Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß

► Körperverletzung, § 223 StGB; Erheblichkeitsschwelle

OLG Düsseldorf Beschluss vom 23.5.2002 (2a Ss 97/02) NJW 2002, 2118

Fall (Nächtliche Anrufe)

A rief bei dem Telefonanschluss des Z am 9. 11. 2000 um 0.43 Uhr, 1.12 Uhr und um 1.15 Uhr an und drängte auf Zahlung noch offener Geldforderungen. A wiederholte seine Anrufe am 12.11.2000 um 4.30 Uhr und 4.32 Uhr. Die Familie des Z wurde durch die Telefonanrufe jedes Mal empfindlich in ihrer Nachtruhe gestört, aus dem Schlaf gerissen und konnte nicht wieder einschlafen, da sie mit einem neuen Anruf rechnen musste. Am jeweils nächsten Tag fühlten sie sich unausgeglichen, müde und nervös. Strafbarkeit des A ?

A könnte sich wegen einer Körperverletzung gemäß § 223 I StGB strafbar gemacht haben. Das setzt eine körperliche Misshandlung oder Gesundheitsverletzung voraus. Körperliche Misshandlung ist eine üble, unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit mehr als nur unerheblich beeinträchtigt wird. Unter einer Gesundheitsverletzung ist jedes Hervorrufen oder Steigern eines nicht unerheblichen krankhaften Zustandes zu verstehen. Wann die Schwelle zurErheblichkeit überschritten ist, kann nur im Einzelfall beantwortet werden. Maßstab ist aber in jedem Fall nicht das Empfinden des Opfers, sondern das eines objektiven Dritten (Joeks, Studienkommentar § 223 Rn 7). Eine bloß psychische Einwirkung, die lediglich das seelische Wohlbefinden berührt, ist keine Gesundheitsbeschädigung, sofern nicht darüber hinaus die Nerven in einen krankhaften Zustand versetzt werden ... Insoweit reichen Angst, Schrecken und Erregung allein nicht aus, vielmehr muss bei psychischen Beeinträchtigungen ein medizinisch relevanter Krankheitszustand in einem nicht nur unerheblichen Umfang eingetreten sein ... Zwar kann das körperliche Wohlbefinden im Einzelfall auch durch nächtliche Störanrufe in einem relevanten Umfang beeinträchtigt werden. Indessen ist dazu erforderlich, dass infolge einer Erschütterung des seelischen Gleichgewichts eine erhebliche Reizung der die sinnlichen Eindrücke vermittelnden Empfindungsreserven eintritt, die in der Folge zu einer schweren, körperlich in Erscheinung tretenden Alteration, einem Kollaps oder einer so genannten Schrecklähmung führen kann.

Derartige Auswirkungen konnten bei Z und dessen Familie nicht festgestellt werden: Die beschriebenen Zustände stellen reine Befindlichkeitsstörungen ohne einen medizinisch bedeutsamen Krankheitswert dar. Ein Gefühl der Unausgeglichenheit, Müdigkeit, Zerschlagenheit und der Nervosität stellt sich bei vielen Menschen ein, ohne dass damit die konkrete Beschreibung eines pathologischen, somatisch objektivierten Befunds verbunden wäre

Die Erheblichkeitsschwelle ist somit nicht überschritten, so dass weder eine körperliche Misshandlung noch eine Gesundheitsbeeinträchtigung gegeben ist. A hat sich nicht wegen einer Körperverletzung strafbar gemacht.

Zusammenfassung

Eine Körperverletzung gemäß § 223 StGB setzt eine erhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens voraus. Nächtliche Telefonanrufe, die den Angerufenen aus dem Schlaf reißen und keinen medizinisch bedeutsamen Krankheitswert verursachen, stellen als „reine Befindlichkeitsstörungen“ nur eine unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens dar.