Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß
In dem folgenden Fall hatte das AG den Angeklagten wegen Erschleichens von Leistungen verurteilt, weil dieser seine Monatskarte für die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel vergessen hatte und diese deshalb bei einer Verkehrskontrolle nicht vorzeigen konnte. Die Verteidigung legte gegen diese Entscheidung Revision wegen der Verletzung sachlichen Rechts beim OLG ein.
OLGKoblenz Beschluß vom 11.10.1999 (2 Ss 250/99) NJW 2000, 86
Fall (Vergessenes Busticket)
A erwarb am 1. Oktober 1998 für 90 DM eine ab dem 2. Oktober 1998 gültige Monatskarte für die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel. Am 19. Oktober 1998 benutzte er die Stadtbuslinie 34, um von seiner Arbeitsstelle nach Hause zu fahren. Bei einer Fahrscheinkontrolle war er nicht im Besitz eines gültigen Fahrausweises, da er, wie er während der Fahrscheinkontrolle feststellen mußte, seine Monatskarte zu Hause liegengelassen hatte. Einen Tag später zeigte A die Monatskarte bei einem Verkehrsbüro der Stadtwerke vor und war auch bereit, einen Betrag von 7 DM für die Fahrt ohne die vergessene Monatskarte zu bezahlen. Seitens der Stadtwerke wurde jedoch weiterhin auf Zahlung eines erhöhten Beförderungsentgeltes von 70 DM bestanden. Strafbarkeit des A ?
A könnte sich wegen Erschleichen von Leistungen gemäß § 265 a I 3. Fall (Beförderung durch ein Verkehrsmittel) StGB strafbar gemacht haben.
Die Stadtbuslinie 34 ist ein Verkehrsmittel im Sinne des § 265 a I 3. Fall StGB. Ein Erschleichen setzt das unbefugte unentgeltliche Sichverschaffen der Leistung voraus. Zum Teil wird in der Literatur darüber hinaus gefordert, daß der Täter durch Umgehen oder Ausschalten von Kontrollmaßnahmen in den Genuß der Leistung gelangt (Schönke/Schröder § 265 a Rnr. 11). Nach dieser Auffassung fällt das „Schwarzfahren“ unter den Bedingungen des modernen Massenverkehrs, bei dem in weiten Bereichen bei faktisch freiem Zugang nur noch gelegentlich Kontrollen möglich sind und der Schwarzfahrer sich nicht anschickt, Kontrollmaßnahmen zu umgehen, grundsätzlich nicht unter § 265 a I 3. Fall StGB. Es sei Sache des Gesetzgebers, hier Abhilfe zu schaffen. Ohne Rücksicht darauf, daß A eine gültige Monatskarte erworben und diese nur vergessen hatte, scheidet hiernach eine Strafbarkeit des A gemäß § 265 a I 3. Fall StGB von vornherein aus.
Nach der Rechtsprechung und einem anderen Teil der Lehre bedeutet Erschleichen der Beförderungsleistung das unbefugte und ordnungswidrige Erreichen der Leistung, ohne zuvor den erforderlichen Fahrausweis zu erwerben (OLG Hamburg NJW 1987, 2688; Tröndle § 265 a Rnr. 3). Auch nach dieser Auffassung scheidet eine Strafbarkeit nach § 265 a I 3. Fall StGB aus, wenn der Fahrausweis erworben und entwertet (entfällt aber bei einer Monatskarte) wurde, jedoch während der Fahrt nicht mit sich geführt wird. Dieser Auffassung schließt sich das OLG an und stützt dies auf eine dogmatisch überzeugende Argumentation: Bei dem Vergehen nach § 265 a StGB handelt es sich nach der herrschenden Auffassung um ein Vermögensdelikt ... Die Strafbarkeit setzt demzufolge einen Vermögensschaden voraus, der darin liegt, daß der Täter die Leistung eines Transportunternehmens in Anspruch nimmt, ohne diese bezahlt zu haben. Wenn es ein Verkehrsbetrieb aber - wie hier - einem Kunden ermöglicht, nach Bezahlen einer Monatskarte innerhalb ihres zeitlichen und räumlichen Geltungsbereichs beliebige Fahrten zu unternehmen, erleidet er nicht dadurch einen Vermögensschaden, daß der Fahrgast, der die Karte zuvor tatsächlich bezahlt hat, sie bei der Kontrolle lediglich nicht bei sich führt und es - gegebenenfalls vertragswidrig - unterläßt, erneut eine Fahrkarte zu kaufen... Der hierin möglich Verstoß gegen die Beförderungsbedingungen mit der Folge einer nach diesen nicht ordnungsgemäß durchgeführten Fahrt ist von den Voraussetzungen der Strafbarkeit nach § 265 a StGB zu trennen.
Der objektive Tatbestand des § 265 a StGB ist somit unter keinen Umständen gegeben. Abgesehen davon hätte eine Verurteilung des A, wie das OLG zutreffend bemerkt, auch aus subjektiven Gründen nicht erfolgen dürfen, weil A nach den Feststellungen des AG erst bei der Kontrolle bemerkte, daß er die Monatskarte vergessen hatte. (Deshalb handelte es sich bei dem Urteil des AG um ein echtes Fehlurteil.)
Leitsatz des Bearbeiter:
§ 265 a StGB ist nicht erfüllt, wenn der Beschuldigte eine Monatskarte zur Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel erworben hat, diese jedoch bei einer Kontrolle nicht vorlegen kann, weil er sie vergessen hat.