Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß

Der folgende Fall befaßt sich mit der Frage, wann ein Rücktritt vom Versuch freiwillig ist i. S. des § 24 StGB. Dabei steht im Mittelpunkt, ob ein schlechtes Gewissen oder starke Angst vor Strafe der Freiwilligkeit entgegenstehen.

OLG Düsseldorf Beschluß vom 9. 2. 1999 (5 Ss 430/98) NJW 1999, 2911

Fall (Schlechtes Gewissen)

A betrat das Parkdeck eines Parkhauses. Dort entdeckte er einen Pkw, an dem die Seitenscheibe der Beifahrertür eingeschlagen und teilweise herausgefallen war. Er beugte sich mit dem Oberkörper durch die Öffnung in das Innere des Pkw, um einen auf der Mittelkonsole liegenden Gegenstand zu entwenden. Dabei stützte er sich im Inneren des Pkw ab. Als er an zwei vorangegangene Verurteilungen zu Freiheitsstrafen mit laufenden Bewährungen dachte, befielen ihn Gewissensbisse und starke Angst, so daß er die Tat nicht mehr vollendete und den Gegenstand liegen ließ. Während A sich in das Innere des Pkw gebeugt hatte, hatte ihn ein Autofahrer gesehen. Dieser verständigte die Polizei, die sofort das Parkhaus abriegelte und A festnahm. Strafbarkeit des A ?

I. A könnte sich wegen eines versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall gemäß §§ 242 I, 243 I S. 2 Nr. 1 (umschlossener Raum) StGB strafbar gemacht haben.

1. Der Diebstahlserfolg ist nicht eingetreten. Der versuchte Diebstahl ist gemäß § 242 II StGB mit Strafe bedroht.

2. A wollte den auf der Mittelkonsole liegenden Gegenstand wegnehmen, um diesen für sich zu behalten. Er wußte, daß er dabei in das Innere des Pkw, also in einen umschlossen Raum, eindrang. A hatte daher Tatentschluß zu einem Diebstahl in einem besonders schweren Fall gemäß §§ 242 I, 243 I S. 2 Nr. 1 StGB.

3. Indem A sich in das Innere des Pkw beugte, hat er unmittelbar i.S. des § 22 StGB zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt.

4. A hat rechtswidrig und schuldhaft gehandelt.

5. A könnte gemäß § 24 I S. 1 1. Fall StGB mit strafbefreiender Wirkung von dem Diebstahl in einem besonders schweren Fall zurückgetreten sein.

Die Rücktrittvoraussetzungen richten sich nach § 24 I S. 1 1. Fall StGB, wenn ein unbeendeter Versuch gegeben ist. Unbeendet ist ein Versuch, wenn der Täter glaubt, noch nicht alles getan zu haben, was zur Deliktsverwirklichung notwendig ist. A hatte den Gegenstand noch nicht an sich genommen, so daß er auch nach seiner Vorstellung noch nicht alles getan hatte, was zur Verwirklichung eines Diebstahl notwendig war. Es lag ein unbeendeter Versuch vor. Die Rücktrittsvoraussetzungen richten sich somit nach § 24 I S. 1 1. Fall StGB. Dieser setzt ferner voraus, daß der Täter die weitere Ausführung der Tat freiwillig aufgegeben hat.

a) Eine Aufgabe der Tat ist gegeben, da A den Gegenstand liegen ließ und den Diebstahl somit nicht vollendete.

b) A müßte hierbei freiwillig gehandelt haben.

Freiwillig handelt, wer die Vollendung der Tat, obwohl er sie noch für möglich hält, aus selbst gesetzten - autonomen - Motiven nicht mehr erreichen will ... Unfreiwillig ist der Rücktritt demgegenüber dann, wenn den Täter von seinem Willen unabhängige - heteronome - Motive zur Tataufgabe veranlassen. Das ist der Fall, wenn der Täter angesichts zutage getretener Umstände das Tatrisiko nicht mehr für vertretbar hält, etwa weil es sich beträchtlich erhöht hat, oder er die Tat entsprechend der ursprünglichen Zielsetzung aus zwingenden Gründen nicht mehr für möglich hält oder wenn er schließlich aus unwiderstehlichen inneren Hemmungen heraus zur Tatvollendung außerstande ist ...

Das Landgericht hatte argumentiert, A hätte wegen seiner Gewissensbisse und wegen der ihn befallenden Angst die Diebestat nicht mehr zu Ende bringen können. Seine psychische Verfassung habe eine Tatweiterführung nicht mehr zugelassen.

Dem widerspricht das OLG: Gibt der Angekl. - wie hier - nach den getroffenen Feststellungen die weitere Tatausführung nicht wegen einer ihn daran hindernden äußeren Zwangslage, sondern aus Motiven auf, die in seiner inneren Einstellung begründet sind, so ist für die Abgrenzung entscheidend, ob er noch Herr seiner Entschlüsse blieb und die Vollendung der Tat nach wie vor für möglich hielt, ihn also weder unwiderstehlicher emotionaler Zwang noch unwiderstehlicher seelischer Druck unfähig machte, die Tat zu vollenden ... Unfreiwillig ist der Rücktritt, wenn die innere Hemmung sich als zwingendes, unüberwindliches Hindernis für die Fortführung der Tathandlung darstelle ...

Diesen Rechtsgrundsätzen hat die Strafkammer bei Beurteilung der Frage, ob der Bf. freiwillig und damit strafbefreiend vom Diebstahlsversuch zurückgetreten ist, nicht hinreichend Rechnung getragen. Die Erwägungen des angefochtenen Urteils rechtfertigen für sich nicht die Annahme, der Angekl. habe unfreiwillig von der weiteren Tatausführung abgelassen. Es fehlen insbesondere Feststellungen, die nachprüfbar belegen, daß seelischer Druck und/oder emotionaler Zwang ihn tatsächlich unfähig machte, den Diebstahl auszuführen.

A hat somit freiwillig gehandelt und ist mit strafbefreiender Wirkung von dem versuchten Diebstahl in einem besonders schweren Fall zurückgetreten.

II. A könnte sich wegen Hausfriedensbruchs gemäß § 123 StGB strafbar gemacht haben.

Dann müßte er in das befriedete Besitztum eines anderen eingedrungen sein. Ein Pkw als beweglicher Raum gehört nicht zu den befriedeten Besitztümern i. S. des § 123 I StGB, so eine Strafbarkeit gemäß § 123 I StGB ausscheidet. A ist straflos.

Leitsatz des Bearbeiters :

Ein Rücktritt ist solange freiwillig, solange er nicht durch absoluten äußeren oder inneren Zwang bestimmt wird. Weder Gewissensbisse noch die Angst vor Strafe machen einen Rücktritt unfreiwillig, solange der Täter noch selbst entscheidet, ob er die Tat noch vollendet oder nicht.