Bearbeiter: RA Dr. Rainer Strauß

Diebstahl, § 242 StGB. Betrug, § 263 StGB. Unterschlagung, § 246 StGB

OLG Köln Beschluss vom 22.1.2002 (Ss 551/01) NJW 2002, 1059

Fall (Tanken ohne Bezahlung)

A suchte mit seinem Lieferwagen eine Selbstbedienungstankstelle auf. Dort betankte er sein Fahrzeug mit Dieselkraftstoff im Wert von 82 DM und verließ, wie zuvor geplant, das Tankstellengelände ohne zu bezahlen. Der Kassierer der Tankstelle wurde von der Tat nachträglich dadurch aufmerksam, dass das – mit dem Einhängen der „Zapfpistole“ ausgelöste – Rotlichtzeichen auf dem Display der Kasse, mit dem die Sperrung der betreffenden Zapfsäule bis zur Bezahlung angezeigt wird, längere Zeit aufleuchtete. Er stellte daraufhin fest, dass ohne Bezahlung getankt worden war. A war auf der Videoaufzeichnung der Überwachungskamera eindeutig zu identifizieren. Strafbarkeit des A ?

I. A könnte sich wegen Diebstahls gemäß § 242 I StGB strafbar gemacht haben.

1. Das setzt voraus, dass er eine fremde bewegliche Sache weggenommen hat.

a) Zunächst müsste das Benzin eine Sache sein. Der strafrechtliche Sachbegriff ist nach seinem natürlichen Wortsinn und dem Zweck des StGB auszulegen. Daher unterfallen auch Flüssigkeiten wie Benzin, wenn sie in einem Behältnis abgrenzbar sind, dem Sachbegriff. Das von A in seinen Tank eingefüllte Benzin war somit eine Sache.

b) Fremd ist die Sache, wenn sie nicht im Alleineigentum des Täter steht. Ursprünglich stand das Benzin im Eigentum des Tankstellenbetreibers. A könnte jedoch Eigentümer des Benzins geworden sein. Im Ergebnis wird heute weitgehend angenommen, dass der Tankstelleninhaber bis zur vollständigen Bezahlung Eigentümer des Benzins bleibt. Die rechtliche Konstruktionen sind allerdings umstritten.

aa) Teilweise wird eine Parallele zum Kauf in Selbstbedienungsläden gezogen und angenommen, dass der schuldrechtliche Kaufvertrag und die sachenrechtliche Übereignung erst an der Kasse stattfinden (Otto JZ 1985, 22).

bb) Nach anderer Ansicht erfolgen schuldrechtliche und dingliche Einigung bereits an der Zapfsäule, jedoch bestehe ein Eigentumsvorbehalt zugunsten des Verkäufers bis zur endgültigen Bezahlung des Benzins (OLG Hamm NStZ 1983, 266).

cc) Teilweise wird allerdings ein gesetzlicher Eigentumserwerb durch Vermischung gemäß §§ 947, 948 BGB angenommen (Herzberg JA 1980, 385). Dem wird jedoch entgegenhalten, dass das Benzin im Zeitpunkt des Einfüllens in den Tank (also vor der Vermischung mit dem bereits im Tank befindlichem Benzin) für eine juristische Sekunde eine für den Täter fremde Sache sei.

dd) Die neuere Literatur löst das Problem pragmatisch und verweist zutreffend darauf, dass sich heute allgemein an den Zapfsäulen der Hinweis befinde, dass die Ware bis zur vollständigen Bezahlung des Preises im Eigentum des Mineralölhändlers oder Tankstellenbetreibers verbleibe (Joeks, Studienkommentar § 242 Rnr. 39). Da lebensnah davon auszugehen ist, dass sich dieser mittlerweile übliche Hinweis auch an der von A benutzten Tanksäule befindet, war das Benzin für A eine fremde Sache.

c) A müsste dass Benzin weggenommen haben. Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams gegen den Willen des ursprünglichen Gewahrsamsinhabers. Wer Tanksäulen zur Selbstbedienung bereitstellt, erklärt sein Einverständnis mit einer Gewahrsamsverschiebung. Dies gilt auch dann, wenn er sich sein Eigentum an dem Benzin vorbehält (Joeks, Studienkommentar § 242 Rnr. 39). Aufgrund dieses Einverständnisses entfällt somit eine Wegnahme. A hat sich nicht wegen Diebstahls gemäß § 242 I StGB strafbar gemacht.

II . A könnte sich wegen eines Betruges gemäß § 263 I StGB strafbar gemacht haben.

1. Täuschungshandlung

Zunächst müsste eine Täuschungshandlung des A gegeben sein. Täuschung ist jede Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines anderen, um eine Fehlvorstellung über Tatsachen hervorzurufen. Dies kann ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten, also konkludent, erfolgen. Ein Täter, der wie ein normaler Kunde an einer Tanksäule auftritt und sich nach den äußeren Umständen wie ein solcher verhält, bringt durch schlüssiges Verhalten zum Ausdruck, dass er den Kraftstoff nach Erhalt auch bezahlen werde. A hat sich wie ein normaler Kunde verhalten und somit konkludent vorgespiegelt, er werde den Kraftstoff auch bezahlen. Eine Täuschungshandlung des A liegt vor.

2. Irrtumserregung

Die Täuschungshandlung des A müsste einen entsprechenden Irrtum des Kassierers oder einer anderen Person hervorgerufen haben. Dazu das OLG: Eine entsprechender Wille als Folge der Täuschungshandlung des Täters kann nur gebildet werden, wenn eben diese Handlung von dem Tankstellenbetreiber oder seinen Mitarbeitern überhaupt wahrgenommen worden ist. Bleibt der Täter dagegen – wie im vorliegenden Fall – bis zur Beendigung des Tankvorgangs unbemerkt, gewinnt seine Handlungsweise auf die Willensbildung des Tankstellenpersonals keinen Einfluss und kann schon deshalb weder zu einem Irrtum noch zu einer Vermögensverfügung in Bezug auf den von ihm getankten Kraftstoff führen.

Folglich scheidet ein Betrug mangels Irrtumserregung aus.

III. A könnte sich wegen versuchten Betruges gemäß §§ 263 I, 22 StGB strafbar gemacht haben.

1. Tatentschluss

Dann müsste A Tatenschluss zu einer Täuschung, zu einer dadurch bedingten Irrtumserregung und zu einer dadurch bedingten Vermögensverfügung einer anderen Person in der Absicht der stoffgleichen Eigenbereicherung gehabt haben.

a) Bei der vorliegenden Fallgestaltung geht der BGH grundsätzlich von einem solchen Tatentschluss des Täters aus (BGH NJW 1983, 2827).

b) Etwas anderes soll nur gelten, wenn der Täter davon ausgehen darf, dass er sein Vorhaben, ohne Bezahlung zu tanken, unbemerkt verwirklichen kann ... Allerdings sind kaum noch Fälle vorstellbar, in denen der Täter diese Überzeugung gewinnen kann. Vielmehr ist bei realitätsnaher Betrachtung unter den heutigen Verhältnissen stets mit der Möglichkeit der unmittelbaren oder durch Überwachungsanlagen vermittelten Wahrnehmung zu rechnen … Abgesehen von Ausnahmesituationen ist daher davon auszugehen, dass der Täter beim Vorfahren an der Tankstelle billigend in Kauf nimmt, er könne jederzeit bemerkt werden, und dass er für diesen Fall auf eine Irreführung des Beobachters abzielt, also mit zumindest bedingtem Täuschungsvorsatz handelt.

2. Unmittelbares Ansetzen

Indem A vor die Tankstelle gefahren und sein Fahrzeug betankt hat, hat er unmittelbar im Sinne des § 22 StGB zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt.

3. A hat rechtswidrig und schuldhaft gehandelt und sich somit wegen eines versuchten Betruges gemäß §§ 263 I, 22 StGB strafbar gemacht.

IV. A könnte sich weiterhin wegen einer Unterschlagung gemäß § 246 I StGB strafbar gemacht haben.

1. Das Benzin war eine fremde beweglichen Sache.

2. Weiterhin müsste eine Zueignung gegeben sein. Eine solche setzt nach der Manifestationstheorie voraus, dass der Täter eine Handlung vorgenommen hat, die seinen Zueignungswillen nach außen erkennbardokumentiert. Indem A ohne zu bezahlen mit dem Benzin im Tank die Tankstelle verlassen hat, hat er seinen Zueignungswillen äußerlich manifestiert.

3. Entsprechend der Subsidiaritätsklausel des § 246 I StGB tritt diese Vorschrift zurück, wenn die Tat durch eine andere Vorschrift mit schwererer Strafe bedroht ist. Da A sich bereits wegen versuchten Betruges gemäß §§ 263 I, 22 StGB strafbar gemacht hat, tritt die Unterschlagung hinter den Betrugstatbestand zurück.

Zusammenfassung