Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß
► Mordmerkmal niedriger Beweggrund, § 211 StGB
BGH Beschluss vom 10.9.2003 (5 StR 373/03) StV 2004, 205
Fall (Tötung aus Hass und Wut)
Herr A und Frau B, beide chinesischer Abstammung, waren 1996 mit der Hilfe der Familie des A aus China nach Deutschland geflüchtet, um der dortigen Familienpolitik zu entkommen und in Deutschland ein besseres wirtschaftliches Leben führen zu können. Sie lebten in einer eheähnlichen Beziehung und hatten eine Tochter. Während sich B in Deutschland gut eingelebt hatte, hatte A Schwierigkeiten zurechtzukommen. Er beging immer wieder Straftaten und verbrachte deswegen einige Monate im Gefängnis. Während dieser Zeit lebte sich das Paar emotional auseinander. Nach der Entlassung des A kam es immer wieder zu Streitereien, zumal B sich zwischenzeitlich einem Deutschen zugewandt hatte, den sie heiraten wollte. A hielt sein Leben für erfolglos und gab B daran die Schuld. Er kam zu dem Entschluss, B dafür, dass sie es gewagt hatte, sich gegen ihn aufzulehnen, mit dem Tode bestrafen. Stark emotional aufgewühlt und voller Wut und Hass tötete er B in Gegenwart der fünfjährigen Tochter durch eine Vielzahl gegen Kopf und Hals geführter heftiger Schläge und Stiche mit einem chinesischem Hackmesser. Noch während der Hauptverhandlung hielt A seine Tat für berechtigt. Strafbarkeit des A ?
I. A könnte sich wegen Mordes gemäß § 211 II 1. Gruppe 4. Fall (niedriger Beweggrund) strafbar gemacht haben.
1. Durch die Schläge mit dem Hackmesser des A hat dieser den Tod der B herbeigeführt.
2. A könnte dabei aus niedrigen Beweggründen, hier aus Wut und Hass, gehandelt haben.
a) Ein niedriger Beweggrund liegt vor, wenn die Motivation des Täters sich nicht nur als verwerflich darstellt, sondern in einer Gesamtschau sittlich auf tiefster Stufe stehend und als besonders verachtenswert erscheint ( BGHSt 133,333). Als niedrig hat der BGH beispielsweise Rachsucht, hemmungslose und triebhafte Eigensucht sowie die Wut über verweigerten Geschlechtsverkehr beurteilt (vgl. Joecks, Studienkommentar, § 211 Rdnr. 14 m. w. N.)
Die Tat des A war durch Wut und Hass geprägt, die sich besonders augenfällig darin niederschlugen, dass er seine Tat, mit der er sich in maßloser Selbsterhöhung zum Richter über sein Opfer erhob, bis in die Hauptverhandlung guthieß ... Die Tötung der B aus Gründen aus Wut und Hass kann daher objektiv als auf sittlich tiefster Stufe stehend beurteilt werden.
b) Der BGH verneint aber die subjektive Komponentedes Mordmerkmals des niedrigen Beweggrundes, wonach unerlässlich ist, dass dem Täter die Einsicht in die Niedrigkeit seiner Beweggründe aufgrund seiner geistig-seelischen Verfassung nicht versperrt ist ... Hierzu verhält sich das LG, das lediglich – zutreffend – eine Einschränkung des angenommenen Mordmerkmals mit Rücksicht auf den anderen Kulturkreis, aus dem der A stammt, ablehnt, nicht näher. Dies wäre aber angesichts der Feststellungen zur geistig-seelischen Befindlichkeit des A bei Begehung der Tat unerlässlich gewesen. Das LG hat auch das Mordmerkmal der Grausamkeit mit Rücksicht auf die emotional aufgewühlte Gemütsverfassung des A bei der Tatbegehung verneint, die an seinem Bewusstsein über das Ausmaß der dem Opfer zugefügten Schmerzen und an der dieses Mordmerkmal prägenden unbarmherzigen Gesinnung zweifeln lasse. Bei der gegebenen Sachlage schließt der Senat aus, dass ein neuer Tatrichter unter gebührender Beachtung der subjektiven Anforderungen noch zur Annahme des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe gelangen könnte.
A hat somit nicht den Tatbestand des Mordes gemäß § 211 II 1. Gruppe 4. Fall StGB (niedriger Beweggrund) erfüllt.
II. A hat sich nur wegen Totschlags gemäß § 212 I StGB strafbar gemacht.
Das Mordmerkmal des niedrigen Beweggrundes hat auch eine subjektive Komponente und setzt voraus, dass dem Täter die Einsicht in die Niedrigkeit seiner Beweggründe aufgrund seiner geistig-seelischen Verfassung nicht versperrt ist.