Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz
► Untreue, § 266 I StGB; Missbrauchs- und Treubruchstatbestand. ► Abgrenzung des Handelns vom Unterlassen. ► Nachteilszufügung durch Führung von Schwarzen Kassen für die Zahlung von Schmiergeldern: effektiver Vermögensschaden oder Vermögensgefährdung ?
BGH Urteil vom 29. 8. 2008 (2 StR 587/07) NJW 2009, 89 (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen)
Fall (Schwarze Kassen bei Siemens)
K war als leitender Angestellter der Siemens AG einer der vier Bereichsvorstände des Geschäftsbereichs „Power Generation“ (im Folgenden: PG). Die PG stellte u. a. Gasturbinen her. Als Bereichsvorstand war K unmittelbar unter der Ebene des Zentralvorstandes der Siemens AG tätig. Ihm oblag die kaufmännische Leitung des Geschäftsbereichs; er war damit u.a. zuständig für Controlling, Betriebswirtschaft, Personal und Revision. Er hatte die Siemens-interne Autorisierung, Zahlungen in unbegrenzter Höhe anzuweisen. In seine Zuständigkeit fiel auch die Umsetzung der Compliance-Vorschriften der Siemens AG für seinen Geschäftsbereich, die vorsahen, Bestechungen auch unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit zu unterlassen. Gleichwohl existierte im Geschäftsbereich der PG bereits bei Amtsübernahme durch K ein System zur Leistung von Bestechungsgeldern („nützlichen Aufwendungen“) gegenüber ausländischen Auftraggebern, und zwar zunächst in Gestalt eines Geflechts von Nummernkonten bei diversen liechtensteinischen Banken und bei einer Schweizer Bank. Die Gelder auf diesen Konten wurden nicht in die offizielle Buchführung der PG übernommen. Das war K, nicht jedoch dem Zentralvorstand bekannt. Nachdem bei den Banken Finanzaffären aufgedeckt worden waren, transferierte K die Gelder teilweise auf das Konto einer liechtensteinischen Stiftung, teilweise auf das Konto einer Tarnfirma in Dubai.
Die Siemens-PG bewarb sich um zwei Aufträge zur Lieferung von Gasturbinen an die ENEL S. p. a., den größten italienischen Stromerzeuger. K veranlasste Schmiergeldzahlungen von den genannten Konten an die für die Auftragsvergabe verantwortlichen Manager in Höhe von 6,1 Mio. EUR. Daraufhin erhielt die PG den - für sie lukrativen - Auftrag. Nachdem die italienische Justiz die Zahlungen aufgedeckt hatte, einigte sich Siemens mit ENEL über eine hohe Ausgleichszahlung. Ferner wurde Siemens zu einer Geldstrafe mit Gewinnabschöpfung verurteilt.
Kann K wegen Untreue (§ 266 I StGB) bestraft werden ?
I. K könnte den Tatbestand der Untreue in der Form des Missbrauchstatbestandes erfüllt haben. Diese 1. Variante des § 266 I StGB ist vorrangig vor der 2. Variante, dem Treubruchstatbestand. Tathandlung könnte die Verwaltung der „schwarzen Kassen“ zum Zwecke der Zahlung von Schmiergeldern und die tatsächliche Verwendung von 6,1 Mio. EUR zu diesem Zweck sein.
1. K müsste die Befugnis gehabt haben, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten. Als Bereichsvorstand der Siemens-PG war er berechtigt, Zahlungen anzuweisen, hatte also eine entsprechende Verfügungsbefugnis.
2. Diese Befugnis müsste er missbraucht haben. Das ist der Fall, wenn er unter Überschreitung seiner Befugnisse im Innenverhältnis eine im Außenverhältnis zu Lasten des Vermögensträgers rechtswirksame Verfügung vorgenommen hat oder eine Verpflichtung eingegangen ist (Überschreitung des rechtlichen Dürfens durch Ausnutzen des rechtlichen Könnens). Es kann offen bleiben, ob sich die Rechtswirksamkeit der Schmiergeldzahlungen nach deutschem oder italienischem Recht gehandelt hat. Nach deutschem Recht waren sie wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 I BGB nichtig. Es ist davon auszugehen, dass auch das italienische Recht das Versprechen und Zahlen von den Wettbewerb im kaufmännischen Verkehr grob verfälschenden Schmiergeldern nicht für wirksam erklärt, was sich auch aus der späteren Strafverfolgung der Fa. Siemens wegen dieser Vorgänge schließen lässt. Eine rechtswirksame Verfügung oder Verpflichtung des K kann somit nicht festgestellt werden. Der Missbrauchstatbestand scheidet aus.
II. K könnte den Treubruchstatbestand (§ 266 I, 2. Variante) verwirklicht haben.
1. Dann müsste K eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der Siemens AG gehabt haben. Voraussetzungen hierfür sind die fremdnützige Wahrnehmung von Vermögensinteressen als wesentlicher Inhalt eines Rechtsverhältnisses sowie eine gewisse Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit bei der Wahrnehmung der Interessen. Bei K ergibt sich das aus seiner Stellung als Bereichsvorstand der PG mit einem umfassenden Aufgabenbereich, der u. a. die betriebswirtschaftliche Seite und damit auch die Wahrung der Vermögensinteressen umfasste. (In den Medienberichten über diesen Fall wurde K als „Finanzvorstand der Kraftwerkssparte“ bezeichnet.) Auch Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit gehören zum Tätigkeitsbild eines Bereichsvorstandes. K hatte somit eine Vermögensbetreuungspflicht.
2. Diese müsste er verletzt haben.
a) Zum Verhalten des K gehörten zahlreiche aktive Handlungen, aber auch Unterlassungen. Ob an ein Handeln oder ein Unterlassen angeknüpft wird, richtet sich nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit. Dieses sieht der BGH in einem Unterlassen. Tz. 37: Vorliegend ist für die Beurteilung…darauf abzustellen, dass der Angeklagte es unterließ, die von ihm vorgefundenen, auf verdeckten, nicht unter dem Namen der Treugeberin geführten Konten verborgenen Geldmittel seiner Arbeitgeberin zu offenbaren, indem er sie als Aktiva in die Buchführung einstellen ließ und so den Anforderungen der Bilanzwahrheit genügte.
b) Zum Kernbereich der Vermögensbetreuungspflicht des Angeklagten als für die kaufmännische Leitung des Geschäftsbereichs verantwortlichem Bereichsvorstand gehörte es offensichtlich, seiner Arbeitgeberin bislang unbekannte, ihr zustehende Vermögenswerte in erheblicher Höhe zu offenbaren und diese ordnungsgemäß zu verbuchen. Diese Pflicht hat der Angeklagte verletzt.
c) Ergänzend dazu Tz. 38: Sowohl im Hinblick auf das vom Angeklagten bereits vorgefundene Kontengeflecht bei liechtensteinischen Banken als auch hinsichtlich der ihm von dem Zeugen Dr. W. offenbarten…Schmiergeldkasse in der Schweiz lag das Schwergewicht der Pflichtwidrigkeit nicht bei einzelnen Verwaltungs- oder Verschleierungshandlungen des Angeklagten, ebenso nicht erst in einzelnen Vermögensverfügungen innerhalb eines längeren Zeitraums nach Maßgabe jeweils neuer Entscheidungen, sondern schon in dem Unterlassen der Offenbarung durch ordnungsgemäße Verbuchung der Geldmittel. Entgegen der Annahme des Landgerichts war der strafrechtliche Vorwurf daher in beiden Fällen, unbeschadet einzelner aktiver Verwaltungshandlungen, an ein Handeln durch Unterlassen gem. § 13 Abs. 1 StGB anzuknüpfen. Dass der Unrechtsgehalt dieses Verhaltens dem eines aktiven Tuns entsprach, steht angesichts der konkreten Pflichtenstellung des Angeklagten außer Zweifel.
d) Tz. 39: Dass die Vermögenswerte auf den verdeckten Konten verborgen wurden, um sie bei gegebenem Anlass zur Leistung von Bestechungszahlungen an Dritte und damit möglicherweise im mittelbaren wirtschaftlichen Interesse der Treugeberin zu verwenden, steht einer Pflichtwidrigkeit nicht entgegen.
e) Tz. 40: An einer wirksamen Einwilligung der Treugeberin, welche eine Pflichtwidrigkeit hätte ausschließen können (insoweit zutr. Saliger/Gaede HRRS 2008, 57, 69; vgl. auch Dierlamm in MünchKomm-StGB § 266 Rn. 129; Fischer StGB 55. Aufl. § 266 Rn. 49 ff.; Kindhäuser in NK-StGB 2. Aufl. § 266 Rn. 66 ff.; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 266 Rn. 38; jew. m. w. N.), fehlte es.
3. Durch die Pflichtverletzung müsste demjenigen, dem gegenüber die Vermögensbetreuungspflicht bestand, ein Nachteil entstanden sein. Darunter fällt jeder Vermögensschaden, ebenso wie bei § 263 StGB.
a) Nachteil ist zunächst der effektive Vermögensschaden. Außerdem wird als Nachteil angesehen die schadensgleiche Vermögensgefährdung. Eine solche hatte der BGH in dem ebenfalls die Führung einer schwarzen Kasse betreffenden Fall Kanther angenommen (BGHSt 51, 100). Davon war auch das Landgericht im vorliegenden Fall ausgegangen. Auch Jahn JuS 2009, 173, 175 hält in einer Besprechung dieses Falles daran fest, dass lediglich eine schadensgleiche Vermögensgefährdung in Betracht kommt.
b) Demgegenüber führt der BGH nunmehr aus, Tz. 43 - 47:
(1) Indem der Angeklagte Geldvermögen der Siemens AG in den verdeckten Kassen führte und der Treugeberin auf Dauer vorenthielt, entzog er diese Vermögensteile seiner Arbeitgeberin endgültig. Diese konnte auf die verborgenen Vermögenswerte keinen Zugriff nehmen. Die Absicht, die Geldmittel – ganz oder jedenfalls überwiegend – bei späterer Gelegenheit im Interesse der Treugeberin einzusetzen, insbesondere um durch verdeckte Bestechungszahlungen Aufträge für sie zu akquirieren und ihr so mittelbar zu einem Vermögensgewinn zu verhelfen, ist hierfür ohne Belang. Dass die Mittel in der verdeckten Kasse zunächst noch vorhanden sind, ist mit Fällen nicht vergleichbar, in denen ein Treupflichtiger eigene Mittel jederzeit bereit hält, um einen pflichtwidrig verursachten Schaden auszugleichen (BGHSt 15, 342, 344; BGH NStZ 1995, 233; NStZ-RR 2004, 54; Schünemann in LK 11. Aufl. § 266 Rn. 139…). Beim Unterhalten einer verdeckten Kasse wie im vorliegenden Fall hält der Treupflichtige nicht eigenes Vermögen zum Ersatz bereit, sondern hält Geldvermögen seines Arbeitgebers verborgen, um es unter dessen Ausschaltung oder Umgehung nach Maßgabe eigener Zweckmäßigkeitserwägungen bei noch nicht absehbaren späteren Gelegenheiten für möglicherweise nützliche, jedenfalls aber risikoreiche Zwecke einzusetzen.
(2) Überdies sind bei der Schadensfeststellung auch normative Erwägungen zu berücksichtigen. Die Bestimmung über die Verwendung des eigenen Vermögens obliegt dem Vermögensinhaber, im Fall einer Kapitalgesellschaft dessen zuständigen Organen. Bei pflichtwidriger Wegnahme, Entziehung, Vorenthaltung oder Verheimlichung von Vermögensteilen durch einen Arbeitnehmer kann der Eintritt eines Vermögensschadens nicht dadurch ausgeschlossen sein, dass der Täter beabsichtigt (oder dies behauptet), die Mittel gegen die ausdrückliche Weisung des Treugebers so zu verwenden, dass diesem hierdurch „letztlich“ ein Vermögensvorteil entstehen könnte. Das gilt namentlich dann, wenn dieser Vorteil nur durch einen seinerseits gesetz- oder sittenwidrigen und ggf. strafbaren Einsatz der Mittel erzielt werden könnte.
(3) Der Entziehung des Vermögenswerts steht in diesem Fall keine schadensverhindernde unmittelbare Kompensation gegenüber. Der schadensersatzrechtliche Ausgleichsanspruch gegen den Täter ist nach st. Rspr. kein der Schadensentstehung entgegen stehender Vorteil…Eine dem Treugeber zugute kommende Gegenleistung oder ein durch die pflichtwidrige Handlung anderweitig unmittelbar herbeigeführter ausgleichender Vermögensvorteil liegt im Fall des verdeckten Führens einer Schmiergeldkasse nicht vor (anders Kempf in FS für Hamm, 2008, S. 255, 260 f.). Weder die vage Chance, aufgrund des Mitteleinsatzes zu Bestechungszwecken später einmal einen möglicherweise im Ergebnis wirtschaftlich vorteilhaften Vertrag abzuschließen, noch gar die bloße Absicht des Täters, die entzogenen Mittel für solche Zwecke zu verwenden, stellen einen zur Kompensation geeigneten gegenwärtigen Vermögensvorteil dar (wohl anders, aber zu weit OLG Frankfurt NStZ-RR 2004, 244, 245).
(4) Die dauerhafte Entziehung der Verfügungsmöglichkeit über die veruntreuten Vermögensteile stellt für den Treugeber daher nicht nur eine („schadensgleiche“) Gefährdung des Bestands seines Vermögens dar, sondern einen endgültigen Vermögensverlust, der, wenn er vorsätzlich verursacht wurde, zur Vollendung des Tatbestands der Untreue und zu einem Vermögensnachteil in Höhe der in der verdeckten Kasse vorenthaltenen Mittel führt. Die Verwendung der entzogenen und auf verdeckten Konten geführten Geldmittel ist nur eine Schadensvertiefung; das Erlangen von durch spätere Geschäfte letztlich erzielten Vermögensvorteilen durch den Treugeber ist, nicht anders als eine Rückführung der entzogenen Mittel, allenfalls eine Schadenswiedergutmachung. Soweit der Senat im Urteil BGHSt 51, 100, 113 f. das „bloße“ Führen einer verdeckten Kasse nur als schadensgleiche Vermögensgefährdung angesehen hat, hält er hieran nicht fest.
Folglich ist der Siemens AG bereits durch das Unterlassen des K ein Nachteil in Form eines effektiven Vermögensschadens entstanden. Auf die weiteren Nachteile (Ausgleichszahlung, Geldstrafe, Gewinnabschöpfung) kommt es nicht mehr an.
4. BGH Tz. 48: Am Vorsatz des Angeklagten bestehen weder hinsichtlich der Pflichtwidrigkeit noch hinsichtlich des so verstandenen („endgültigen“) Vermögensschadens Zweifel. Auf die in der Literatur diskutierte Bedeutung der „guten Absichten“ des Angeklagten kommt es auch insoweit ebenso wenig an wie auf die Frage, wie ein „Gefährdungsschaden“ hier zu berechnen wäre (vgl. dazu einerseits Nack StraFo 2008, 277 ff.; andererseits Fischer StraFo 2008, 269 ff.; dazu auch Schünemann NStZ 2008, 430 ff.).
III. Ein Rechtfertigungsgrund ist nicht ersichtlich, also hat K auch rechtswidrig gehandelt. Schließlich war das Handeln des K auch schuldhaft.
Ergebnis: K hat sich wegen Untreue in der Form des Treubruchstatbestandes strafbar gemacht.
Als Zusammenfassung LS a) des BGH:
Schon das Entziehen und Vorenthalten erheblicher Vermögenswerte unter Einrichtung von verdeckten Kassen durch leitende Angestellte eines Wirtschaftsunternehmens führt zu einem endgültigen Nachteil im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB; auf die Absicht, das Geld im wirtschaftlichen Interesse des Treugebers zu verwenden, kommt es nicht an (Weiterführung von BGHSt 51, 100).