Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß
Der folgende Fall beschäftigt sich mit der Frage, ob ein Vermögensschaden i.S. des § 263 I StGB auch dann gegeben ist, wenn das Opfer einen Vermögensverlust aufgrund eines sittenwidrigen Rechtsgeschäftes erleidet, an dem es selbst beteiligt ist. Seit der Entscheidung der Vereinigten Strafsenate des RG in RGSt 44, 235 wird von der obergerichtlichen Rechtsprechung und einem Teil der Lehre ein streng wirtschaftlicher Vermögensbegriff vertreten. Danach ist auch bei einem Vermögensverlust aufgrund eines sitten- oder rechtswidrigen Rechtsgeschäfts ein Vermögensschaden i.S. des § 263 I StGB zu bejahen. Das Schöffengericht Tiergarten in Berlin war in dem folgenden Fall von dieser gefestigten Rechtsprechung abgewichen, wogegen die Staatsanwaltschaft Sprungrevision zum Kammergericht Berlin eingelegt hatte. Bei dem Problem der Geltung der Strafrechtsordnung im „Ganovenumfeld“ handelt es sich um ein strafrechtliches Standardproblem. Fallbegleitend wird die Lektüre des Aufsatzes von Otto Jura 1993, 424 empfohlen.
> § 263 StGB. Vermögensschaden trotz Beteiligung an sittenwidrigem Vertrag
KG Urteil vom 28. 9. 2000 (1 Ss 44/00) NJW 2001, 86
Fall (Ganoven unter sich)
A lernte in einem Lokal B kennen, der den Plan gefasst hatte, seine Ehefrau umbringen zu lassen, und eine für diese Tat eine geeignete Person suchte. A und B trafen sich in der Folgezeit häufiger und schließlich erklärte A sich zum Schein einverstanden, den Auftrag zu übernehmen und die Ehefrau des B gegen Zahlung von 35.000 DM zu töten. In Wahrheit war A jedoch zu keinem Zeitpunkt gewillt, das Verbrechen zu begehen. Gleichwohl ließ er B in dem Glauben, dass er den Mordauftrag ausführen wolle, und traf sich noch weitere Male mit ihm, um die Details der Tat zu besprechen.
Dabei forderte er einen Vorschuss auf den vereinbarten Lohn. B überreichte A einen Umschlag mit 5.000 DM in bar. A nahm das Geld entgegen und verbrauchte es im Laufe der nächsten Tage für sich. Nach einigen Wochen kam A die Befürchtung, B werde einen anderen „Killer“ anheuern, der den Mord dann tatsächlich ausführen wird. Er wandte sich deshalb an einen Mitarbeiter der Zeitschrift „Stern“, den er über die Pläne des B umfassend unterrichtete. Auf Veranlassung des Journalisten zeigte A den Sachverhalt bei der Polizei an. Strafbarkeit von A ?
A könnte sich wegen Betruges gemäß § 263 I StGB gegenüber und zu Lasten des B strafbar gemacht haben.
I. Dann müsste er B getäuscht haben. Eine Täuschung ist jede Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines anderen, um eine Fehlvorstellung über Tatsachen hervorzurufen. A hat B wahrheitswidrig vorgespiegelt, er würde gegen Zahlung eines Geldbetrages die Ehefrau des B töten. A hat somit auf das Vorstellungsbild des B eingewirkt, um eine Fehlvorstellung über Tatsachen bei diesem hervorzurufen. Er hat B getäuscht.
II. Durch die Täuschung des A ist bei B ein entsprechender Irrtum hervorgerufen worden.
III. Weiterhin müsste B durch den Irrtum zu einer Vermögensverfügung veranlasst worden sein. Eine Vermögensverfügung ist jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt. B glaubte, A werde nach der Anzahlung von 5.000 DM seine Ehefrau töten, und zahlte ihm deshalb diesen Betrag. Ein irrtumsbedingtes vermögensminderndes Handeln des B ist somit gegeben. B wurde irrtumsbedingt von A zu einer Vermögensverfügung veranlasst.
IV. Durch die Vermögensverfügung müsste B einen Vermögensschaden erlitten haben. Ein Vermögensschaden liegt vor, wenn der wirtschaftliche Gesamtwert des betroffenen Vermögens durch die Verfügung des Getäuschten vermindert wurde und dem Vermögensträger kein wirtschaftliches Äquivalent zugeflossen ist. A hat die 5.000 DM genommen, ohne die Ehefrau des B zu töten. B ist somit kein wirtschaftliches Äquivalent zugeflossen.
1. Ein Teil des Schrifttums geht aber davon aus, dass kein Vermögensschaden im Sinne des § 263 StGB vorliegt, wenn der Vermögensverfügung und damit dem Vermögensverlust ein sittenwidriger Vertrag zugrunde lag (Schönke/Schröder/Cramer § 263 Rnr. 82 m. w. N.; Tröndle/Fischer § 263 Rnr. 29a). Das zwischen A und B geschlossene Auftragsverhältnis war gemäß § 138 I BGB sittenwidrig, so dass nach dieser Auffassung kein Vermögensschaden des B gegeben ist. Begründet wird diese Auffassung im Wesentlichen mit dem Argument der Einheit der Rechtsordnung: Es stelle einen unlösbaren Wertungswiderspruch dar, wenn das Strafrecht eine wirtschaftlich nutzbare Position als Vermögensbestandteil anerkenne, während andere Teile der Rechtsordnung deren Realisierung in jeglicher Hinsicht verbieten. Neben diesem systematischen Argument werden strafpräventive Gründe für die Straflosigkeit genannt. Die Rechtsordnung müsse das Vertrauen des Auftragsgebers in solchen Fällen als rechtlich in keiner Weise schützenswert erklären, weil es im Interesse der Vermeidung solcher Rechtsgutverletzungen unbedingt erforderlich sei, dass derartiges Vertrauen in jeder Hinsicht enttäuscht werde. Das sei auch die Funktion des § 817 S. 2 BGB, wonach die Rückforderung des Geleisteten ausgeschlossen ist, wenn dem Leistenden ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten zur Last fällt.
2. Der BGH und ein anderer Teil der Lehre vertreten dagegen einen streng wirtschaftlichen Vermögensbegriff und bejahen das Vorliegen eines Vermögensschadens auch bei einem Vermögensverlust infolge der Beteiligung an sittenwidrigen Rechtsgeschäften (BGHSt 29, 300 = NJW 1980, 2203; Otto Jura 1993, 424 m. w. N.; Krey, Strafrecht BT, Rnr. 434).
Dieser Auffassung folgt auch das KG Berlin: Ein Vermögensschaden kann nicht deshalb verneint werden, weil das Verlorene gemäß § 817 S. 2 BGB nicht im Rechtswege zurückverlangt werden kann. Im Gegenteil muss derjenige, der nicht die Möglichkeit hat, nachträglich einen Ausgleich seines Verlustes zu erreichen, erst recht als geschädigt gelten. Die zivilrechtliche Betrachtungsweise darf dabei nicht irreführen. Wenn § 817 S. 2 BGB dem Leistenden das Rückforderungsrecht vorenthält, so kann es damit die Tatsache des Verlustes nicht aus der Welt schaffen ... § 817 S. 2 BGB berührt die Schadenslage als solche nicht. Die Vorschrift versagt nach ihrem Zweck vielmehr nur die Hilfe zur Rückabwicklung des verbotenen Geschäfts ... Die Unterschiede zwischen Privat- und Strafrecht resultieren daraus, dass die Aufgabe der beiden Rechtsordnungen verschiedenartig ist... Die Verfolgung verbotener Zwecke durch den Getäuschten kann kein Freibrief für den Schädiger sein, sich die Vermögenswerte, die der Getäuschte zu unerlaubten Zwecken riskiert, zu eigenem Nutzen zu verschaffen. In diesem Falle sind beide strafwürdig, auch wenn der Schutz des Strafrechts dann unter Umständen einem Unwürdigen zugute kommen kann. Das darf jedoch kein Grund sein, den Strafanspruch des Staates einem Täter gegenüber preiszugeben, der Strafe verdient hat. Wo die Staatsgewalt strafend eingreift, geschieht dies keineswegs allein um des verletzten Privatinteresses willen. Nicht dem einzelnen Geschädigten wird die strafrechtliche Sühne des Verbrechens als Genugtuung geschuldet, sondern der durch die Verbrechensbegehung gefährdeten allgemeinen Rechtsordnung. Der Bruch der Rechtsordnung im Falle des § 263 StGB bleibt derselbe, ob der Angegriffene sich bei seinem Verhalten seinerseits mit dem Gesetz in Einklang befunden hat oder nicht ... Anderenfalls würde man im Verhältnis von Rechtsbrechern untereinander Betrug und Erpressung gutheißen ...
Auf der Grundlage des streng wirtschaftlichen Vermögensbegriffs ist ein Vermögensschaden des B zu bejahen.
V. A handelt bezüglich der objektiven Tatbestandsmerkmale vorsätzlich und in der Absicht der stoffgleichen Eigenbereicherung. Die von A erstrebte Bereicherung war rechtswidrig, und er hatte diesbezüglich Vorsatz. A hat sich wegen Betruges gegenüber und zu Lasten des B strafbar gemacht.
Zusammenfassung