Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß

Geladene Schreckschusspistole als Waffe, § 250 II Nr. 1 StGB

Der zweite Strafsenat des BGH hatte dem Großen Senat für Strafsachen gemäß § 132 II GVG mit Beschluss vom 15.05.2002 (NJW 2002, 2889) folgende Rechtsfrage, die zwischen den einzelnen Strafsenaten des BGH umstritten ist – vgl. zum Streitstand JurTel 2002,254 – zur Entscheidung vorgelegt: „Ist § 250 II Nr. 1 StGB anwendbar in Fällen, in denen der Täter einer räuberischen Erpressung das Tatopfer mit einer mit Platzpatronen geladenen Schreckschusspistole bedroht, bei welcher der Explosionsdruck nach vorne austritt, wenn diese innerhalb kürzester Zeit unmittelbar am Körper des Opfers zum Einsatz gebracht werden kann ?“ Diese Frage wurde in der nachfolgend zu behandelnden Entscheidung beantwortet.

BGH Beschluss vom 04. 02. 2003 (GSSt 2/02) NStZ 2003, 606

Fall (Banküberfall mit Schreckschusspistole)

A betrat mit einer geladenen Schreckschusspistole eine Bankfiliale. Er forderte die beiden Bankmitarbeiterinnen mit den Worten „Geld her, das ist ein Überfall“ auf, alles Geld herzugeben, ansonsten werde er schießen. Die Mitarbeiterinnen befanden sich in einem gesicherten Schalterraum. Im angrenzenden Besprechungsraum führte der Filialleiter der Bank Kundengespräche. A drohte, als ihm nicht sogleich Bargeld ausgehändigt wurde, mehrfach damit, alle zu erschießen. Dabei deutete er auf die Tür des Besprechungsraumes. Hierdurch veranlasst, nahmen die Mitarbeiterinnen die Drohung des A ernst und händigten A das sich in der Bank befindliche Bargeld aus (ca. 35.000 DM). A konnte mit dem Geld flüchten. Es konnte nicht mehr festgestellt werden, ob die von A benutzte Pistole mit Gas- oder mit Schreckschussmunition geladen war. Strafbarkeit des A ?

A könnte sich wegen einer schweren räuberischen Erpressung gemäß §§ 253 I, 255, 250 II Nr. 1 StGB gegenüber den Mitarbeiterinnen und zu Lasten der Bank strafbar gemacht haben.

1. Dann müsste er Leib oder Leben eines anderen bedroht haben. Die Drohung muss nicht unmittelbar gegen denjenigen gerichtet sein, von dessen Willen die Gewährung des Vorteils abhängt. Auch Gewalt gegenüber dritten Personen oder Drohung ihnen gegenüber ist Erpressung, wenn der Genötigte diese Bedrohung selbst als Übel empfindet (Schönke/Schröder/Eser § 253 Rdnr. 6). Die angedrohte Erschießung des Filialleiters wird von den Angestellten als eigenes Übel empfunden, so dass eine Bedrohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben gegeben ist.

2 . Durch die Drohung müsste A die Mitarbeiterinnen gemäß § 253 I StGB zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen genötigt haben. Wegen der Strukturgleichheit von Betrug und Erpressung, die beide Selbstschädigungsdelikte sind – statt mit Täuschung erreicht der Erpresser sein Ziel mit Zwang –, verlangt ein Teil der Literatur, dass das abgenötigte Verhalten den Charakter einer Vermögensverfügung hat. Meinungsverschiedenheiten bestehen allerdings über die Konturen des Vermögensbewusstseins. Überwiegend wird auf die subjektive Notwendigkeit der Opfermitwirkung abgestellt. Eine Vermögensverfügung soll nur vorliegen, wenn das Opfer die Vorstellung hat, einen für die Herbeiführung des Vermögensnachteils unerlässlichen Mitwirkungsakt vorzunehmen. Im vorliegenden Fall war A darauf angewiesen, dass die Mitarbeiterinnen ihm das Geld aus dem gesicherten Kassenraum herausgaben. Aus der Sicht des A war somit ein zwingend notwendiger Mitwirkungsakt der Opfer erforderlich, so dass das abgenötigte Verhalten den Charakter einer Vermögensverfügung besaß. Nach der Rechtsprechung des BGH ist dagegen jedes Tun, Dulden oder Unterlassen tatbestandsmäßig. Dies folge aus der wörtlichen Übereinstimmung von Tatmittel, Opferreaktion und Verwerflichkeitsprüfung bei § 253 StGB und 240 StGB. In der Weggabe des Geldes an A lag danach ein tatbestandsmäßiges Tun der Mitarbeiterinnen der Bank im Sinne des § 253 I StGB.

3 . Durch die Herausgabe des Geldes wurde dem Vermögen der Bank, in dessen Näheverhältnis die beiden Mitarbeiterinnen standen, ein Nachteil zugefügt.

4. A handelte vorsätzlich und in der Absicht der stoffgleichen Eigenbereicherung. Die von ihm angestrebte Bereicherung war rechtswidrig, da er keinen Anspruch auf das Geld hatte.

5. Die Tat des A ist auch gemäß § 250 II Nr. 1 StGB qualifiziert. Denn A hat bei der Tat eine Waffe verwendet. Zwar ist, weil nicht festgestellt werden kann, ob die von A verwendete Pistole mit Gas- oder mit Schreckschussmunition geladen war, in dubio pro reo davon auszugehen, dass es sich nur um Schreckschussmunition handelte. Jedoch ist nach dem Großen Senat des BGH die geladene Schreckschusswaffe generell…eine Waffe im Sinne der strafrechtlichen Bestimmungen. Sie wird einer geladenen Gaswaffe gleichgestellt, die in der Rechtsprechung des BGH schon bisher allgemein als Schusswaffe und damit als Waffe im technischen Sinne angesehen wird (vgl. BGH NJW 1999, 2198). Maßgeblich dafür ist, dass die Gefährlichkeit der geladenen Schreckschusswaffe nicht derart hinter der einer geladenen Gaswaffe zurücksteht, dass dies eine unterschiedliche rechtliche Einstufung länger rechtfertigt. Mit Gaskartuschen geladene Waffen sollen die körperliche Unversehrtheit eines Menschen beeinträchtigen, indem das durch den Schuss freigesetzte Gas…auf das Nervensystem des Gegners einwirkt, während mit Knallkartuschen geladene Waffen in erster Linie zur Erzeugung eines Schussknalls dienen. Das allein steht der Qualifizierung der geladenen Schusswaffe als Waffe im strafrechtlichen Sinne jedoch nicht entgegen.

Ferner sieht sich der BGH durch die Neuregelung des Waffenrechts bestätigt. Dadurch wird aus Gesichtspunkten der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Rechtslage hinsichtlich der Schreckschusswaffen grundlegend geändert ... Der Gesetzgeber hat…Schreckschusswaffen wegen ihrer allgemeinen, nicht nur im einzelnen Anwendungsfall gegebenen Gefährlichkeit als Feuerwaffen eingestuft. Sie seien zwar nicht ursprünglich für Angriffs- oder Verteidigungszwecke gegen Menschen bestimmt, wiesen aber eine Gefährlichkeit auf, die derjenigen vergleichbar sei, die von echten Waffen ausgeht. Die Schreckschusswaffen werden deshalb nunmehr…gemäß § 1 II Nr. 1 Waffengesetz n .F. zu Waffen im technischen Sinne. Die Schreckschusswaffe wird dabei in der Gesetzessystematik des Waffenrechts der von der Rechtsprechung im Bereich des Strafrechts bisher schon als Waffe im Sinne der §§ 244, 250 I Nr. 1 a und II Nr. 1 StGB eingestuften Gaspistole…gleichgestellt.

Zusammenfassung

Durch Beschluss des Großen Senats für Strafsachen ist nunmehr für die strafrechtliche Praxis entschieden, dass geladene Schreckschusswaffen Waffen im Sinne des § 250 StGB sind. Zur Begründung stellt der Große Senat darauf ab, dass diese geeignet sind, erhebliche Verletzungen hervorzurufen und dass die Neuregelung des Waffengesetzes Schreckschusswaffen den Gaswaffen gleichstellt.