Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß

Körperverletzung mit Todesfolge, § 227 StGB

LG Kleve Beschluss vom 04. 04. 2003 (JS 467/02) NStZ-RR 2003, 235

Fall (Hilfsbereiter Taxifahrer)

A saß am 09. 09. 2002 gegen 21.45 Uhr auf dem Bahnhofsplatz in einem Wartehäuschen und trank dort Bier. Als B dort vorbeikam, sprang A auf, griff B zunächst verbal an und schlug diesen dann völlig grundlos mit den Fäusten ins Gesicht, so dass B zu Boden ging. A trat auf den am Boden liegenden B mit dem beschuhten Fuß ein. Dies sah der in der Nähe befindliche 56 Jahre alte und schwer übergewichtige Taxifahrer E und eilte auf A zu, um dem am Boden liegenden B zu helfen. Als E sich unmittelbar vor A befand, schlug dieser ihn dreimal mit der Faust gegen den Kopf. Da diese Schläge nicht sehr heftig waren, gelang es E, den A zu überwältigen und bis zum Eintreffen der Polizei festzuhalten. Auch nachdem die Polizei eingetroffen war und A festnahm, beschimpfte dieser E heftig. Aufgrund der mit dem gesamten Vorfall für E verbundenen besonderen Stress-Situation brach E zusammen und fiel in ein Koma. E litt seit längerer Zeit an einer Schließungsunfähigkeit der linken Herzklappe, so dass es zu Rückstauungen von Blut in die Organe kam, was einen Gehirninfarkt auslöste. E wurde in eine Spezialklinik gebracht, in der er infolge der Bettlägerigkeit eine Lungenentzündung erlitt. E erwachte nicht mehr aus dem Koma und verstarb nach 14 Tagen an den Folgen der Lungenentzündung. Strafbarkeit des A ?

I. Durch die Schläge und Tritte mit dem beschuhten Fuß hat A sich wegen einer gefährlichen Körperverletzung gemäß §§ 223 I, 224 I, Nr. 2, 2. Fall StGB gegenüber B strafbar gemacht.

II. A könnte sich weiterhin wegen einer Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 StGB bezüglich des E strafbar gemacht haben.

1. Dann müsste A eine Körperverletzung gemäß § 223 I StGB begangen haben. Indem er E dreimal gegen den Kopf schlug, hat er diesen sowohl körperlich misshandelt als auch an seiner Gesundheit beschädigt, so dass der Tatbestand der Körperverletzung gemäß § 223 I StGB gegeben ist.

2. Weiterhin muss ein tatspezifischer Zusammenhang zwischen dem Grunddelikt (§ 223 I StGB) und der schweren Folge, dem Tod des E, gegeben sein. Angesichts der hohen Strafandrohung des § 227 1 StGB – Freiheitsstrafe von 3 bis zu 15 Jahren – ist eine über die bloße Kausalität hinaus gehende besondere Verknüpfung zwischen der Körperverletzung und dem Tod des Opfers erforderlich. Die Rechtsprechung des BGH verlangt, dass sich in dem Todeseintritt die spezifische, dem Erfolg des Grunddeliktes innewohnende Gefährlichkeit niedergeschlagen hat (BGHSt 31, 96). Dafür ist allerdings nicht erforderlich, dass sich der Todeserfolg gerade aus dem vorsätzlich zugefügten Körperverletzungserfolg ergibt. Eine derart einengende Auslegung des Gesetzes würde dem Schutzzweck der Vorschrift nicht gerecht. Es genügt vielmehr, dass der Körperverletzungshandlung das Risiko eines tödlichen Ausgangs anhaftet und dass sich dann dieses dem Handeln des Täters eigentümliche Risiko beim Eintritt des Todes verwirklicht (BGHSt 31, 96; vgl. zur a.A. Puppe NStZ 1983, 24 m. w. N.).

Das LG verneint eine solche deliktspezifische Form der Körperverletzungshandlung des A: Die Anforderungen an die Gefährlichkeit der Körperverletzungshandlung müssen dabei enger sein, als die bloße Vorhersehbarkeit des Todeseintritts, da andernfalls die gebotene Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 227 StGB nicht erreicht würde. Welche Intensität die Körperverletzungshandlung haben muss, ist in der Rechtsprechung des BGH bislang nicht für alle Fälle abstrakt definiert. Aus den genannten Gründen greift § 227 StGB nur ein, wenn eine auch ohne das Hinzutreten weiterer Umstände lebensbedrohende Vorgehensweise des Täters vorliegt.

So verhielt es sich im oben angeführten BGH-Fall, dem „Hochsitz-Fall“. Der dortige Täter hatte, indem er einen Hochsitz umwarf, um seinen dort befindlichen Onkel zu verletzen, eine Handlung begangen, die für das Opfer das Risiko eines tödlichen Ausgangs (etwa durch Genickbruch) in sich barg (auch wenn dieser sich zunächst nur einen Knöchel brach und erst aufgrund eines längeren Krankenhausaufenthaltes und von Vorerkrankungen an einer Lungenentzündung starb).

Eine Vergleichbarkeit mit dem „Hochsitz-Fall“ verneint des LG hier mit folgender Begründung: Die Feststellung einer solchen deliktspezifischen Gefahr der Körperverletzung des Angeklagten ist hier nicht wahrscheinlich. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Schläge des Angeklagten bereits für sich allein lebensgefährlich waren, etwa weil sie besonders sensible Regionen des Kopfes trafen oder besonders wuchtig ausgeführt wurden. Derzeit ist im Gegenteil anzunehmen, dass die Faustschläge – abgesehen von der damit für das Opfer verbundenen Stress-Situation – mit einer sehr geringen unmittelbaren körperlichen Beeinträchtigung verbunden waren.

Damit fehlte es an einer für das Opfer lebensgefährlichen Körperverletzungshandlung, so dass auf der Grundlage der Rechtsprechung des BGH der tatspezifische Zusammenhang zwischen dem Grunddelikt und der schweren Folge nicht besteht. A hat sich nicht wegen einer Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 StGB strafbar gemacht.

Zusammenfassung

Wegen des hohen Strafrahmens des § 227 StGB ist ein tatspezifischer Gefahrenzusammenhang zwischen der Körperverletzungshandlung und dem Eintritt der schweren Folge, dem Tod des Opfers, erforderlich. Dafür ist erforderlich und ausreichend, dass bereits der Körperverletzungshandlung des Täters die Gefahr des Todes des Opfers innewohnt. Daran fehlt es, wenn der Täter gegenüber dem Opfer nur mit Schlägen einer geringen Intensität vorgeht.