Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß

Tötungsdelikte, §§ 212, 227 StGB. Sittenwidrige Einwilligung nach § 228 StGB

BGH Urteil vom 26. 5. 2004 (2 StR 505/03) NStZ 2004, 621

Fall (Tod durch „Sadomaso“)

Frau B hatte eine Vorliebe für sadomasochistische sexuelle Praktiken. Sie ermunterte ihren Lebensgefährten A, der eigentlich an solchen Praktiken kein Interesse hatte, sie während des Geschlechtsverkehrs an ihrem Hals mit einem Metallrohr zu würgen. A folgte den Anweisungen der B und würgte diese über mehrere Minuten mit einem starren Metallrohr am Hals. Er hielt bei seinen Handlungen den Eintritt eines tödlichen Verlaufs infolge der gewaltsamen Einwirkung auf den Hals der B für möglich, hoffte allerdings nachhaltig auf einen glimpflichen Ausgang. Das starke Würgen mit dem Metallrohr, welches sich der Halsform der B nicht anpasste, sondern starr auf diesen drückte, verursachte eine massive Kompression der Halsgefäße, wodurch die Sauerstoffzufuhr unterbunden wurde. Das führte zum Herzstillstand und zum Tod der B. A war fest davon überzeugt, dass er sich aufgrund der von B erklärten Einwilligung nicht strafbar mache konnte. Strafbarkeit des A ?

I. A könnte sich wegen eines Totschlags gemäß § 212 I StGB strafbar gemacht haben.

1 . Durch das Würgen des A mittels eines Metallrohres ist der Tod der B kausal eingetreten, so dass der objektive Tatbestand gegeben ist.

2. A müsste zumindest mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt haben. Bedingter Vorsatz setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges für möglich hält und ihn gleichzeitig billigend in Kauf nimmt. Hofft der Täter dagegen ernsthaft und nicht nur vage auf den Nichteintritt des Erfolges, so handelt er nicht vorsätzlich. Zwar hielt A den Eintritt des Todes der B für möglich, hoffte aber nachhaltig, dass dieser nicht eintreten werde. Daher verneinten sowohl das LG als auch der BGH ein bedingt vorsätzliches Handeln des A. Eine Strafbarkeit wegen eines vorsätzliches Totschlags gemäß § 212 I StGB scheidet aus.

II. A könnte sich wegen einer Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 I StGB strafbar gemacht haben.

1. Durch das Würgen mit dem Metallrohr hat A die B mittels eines gefährlichen Werkzeuges körperlich misshandelt und in die konkrete Gefahr des Todes gebracht. Er hat daher eine gefährliche Körperverletzung i. S. des §§ 223 I, 224 I Nr. 2 und Nr. 5 StGB objektiv und subjektiv verwirklicht.

2. Durch die Körperverletzung müsste der Tod der B in tatspezifischer Weise eingetreten sein. Das setzt voraus, dass der Körperverletzung die spezifische Gefahr des Todes anhaftet. Das Würgen mit dem Metallrohr wurde mit großer Kraft durchgeführt, so dass ihm die Gefahr des Todes der B anhaftete. Durch die Körperverletzungshandlung des A ist somit der Tod der B in tatspezifischer Weise eingetreten.

3. A müsste die schwere Folge gemäß § 18 StGB mindestens fahrlässig herbeigeführt haben. Das setzt eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung bei objektiver Vorhersehbarkeit des tatbestandlichen Erfolges voraus. Die objektive Sorgfaltspflichtverletzung ist infolge der vorsätzlich begangenen Körperverletzung zu bejahen. Die objektive Vorhersehbarkeit ist gegeben, wenn der Eintritt des tatbestandlichen Erfolges innerhalb der allgemeinen Lebenswahrscheinlichkeiten liegt. Dass das minutenlange Würgen mit einem Metallrohr zum Tod des Opfers führen kann, liegt innerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit. Der Todeseintritt bei B war somit auch objektiv vorhersehbar. A hat den Tod der B fahrlässig herbeigeführt.

4. Ferner müsste A rechtswidrig gehandelt haben. Die Tat des A könnte durch den Rechtfertigungsgrund derEinwilligung gemäß § 228 StGB gerechtfertigt gewesen sein.

a) Eine rechtfertigende Einwilligung setzt zunächst die Einwilligungsfähigkeit und die Freiheit von Willensmängeln bei dem Einwilligenden voraus. Beides ist vorliegend gegeben.

b) Eine Rechtfertigung gemäß § 228 StGB scheidet jedoch aus, wenn die Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. Der BGH konkretisiert diesen unbestimmten Rechtsbegriff dahingehend, dass der Begriff der guten Sitten weniger außerrechtliche, ethisch-moralische Kategorien betrifft. Um dem Gebot der Vorhersehbarkeit staatlichen Strafens zu genügen, muss der Begriff der guten Sitten auf seinen rechtlichen Kern beschränkt werden. Ein Verstoß gegen die Wertvorstellungen einzelner gesellschaftlicher Gruppen oder des mit der Tat befassten Strafgerichts genügt nicht. Lässt sich nach rechtlichen Maßstäben die Sittenwidrigkeit nicht feststellen, scheidet eine Verurteilung wegen eines Körperverletzungsdeliktes aus ... In Übereinstimmung mit dem Urteil des 3. Strafsenats vom 11. 12. 2003 ..., das zum strafbaren Verabreichen von Betäubungsmitteln mit tödlichen Folgen ergangen ist, und der herrschenden Lehre hält der Senat für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit der Tat nach § 228 StGB vorrangig das Gewicht des jeweiligen tatbestandlichen Rechtsgutangriffs und damit ein objektives Kriterium für ausschlaggebend. Hierbei sind in erster Linie der Umfang der vom Opfer hingenommenen körperlichen Misshandlung oder Gesundheitsbeschädigung und der Grad der damit verbundenen Leibes- und Lebensgefahr maßgeblich ... Das Handeln kann nicht allein wegen der speziellen sexuellen Motivation als gegen die guten Sitten verstoßend angesehen werden. Die Ansicht des RG, wonach bei sadomasochistischen Praktiken die Körperverletzungen zu „Unzuchtzwecken“ erfolgten und deshalb trotz einer etwaigen Einwilligung ein Verstoß gegen die guten Sitten vorliege ..., ist nicht zuletzt wegen der gewandelten Moralauffassung überholt ... Wie dargelegt, hält der Senat das Ausmaß oder das Gewicht der drohenden Rechtsgutverletzung für maßgebend mit der Folge, dass ab einem bestimmten Grad der körperlichen Beeinträchtigung oder einer möglichen Lebensgefahr der Einwilligung allein grundsätzlich keine rechtfertigende Wirkung zukommt. Ob diese Grenze überschritten ist, ist auf Grund einer ex ante vorzunehmenden Beurteilung zu entscheiden ... Die Grenze ist jedenfalls dann überschritten, wenn bei vorausschauender objektiver Betrachtung aller maßgeblicher Umstände der Tat der Einwilligende durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wird.

A hat B mit dem Metallrohr über einen Zeitraum von drei Minuten gewürgt. Da einer solchen Körperverletzungshandlung die konkrete Gefahr des Todes anhaftet, verstieß die von B erteilte Einwilligung gemäß § 228 StGB gegen die guten Sitten. Die Tat des A war daher nicht gerechtfertigt. A hat rechtswidrig gehandelt.

5. Weiterhin müsste er auch schuldhaft gehandelt haben. A könnte sich in einem Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB befunden haben. Er könnte die Grenzen eines anerkannten Rechtfertigungsgrunds verkannt oder überdehnt haben. A glaubte trotz der lebensgefährlichen Behandlung an die Wirksamkeit der Einwilligung der B, hat infolgedessen die Grenzen dieses Rechtfertigungsgrundes überdehnt, so dass ein Verbotsirrtum nach § 17 StGB gegeben ist. Gemäß § 17 S. 1 StGB handelt der Täter in einem solchen Fall aber nur dann ohne Schuld, wenn der Irrtum nicht vermeidbar war. Angesichts der sehr hohen Gefahr für das Leben der B verneint der BGH die Unvermeidbarkeit des Irrtums. A hat somit auch schuldhaft gehandelt und sich wegen einer Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 I StGB strafbar gemacht. Gemäß § 17 S. 2 StGB kann die Strafe allerdings gemäß § 49 I StGB gemildert werden.

Zusammenfassung

Der Begriff der guten Sitten in § 227 StGB ist auf seinen rechtlichen Kern zurückzuführen. Nach Auffassung des BGH sind nicht außerrechtliche, ethisch-moralische Kategorien maßgebend. Sexuelle Motivationen allein begründen keinen Sittenverstoß. Die Grenze zur Sittenwidrigkeit ist jedenfalls immer dann überschritten, wenn bei vorausschauender objektiver Betrachtung aller maßgeblicher Umstände der Tat der Einwilligende durch die Körperverletzung in konkrete Todesgefahr gebracht wird.