Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß

Anforderungen an bedingten Tötungsvorsatz

BGH Urteil vom 16. 12. 2003 (5 StR 458/03) NStZ 2004, 330

Fall (Strangulation mit Gürtel)

A nahm an einer Feier in einer Gaststätte teil. Er traf auf den stark angetrunkenen B, der mit einer brennenden Zigarette versehentlich das T-Shirt des A berührte. Es kam zum Streit zwischen A und B. A beschloss, B zu einem späteren Zeitpunkt eine „Abreibung“ zu verpassen. A und sein Schwager C folgten B auf den Parkplatz der Gaststätte und brachten ihn hinter einem Gebüsch zu Fall. Sodann schlugen A und C mit der Absicht, B zu verletzen, auf diesen ein. Anschließend nahm A seinen Gürtel, legte diesen um den Hals des B und strangulierte B mit erheblichem Kraftaufwand mindestens 3 bis 5 Minuten lang. Während dieser Zeit bildete sich als Reaktion auf das Strangulieren eine massive Gehirnschwellung, die zum Tod des B führte. Während der Hauptverhandlung hatten A und C die Strangulation in Abrede gestellt und nur Schläge und Tritte gegenüber B zugegeben. Ferner ließen sie sich dahingehend ein, sie seien davon ausgegangen, B werde sich wieder „aufrappeln“ und „es werde schon alles gut gehen“; im Übrigen hätten sie schon Schlimmeres erlebt. A und C waren während der Tat erheblich alkoholisiert. Strafbarkeit des A ?

I. A könnte sich wegen eines Totschlags gemäß § 212 I StGB strafbar gemacht haben.

1. Die Strangulation des A war kausal für den Tod des B. A hat daher den objektiven Tatbestand des § 212 I StGB erfüllt.

2. Weiterhin müsste er gemäß § 15 StGB vorsätzlich gehandelt haben. Hierfür reicht aus, dass der Täter zwar mit unbedingtem Handlungswillen, jedoch nur mit bedingtem Erfolgswillen gehandelt hat. Nach der herrschenden Einwilligungs- oder Billigungstheorie ist hierfür erforderlich und ausreichend, dass der Täter den Erfolgseintritt als möglich und nicht ganz fernliegend erkannt und ihn billigend in Kauf genommen hat. Dabei ist anerkannt, dass die Wortwendung „billigend in Kauf nehmen“ keine positive emotionale Stellungnahme i.S. eines Gutheißens beinhaltet, sondern lediglich bedeutet, dass der Täter sich mit dem Erfolg abfindet, auch wenn dieser ihm letztlich unerwünscht ist (vgl. Tröndle/Fischer § 15 Rdnr. 10a).

Der BGH in Strafsachen hat in verschiedenen Entscheidungen immer wieder klargestellt, dass es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe liege, dass der Täter auch mit der Möglichkeit rechnete, das Opfer könne dabei zu Tode kommen und, weil der Täter gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzte, den tatbestandlichen Erfolg billigend in Kauf genommen hat (vgl. BGHSt 7, 369; BGH NStZ 1984, 19; BGH NStZ 2001, 86).

Vorliegend hatte das LG einen bedingten Tötungsvorsatz des A verneint und diesen nur wegen einer gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit einer Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil hatte Erfolg. Zwar geht das SchwurGer. zutreffend davon aus, dass bei einer objektiv äußerst gefährlichen Handlung, wie es das Strangulieren des Tatopfers unzweifelhaft darstelle, die Annahne eines bedingten Tötungsvorsatzes nahe liege. Das SchwurGer. misst der indiziellen Wirkung der Gefährlichkeit der Handlung aber nicht das sich aus den Tatumständen ergebende gesteigerte Gewicht bei. Es stellt nämlich nicht auf die außerordentlich lange Dauer des Strangulierens von 3 bis 5 Minuten ab ... und verstellt sich deshalb den Blick darauf, dass der Angekl. nicht nur eine das Leben gefährdende Handlung vornahm, sondern sein Opfer in einer Weise verletzte, die ganz sicher – etwa einem Stich in das Herz vergleichbar – zum Tode führte ... Damit hatte die Drosselung ihre Eignung als bloße Verletzungshandlung bereits vollständig verloren. Sie konnte nur noch zur Tötung des Opfers führen. Bei einer solchen Fallkonstellation liegt (zumindest) bedingter Tötungsvorsatz auf der Hand, ohne dass es dafür besonderer Anforderungen an die Darlegung der inneren Tatseite in den Urteilsgründen bedurft hätte ...

Auch die weitere vom LG angestellte Erwägung, die Angeklagten seien nicht wegen eines Gewaltdeliktes vorbestraft, was indiziell gegen einen Tötungsvorsatz spreche, ist hier nicht tragfähig. Bei der Würdigung von Indizien ist eher auf die konkrete Sachlage abzustellen, als dass ein Fehlen einschlägiger Vorbelastungen entscheidend wäre.

Die Einlassung der Angeklagten, sie hätten geglaubt, das Opfer werde sich „wieder aufrappeln“, ist zur Widerlegung eines aus dem Drosselungsvorgang zu ziehenden Schlusses nicht geeignet. Die Angeklagten hatten sich nämlich lediglich hinsichtlich einer Körperverletzung durch Tritte und Schläge geständig eingelassen, die Drosselung aber in Abrede gestellt.

Die vom SchwurGer. fehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen und aller weiterer Umstände belegen damit bezüglich des Angekl. die Vornahme einer auf Herbeiführung des Todes gerichteten Gewalthandlung in Kenntnis der äußerst gefährlichen Tatausführung. Da keine Umstände vorlagen, die ein Vertrauen der Angeklagten, dass der Tod nicht eintreten werde, hätten begründen können, ergibt sich aus den Feststellungen auch eindeutig die Billigung des Todes ...

A hatte damit bedingten Vorsatz zur Verwirklichung des objektiven Tatbestandes eines Totschlags gemäß § 212 I StGB.

3 . A hat rechtswidrig gehandelt.

4. Weiterhin müsste A auch schuldhaft gehandelt haben. Auf Grund der Alkoholisierung war A gemäß § 21 StGB vermindert schuldfähig, so dass die konkrete Strafe des A nach § 49 I StGB gemildert werden kann. Die Frage, ob A vorsätzlich gehandelt hat, bleibt hiervon allerdings unberührt. A hat sich somit wegen eines Totschlags gemäß § 212 I StGB strafbar gemacht.

II. Weiterhin hat A sich wegen einer gefährlichen Körperverletzung gemäß §§ 223, 224 I

Nr. 4 (mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich) und Nr. 5 (mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung) strafbar gemacht. Die gefährliche Körperverletzung tritt allerdings auf Konkurrenzebene hinter die vollendete Tötung aus § 212 I StGB zurück (vgl. Schönke/Schröder/Eser § 212 Rdnr. 17 ff).

Zusammenfassung

Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter es billigend in Kauf nimmt, dass das Opfer zu Tode kommen kann. Bei einer solchen Fallkonstellation handelt der Täter regelmäßig mit bedingtem Tötungsvorsatz.