Bearbeiter: RA Dr. Rainer Strauß
Fall (Wohnungsdiebstahl in Geschäftsräumen)
A wollte sich Geld verschaffen. Er drang zweimal in dasselbe Haus ein. Es handelte sich um ein Gebäude, in dessen Erdgeschoss sich ein Geschäft und eine Wohnung befindet. Am 10. Juni 2000 verschaffte A sich Zugang zu dem Gebäude, indem er eine der sechs Scheiben des von der Straße nicht einsehbaren Badezimmerfensters herauslöste, das Fenster öffnete und in das Badezimmer einstieg. Von dort gelangte er über den Flur in einen die Wohnung angrenzenden Geschäftsraum des B, wo er 120 DM aus einer Schublade an sich nahm und sodann mit seiner Beute das Haus durch die Wohneingangstür verließ. Am Abend des 15. Juni 2000 drang er nochmals in das Badezimmer ein. Bei dem Versuch, die Badezimmertür in Richtung Flur zu öffnen, stieß er die vom Geschädigten B als Alarmanlage vor die Tür aufgestellten Gegenstände um, was erheblichen Lärm verursachte. Aus Furcht vor Entdeckung floh A ohne Beute durch das Badezimmerfenster. Strafbarkeit des A ?
I. A könnte sich am 10. Juni 2000 wegen eines schweren Diebstahls gemäß §§ 242 I, 244 I Nr. 3 StGB strafbar gemacht haben.
1. Die 120 DM des B waren für A fremde, bewegliche Sachen. Diese hat er B durch die Entnahme aus der Schublade weggenommen.
A handelte vorsätzlich und in der Absicht, sich die Geldscheine zuzueignen. Die von ihm erstrebte Zueignung war auch rechtswidrig, so dass ein Diebstahl gemäß § 242 I StGB gegeben ist.
2. A müsste weiterhin den Qualifikationstatbestand des § 244 I Nr. 3 StGB erfüllt haben. Dann müsste er zur Ausführung der Tatin eine Wohnung eingebrochen sein. A brach das Badezimmerfenster auf und drang auf diese Weise in die Wohnung des B. Die Wegnahme des Geldes erfolgte aber nicht in der Wohnung selbst, sondern in einem Geschäftsraum, der sich neben der Wohnung befand.
a) Der Wortlaut des § 244 I Nr. 3 StGB setzt jedoch nicht voraus, dass die fremde bewegliche Sache in der Wohnung selbst weggenommen wird. Vielmehr macht sich nach dem Wortlaut der Vorschrift bereits derjenige wegen eines schweren Diebstahls strafbar, der zur Ausführung der Tat, also zur Begehung eines Diebstahls, in eine Wohnung einbricht.
b) Für eine solche Auslegung des § 244 I Nr. 3 StGB spricht auch ein Vergleich mit dessen Vorgängervorschrift § 243 I 2 Nr. 1 StGB a. F., die wortgleich in § 244 I Nr. 3 StGB übernommen wurde. Diese Vorschrift ist durch das 1. StrRG vom 26.6.1969 (BGBl I, 645) mit Wirkung vom 1.4.1970 eingeführt worden. Sie stellte eine wesentliche Änderung gegenüber der bis dahin geltenden Regelung in § 243 I Nr. 2 StGB dar. Nach dieser wurde der Wohnungseinbruchsdiebstahl als Verbrechen geahndet, wenn „aus einem Gebäude oder umschlossenen Raum mittels Einbruchs, Einsteigens oder Erbrechens von Behältnissen gestohlen“ wurde. Bei der Neuregelung durch das 1. StrRG wurde bewusst auf das Erfordernis, der Diebstahl müsse „aus“ einem Gebäude oder umschlossenen Raum erfolgen, verzichtet, da die frühere Regelung in wesentlichen Bereichen zu ungereimten Ergebnissen geführt hatte ...
c) Das Ergebnis dieser systematischen und historischen Auslegung stimmt auch mit dem Gesetzeszweck überein. § 244 I Nr. 3 StGB soll nicht die Wegnahme von in der Wohnung und damit besonders sicher aufbewahrten Gegenstände schärfer bestrafen, sondern die mit einem Wohnungseinbruch verbundenen Verletzungen der Privatsphäre des Opfers (Hörnle Jura 1998, 169, 171). Eine solche Verletzung ist auch dann gegeben, wenn der Täter in die Wohnung des Opfers einbricht und anschließend in dessen Geschäftsräumen Sachen wegnimmt. A hat somit den Qualifikationstatbestand des 244 I Nr. 3 StGB erfüllt und sich wegen eines schweren Diebstahls strafbar gemacht.
II. A könnte sich weiterhin am 15. Juni 2001 wegen eines versuchten schweren Diebstahls strafbar gemacht haben.
1. Die Tat wurde nicht vollendet. Der versuchte schwere Diebstahl ist gemäß § 244 II StGB strafbar.
2. A hatte Tatenschluss zur Wegnahme fremder beweglicher Sachen aus den Geschäftsräumen des B. Auch wusste er, dass er, um diese Tat auszuführen, zunächst in die Wohnung des B einbrechen musste.
3. Indem A durch das Badezimmerfenster in das Bad des B einstieg, hat er unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung i.S. des § 22 StGB angesetzt.
4. A könnte aber mit strafbefreiender Wirkung gemäß § 24 I 1 StGB zurückgetreten sein. Die Rücktrittsvoraussetzungen richten sich nach § 24 I 1 1. Fall StGB, wenn ein unbeendeter Versuch gegeben ist. Unbeendet ist ein Versuch, wenn der Täter glaubt, noch nicht alles getan zu haben, was zur Deliktsverwirklichung erforderlich ist. A, der noch nicht in die Geschäftsräume des B gelangt war, hatte noch kein Geld an sich genommen, so dass er noch nicht alles getan hatte, was zur Tatbestandsverwirklichung erforderlich war. Es ist somit ein unbeendeter Versuch gegeben und die Rücktrittsvoraussetzungen richten sich nach § 24 I 1 1. Fall StGB. Danach reicht die freiwillige Aufgabe der Tat aus. A floh, ohne den Diebstahl durchgeführt zu haben. Er hat somit die Tat aufgegeben. Freiwillig handelt der Täter, wenn er aus selbstgesetzten Motiven von der Tat Abstand nimmt. A hatte infolge des von der „Alarmanlage“ verursachten Lärms Angst, er werde entdeckt. Der Entschluss des A, die Tat aufzugeben, war daher nicht selbstbestimmt, sondern fremdbestimmt. Ein strafbefreiender Rücktritt gemäß § 24 I 1 1.Fall StGB scheidet aus. A hat sich somit auch wegen eines versuchten schweren Diebstahls strafbar gemacht.
Der Qualifikationstatbestand des schweren Diebstahls gemäß § 244 I Nr. 3 StGB – sog. Wohnungseinbruchsdiebstahl – ist auch dann erfüllt, wenn der Täter in Wohnräume einsteigt oder einbricht, die Wegnahme der Sachen aber erst in Geschäftsräumen vollzieht, die an die Wohnung angrenzen.