Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß

Garantenstellung bei Eheleuten, § 13 I StGB

BGH Urteil vom 24. 7. 2003 (3 StR 153/03) SV 2003, 611 = NJW 2003, 3212 = JuS 2004, 82 (Es handelt sich um einen Ausschnitt aus dem komplexen Originalfall.)

Fall (Ehefrau hilft nicht, zu Recht ?)

F und M sind seit einigen Jahren verheiratet. F verließ M mit dem festen und endgültigen Entschluss, sich baldmöglichst von M scheiden zu lassen. Vier Wochen, nachdem F aus der ehelichen Wohnung ausgezogen war, wurde M von einem gemeinsamen Bekannten der Eheleute (A) bestohlen. M erstattete Strafanzeige wegen Diebstahls. A war hierüber derart verärgert, dass er M zusammenzuschlagen wollte. F erhielt Kenntnis von diesem Vorhaben, unterließ es aber, M zu warnen, und unternahm auch keine Bemühungen, A von der Tat abzuhalten. A lauerte M auf, würgte ihn bis zur Grenze der Bewusstlosigkeit und schlug ihn mit der Faust in den Magen. Strafbarkeit der F ?

F könnte sich wegen Beihilfe zur Körperverletzung durch Unterlassen gemäß §§ 223 I, 27 I, 13 I StGB strafbar gemacht haben.

1. Eine vorsätzlich und rechtswidrig begangene Haupttat des A gemäß § 223 I StGB ist gegeben.

2. Hierzu hat M einen tatfördernden Beitrag geleistet, indem sie ihren Ehemann M nicht vor dem bevorstehenden Angriff gewarnt hat (zur Frage, welche Beziehung zwischen der Haupttat und der Gehilfenhandlung bestehen muss, vgl. Joecks, Studienkommentar, § 27 Rnr.7 ff.).

3 . Ein Unterlassen einer Erfolgsabwendung ist gemäß § 13 I StGB nur strafbar, wenn der Täter rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt. Ehegatten in einer bestehenden Lebensgemeinschaft sind einander als Garanten zum gegenseitigen Schutz verpflichtet. Umstritten ist aber, ob dies auch gilt, wenn die Ehegatten getrennt voneinander leben.

a) Nach einer Auffassung ergibt sich die Garantenpflicht unter Ehegatten aus § 1353 I S. 2 BGB. Danach sind die Ehegatten zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet. Dies gelte, solange die Ehe formal bestehe (vgl. Jakobs, Strafrecht, AT, S. 823). Die Einstandspflicht wird also an den bloßen Fortbestand der Ehe geknüpft. Auf der Grundlage dieser Auffassung hätte F ihren Ehemann M vor dem Angriff des A warnen müssen.

b) Nach anderer Auffassung ist die Grundlage der Garantenpflicht nicht § 1353 I S. 2 BGB, sondern das tatsächliche Bestehen eines gegenseitigen Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnisses zwischen den Ehegatten (Rudolphi in: SK StGB § 13 Rnr. 50). Liegt ein solches nicht mehr vor, könne das Unterlassen mangels eines Obhutsverhältnisses nicht dem aktiven Tun gleichgestellt werden. Hiernach war F, die bereits in ernster Trennungsabsicht von M lebte, nicht verpflichtet M, zu warnen.

c) Der BGH nimmt eine vermittelnde Position ein: Ihren Ausgangspunkt muss die Beantwortung der Frage nach den strafrechtlichen Schutzpflichten unter Eheleuten bei § 1353 I S. 2 BGB nehmen ... Dementsprechend kann die gegenseitige Beistandspflicht nicht etwa schon mit dem bloßen Auszug eines Ehegatten aus der Ehewohnung als solchem, also mit der bloßen räumlichen Trennung als beendet angesehen werden. Das Fehlen einer häuslichen Gemeinschaft muss – je nach den Umständen – nicht bedeuten, dass die eheliche Lebensgemeinschaft aufgegeben worden ist ... Andererseits würde es eine nicht zu rechtfertigende Überdehnung der strafrechtlichen Beistandspflicht unter Eheleuten bedeuten, wollte man annehmen, dass diese erst mit dem Ende der Ehe, ggf. also erst mit der Rechtskraft des Scheidungsurteils endet. Es sind zahlreiche Lebensgestaltungen denkbar, in denen – ungeachtet des formal fortbestehenden Ehebandes – keiner der beiden Ehegatten tatsächlich darauf vertraut oder auch nur Anlass hätte, darauf zu vertrauen, der andere Teil würde ihm zum Schutz seiner Rechtsgüter beistehen. Das gilt besonders augenfällig etwa dann, wenn die Ehegatten bereits seit Jahren getrennt sind ... Dementsprechend endet die strafrechtliche Garantenstellung unter Eheleuten, wenn ein Ehegatte sich vom anderen in der ernsthaften Absicht getrennt hat, die eheliche Lebensgemeinschaft nicht wieder herzustellen. Das entspricht der Regelung in § 1353 II und § 1565 I BGB unter Berücksichtigung von § 1566 BGB. Nach § 1565 I S. 2 BGB ist die Ehe gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, dass die Ehegatten sie wiederherstellen ...

F hatte sich in ernsthafter Absicht von M getrennt, so dass auf der Grundlage der Auffassung des BGH die Garantenstellung der F bezüglich des M mit dem Auszug aus der Wohnung endete. F war daher gemäß § 13 I StGB nicht rechtlich verpflichtet, M vor dem bevorstehenden Angriff des A zu warnen.

F hat sich nicht gemäß §§ 223 I, 27 I, 13 I StGB wegen einer Körperverletzung durch Unterlassen strafbar gemacht.

Zusammenfassung

Die Garantenpflicht aus § 13 I StGB endet bei Ehegatten mit der ernsthaften und endgültigen Trennung in der Absicht, die eheliche Lebensgemeinschaft nicht wieder herzustellen. Das bloß formale Bestehen einer Ehe ist für die Frage der Garantenpflicht gemäß § 13 I StGB nicht entscheidend.