Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß
Der folgende Fall ist ein Strafrechtsfall, der Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde wurde. Er könnte deshalb als Verfassungsbeschwerde behandelt werden. Ergebnis ist aber eine durch Grundrechte beeinflusste Auslegung des Strafrechts, also – analog zum „Verfassungsprivatrecht“ (JurTel 2003 Heft 10 S. 210) – ein „Verfassungsstrafrecht“. Deshalb wird der Fall entsprechend seinem eigentlichen Charakter primär als Strafrechtsfall behandelt, aber in der Interpretation durch das BVerfG.
► Strafrechtliche Anschlussdelikte, §§ 257, 258, 259 StGB. ► Geldwäsche, § 261 StGB. ► Berufsfreiheit, Art. 12 I GG. ► Verfassungskonforme Auslegung bzw. Reduktion
BVerfG Urteil vom 30. 3. 2004 (2 BvR 1520/01 und 1521/01) NJW 2004, 1305
Fall (Geldwäsche durch Strafverteidigerhonorar)
A, B und andere gründeten den „European Kings Club“ (EKC), der in großem Stil Gelder von Anlegern einsammelte und den Anlegern Renditen von über 50% jährlich versprach. Das war nur im sog. Schneeballsystem möglich, d. h. dass die scheinbaren Renditen durch Einzahlungen neuer Anleger finanziert wurden, was aber nach einiger Zeit zum Zusammenbruch des gesamten Systems führen musste und deshalb auf Betrug beruhte. Als das System aufflog und sich herausstellte, dass die später geworbenen Anleger mehr als 200 Mio. € verloren hatten, wurden A und B verhaftet. Sie beauftragten die Rechtsanwälte R – die späteren Beschwerdeführer im Verfassungsbeschwerdeverfahren – mit ihrer Verteidigung. Angestellte des EKC hoben vom Firmenkonto 100 000 € ab und brachten sie R als Vorschuss auf das Verteidigerhonorar, wobei davon auszugehen ist, dass der Betrag der Höhe nach angemessen war. Rechtsanwälte R waren über die gesamten Vorgänge unterrichtet und wussten auch, dass die 100 000 € nur aus Einzahlungen betrügerisch geschädigter Anleger stammen konnten; sie nahmen sie aber entgegen, weil weder A,B noch der EKC anderes Geld hatten. Wie haben sich die Rechtsanwälte R strafbar gemacht ?
Da die von R entgegengenommenen 100 000 € aus Betrug stammten, könnten sich R eines strafrechtlichen Anschlussdelikts schuldig gemacht haben.
A. Eines der drei „klassischen Anschlussdelikte“ der §§ 257 – 259 StGB (so BVerfG S. 1306 unter bb) liegt allerdings nicht vor:
I. Begünstigung (§ 257 StGB)
A, B hatten die Geldbeträge durch Betrug erlangt. Die Entgegennahme des Geldes als Honorar durch R könnte objektiv als Hilfeleistung bei der Vorteilssicherung gewertet werden, weil A, B dadurch von der Verpflichtung zur Zahlung des Honorars frei wurden. R hatten jedoch nicht die Absicht, A, B die Vorteile ihres Betruges zu sichern, sondern wollten lediglich das Entgelt für ihre Arbeit als Verteidiger erhalten.
II. Strafvereitelung (§ 258 StGB)
Sie kommt in der Form der Maßnahmevereitelung in Betracht (§ 258 I Fall 2), wobei Maßnahme ein Verfall nach § 73 StGB sein kann. Jedoch unterlag das Geld nicht dem Verfall, sondern hätte an die Geschädigten zurückgegeben werden müssen (§ 73 I 2).
III. Hehlerei (§ 259 StGB)
R haben sich die 100 000 € verschafft. Sie müssten unmittelbar durch eine Straftat erlangt worden sein und zu einer rechtswidrigen Besitzlage geführt haben, deren Aufrechterhaltung durch die Hehlerei geahndet werden soll (Schönke/Schröder/Stree, StGB, 26. Aufl., § 259 Rnr. 13). Das Geld stammte aber von einem Konto des EKC und damit unmittelbar von der Bank. An dem so erlangten Geld bestand keine rechtswidrige Besitzlage.
B. Vom Gesetz ebenfalls als Anschlussdelikt ausgestaltet wurde die Geldwäsche (§ 261 StGB), die hier in Betracht kommt.
I. Betrug ist eine hierfür taugliche Vortat, wenn er gewerbsmäßig oder von dem Mitglied einer Bande begangen wurde (261 I 2 Nr. 4a), was hier beides der Fall ist. Die 100 000 € waren ein Gegenstand, der aus dieser Tat i. S. des § 261 I 1 herrührt. Die 100 000 € konnten somit Gegenstand einer Geldwäsche sein. Von den möglichen in § 261 enthaltenen Tatbestandshandlungen kommt am ehesten § 261 II Nr. 1 in Betracht. Dann müssten R diesen Gegenstand sich verschafft haben.
II. R haben den Betrag an sich genommen und behalten, was als Sich-Verschaffen verstanden werden kann (so bereits oben III). Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass sie dabei keine typische Geldwäsche-Handlung vorgenommen, sondern als Strafverteidiger ein an sich berechtigtes Honorar ihrer Mandanten entgegengenommen haben. Das damit aufgezeigte Problem wird in die Frage gekleidet, ob auch Strafverteidiger in den Anwendungsbereich des § 261 II Nr. 1 einbezogen werden dürfen bzw. ob sie tauglicher Täter des dort aufgeführten Delikts sein können.
1. Die bis zu der Entscheidung des BVerfG entwickelten unterschiedlichen Auffassungen werden vom BVerfG auf S. 1306 unter a) dargestellt. In der vorangegangenen Entscheidung BGHSt 47, 68, 71 wurde diese Frage grundsätzlich bejaht.
2. Das BVerfG nimmt eine Auslegung des § 261 II Nr. 1 vor und stellt dabei ab auf
Diese Überlegungen führen zu dem Ergebnis, dass es keine Gründe dafür gibt, Strafverteidiger bei der Entgegennahme von Honorar von vornherein aus dem Anwendungsbereich des § 261 StGB herauszunehmen.
III. Etwas anderes könnte sich aber aus dem Gebot zu einer verfassungskonformen Auslegung des § 261 II Nr. 1 StGB ergeben. Danach ist eine Auslegung, die zu einem Verstoß gegen eine Verfassungsvorschrift, insbesondere ein Grundrecht führt, zu vermeiden und durch eine grundrechtskonforme zu ersetzen, soweit das nicht gegen den eindeutigen Wortlaut verstößt. Im vorliegenden Fall könnte die oben II 2 vorgenommene Auslegung des § 261 II Nr. 1 das Grundrecht der Strafverteidiger aus Art. 12 I GG (Berufsfreiheit) verletzen.
1. Dann müsste ein Eingriff in den Schutzbereich dieses Grundrechts vorliegen.
a) Das BVerfG gibt auf S. 1307 unter 2. zunächst den wesentlichen Inhalt des Art. 12 I wieder und wendet ihn dann auf den Beruf des Rechtsanwalts an, so unter bb): Die Berufstätigkeit des Rechtsanwalts liegt im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und rechtsstaatlich geordneten Rechtspflege (…BVerfGE 72, 51 [63 ff.]). Unter der Geltung des Rechtstaatsprinzips des Grundgesetzes müssen dem Bürger schon aus Gründen der Chancen- und Waffengleichheit Rechtskundige zur Seite stehen, denen er vertrauen und von denen er erwarten kann, dass sie seine Interessen unabhängig, frei und uneigennützig wahrnehmen… Voraussetzung für die Erfüllung dieser Aufgabe ist ein Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant… Der Schutz des Art. 12 I GG umfasst auch die Strafverteidigung, die zu den wesentlichen Berufsaufgaben eines Rechtsanwalts zählt.
b) BVerfG S. 1308 unter b): § 261 II Nr. 1 StGB greift in die Berufsausübungsfreiheit des Strafverteidigers ein…Zum Mandantenkreis eines forensisch tätigen Strafverteidigers zählen typischerweise Personen, die in den Verdacht einer Katalogtat der Geldwäsche geraten sind und gegen die deshalb ein Ermittlungsverfahren geführt wird. S. 1309 unter (b): Die Gefahr möglicher eigener Strafbarkeit, die für den Strafverteidiger aus § 261 II Nr. 1 StGB folgt, wenn die Bestimmung auf ihn wie auf Angehörige beliebiger anderer Berufsgruppen angewandt wird, ist mit der Gefahr eines Interessenkonflikts verbunden, der die professionelle Arbeit des Strafverteidigers erheblich erschweren oder sogar unmöglich machen kann. Nach § 261 Absatz 5 reicht für eine Strafbarkeit aus, dass der Rechtsanwalt leichtfertig nicht erkennt, dass der Vermögensgegenstand aus einer rechtswidrigen Tat herrührt, ein Verdacht, in den ein Verteidiger, der ja möglicherweise über die Tat des Mandanten genau Bescheid weiß, schnell kommen kann. Der Verteidiger wird sich dann nicht mehr nur um die Interessen des Mandanten kümmern, sondern muss auch die eigenen Interessen im Blick haben. Er darf nicht mehr wie bisher von der Unschuld des Mandanten ausgehen, sondern muss im eigenen Interesse, um nicht in die Gefahr einer Strafverfolgung zu geraten, damit rechnen, dass der Mandant Geld beispielsweise durch Betrug erlangt hat und damit das Honorar zahlt. Richtet sich ein derartiger Verdacht der Staatsanwaltschaft auf ihn, muss er sich um seine eigene Verteidigung kümmern und das Mandat niederlegen (BVerfG S. 1309 unter (bb)). Auch die Einhaltung der Pflicht zur absoluten Verschwiegenheit ist gefährdet, wenn der Rechtsanwalt sich nur durch Offenlegung bestimmter Umstände von einem auf ihn gefallenen Verdacht befreien kann.
2. Der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit durch die gesetzliche Regelung des § 261 II Nr. 1 StGB ist nach Art. 12 I 2 GG gerechtfertigt, wenn diese Vorschrift verhältnismäßig ist.
a) Das BVerfG legt auf S. 1310 unter aa) dar, dass das Ziel, die organisierte Kriminalität zu bekämpfen, gewichtigen Gemeinschaftsbelangen dient, und dass § 261 StGB hierfür geeignet und erforderlich ist.
b) S. 1310 unter cc): Für den Adressatenkreis der Strafverteidiger würde die uneingeschränkte Anwendung der Strafandrohung des § 261 II Nr. 1 StGB jedoch gegen das Übermaßverbot verstoßen.
Die Güterabwägung bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne muss zunächst berücksichtigen, dass das strafbewehrte Verbot, bemakelte Geldmittel anzunehmen, für den Adressatenkreis der Strafverteidiger nur wenig geeignet ist, den vom Gesetzgeber mit Einführung der Strafvorschrift der Geldwäsche erstrebten Erfolg spürbar zu fördern. Selten dürften Täter der Organisierten Kriminalität den Weg über Mandatierung und Honorierung eines Strafverteidigers wählen, um ihre Verbrechensgewinne zu waschen… Demgegenüber wiegt der durch § 261 II Nr. 1 bei uneingeschränkter Anwendung auf Strafverteidiger ermöglichte Eingriff in deren Berufsausübungsfreiheit schwer. Die Erfüllung des Tatbestands schon bei bedingt vorsätzlichem Handeln würde den anwaltlichen Vergütungsanspruch schon in Verdachtsfällen gefährden. Die freie Entscheidung des Strafverteidigers für oder gegen die Übernahme eines Mandats würde durch die mögliche und schwer zu prognostizierende Gefahr eigener Strafbarkeit spürbar beeinträchtigt…
Bei der gebotenen Abwägung zwischen den mit einer uneingeschränkten Einbeziehung der Strafverteidiger in den Kreis der Geldwäschetäter verbundenen Gefahren für die Berufsausübungsfreiheit und für das Institut der Wahlverteidigung einerseits und den erwarteten Vorteilen ihrer Einbeziehung bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität andererseits überwiegen die Nachteile. Eine uneingeschränkte Einbeziehung der Wahlverteidiger in den Kreis tauglicher Geldwäschetäter wäre unverhältnismäßig.
c) Allerdings wird eine völlige Freistellung des Strafverteidigers von der Strafbarkeit gemäß § 261 StGB vom Prinzip der Verhältnismäßigkeit nicht gefordert. BVerfG S. 1311 unter (2): Gerechtfertigt bleibt der Eingriff, wenn der Strafverteidiger im Zeitpunkt der Entgegennahme des Honorars (oder des Honorarvorschusses) sicher weiß, dass dieses aus einer Katalogtat herrührt. Die bewusste Übertragung bemakelter Vermögenswerte unter dem Schirm des verfassungsrechtlich geschützten Vertrauensverhältnisses ist ein Missbrauch der privilegierten Verteidigerstellung, der vor der Verfassung keinen Schutz verdient. Weiß der Strafverteidiger im Zeitpunkt der Annahme des Verteidigerhonorars sicher, dass die erhaltenen Mittel aus einer Katalogtat herrühren, so tritt er aus seiner Rolle als Organ der Rechtspflege heraus. Damit folgt das BVerfG der sog. Vorsatzlösung und stellt strenge Anforderungen an diesen Vorsatz („sicheres Wissen“).
3. Dieses Ergebnis übernimmt das BVerfG in die verfassungskonforme Auslegung des § 261 II Nr. 1, indem es auf S. 1311 unter 4 ausführt: § 261 II Nr. 1 StGB kann einschränkend ausgelegt werden und steht in dieser Auslegung mit der Verfassung in Einklang… Der Wortlaut der Vorschrift steht einer solchen Auslegung nicht entgegen. § 261 II Nr. 1 StGB enthält keine Umschreibung der Voraussetzungen, die vorsätzliches Handeln (vgl. § 15 StGB) erfüllen muss. Wie an vielen Stellen überlässt es das Strafgesetz Rechtsprechung und Literatur, zu bestimmen, was „Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung“ (vgl. BGHSt 36, 1 [9 ff.] im Einzelnen bedeutet. – Ob das allerdings wirklich noch Auslegung ist, insbesondere angesichts des § 261 V, ist fraglich. Das BVerfG spricht auf S. 1310 unter 3 auch von verfassungskonformer Reduktion, was zutreffender erscheint (zum Rechtsinstitut der teleologischen Reduktion vgl. Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, 4. Aufl. 1998, Rnr. 402 ff.).
Das Ergebnis formuliert das BVerfG in LS 1 wie folgt: § 261 II Nr. 1 StGB ist mit dem Grundgesetz vereinbar, soweit Strafverteidiger nur dann mit Strafe bedroht werden, wenn sie im Zeitpunkt der Annahme ihres Honorars sichere Kenntnis von dessen Herkunft hatten.
4. Für den vorliegenden Fall kann deshalb zunächst festgestellt werden, dass Rechtsanwälte R den Tatbestand des § 261 II Nr. 1 verwirklichen konnten und verwirklicht haben.
IV. Sie müssten auch den von der verfassungskonformen Interpretation des § 261 II Nr. 1 geforderten Vorsatz gehabt haben. Nach dem Sachverhalt waren R bei Annahme des Vorschusses auf das Verteidigerhonorar über die gesamten Vorgänge unterrichtet und wussten auch, dass die 100 000 € nur aus Einzahlungen betrügerisch geschädigter Anleger stammen konnten. Folglich hatten sie sichere Kenntnis von deren Herkunft.
R haben sich deshalb wegen Geldwäsche (§ 261 II Nr. 1 StGB) strafbar gemacht. – Die von ihnen gegen ihre Bestrafung erhobene und auf Art. 12 I GG gestützte Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG zurückgewiesen.
Zusammenfassung