Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß
Der folgende Fall beschäftigt sich mit der Frage, ob eine Urkundenfälschung gemäß § 267 I 2. Fall StGB gegeben ist, wenn der Halter eines Fahrzeuges die amtlichen Kennzeichen seines Pkw mit einem Spray so manipuliert, dass diese auf einem Foto der Verkehrsüberwachung nicht mehr zu erkennen sind. Das BayObLG wollte in seinem Urteil von dem des OLG Düsseldorf (NJW 1997, 1793) abweichen und legte deshalb die Sache gemäß § 121 II GVG dem BGH zur Entscheidung über folgende Rechtsfrage vor: „Liegt eine Urkundenfälschung vor, wenn das amtliche Kennzeichen eines Kraftfahrzeugs mit einem reflektierenden Mittel versehen wird, so dass die Erkennbarkeit der Buchstaben und Ziffern bei Blitzlichtaufnahmen beeinträchtigt ist?“
BGH Beschluss vom 21. 9.1999 (4 StR 71/99) NJW 2000, 229
Fall (Übersprühte Nummernschilder)
A übersprühte das vordere Kennzeichen seines Pkw mit einer farblosen Flüssigkeit. Hierdurch trat bei Blitzlichtaufnahmen eine so starke Reflektion auf, dass die schwarzen Buchstaben und Zahlen des vorderen Kennzeichens überblendet wurden. Diese waren ohne eine lichtbildtechnische Nachbehandlung nicht mehr erkennbar. Die Polizei wurde anlässlich einer Verkehrskontrolle auf das mit dem Spray behandelte Kennzeichen des A aufmerksam. Strafbarkeit des A ?
I. A könnte sich wegen einer Urkundenfälschung gemäß § 267 I 2. Fall StGB strafbar gemacht haben.
1. Dann müsste das Kennzeichen eine echte Urkunde iSd § 267 StGB sein.
a) Das Kennzeichen als solches ist keine Urkunde, weil es für sich allein keinen eigenen Aussagewert besitzt. Jedoch könnte das Kennzeichen in Verbindung mit dem Pkw eine zusammengesetzte Urkunde sein. Eine zusammengesetzte Urkunde liegt vor, wenn eine verkörperte Gedankenerklärung mit einem körperlichen Gegenstand fest verbunden ist und einen Aussteller erkennen lässt. Das Kennzeichen, welches mit dem Pkw fest verschraubt und damit verbunden ist, enthält die Gedankenerklärung, dass der Pkw unter diesem Kennzeichen registriert und auf den Namen eines bestimmten Halters zugelassen ist, und lässt als Aussteller die Straßenverkehrsbehörde erkennen. Das Kennzeichen ist daher eine zusammengesetzte Urkunde in Form eines Beweiszeichens.
b) Das OLG Düsseldorf ging in seiner Entscheidung davon aus, dass das Kennzeichen nicht nur die Erklärung verkörpere, dass das Fahrzeug unter diesem Kennzeichen für einen bestimmten, im Fahrzeugregister eingetragenen Halter zum öffentlichen Verkehr zugelassen sei, sondern darüber hinaus die beweisgeeignete Erklärung enthalte, dass das Kennzeichen fortwährend und uneingeschränkt ablesbar sei (NJW 1997, 1794). In Übereinstimmung mit dem Bay ObLG verneint der BGH dies.
Bei der Abstempelung des amtlichen Kennzeichens prüft die Zulassungsstelle die nach § 23 StVO erforderlichen Zulassungsvoraussetzungen ... und auch, ob die Ausgestaltung des Kennzeichens der Vorschrift des § 60 StVO entspricht (§ 23 III, IV 6 StVO). Danach müssen Kennzeichen normgerecht (§ 60 I 5, I lit. b StVZO) und so ausgestaltet sein, dass nur der Kennzeichenhintergrund, nicht jedoch die Buchstaben-Ziffern-Kombination reflektiert ... Außerdem dürfen sie nicht spiegeln, weder verdreckt noch verschmutzt, noch mit Glas, Folien oder ähnlichen Abdeckungen versehen sein (§ 60 I 4 StVO). Diese Prüfung erfolgt durch Inaugenscheinnahme der Kennzeichen. Es erscheint bereits zweifelhaft, bedarf hier aber keiner Entscheidung, ob das Anbringen der Stempelplakette auf dem Kennzeichen beweist, dass ein ordnungsgemäßes Kennzeichen verwendet wurde, soweit es dessen Ablesbarkeit unter besonderen Voraussetzungen betrifft ... Jedenfalls soll und kann das abgestempelte Kennzeichen keinen Beweis über seine fortdauernde Ablesbarkeit nach der Zulassung des Fahrzeugs erbringen ... Das ergibt sich - wie der Generalbundesanwalt zu Recht ausgeführt hat - schon daraus, dass etwa die nach § 23 IV 6 i.V.m. § 60 I 4 StVZO durch die Zulassungsstelle bei der Abstempelung vorzunehmende Prüfung, dass das Kennzeichen nicht verschmutzt ist, naturgemäß keine weitergehende Bedeutung haben kann als die, dass das Kennzeichen bei der Zulassung nicht verunreinigt war (vgl. dazu § 23 I 3 StVO).
c) Nach BGH erstreckt sich die Beweiseignung eines Nummernschildes somit nur darauf, dass das Fahrzeug unter diesem Kennzeichen für einen bestimmten, im Fahrzeugregister eingetragenen Halter zum öffentlichen Verkehr zugelassen ist.
2. A müsste diese Urkunde verfälscht haben. Ein Verfälschen ist jede unbefugte, nachträgliche Veränderung der Beweisrichtung und des gedanklichen Inhalts der Urkunde, so dass diese nach dem Eingriff etwas anderes zum Ausdruck bringt als vorher. Hier wurde - wie das Bay ObLG zutreffend annimmt - der Erklärungsinhalt der Urkunde durch das Besprühen des Kennzeichens mit dem farblosen Speziallack nicht verändert. Das Kennzeichen entsprach zwar danach nicht mehr den Anforderungen des § 60 StVO, der Erklärungsinhalt blieb aber derselbe. Durch die Maßnahmen des Angeklagten wurde lediglich die Ablesbarkeit des Kennzeichens unter bestimmten Voraussetzungen (Blitzaufnahmen) - also der Beweisinhalt der Urkunde in seiner Erkennbarkeit - beeinträchtigt. Darin liegt kein Verfälschen einer Urkunde.
A hat sich somit nicht wegen einer Urkundenfälschung gemäß § 267 I 2. Fall StGB strafbar gemacht.
II. A hat sich aber wegen Kennzeichenmißbrauchs gemäß § 22 I Nr. 3 StVG strafbar gemacht, indem er sein Kennzeichen mit einer reflektierenden Flüssigkeit übersprühte.
Leitsätze des Bearbeiters :
1. Amtliche Kennzeichen in Verbindung mit einem Pkw sind zusammengesetzte Urkunden.
2. Die Manipulation eines solchen Kennzeichens durch Verunreinigung oder sonstige Verunstaltung, die lediglich die Ablesbarkeit des Kennzeichens beeinträchtigt, ist keine Urkundenfälschung, da sich die Beweiskraft eines Kennzeichens nicht auch auf dessen ständige Ablesbarkeit erstreckt.