Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß

► Ärztlicher Heileingriff als Körperverletzung, §§ 223, 228 StGB

BGH Urteil vom 20. 1. 2004 (1 StR 319/03) NStZ 2004, 442

Fall (Operation ohne Einwilligung)

Arzt Dr. A behandelte B an dessen Schulter. Er erklärte B die anstehende Operation und wies daraufhin, dass es möglicherweise notwendig ist, einen Knochenspann aus dem hinteren Beckenkamm zu entnehmen. Bei der Operation musste A zwei Löcher in das Schulterblatt des B bohren. Bei dem Bohrvorgang brach der Bohrer ab mit der Folge, dass ein ca. 2 cm langes Bohrstück in dem Schulterblatt des B stecken blieb. Das Bohrstück beeinträchtigte das Schultergelenk des B nicht und verschwand fast vollständig in dem Knochen. A versuchte die Bohrspitze zu bergen, was ihm aber nicht gelang. Er beendete daher die Operation und beließ die Bohrspitze in dem Körper des Patienten. Nach der Operation teilte er B mit, dass grundsätzlich alles gut verlaufen sei. Da aber die abgebrochene Bohrerspitze auf jedem Röntgenbild zu erkennen gewesen wäre, teilte A dem B wahrheitswidrig mit, es müsse, um ein optimales Ergebnis zu erzielen, noch ein zweites Mal operiert werden. Einen Hinweis auf die abgebrochene Bohrerspitze gab A nicht. A schnitt die Schulter des B von oben auf und barg die Bohrerspitze. B erfuhr erst später von dritter Seite von der abgebrochenen Bohrerspitze. Hat sich Dr. A strafbar gemacht A ?

A könnte sich wegen einer gefährlichen Körperverletzung gemäß §§ 223 I, 224 I Nr. 2 (gefährliches Werkzeug) StGB strafbar gemacht haben.

1 . Tatbestand

a) Objektiver Tatbestand

aa) Indem A den B ein zweites Mal operiert hat, könnte er ihn körperlich misshandelt haben. Eine körperliche Misshandlung ist eine üble und unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden mehr als nur unerheblich beeinträchtigt wird. Inwieweit ärztliches Handeln den Tatbestand des § 223 I StGB erfüllt ist umstritten.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist jede ärztliche Maßnahme, durch die die Integrität des Körpers verletzt wird, eine üble und unangemessene Behandlung und erfüllt damit den Tatbestand einer Körperverletzung (BGHSt 43, 306).

In der Lehre wird dagegen teilweise darauf abgestellt, ob der Eingriff kunstgerecht erfolgte oder nicht (vgl. zu den einzelnen Standpunkten Joecks, Studienkommentar § 223 Rdnr. 10 - 21). Nach dieser Ansicht erfassen die §§ 223, 229 StGB nur die das körperliche Wohl verschlechternden Heilbehandlungen. Diese Auffassung berücksichtigt aber nicht hinreichend das Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Denn hiernach wäre ein gegen den Willen des Patienten erfolgreich durchgeführter ärztlicher Heileingriff von vornherein nicht tatbestandsmäßig. Damit setzt sich die Ansicht letztlich über das Selbstbestimmungsrecht des Patienten hinweg. Der von ihr vorgeschlagene Rückgriff auf den Nötigungstatbestand des § 240 StGB trägt dem Schutzbedürfnis der Patienten gegenüber ärztlicher Eigenmacht nicht hinreichend Rechnung.

A hat daher, indem er das Bohrerstück aus der Schulter des B entfernt hat, das Tatbestandsmerkmal der körperlichen Misshandlung und damit den objektiven Tatbestand des § 223 I StGB erfüllt. Die Tatsache, dass A das Bohrerstück fachgerecht entfernt hat, ändert hieran nichts.

bb) A könnte weiterhin den Qualifikationstatbestand des § 224 I Nr. 2 StGB erfüllt haben. Dann müsste er die Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeuges begangen haben. Ein gefährliches Werkzeug ist ein Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art seiner Benutzung konkret geeignet ist, erhebliche körperliche Verletzungen hervorzurufen. Die Rechtsprechung nimmt hiervon Behandlungs- und Operationsinstrumente aus, die von zugelassenen Ärzten bestimmungsgemäßverwendet werden (vgl. Wessels/Hettinger, Strafrecht Besonderer Teil/1, Rdnr. 276). A hat daher, als er B die Schulter aufschnitt, um das abgebrochene Bohrerstück zu entfernen kein gefährliches Werkzeug verwendet.

b) Subjektiver Tatbestand

A müsste gemäß § 15 StGB vorsätzlich gehandelt haben. A kannte die gesetzlichen Tatumstände und hat somit vorsätzlich gehandelt.

3 . Rechtswidrigkeit

a) Die Tat des A könnte durch den Rechtfertigungsgrund der Einwilligung gemäß § 228 StGB gerechtfertigt gewesen sein. Dieser hat zur Voraussetzung, dass der Einwilligende vor der Tat ernstlich und frei von Willensmängeln die Einwilligung nach außen erklärt hat und die Einwilligung nicht gegen die guten Sitten verstößt. Eine solche Einwilligung liegt seitens des B nicht vor. BGH: Die Kammer ist zutreffend von dem rechtlichen Ansatz ausgegangen, dass ärztliche Heileingriffe nur durch eine von Willensmängeln nicht beeinflusste Einwilligung des Patienten gemäß § 228 gerechtfertigt sind (BGHSt 16, 309). Sie hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass für die Operation zur Bergung der Bohrerspitze keine Einwilligung vorlag, weil der A in den Aufklärungsgesprächen dem Patienten ... die Notwendigkeit der zweiten Operation zur Kapselstraffung der Schulter vorgetäuscht und die abgebrochene Bohrerspitze bewusst nicht erwähnt hat. Eine rechtfertigende Einwilligung des B liegt somit nicht vor.

b) Es könnte allerdings eine mutmaßliche Einwilligung des B gegeben sein, da die Entfernung der Bohrerspitze durchaus im Interesse des B gewesen ist. Eine mutmaßliche Einwilligung hat aber zunächst zur Voraussetzung, dass eine Einwilligung des Betroffenen nicht eingeholt werden kann (Geltung des Subsidiaritätsprinzips). A hätte ohne weiteres B fragen können, ob er mit der Entfernung des Bohrerstücks einverstanden ist oder nicht. Das handeln des A ist somit auch nicht durch eine mutmaßliche Einwilligung gerechtfertigt und daher rechtswidrig.

4. A hat schuldhaft gehandelt und sich somit wegen einer einfachen Körperverletzung gemäß § 223 I StGB strafbar gemacht.

Zusammenfassung