Bearbeiter: RA Prof. Dieter Schmalz
► Mord, § 211 StGB. ► § 27 StGB, Beihilfe zum Mord anlässlich der Attentate vom 11. 9. 2001 in den USA. ► Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, § 129a StGB
BGH Urteil vom 16. 11. 2006 (StR 139/06) www.bundesgerichtshof.de
Fall (11 . September 2001 - Motassadeq)
Der marokkanische Staatsangehörige M, der in Hamburg Elektrotechnik studierte, schloss sich dort einem Kreis von Studenten muslimischen Glaubens an, die mit zunehmender Intensität die Probleme islamischer Länder diskutierten und 1998 zu dem Ergebnis kamen, der gewaltsame Djihad gegen Israel und die USA sei nötig und würde sie als Märtyrer ins Paradies führen. Ihr gemeinsamer Beweggrund war der Hass auf Amerikaner und Juden. 1999 entstand unter Führung Attas eine aus ihm, anderen Mitgliedern und M bestehende hierarchisch aufgebaute Vereinigung. Ziel war, Selbstmordanschläge größeren Ausmaßes durchzuführen.
Ende 1999 reisten führende Mitglieder nach Afghanistan, wo sie von Al Quaida für die späteren Attentate ausgesucht und auf sie vorbereitet wurden. Während dieser Zeit besorgte M persönliche Angelegenheiten der abwesenden Mitglieder und kontaktierte ihre Angehörigen, wobei er die Reisen und ihren Zweck verschwieg, um Nachforschungen zu verhindern. Auch nachdem die als Attentäter ausgesuchten Personen im Jahre 2000 nach Hamburg zurückgekommen waren, kümmerte sich M um einige ihrer Angelegenheiten, damit diese, um nicht aufzufallen, möglichst wenige Außenkontakte hatten. Zeitweise hielt M sich in Afghanistan in einem Ausbildungslager von Al Quaida auf, wurde dort aber als ungeeignet für eine Beteiligung an den Anschlägen selbst eingestuft. Ihm wurden Aufgaben für die Aufrechterhaltung der Infrastruktur der Vereinigung übertragen, wobei er an unterster Stelle der Hierarchie stand. Einmal, im August 2000, überwies er 5.000 DM auf das von den Attentätern errichtete Konto in den USA, was sich aber nicht auswirkte, weil zwischenzeitlich dort ausreichend Geld aus den Vereinigten Arabischen Emiraten eingegangen war.
Als die Attentäter im Jahre 2000 in die USA reisten, war M, wie allen anderen Mitgliedern der Vereinigung, bekannt, dass Anschläge als Selbstmordattentate mit Flugzeugen geplant waren, bei denen Menschen getötet werden sollten. Näheres wurde ihm nicht mitgeteilt. Er wusste insbesondere nicht, dass nahezu zeitgleich vier Verkehrsflugzeuge auf symbolträchtige große Gebäude in den USA stürzen und dabei Tausende von Menschen sterben sollten.
Von den als Attentäter ausgesuchten Personen ließen sich Atta, Alshehhi und Jarrah in den USA als Piloten ausbilden; der vierte, Hanjour, hatte bereits eine solche Ausbildung. Mit 15 weiteren Gehilfen brachten sie am 11. September 2001 vier Verkehrsflugzeuge in ihre Gewalt und steuerten zwei in das World Trade Center und eine in das Pentagon. Die vierte Maschine wurde, als einige Passagiere versuchten, sie wieder in ihre Gewalt zu bringen, vom Piloten zum Absturz gebracht. Dabei wurden 246 Passagiere in den Flugzeugen und 3.000 Menschen in den einstürzenden Türmen des WTC getötet. Anschließend löste sich die Vereinigung in Hamburg auf.
Wie hat M sich strafbar gemacht ?
A. M ist der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung schuldig (§ 129a I Nr. 1 StGB), da er sich an einer Vereinigung beteiligt hat, deren Ziel war, Tötungsdelikte durch Selbstmordanschläge zu verüben. Dahinter tritt das Delikt der Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) zurück.
B. M könnte sich der Beihilfe zum Mord (§§ 211, 27 StGB) an den Opfern der Anschläge vom 11. 9. 2001 schuldig gemacht haben.
I. Die Attentäter haben einen vielfachen Mord (§ 211) begangen. Sie haben Menschen vorsätzlich getötet. Dabei haben sie heimtückisch gehandelt, weil die Opfer arg- und wehrlos waren. Auch erfolgte der Einsatz von Flugzeugen als Waffe gegen Gebäude, in denen sich zahlreiche Menschen aufhielten, mit gemeingefährlichen Mitteln. Eine Haupttat liegt somit vor. M war an ihr nicht als Täter beteiligt.
II. M hat sich wegen Beihilfe strafbar gemacht, wenn er zu dem Mord vorsätzlich Hilfe geleistet hat (§ 27 I StGB). Im folgenden ist zunächst die objektive Seite der Hilfeleistung zu behandeln.
1. BGH Rdnr. 40: Nach st. Rspr. (etwa BGHSt 46, 107, 109…; vgl. die weiteren Nachweise bei Cramer/Heine in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., § 27 Rdnr. 8…) ist als Hilfeleistung in diesem Sinne grundsätzlich jede Handlung anzusehen, die die Herbeiführung des Taterfolges durch den Haupttäter fördert oder erleichtert…
a) BGH Rdnr. 41: Die Verschleierung der Tatvorbereitungen und das Mitwirken am Bereitstellen von finanziellen Mitteln für die Durchführung dieser Vorbereitungen [durch M] haben den zur Tatvollendung führenden konkreten Geschehensablauf bis in die Ausführungsphase mitgeprägt. Ohne Hilfeleistung weiterer Personen hätten die Täter nicht unbehelligt nach Afghanistan und später in die USA reisen und sich dort ausbilden lassen können. So hatten bereits Angehörige von Alshehhi Nachforschungen über dessen Verbleib angestellt und die Polizei eingeschaltet; M veranlasste, dass dieser sich telefonisch meldete und seine Angehörigen beruhigte (BGH Rdnr. 14).
b) Fraglich ist, ob diese Voraussetzungen für eine Hilfeleistung i. S. des § 27 ausreichen. In der überwiegenden Literatur wird das verneint (vgl. BGH Rdnr. 44) und
Dabei verweist der BGH unter Rdnr. 44 auf die Übersicht zu den Meinungen bei Cramer/Heine a.a.O. Rdnr. 7, 9f. Der vorliegende Fall gibt Gelegenheit, zu möglichen Einschränkungen Stellung zu nehmen. Im Ergebnis geht die Auffassung des BGH dahin, dass weitere Einschränkungen nicht geboten sind.
2. Würde Kausalität des Tatbeitrages gefordert, könnte diese hier mit der Begründung verneint werden, dass die Taten auch ohne Mitwirkung des M durchgeführt worden wären (vgl. aber noch unten 5). Jedoch führt BGH Rdnr. 40 aus: Dass die Hilfeleistung für den Eintritt des Taterfolges in seinem konkreten Gepräge in irgendeiner Weise kausal wird, ist nicht erforderlich. Insofern bedarf es also keiner Prüfung der Kausalität.
3. Die Revision hatte im vorliegenden Fall geltend gemacht, die Beiträge des M seien von völlig untergeordnetem Gewicht gewesen. Dazu BGH Rdnr. 42: Dabei verkennt sie die Voraussetzungen der Beihilfestrafbarkeit. Zum einen kommt es auf das Gewicht des tatfördernden Beitrags für dessen Einstufung als Hilfeleistung grundsätzlich nicht an; dieses ist allein für die Strafzumessung relevant. Zum anderen erscheint die Bewertung der Tatbeiträge des Angeklagten durch die Verteidigung verfehlt. Sie stellt im übrigen nicht in Rechnung, dass sich der Angeklagte aufgrund der getroffenen Abreden innerhalb der Gruppierung die Hilfeleistungen der anderen Gruppenmitglieder für die Attentäter im Rahmen der gleichsam mittäterschaftlich geleisteten Beihilfe zurechnen lassen muss.
4. Unerheblich ist es nach BGH Rdnr. 46 auch, dass der Angeklagte seine Unterstützungshandlungen schon längere Zeit vor der Begehung der Haupttaten in deren Vorbereitungsphase vorgenommen hatte (vgl.…BGHSt 46, 107, 115; NJW 1985, 1035, 1036).
5. Auch eine Risikoerhöhung als eigenständige Voraussetzung wird vom BGH Rdnr. 43 abgelehnt.
In diesem Zusammenhang geht der BGH auf die oben 1b) angesprochenen Streitfragen ein und spricht ihnen eine praktische Bedeutung ab. Rdnr. 45: Eine nähere Betrachtung dieser auf den ersten Blick divergierenden Ansichten zeigt, dass es sich hier weitgehend um einen Streit über dogmatische Begrifflichkeiten handelt, die allenfalls bei außergewöhnlichen - hier nicht gegebenen - Sachverhaltsgestaltungen zu abweichenden Ergebnissen führen. Soweit im Schrifttum etwa eine Kausalbeziehung zwischen dem Tatbeitrag des Gehilfen und der Tatbestandsverwirklichung durch den Haupttäter gefordert wird, wird dies nahezu einhellig nicht dahin verstanden, dass das Tun des Teilnehmers adäquat oder äquivalent kausal für den isolierten konkreten Taterfolg als solchen geworden sein muss. Vielmehr soll es genügen, wenn der Beitrag des Gehilfen das konkrete Tatbild, also das zum Taterfolg hinführende Geschehen, zumindest bis in das Versuchsstadium hinein mitprägt; danach scheidet die notwendige „Kausalität“ weder deswegen aus, weil das vom Gehilfen zur Tatverwirklichung beigetragene Handlungselement hypothetisch auch anderweitig hätte erbracht werden können, noch weil es sich nachträglich als überflüssig herausstellt (vgl. Cramer/Heine a.a.O. Rdnr. 10 m. w. Nachw.). Dies stimmt der Sache nach aber mit dem in der Rspr. aufgestellten Erfordernis überein, dass der Beitrag des Gehilfen das Herbeiführen des Taterfolges durch den Haupttäter (die Tathandlung, Tatbestandsverwirklichung) objektiv gefördert oder erleichtert haben muss (…Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 27 Rdnr. 2: Förderung der Haupttat ohne „Ursächlichkeit“ kaum denkbar). Nichts anderes gilt für die Rechtsfigur der (kausalen) Risikoerhöhung. Dass derjenige, der das auf die Tatbestandsverwirklichung gerichtete Tun des Haupttäters objektiv fördert oder erleichtert, in aller Regel das Risiko der Tatvollendung erhöht, liegt auf der Hand (vgl. BGHSt 42, 135, 138: Fördern des strafbaren Verhaltens des Haupttäters und dadurch Vergrößerung des Risikos, dass die Haupttat begangen wird [Unterstreichung im Originalurteil]).
M hat den Attentätern bei ihren Mordtaten Hilfe geleistet.
III. M müsste auch mit entsprechendem Gehilfenvorsatz gehandelt haben.
1. Das OLG hatte das verneint, weil M das bis dahin unvorstellbare Ausmaß der Anschläge und der Vernichtung von Menschenleben nicht erkannt habe und auch nicht habe erkennen können. Das OLG verlangte also eine gewisse Vorstellung von der „Unrechtsdimension“ der Haupttat. Es hatte M vom Vorwurf der Beihilfe zum Mord freigesprochen.
2. Dem folgt der BGH nicht.
a) Rdnr. 48: M wusste, dass die vier zu Piloten ausgebildeten Mitglieder der Vereinigung aus - von ihm geteilten - Hass gegen „die Amerikaner und Juden“ in den USA Flugzeuge unbekannter Art und Größe in ihre Gewalt und zum Absturz bringen würden… Sein Gehilfenvorsatz richtete sich damit direkt auf die Tötung von Menschen, wobei er die Anzahl von Opfern zumindest billigend in Kauf nahm, die nach den ihm bekannten Umständen der geplanten Anschläge in Betracht kam; im Hinblick auf die vier zu Piloten ausgebildeten Attentäter waren dies die möglichen Insassen von vier Verkehrsflugzeugen jeder denkbaren Größe. Damit ist der erforderliche Vorsatz des Angekl. gegeben, zu der Tötung der später den Abstürzen tatsächlich zum Opfer gefallenen Passagiere und Besatzungsmitgliedern Hilfe zu leisten.
b) Rdnr. 49: Mehr setzt das Gesetz für die subjektive Tatseite der Beihilfe…nicht voraus. Insbesondere bedarf es keiner Kenntnis der „Unrechtsdimension“ der tatsächlich ausgeführten Anschläge. Denn das Maß des tatsächlich verwirklichten Unrechts im Sinne der Intensität der Rechtsgutsbeeinträchtigung oder der Zahl der durch den Tatbeitrag über die Vorstellung des Gehilfen hinaus geförderten weiteren Rechtsgutsverletzungen ist kein Umstand der Tat, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört und daher (s. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB) zur Begründung des Schuldspruchs wegen Beihilfe vom Gehilfenvorsatz umfasst sein muss. Wer weiß oder zumindest für möglich hält und billigt, durch sein Tun ein Verhalten des Haupttäters zu fördern, das den Tatbestand einer Strafnorm erfüllt, ist somit auch dann der Beihilfe zu dieser Straftat schuldig, wenn der Haupttäter…eine größere Zahl von rechtswidrigen Taten begeht oder den tatbestandsmäßigen Erfolg…in zahlreicheren Fällen verwirklicht, als es sich der Gehilfe vorgestellt hat. Eine solche Divergenz führt lediglich dazu, dass der Schuldspruch auf die vom Vorsatz des Gehilfen erfassten Taten oder schuldspruchrelevanten Tatfolgen zu beschränken ist. Die letztere Überlegung führt im vorliegenden Fall dazu, dass M nicht auch wegen Beihilfe zur Tötung der 3.000 Opfer in den eingestürzten Gebäuden bestraft wird. Denn diese hatte er nicht in seinen Gehilfenvorsatz einbezogen.
Somit ist M der Beihilfe zum Mord an den 246 Passagieren und Besatzungsmitgliedern schuldig.
C. Gesamtergebnis: M ist wegen Beihilfe zum Mord in 246 Fällen in Tateinheit (§ 52 I StGB) mit der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu bestrafen.
Ergänzender Hinweis: Nachdem der BGH den M auch wegen Beihilfe zum Mord für schuldig gesprochen und den Fall an das OLG Hamburg zurückverwiesen hat, hat dieses M zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die von M gegen seine Bestrafung erhobene Verfassungsbeschwerde ist erfolglos geblieben.
Zusammenfassung