Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß
► Beleidigung § 185 StGB. ► Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193 StGB
OLG Jena Beschluss vom 4.7.2001 (1Ss 157/01) NJW 2002, 1890
Fall (Rechtsanwalt beschimpft Staatsanwalt)
K ist 20 Jahre alt und war wegen gemeinschaftlicher Geiselnahme angeklagt. Zur Tatzeit war er stark alkoholisiert. Die Staatsanwaltschaft Gera wurde in allen Sitzungen von Staatsanwalt J vertreten. In seinem Schlussvortrag beantragte Staatsanwalt J, eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren zu verhängen. Als anschließend Rechtsanwalt A sein Plädoyer hielt, äußerste er sich dahingehend: „Wenn ein Staatsanwalt zu DDR-Zeiten für diesen Sachverhalt dies beantragt hätte, wäre er zu Recht wegen Rechtsbeugung angeklagt worden.“ Rechtsanwalt A beantragte, den Angeklagten K unter Anwendung des Jugendstrafrechts zu einer Geldauflage von 800 bis 1000 DM sowie gemeinnütziger Arbeit, ersatzweise, für den Fall, dass das Gericht Erwachsenenstrafrecht anwenden sollte, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten, deren Vollstreckung auf die Dauer von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden soll, zu verurteilen. Die vom Gericht verhängte Strafe lautete unter Anwendung des gemilderten Strafrahmens wegen der Alkoholisierung des K auf vier Jahre Freiheitsstrafe. Strafbarkeit des Rechtsanwalts A ?
A könnte sich wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB strafbar gemacht haben
1. Objektiver Tatbestand
Dann müsste eine Beleidigung seitens des A vorliegen. Der Normtext des § 185 BGB bestimmt nicht, was eine Beleidigung ist. Nach allgemeiner Meinung wird hierunter die Kundgabe derMissachtung oder Nichtachtung verstanden (Joecks, Studienkommentar, § 185 Rn. 1. mwN). Diese können durch Werturteile oder ehrverletzende Tatsachen („Sie sind aber fett“) zum Ausdruck gebracht werden. Werturteile sind persönliche Wertungen, Einschätzungen oder Schlussfolgerungen. Der Ausspruch des Rechtsanwaltes A: „Wenn ein Staatsanwalt zu DDR-Zeiten für diesen Sachverhalt dies beantragt hätte, wäre er zu Recht wegen Rechtsbeugung angeklagt worden“, ist dahingehend zu verstehen, dass Staatsanwalt J sich mit seinem Schlussantrag, das Gericht möge K wegen gemeinschaftlicher Geiselnahme zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilen, rechtsbeugend verhalten hat. Rechtsbeugung stellt ein schweres Verbrechen dar, das nach § 339 StGB mit Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren bedroht ist. Es beinhaltet schwerste Amtspflichtverletzung, so dass umgekehrt auch von einem besonders starken herabwürdigen Angriff auf die Ehre des von der Äußerung Betroffenen ausgegangen werden muss. Somit ist ein beleidigendes Werturteil gegeben. Der objektive Tatbestand des § 185 BGB ist erfüllt.
2. Subjektiver Tatbestand
Der subjektive Tatbestand des § 185 BGB setzt voraus, dass der Täter zumindest bedingten Vorsatz bezüglich des ehrverletzenden Werturteils hat. Nicht erforderlich ist eine darüber hinaus gehende Beleidigungsabsicht des Täters. Daher ist für die Frage des Vorsatzes unerheblich, wenn es dem Täter beispielsweise nicht um die Ehrverletzung, sondern um eine Kritik an amtlichen Maßnahmen geht (vgl. BayOLG NJW 1999, 1982). Als Rechtsanwalt weiß A, dass die vom ihm getätigte Äußerung ehrverletzenden Charakter hatte. Dass diese wahrscheinlich dazu dienen sollte, seinen Mandanten zu verteidigen, ist für die Frage, ob A vorsätzlich handelte, irrelevant. A handelte somit mit direktem Vorsatz. Der subjektive Tatbestand ist ebenfalls gegeben.
3. Rechtswidrigkeit
Die Tat des A könnte jedoch gemäß § 193 BGB gerechtfertigt gewesen sein. Das setzt voraus, dass Rechtsanwalt A mit seiner Äußerung die Wahrnehmung berechtigter Interessen zum Ziel gehabt hat. Dabei muss sein Anliegen höher einzustufen sein muss, als der Anspruch des Staatsanwaltes J auf Achtung seiner Ehre. Wenn es um eine Meinungsäußerung vor Gericht geht, darf „im Kampf ums Recht“ ein Verfahrensbeteiligter auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um polarisierend seine Meinung zu Gehör zu bringen; selbst personenbezogene starke Formulierungen können gestattet sein BVerfG NJW 2000, 199). ... In Übereinstimmung mit dem LG geht daher auch der Senat davon aus, dass eine großzügige Auslegung am Platze ist, wenn es um die Frage geht, was ein Rechtsanwalt in Verfolgung der Interessen seines Mandanten vortragen darf.
Allerdings müssen die Äußerungen stets ein angemessenes Mittel sein. Ehrverletzende Äußerungen, die in keinem inneren Zusammenhang zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten stehen oder deren Unhaltbarkeit ohne weiteres auf der Hand liegen, können den Schutz des § 193 StGB nicht in Anspruch nehmen. Dabei ist nach Ansicht des Senats auch von ganz besonderer Bedeutung, in welchem Zusammenhag die ehrverletzende Meinungsäußerung gefallen ist. Hat der von der Äußerung Betroffene seinerseits Anlass zur scharfen Kritik geboten, kann der Umfang dessen, was noch im Hinblick auf § 193 StGB gerechtfertigt sein kann, erheblich größer sein als in dem Falle, in dem ohne jegliche Veranlassung zur erheblichen Ehrverletzung geschritten worden ist ...
Nach den Feststellungen des LG ist das Plädoyer des StA J nebst den Anträgen von Sachlichkeit geprägt gewesen, ohne Anreize für scharfe Entgegnungen. Bedenkt man, dass das Verbrechen der Geiselnahme (§239 b StGB) angeklagt war und nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nach Ansicht der StA nachgewiesen war, so bieten auch die Strafanträge keinen Grund, derart überzogen zu reagieren, wie es der Angekl. getan hat; die Mindeststrafe für das genannte Verbrechen im Normalstrafrahmen beträgt fünf Jahre Freiheitsstrafe, so dass der auf diese Strafe lautende Strafantrag bezüglich des Mandanten des Angekl. eher zurückhaltend als provozierend einzustufen ist. Die vom Gericht verhängte Strafe lautete – sodann – ersichtlich unter Anwendung des gemilderten Strafrahmens – auf vier Jahre Freiheitsstrafe.
Die Haltlosigkeit der ehrverletzenden Äußerung drängt sich auf und steht mit der sich aus § 43 a III BRAO ergebenden Verpflichtung des Rechtsanwalts, sich bei seiner Berufsausübung sachlich zu verhalten in erheblichem Widerspruch.
Die Berufung auf den Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB scheidet daher wegen fehlender Angemessenheit der Äußerung aus.
4 . A hat auch schuldhaft gehandelt und sich somit wegen einer Beleidigung gegenüber StA J strafbar gemacht.
Zusammenfassung