Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß

LG Gera Urteil vom 29.9.1999 (540 Js 15206/98-4 Ns) NJW 2000, 159

Fall (Whisky-Klau)

A betrat die Geschäftsräume eines Selbstbedienungsladens. In der Getränkeabteilung nahm er eine Flasche Whisky und eine Flasche Rum zum Gesamtpreis von 39,50 DM aus dem Regal, steckte diese in die linke Tasche seines Ledermantels und verließ die Getränkeabteilung in Richtung Geschäftsausgang. Als der Kaufhausdetektiv B, der A beobachtet hatte, diesen ansprach und zum Mitkommen aufforderte, rannte A weg. Dem nacheilenden B gelang es, A an seinem Mantel festzuhalten. Um sich den Besitz der beiden Flaschen zu erhalten, stieß A den B mit beiden Händen weg, so dass dieser ins Straucheln geriet und A loslassen musste. A rannte zum Wagen seines Bekannten, der auf dem Parkplatz des Selbstbedienungsladens abgestellt war, und warf seinen Ledermantel samt dem darin verstauten Diebesgut in das Fahrzeug. Sodann kehrte er zu B zurück, folgte diesem in sein Büro und stritt die Tat ab. Strafbarkeit des A?

I. A könnte sich gemäß § 252 StGB wegen räuberischen Diebstahls strafbar gemacht haben.

1. Dann A müsste zunächst bei einem Diebstahl auf frischer Tat betroffen worden sein.

a) Der objektive Tatbestand des Diebstahls setzt die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache voraus. Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams. Ob ein solcher Gewahrsamswechsel gegeben ist, beurteilt sich nach der Verkehrsauffassung. In Selbstbedienungsläden wird ein Gewahrsamswechsel bejaht, wenn der Täter die Ware in von ihm mitgebrachten Behältnissen verstaut oder unter seiner Kleidung versteckt hat. Demzufolge bejaht das LG einen Gewahrsamswechsel, als A die beiden Flaschen an sich genommen und in die Taschen seines schweren Ledermantels gesteckt und damit eigenen Gewahrsam an ihnen begründet hat. Damit hat er nach der Verkehrsauffassung die Sachherrschaft des bisherigen Gewahrsamsinhabers aufgehoben und ein eigenes, dessen freie Verfügungsgewalt ausschließendes, tatsächliches Sachherrschaftsverhältnis hergestellt.

Eine vollendete Wegnahme könnte jedoch deshalb zu verneinen sein, weil A von B beobachtet wurde.

Zum Teil wird vertreten, dass eine vollendete Wegnahme in einem solchen Fall nicht gegeben sei, da die Begründung von Gewahrsam das Herstellen eines tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses voraussetze, kraft dessen der Einwirkung auf die Sache keine Hindernisse mehr entgegenstehen. Ein solches Verhältnis liege aber bei einem beobachteten Diebstahl in einem Selbstbedienungsladen in keinem Augenblick vor (Schönke/Schröder § 242 Rnr. 40). Demgegenüber weist die h. M. darauf hin, dass die natürliche Lebensauffassung demjenigen, der eine Sache in seinen Taschen trage, den ausschließlichen Gewahrsam zuweise (BGHSt 17, 206; Tröndle § 242 Rnr. 15). Das LG schließt sich dieser Auffassung an: Denn weder ist Diebstahl eine heimliche Tat, noch setzt die Vollziehung des Gewahrsamswechsels voraus, dass der Täter endgültig gesicherten Gewahrsam erlangt.

b) Bei einem Diebstahl ist der Täter betroffen, wenn zum Zeitpunkt seiner Entdeckung durch eine tatunbeteiligte Person der Diebstahl zwar vollendet, aber noch nicht beendet ist. Ein Diebstahl ist vollendet, wenn der Täter den Gewahrsam an der Sache erlangt hat. Beendet ist er dagegen erst, wenn der Täter seinen Gewahrsam endgültig gesichert hat. A hatte durch das Einstecken der beiden Flaschen in seinen Ledermantel eigenen Gewahrsam an diesen begründet. Der Diebstahl war somit vollendet. A befand sich aber zum Zeitpunkt der Tat noch in den Geschäftsräumen des Selbstbedienungsladens. Der Diebstahl war somit noch nicht beendet. A wurde deshalb von B bei einem Diebstahl betroffen.

c) Die Tat des A war auch frisch, da zwischen der Entdeckung und dem Diebstahlsakt ein enger räumlicher und zeitlicher Zusammenhang bestand.

2. Weiterhin müsste A Gewalt gegen eine Person verübt haben. Gewalt im Sinne des § 252 StGB muss von dem Opfer als körperlicher Zwang empfunden werden und darf nicht ganz unerheblich sein (Schönke/Schröder § 252 Rnr. 5). Wegen des hohen Strafniveaus und zur Wahrung der normativen Äquivalenz mit dem anderen Nötigungsmittel „Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben“ ist im Rahmen des Verbrechenstatbestandes Räuberischer Diebstahl ein restriktiver Gewaltbegriff zugrunde zu legen und als Gewalt nur körperbezogene Eingriffe von einigem Gewicht anzuerkennen.

A stieß B mit den Händen weg. Nach Auffassung des LG stellt dies keine Gewalt dar, weil es sich bei dem festgestellten Stoß mit den Händen, der nur unerheblich auf den Körper des Opfers einwirkte, lediglich um eine ganz vorübergehende und geringfügige körperbezogene Beeinträchtigung handelte.

A ist somit nicht wegen eines räuberischen Diebstahls gemäß § 252 StGB strafbar.

II. A hat sich nur wegen eines Diebstahls geringwertiger Sachen gemäß §§ 242 I, 248a StGB (Wert des Diebesgutes unter 50 DM) in Tateinheit mit einer Nötigung gemäß § 240 I StGB strafbar gemacht.

Leitsätze des Bearbeiters:

1. Eine Beobachtung bei einem Diebstahl verhindert nicht deren Vollendung, da der Gewahrsamswechsel tatsächlicher Natur ist.

2. Gewalt im Sinne des § 252 StGB verlangt wegen des hohen Strafniveaus und der Wahrung der normativen Äquivalenz mit dem Nötigungsmittel „Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“ körperbezogene Angriffe von einigem Gewicht.