Bearbeiter: RA Prof. Dieter Schmalz

► Betrug (§ 263 StGB) in der Form des Wettbetruges. ► Täuschungshandlung durch konkludente Erklärung einer Negativ-Tatsache. Abgrenzung des aktiven (positiven) Tuns vom Unterlassen. Vermögensschaden beim Betrug durch Vertragsschluss (Eingehungsbetrug); Bestimmung des Schadens bei manipulierter Oddset-Wette. Beihilfe zum Wettbetrug (§§ 263, 27 StGB) durch Schiedsrichter

BGH Urteil vom 15. 12. 2006 (5 StR 181/06) NJW 2007, 782

Fall (Fußballwettskandal)

A befasste sich intensiv mit Sportwetten und beteiligte sich daran. Bei der von der Deutschen Klassenlotterie Berlin (DKLB) zu festen Quoten betriebenen sog. Oddset-Wette konnte er zwar nur sog. Kombinationswetten mit mehreren Sportereignissen spielen, gewann damit aber sechsstellige Beträge. Als er später Verluste in Höhe von mehr als 300.000 € erlitt, beschloss er, seine Gewinnchancen bei Wetten auf Fußballspiele durch Einflussnahme auf Schiedsrichter und Spieler zu verbessern. Ihm gelang es, den Schiedsrichter H sowie einige Spieler durch Geldzuwendungen in der Höhe zwischen 3.000 und 50.000 € dazu zu bewegen, bestimmte Spiele durch bewusst falsche Schiedsrichterentscheidungen sowie durch absichtliche Zurückhaltung im Spiel zu manipulieren. Betroffen waren Spiele im DFB-Pokal, in der Zweiten Bundesliga und in der Regionalliga. A schloss im Wettbüro des W auf diese Spiele insgesamt zehn Wettverträge ab. In vier Fällen gewann A Beträge zwischen 300.00 und 870.000 €, in sechs Fällen ging der Einsatz verloren. Insgesamt betrug der Überschuss der Gewinne über die Einsätze für A ca. 2 Mio. €. Die für die Beurteilung erforderlichen Tatsachenfeststellungen beruhten im wesentlichen auf den Angaben der geständigen Angeklagten A und H. Wie haben sich A und H strafbar gemacht ?

A. Eine Bestechung des H durch A nach § 334 StGB scheidet aus, weil ein im Auftrage des DFB tätiger Schiedsrichter kein Amtsträger i. S. des § 11 StGB ist. Unter dem von § 334 II ausdrücklich hervorgehobenen „Schiedsrichter“ fällt nicht der Fußballschiedsrichter. Aus demselben Grunde entfällt auch eine Bestechlichkeit (§ 332 StGB) des H.

B. Betrug (§ 263 StGB) durch das Verhalten des A

I. A könnte sich in zehn Fällen des Betrugs zu Lasten des Wettanbieters DKLB schuldig gemacht haben.

1. Hierfür müsste A dem W oder seinen Mitarbeitern gegenüber eine Täuschungshandlung begangen haben. Eine ausdrückliche Erklärung, die als Täuschung gewertet werden könnte, hat A nicht abgegeben. Die Täuschung könnte aber in einem konkludenten Verhalten des A bei Abschluss der Wettverträge zu sehen sein.

a) BGH Rdnr. 19: In Rechtsprechung und Literatur ist allgemein anerkannt, dass…eine Täuschung i. S. des § 263 I StGB auch konkludent erfolgen kann, nämlich durch irreführendes Verhalten, das nach der Verkehrsanschauung als stillschweigende Erklärung zu verstehen ist. Davon ist auszugehen, wenn der Täter die Unwahrheit zwar nicht expressis verbis zum Ausdruck bringt, sie aber nach der Verkehrsanschauung durch sein Verhalten miterklärt (BGHSt 47, 1 [3]…).

Rdnr. 20: Der Erklärungswert eines Verhaltens ergibt sich demnach nicht nur aus demjenigen, was ausdrücklich zum Gegenstand der Kommunikation gemacht wird, sondern auch aus den Gesamtumständen der konkreten Situation…

Rdnr. 21, 22: Entscheidende Kriterien für die Auslegung eines rechtsgeschäftlich bedeutsamen Verhaltens sind neben der konkreten Situation der jeweilige Geschäftstyp und die dabei typische Pflichten- und Risikoverteilung zwischen den Partnern… Für eine Vielzahl von Fallgruppen hat die Rspr. anhand des jeweiligen Geschäftstyps und der dabei üblichen Pflichten- und Risikoverteilung den jeweils typischen Inhalt konkludenter Kommunikation herausgearbeitet (vgl. näher Tiedemann, in: LK-StGB, § 263 Rdnrn. 31 ff.;… Tröndle/Fischer, § 263 Rdnrn. 13 ff., jew. m. w. Nachw.).

 Erklärungsinhalt kann danach auch sein, dass etwas nicht geschehen ist (sog. Negativtatsache)… Eine konkludente Erklärung derartiger Negativtatsachen kommt insbesondere dann in Betracht, wenn es um erhebliche vorsätzliche Manipulationen des Vertragsgegenstands geht, auf den sich das kommunikative Verhalten bezieht. Dazu verweist der BGH auf folgenden Beispiele: RGSt 20, 244: Überstreichen schwammbefallener Hausteile; RGSt 59, 299 [305 f.]: Überdecken schlechter Ware; BGH MDR 1969, 497: Verfälschen von Lebensmitteln;…BGH NJW 1988, 150: Erschleichen einer Prädikatsbezeichnung für Wein;…BGHSt 47, 83: unzulässige vorherige Preisabsprache…

Zwar reicht die allgemeine Erwartung, der andere werde sich redlich verhalten, für die Annahme entsprechender konkludenter Erklärungen nicht aus. Jedoch ist die Erwartung, dass keine vorsätzliche sittenwidrige Manipulation des Vertragsgegenstands durch einen Vertragspartner in Rede steht, unverzichtbare Grundlage jeden Geschäftsverkehrs und deshalb zugleich miterklärter Inhalt entsprechender rechtsgeschäftlicher Erklärungen. Dem Angebot auf Abschluss eines Vertrags ist demnach in aller Regel die konkludente Erklärung zu entnehmen, dass der in Bezug genommene Vertragsgegenstand nicht vorsätzlich zum eigenen Vorteil manipuliert wird.

b) BGH Rdnr. 23: Beim Abschluss einer Sportwette erklärt demnach regelmäßig jeder der Beteiligten konkludent, dass das wettgegenständliche Risiko nicht durch eine von ihm veranlasste, dem Vertragspartner unbekannte Manipulation des Sportereignisses zu seinen Gunsten verändert wird (BGHSt 29, 165 - Pferdewette).

Bei Sportwetten besteht allerdings die Besonderheit, dass das Ereignis in der Zukunft liegt. Deshalb kann sich die konkludente Erklärung nur auf zukünftiges Geschehen beziehen. Dabei wird sich der Vertragspartner kaum Gedanken darüber machen, ob der Erklärende eine bloße innere Absicht einer Manipulation hat. Erforderlich ist, dass darüber hinaus mit der Verwirklichung begonnen wurde. BGH Rdnr. 24: Eine Täuschung ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn zu dem konkreten Plan der Manipulation des zukünftigen Sportereignisses die konkrete Einflussnahme tritt, etwa wie hier durch die vorherigen Abreden mit Teilnehmern an dem Sportereignis, die ihre Manipulation zugesagt haben.

Somit lag eine konkludente Täuschung der Mitarbeiter des W durch A vor.

c) BGH Rdnr. 26, 27: Dabei handelt es sich um eine konkludente Täuschung durch aktives Tun und nicht um eine Täuschung durch Unterlassen. Für die Abgrenzung stellt der BGH zutreffend fest, dass von der Prüfung eines aktiven Tuns auszugehen ist und dass nur bei dessen Verneinung ein Unterlassen in Betracht kommt. In den hier zu beurteilenden Fällen liegt der relevante Handlungsschwerpunkt in einem positiven Tun, weil der Täter inzident die Essentialia zusichert, die - wie oben dargestellt - zur unverzichtbaren Grundlage des Geschäfts zählen. Deshalb ist im vorliegenden Fall ein aktives Verhalten, nämlich der Abschluss des Wettvertrags, die strafbarkeitsbegründende Täuschungshandlung, weil ihm der Erklärungswert zukommt, nicht auf Manipulationen des Vertragsgegenstandes hingewirkt zu haben. Da somit ein aktives Tun vorliegt, braucht die beim Unterlassen erforderliche Rechtspflicht zum Handeln nicht festgestellt zu werden.

2. Zur Irrtumserregung BGH Rdnr. 28: Durch die konkludente Täuschung über die Manipulationsfreiheit des Wettgegenstandes ist bei den jeweiligen Mitarbeitern der Wettanbieter auch ein entsprechender Irrtum erregt worden (vgl. BGHSt 29, 165 [168] - Pferdewetten). Die Mitarbeiter der Wettanbieter gingen - jedenfalls in Form des sachgedanklichen Mitbewusstseins (hierzu näher Tröndle/Fischer, § 263 Rdnr. 35 m. w. Nachw.) - jeweils davon aus, dass das wettgegenständliche Risiko nicht durch Manipulation des Sportereignisses zu Ungunsten ihres Unternehmens ganz erheblich verändert wird. Ansonsten hätten sie die jeweiligen Wettangebote zu der angebotenen Quote zurückgewiesen. Gerade weil die Manipulationsfreiheit des Wettgegenstandes beim Abschluss einer Sportwette mit festen Quoten für die Vertragspartner von entscheidender Bedeutung für die Einschätzung des Wettrisikos ist, verbinden Wettender und Wettanbieter mit ihren rechtsgeschäftlichen Erklärungen regelmäßig die Vorstellung, dass der Wettgegenstand nicht manipuliert wird… Hierüber irren sie aber infolge des Verhaltens des anderen Teils.

3. Dieser Irrtum führte auch zu einer Vermögensverfügung, nämlich zum Vertragsabschluss mit den jeweiligen Wettanbietern.

4. Dadurch könnte bei dem Wettanbieter der für einen Betrug erforderliche Vermögensschaden eingetreten sein.

a) BGH Rdnr. 31: Beim Betrug durch Abschluss eines Vertrags (Eingehungsbetrug) ergibt der Vergleich der Vermögenslage vor und nach Abschluss des Vertrags, ob ein Vermögensschaden eingetreten ist. Zu vergleichen sind die beiderseitigen Vertragsverpflichtungen. Wenn der Wert des Anspruchs auf die Leistung des Täuschenden hinter dem Wert der Verpflichtung zur Gegenleistung des Getäuschten zurückbleibt, ist der Getäuschte geschädigt… Entscheidend ist für die Tatbestandserfüllung beim (Eingehungs-) Betrug, dass der Verfügende aus dem Bestand seines Vermögens auf Grund der Täuschung mehr weggibt, als er zurückerhält…

 Diese für übliche Austauschgeschäfte entwickelte Rechtsprechung bedarf der Anpassung an die Besonderheiten der hier gegenständlichen Sportwetten, bei denen zur Eingehung der vertraglichen Verpflichtungen der Austausch von Einsatz und Wettschein (einer Inhaberschuldverschreibung, vgl. Palandt/Sprau BGB § 793 Rdnr. 5) hinzukommt:

 Rdnr. 32: Bei Sportwetten mit festen Quoten (sog. Oddset-Wetten) stellt die auf Grund eines bestimmten Risikos ermittelte Quote gleichsam den Verkaufspreis der Wettchance dar; die Quote bestimmt, mit welchem Faktor der Einsatz im Gewinnfall multipliziert wird. Weil die von A geplante und ins Werk gesetzte Manipulation der Fußballspiele das Wettrisiko ganz erheblich zu seinen Gunsten verschoben hatte, entsprachen die bei dem Vertragsschluss vom Wettanbieter vorgegebenen Quoten nicht mehr dem Risiko, das jeder Wettanbieter seiner eigenen kaufmännischen Kalkulation zu Grunde gelegt hatte. Eine derart erheblich höhere Chance auf den Wettgewinn ist wesentlich mehr wert, als A hierfür jeweils in Ausnutzung der erfolgten Täuschung gezahlt hat. Für seinen jeweiligen Einsatz hätte er bei realistischer Einschätzung des Wettrisikos unter Berücksichtigung der verabredeten Manipulation nur die Chance auf einen erheblich geringeren Gewinn erkaufen können. Diese „Quotendifferenz“ stellt bereits bei jedem Wettvertragsabschluss einen nicht unerheblichen Vermögensschaden dar.Diese Feststellung ist möglich, ohne dass der Quotenschaden beziffert werden müsste (BGH Rdnr. 33).

Somit ist der für den Betrug wesentliche Vermögensschaden bereits im Zeitpunkt des Abschlusses des Wettvertrages in Form eines „Quotenschadens“ gegeben. Da A auch vorsätzlich und in Bereicherungsabsicht gehandelt hat, stellt der BGH unter Rdnr. 30 fest: In allen Fällen liegt bereits mit Abschluss der jeweiligen Wettverträge ein vollendeter Betrug vor.

b) Für die Beurteilung zumindest im Hinblick auf die Strafzumessung ist auch die weitere Entwicklung der jeweiligen Betrugsfälle zu betrachten:

aa) War die Wette für A erfolgreich, wurde ihm insbesondere ein Gewinn ausgezahlt (so in vier Fällen), so schlägt das beim Wettanbieter zunächst nur bestehende Verlustrisiko in einen endgültigen Vermögensverlust um. BGH Rdnr. 34: Der so erzielte Vermögensvorteil war das Endziel des mit Hilfe von Manipulationen Wettenden. Weil sich Sportwettenverträge auf ein in der Zukunft stattfindendes Ereignis beziehen, stellt der Quotenschaden das notwendige Durchgangsstadium…des beabsichtigten endgültigen Schadens bei dem Wettanbieter dar.

bb) Haben die Manipulationen keinen Erfolg gehabt (so in sechs Fällen), bleibt es bei dem Ergebnis oben a); der eingetretene Quotenschaden ändert sich nicht. Das LG hatte zwar noch eine schadensgleiche Vermögensgefährdung angenommen (BGH Rdnr. 37). Dem folgt der BGH aber nicht (Rdnr. 38, 39). Hierfür müsste die konkrete und ernstliche Gefahr einer wirtschaftlichen Schädigung des Wettanbieters angenommen werden können. Insbesondere bei einer Kombinationswette ist aber ein für den Wettenden günstiger, für den Wettanbieter ungünstiger Verlauf nicht einmal wahrscheinlich, denn er hängt von weiteren Umständen ab, die sich der Einflussnahme des Wettenden trotz dessen Manipulationen entziehen. Insoweit kommt der BGH nur zur Annahme einer abstrakten Vermögensgefährdung, die für den Schaden irrelevant ist.

5. Strafschärfend ist heranzuziehen, dass A i. S. des § 263 III 2 Nr. 1 StGB „gewerbsmäßig“ gehandelt und in den erfolgreichen vier Fällen auch einen „Vermögensverlust großen Ausmaßes“(Nr. 2) herbeigeführt hat.

II. Ergebnis zu A.: A hat sich in zehn Fällen (§ 53 StGB) wegen eines Betruges in einem besonders schweren Fall strafbar gemacht. Das LG hat ihn, vom BGH gebilligt, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten verurteilt.

C. Strafbarkeit des Schiedsrichters H

I. Das „Verpfeifen“ von Fußballspielen, insbesondere durch Zusprechen unberechtigter Strafstöße, durch Platzverweis ohne hinreichenden Grund, ist zwar unter sportlichen Gesichtspunkten höchst verwerflich, ist aber nicht strafbar.

II H hat sich aber wegen Beihilfe zu den Betrugstaten des A nach §§ 263, 27 StGB strafbar gemacht.

1. BGH Rdnr. 41: Die Betrugstaten des Haupttäters A waren von in dem von ihm beabsichtigten und von den Teilnehmern erkannten Umfang frühestens mit der Auszahlung des zu Unrecht beanspruchten Wettgewinns beendet. Bis zu diesem Zeitpunkt förderten alle Handlungen, die unmittelbar der Manipulation des wettgegenständlichen Spielereignisses dienten oder durch die Spieler bzw. Schiedsrichter zur Manipulation des Spielgeschehens angehalten oder dabei bestärkt wurden, den beabsichtigten unrechtmäßigen Wettgewinn des A. Auf Grund der Eigenart der Sportwette, die ein in der Zukunft liegendes Sportereignis betrifft, ist eine derartige Beihilfe zum Wettbetrug mittels Manipulation des Wettereignisses nicht nur durch deren vorherige Zusage, sondern auch nach Wettvertragsabschluss möglich.

2. Da H von den Handlungen des A Kenntnis hatte - im Originalsachverhalt bezog sich diese Kenntnis nur auf sechs Fälle - und sie billigte, weil er selbst davon einen wirtschaftlichen Vorteil hatte, hat H auch vorsätzlich gehandelt.

3. Das LG hat H deshalb, vom BGH unbeanstandet, wegen Beihilfe zum Betrug in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten verurteilt.

Abschließender Hinweis:

Damit ist dieser Fall strafrechtlich abgeurteilt und insoweit erledigt. Allerdings ist noch mit zivilrechtlichen Auseinandersetzungen zu rechnen. Vgl. die Anmerkung von Feinendegen NJW 2007, 788: Neben den geschädigten Wettanbietern und Fußballvereinen werden auch die Personen, die durch die gelungenen Manipulationen um ihre Gewinnchance gebracht wurden, Schadensersatzansprüche geltend machen… Dabei geht es vor allem um die Frage, ob der Hamburger SV das Pokalspiel gegen den SC Paderborn nach einer Führung von 2 : 0 ohne die Manipulation - zwei unberechtigte Elfmeter sowie die Rote Karte gegen Mpenza - gewonnen hätte (der SC Paderborn gewann mit 4:2) und wen die Beweislast hierfür trifft. Hier ist also demnächst mit weiteren Entscheidungen zu rechnen.

Zusammenfassung