Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß / Ass. iur. Matthias Dominok, LL. M
► Betrug, § 263 StGB. ► Konkurrenz von Straftat und Ordnungswidrigkeit (§ 21 OWiG). ► Spezialitätsverhältnis zwischen NormenBayObLG Beschluss vom 23. 11. 2004 (1 StRR 129/04) NJW 2005, 309
Fall ( Wohlhabender BAföG-Empfänger)
Student S beantragte im Jahr 2002 bei der zuständigen Behörde Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). In dem Antrag gab er bewusst wahrheitswidrig an, über kein die Freigrenze von 5.200 € übersteigendes Vermögen zu verfügen. Tatsächlich besaß S jedoch verschiedene Wertpapiere im Wert von insgesamt ca. 25.000 €. Bei einer solchen Vermögenshöhe bestand kein Anspruch auf Leistungen nach dem BAföG, was S auch wusste. Der zuständige Sachbearbeiter B bewilligte im Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben eine monatliche Förderung in Höhe von 500 €. Bis zur Aufdeckung des wahren Sachverhalts im Jahr 2003 erhielt S insgesamt Auszahlungen in Höhe von 5.000 €. Strafbarkeit des S ?
I. S könnte sich wegen eines Betrugs gemäß § 263 I StGB strafbar gemacht haben.
1. Dann müsste eine Täuschungshandlung des S gegeben sein. S hat über die Tatsache getäuscht, dass er über Vermögen in Höhe von 25.000 € verfügt. Eine Täuschungshandlung ist somit gegeben.
2. Durch diese hat S einen entsprechenden Irrtum bei B erregt.
3. Weiterhin müsste eine irrtumsbedingte Vermögensverfügung gegeben sein. Eine solche ist jedes Tun, Dulden oder Unterlassen, welches sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt. Durch den von B bewilligten Leistungsbescheid wurde das Vermögen des Förderungsträgers unmittelbar gemindert, weil dieses ab diesem Zeitpunkt mit einem entsprechenden Anspruch des S belastet wurde.
4. Durch die erfolgten Auszahlungen in Höhe von insgesamt 5.000 € ist es dann zu einem Vermögensschaden gekommen.
5. Weiterhin handelte S vorsätzlich hinsichtlich der Merkmale des objektiven Tatbestands und ihres kausalen Zusammenhangs und zudem in der Absicht, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen.
6. Das Verhalten des S war rechtswidrig und schuldhaft, so dass S sich grundsätzlich wegen Betruges gemäß § 263 I StGB strafbar gemacht hat.
II . Der Anwendbarkeit des § 263 I StGB könnte jedoch § 58 I Nr. 1 BAföG entgegenstehen. Nach dieser Norm handelt ordnungswidrig, „wer vorsätzlich … leistungserhebliche Tatsachen auf Verlangen nicht angibt…“. Dann müsste § 58 I Nr. 1 BAföG eine abschließende Spezialregelung sein, welche einen Rückgriff auf das in § 263 I StGB normierte allgemeine Verbot täuschungsbedingter Vermögensschädigungen versperrt. Die praktische Bedeutung dieser Frage liegt in dem Umstand, dass der Verstoß gegen § 58 I Nr. 1 BAföG lediglich eine Ordnungswidrigkeit i.S.d. § 1 I des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) darstellt. Dies hat zur Folge, dass bei alleiniger Anwendbarkeit des § 58 I Nr. 1 BAföG lediglich eine Geldbuße, nicht aber eine Kriminalstrafe in Form einer Geld- oder Freiheitsstrafe, wie dies bei einer Straftat gemäß § 263 I StGB der Fall ist, in Betracht käme.
1. Voraussetzung für eine Sperrwirkung gegenüber § 263 I StGB ist zunächst, dass S durch sein Verhalten den Tatbestand des § 58 I Nr. 1 BAföG verwirklicht hat.
In der Lehre ist streitig, ob Täuschungen bei der Beantragung von Förderleistungen nach dem BAföG überhaupt vom Tatbestand des § 58 I Nr. 1 BAföG erfasst werden. Nach dem Wortlaut der Vorschrift sind Falschangaben nur ordnungswidrig, wenn sie „auf Verlangen“ gemacht werden. Eine Ansicht hält dieses Merkmal nur dann für erfüllt, wenn ein solches Verlangen in Gestalt eines vorangehenden Auskunftsersuchens in Form eines Verwaltungsakts vorliegt (Ramsauer/Stallbaum, BAföG, § 58 Rdnr. 3). Bei einem Antrag auf Förderung fehlt es aber regelmäßig hieran, da das Verwaltungsverfahren erst durch den Antrag auf die Gewährung von Ausbildungsförderung angestoßen wird. Hiernach sind Falschangaben in einem solchen Antrag vom Tatbestand des § 58 I Nr. 1 BAföG nicht erfasst, mit der Folge, dass § 58 I Nr. 1 BAföG auch keine Sperrwirkung entfalten kann.
Die Gegenauffassung sieht ein „Verlangen“ i.S.d. Vorschrift bereits als gegeben an, wenn die Angaben zur Verbescheidung des Antrags erforderlich sind und daher in den entsprechenden Vordrucken abverlangt werden (Rothe/Blanke, BAföG, § 58 Rdnr. 61). Hiernach kann der Tatbestand des § 58 I Nr. 1 BAföG also bereits durch Falschangaben im verfahrenseröffnenden Förderungsantrag erfüllt werden. Für diese Ansicht spricht, dass nach Sinn und Zweck des § 58 I Nr. 1 BAföG nicht einsichtig ist, weshalb der Schutz vor Falschangaben auf solche Fälle beschränkt werden sollte, in denen der Auskunft ein förmliches Ersuchen der zuständigen Behörde vorausgegangen ist. Hierdurch würde die Bußgeldvorschrift von vornherein in vielen Fällen leer laufen. Auch verlangt der Wortlaut eine solche einschränkende Auslegung nicht, denn die Erfassung von Fällen, in denen die Auskünfte von amtlichen Vordrucken „verlangt“ werden, überschreitet den Wortsinn des entsprechenden Tatbestandsmerkmals „auf Verlangen“ nicht. S hat daher den Tatbestand des § 58 I Nr. 1 BAföG verwirklicht.
2. Damit ist weiter zu prüfen, ob § 58 I Nr. 1 BAföG die Vorschrift des § 263 I StGB sperrt.
a) Das Konkurrenzverhältnis zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ist in § 21 I 1 OWiG geregelt. Dieser bestimmt als Grundregel, dass nur das Strafgesetz angewendet wird, wenn eine Handlung gleichzeitig Ordnungswidrigkeit und Straftat ist. Hiernach sperrt § 58 I Nr. 1 BAföG den § 263 I StGB nicht, sondern wird selbst von § 263 I StGB verdrängt.
b) Allerdings enthält § 21 I 1 OWiG nur eine Grundregel, die in Ausnahmefällen durchbrochen werden kann. Voraussetzung für einen Ausnahmefall ist, dass der Ordnungswidrigkeitentatbestand erkennbar als Spezialregelung ausgestaltet ist und dasselbe Rechtsgut schützen soll wie die Strafnorm.
aa) Das BayObLG führt zu der erstgenannten Voraussetzung aus, dass Kennzeichen für die Spezialität eines Bußgeldtatbestands gegenüber einem Straftatbestand ist, dass bei wesentlicher Identität der beiden Normen in ihrem Grundtatbestand die Bußgeldnorm sich durch ein zusätzliches Merkmal unterscheidet, welches das tatbestandlich vertypte Unrecht gegenüber der Strafnorm in einem milderen Licht erscheinen lässt. Eine Analyse der hier konkurrierenden Tatbestände ergibt, dass in § 58 Abs. 1 Satz 1 BAföG…lediglich schlichte Tätigkeiten (wahrheitswidrige Antragstellung) … mit Geldbuße bewehrt ... sind. Es soll damit bereits falschen Angaben vorgebeugt werden. Die Vorschrift ist somit als Tätigkeits- und Gefährdungsdelikt ausgeformt. Demgegenüber ist der Betrug ein Erfolgsdelikt. Über die Verwirklichung eines Vermögensschadens hinaus werden beim Betrug mit vorsätzlicher Irrtumserregung, Bereicherungsabsicht und Vermögensverfügung weitere Tatbestandselemente verlangt, die in der Bußgeldbestimmung gerade keine Entsprechung haben. Es fehlt somit bereits an einer Spezialität des § 58 I Nr. 1 BAföG. Ergänzend weist der erkennende Senat hinsichtlich des tatbestandlich vertypten Unrechts auch darauf hin, dass der Unrechtsgehalt des Sozialleistungsbetrugs durch eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit bei weitem nicht ausgeschöpft würde. Zudem trete bereits nach allgemeinen Konkurrenzregeln das Gefährdungsdelikt regelmäßig hinter das gegen dasselbe Rechtsgut gerichtete Erfolgsdelikt zurück. Erst recht gilt dies bei einer Konkurrenz einer Ordnungswidrigkeit als Gefährdungsdelikt und einer Straftat als Erfolgsdelikt.
Gegen diese Überlegungen wird im Sinne einer Spezialität des § 58 I Nr. 1 BAföG eingewandt, dass hiernach die Bußgeldvorschrift im Falle vorsätzlicher Falschangaben stets leer laufen würde, weil diese immer von § 263 I StGB verdrängt würde. Das habe zur Folge, dass bei Annahme eines solchen Konkurrenzverhältnisses § 58 I Nr. 1 BAföG überflüssig sei (Bohnert NJW 2003, 3611, 3613). Dem ist zu entgegnen, dass der Bußgeldnorm ein – wenn auch kleiner – eigenständiger Anwendungsbereich verbleibt (vgl. hierzu König JA 2004, 497, 499). Zudem setze sich die Kritik in Widerspruch zur Regelung des § 21 I 1 OWiG. Würde man ihr folgen, müsste der Gesetzgeber bei der Schaffung von Bußgeldtatbeständen die strafrechtlichen Regelungen stets mitbedenken und die Ordnungswidrigkeitenvorschriften derart ausgestalten, dass sich keine Überschneidungen mit Normen des Strafrechts ergeben, wollte er nicht ein Zurückweichen des strafrechtlichen Schutzes im Wege des Vorrangs der Bußgeldregelung riskieren. § 21 I 1 OWiG soll dem Gesetzgeber solche Klimmzüge aber gerade ersparen und den Vorrang des Strafrechts für den Regelfall festschreiben. Angesichts des Umstands, dass sich bei vielen Bußgeldtatbeständen Überschneidungen mit strafrechtlichen Vorschriften finden lassen dürften, würde dieser gewollte Regelvorrang des Strafrechts jedoch contra legem praktisch beseitigt. Es fehlt somit an einer tatbestandlichen Spezialität des § 58 I Nr. 1 BAföG.
bb) Fraglich ist darüber hinaus, ob § 58 I Nr. 1 BAföG und § 263 I StGB dasselbe Rechtsgut schützen sollen. § 263 I StGB schützt das Vermögen. Ob dies gleichfalls für die Bußgeldvorschrift gilt, ist hingegen streitig. Das BayObLG wendet hiergegen mit einem Teil der Literatur ein, dass die Bußgeldbewehrung in § 58 Abs. 1 Nr. 1 BAföG die Durchsetzung der Mitwirkungspflichten der am Verfahren Beteiligten … sicherstellen soll, weshalb es nahe liege, dass das eigentliche Schutzgut der ordnungsgemäße Vollzug der Ausbildungsförderung ist. Ziel ist es dabei, dass die Sozialleistungen nur all denen gleichmäßig zugute kommen, die im Sinne des Gesetzes bedürftig sind. Der Schutz des Vermögens des Leistungsträgers durch die Bußgeldnorm, der durch die Statuierung eines Verwaltungsunrechts gegenüber der Strafnorm ohnehin wesentlich schwächer ausgeformt ist, hat demgegenüber nur untergeordnete Bedeutung. Er folgt gewissermaßen als Reflex aus der Einhaltung der die Mitwirkungspflicht regelnden Verfahrensvorschriften.
3. S kann sich daher nicht auf eine Vorrangigkeit des § 58 I Nr. 1 BAföG berufen. Er hat sich wegen Betrugs nach § 263 I StGB strafbar gemacht.
Zusammenfassung