerkmal der Heimtücke somit aus.

3. A könnte jedoch das Mordmerkmal gemäß § 212 II 2. Gruppe 5. Fall StGB (eine andere Straftat zu verdecken) verwirklicht haben.

a) Hierzu müsste zunächst eine verdeckungsfähige Straftat vorliegen. Diese Voraussetzung ist erfüllt, da sich A durch den gewerbsmäßigen Handel mit Raubkopien gemäß §§ 108 Abs. 1 Nr. 5, 108 a Abs. 1 UrhG strafbar gemacht hat.

b) Zudem ist erforderlich, dass der Täter bei der Tötung gerade in der Absicht handelt, die vorangegangene Straftat zu verdecken. A wollte zwar einerseits verhindern, dass B sein Wissen über die illegalen Geschäfte der Polizei offenbart. Andererseits wollte er B endgültig los werden, um auf diese Weise weiteren Erpressungen einen Riegel vorzuschieben. Bei dieser Sachlage stellt sich die Frage, ob der Annahme von Verdeckungsabsicht das gleichzeitige Vorliegen anderer Tötungsantriebe entgegensteht. Nach Ansicht des BGH ist in einem solchen Fall des Motivbündels im Rahmen einer umfassenden Würdigung aller Tatantriebe zu prüfen, welches Motiv der tatprägende Handlungsantrieb gewesen ist und damit dem Tötungsentschluss seine wesentliche Kennzeichnung gegeben hat. Kommen bei der Prüfung der subjektiven Mordmerkmale verschiedene, möglicherweise zusammenwirkende Motive des Täters in Betracht…, hat der Tatrichter sämtliche wirkmächtigen Elemente in seine Würdigung einzubeziehen. Entscheidend ist, ob der leitende, die Tat prägende Handlungstrieb für sich betrachtet die Voraussetzungen erfüllt, also… auf Verdeckung einer Straftat gerichtet ist. Für den Tatrichter stellt sich damit die Aufgabe, bei mehren Zielen und Anlässen der Tat das bewusstseinsdominante Motiv festzustellen (BGH in der Sache 1 StR 286/04, Urteil vom 6. 10. 2004).

Wird eine solche Prüfung hier vorgenommen, so ergibt sich: A verweigerte zunächst weitere Zahlungen, bot aber auf die Offenbarungsdrohung des B hin dann 600 € an. Als B sich darauf jedoch nicht einließ und sich anschickte, bei der Polizei anzurufen, gab A erneut nach und willigte in die Zahlung der geforderten 2.500 € ein. Aus diesem permanenten Nachgeben hat der BGH geschlossen, dass das Erpressungsopfer die Offenbarung seiner Vortaten um jeden Preis vermeiden wollte und dass die Tötung des Erpressers, unbeschadet des Vorhandenseins noch anderer Motive, letztlich für den Tötungsentschluss maßgebend gewesen sei, weshalb eine Verdeckungsabsicht bejaht werden müsse (BGH Urteil vom 6. 10. 2004, 1 StR 286/04).

A hat somit das Mordmerkmal des § 212 II 2. Gruppe 5.Fall (eine andere Straftat zu verdecken) verwirklicht.

4. A handelte rechtswidrig und schuldhaft. Er hat sich eines Mordes gemäß § 211 II 2. Gruppe 5. Fall StGB strafbar gemacht.

III. Als Qualifikationstatbestand geht § 211 StGB dem § 212 StGB im Wege der logischen Spezialität vor. Die ebenfalls tateinheitlich verwirklichte gefährliche Körperverletzung zu Lasten des B gemäß § 224 I 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB tritt hinter den Mord als materiell subsidiär zurück.

Zusammenfassung