Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß

Der folgende Fall befaßt sich mit der deliktsdogmatischen Einordnung des § 306 b II Nr. 1 StGB (besonders schwere Brandstiftung). Streitig ist, ob § 306 b II Nr. 1 StGB, der durch das 6. Strafrechtsreformgesetz (StRG) vom 26.1.1998 neu gefaßt wurde, ein erfolgsqualifiziertes Delikt oder ein Qualifikationstatbestand zu der schweren Brandstiftung nach § 306 a StGB ist. Diese Einordnung hat entscheidende Bedeutung für die Möglichkeit einer Versuchsstrafbarkeit des Täters.

BGH Urteil vom 22. 7. 1999 (4 StR 185/99) NJW 1999, 3131

Fall (Rechtsradikaler Brandanschlag)

A nahm am Abend des 30. 4. 1998 an einer von der NPD veranstalteten Grillparty teil. Durch den Genuß von Alkohol enthemmt und durch das Anhören „deutschnationaler“ Lieder aggressiv gestimmt, beschloß A, einen Brandanschlag auf ein nahegelegenes Asylbewerberheim zu verüben. Er wollte durch einen Molotow-Cocktail das Asylbewerberheim in Brand setzen und auf diese Weise den Bewohnern zeigen, wer „Herr im Hause“ sei. Dabei nahm er in Kauf, daß die Bewohner des Asylbewerberheimes in Todesgefahr geraten könnten. Deren Tod billigte er jedoch nicht, da er davon ausging, daß den Bewohnern die Flucht aus dem Haus gelingen würde. In Ausführung seines Planes füllte er Treibstoff in eine Flasche und versah sie mit einer Lunte. Nachdem er diese entzündet hatte, warf er die Flasche kräftig in Richtung eines Fensters des Asylbewerberheimes. Entgegen seiner Erwartung prallte der Brandsatz jedoch nicht gegen die Fensterscheibe, sondern gegen die Hauswand unterhalb des Fensters und setzte lediglich ein am Mauerwerk entlanglaufendes Telefonkabel in Brand. Auf dem Boden unterhalb des Fensters brannte der Treibstoff ab. Strafbarkeit des A ?

A könnte sich wegen einer versuchten besonders schweren Brandstiftung gemäß §§ 306 a I Nr. 1, 306 b II Nr. 1, 22 StGB strafbar gemacht haben.

1. Strafbarkeit des Versuch

Für die Frage einer möglichen Versuchsstrafbarkeit ist die Rechtsnatur des § 306 b II Nr. 1 StGB von entscheidender Bedeutung.

a) Ordnet man § 306 b II Nr. 1 StGB den erfolgsqualifizierten Delikten zu, so ist der Versuch nur mit Strafe bedroht, wenn entweder der Grundtatbestand vollendet und der konkrete Gefahrerfolg versucht wurde oder wenn der Grundtatbestand nur versucht und der konkrete Gefahrerfolg aber herbeigeführt wurde (vgl. Rengier JuS 1998, 400). A hat keine selbständigen Teile des Gebäudes, sondern lediglich das am Gebäude entlang laufende Telefonkabel in Brand gesetzt hat. Er hat somit den Grundtatbestand der schweren Brandstiftung gemäß § 306 a StGB nur versucht und nicht vollendet. Da zu keinem Zeitpunkt die Gefahr des Todes für die Bewohner des Asylbewerberheimes bestand, hat A auch den Gefahrerfolg nicht herbeigeführt. Bei der Annahme § 306 b II Nr. 1 StGB sei ein erfolgsqualifiziertes Delikt zur schweren Brandstiftung gemäß § 306 a StGB scheidet daher eine Versuchsstrafbarkeit wegen einer besonders schweren Brandstiftung aus.

b) Ist § 306 b II Nr. 1 StGB dagegen ein Qualifikationstatbestand zur schweren Brandstiftung nach § 306 a StGB, so ist der Versuch ohne Rücksicht darauf strafbar, inwieweit der Grundtatbestand oder die Voraussetzungen der Qualifikation erfüllt sind.

Der Senat ist mit nahezu der einhelligen Literaturmeinung ... der Ansicht, daß es sich bei § 306 b II Nr. 1 StGB um ein Vorsatzdelikt und nicht um ein erfolgsqualifiziertes Delikt handelt. Vom Wortlaut der Vorschrift her mag zwar eine andere Sichtweise auch möglich erscheinen; es ist aber zu berücksichtigen, daß der Wortlaut demjenigen anderer Vorschriften entspricht, für welche die Rechtsprechung Vorsatz hinsichtlich der Gefährdungserfolge verlangt ... Darüber hinaus ergibt ich aus dem Regelungszusammenhang, daß der Täter neben dem auf das Grunddelikt bezogenen Vorsatz auch Gefährdungsvorsatz hinsichtlich der konkreten Todesgefahr eines anderen Menschen haben muß. Der erhebliche Unterschied der Mindeststrafandrohung von zwei Jahren bei § 306 b I StGB und fünf Jahren bei § 306 b II Nr. 1 StGB wäre nur schwer erklärbar, wenn hier wie dort nur Fahrlässigkeit verlangt würde.

§ 306 II Nr. 1 StGB ist somit ein Qualifikationstatbestand zu § 306 a StGB. Die Tatsache, daß A weder den Grundtatbestand vollendet noch den Gefahrerfolg herbeigeführt hat, steht daher einer Versuchsstrafbarkeit nicht entgegen.

2. Tatentschluß

A müßte Tatentschluß gehabt haben. A wollte das Asylbewerberheim in Brand setzen und war sich bewußt, daß durch den Anschlag die Bewohner des Heimes in die Gefahr des Todes geraten könnten. Er hatte somit Vorsatz zur Verwirklichung des Grundtatbestandes gemäß § 306 a I Nr. 1 StGB und den für § 306 b II Nr. 1 StGB erforderlichen Gefährdungsvorsatz, einen anderen Menschen in die Gefahr des Todes zu bringen. Daß A den Tod der Heimbewohner nicht billigte, ist dabei bedeutungslos. A hatte somit Tatentschluß zu einer besonders schweren Brandstiftung.

3. Indem A den Molotow-Cocktail in Richtung des Asylbewerberheimes warf, hat er gemäß § 22 StGB unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt.

4. A hat rechtswidrig und schuldhaft gehandelt und sich somit wegen einer versuchten besonders schweren Brandstiftung gemäß §§ 306 a I Nr. 1, § 306 b II Nr.1, 22 StGB strafbar gemacht.

Leitsatz des Bearbeiters

§ 306 b II StGB ist Qualifikationstatbestand zu § 306 a StGB und kein erfolgsqualifiziertes Delikt. Eine versuchte besonders schwere Brandstiftung ist gegeben, wenn der Täter unmittelbar zu Tat ansetzt und dabei Tatentschluß hinsichtlich der Inbrandsetzung der Räumlichkeiten und des Eintritts der Gefahr des Todes für das Opfers hat.