Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß

► Schreckschusspistole als gefährliches Werkzeug, § 250 II Nr. 1 StGB

BGH Beschluss vom 15.5.2002 (2 StR 441/01) NJW 2002, 2889

Der folgende Fall befasst sich mit der Frage, ob eine geladene Schreckschusspistole ein gefährliches Werkzeug i. S. des § 250 II Nr. 1 StGB ist, wenn der Täter diese zeitnah unmittelbar gegen den Körper einsetzen kann. Da über diese Frage zwischen den Strafsenaten des BGH Uneinigkeit besteht, hat der 2. Senat den folgenden Fall gemäß § 132 II GVG dem Großen Senat für Strafsachen zur Entscheidung vorgelegt. Der vorliegende Fall soll noch einmal die beiden möglichen Positionen verdeutlichen.

Fall (Überfall mit Schreckschusspistole)

A betrat mit einer geladenen Schreckschusspistole eine Sparkasse. Die Kassiererin M saß im gesicherten Kassenraum. A lud die Pistole durch und forderte von M, ihm sofort das in den Kassen befindliche Geld auszuhändigen. Anderenfalls werde er den im Nebenzimmer befindlichen Filialleiter erschießen. Die M nahm diese Drohung ernst und gab A 34.000 DM. A flüchtete mit der Beute. Strafbarkeit des A ?

A könnte sich wegen einer schweren räuberischen Erpressung gemäß §§ 253, 255, 250 II Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben.

1. A müsste mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben gedroht haben. § 255 StGB setzt voraus, dass die Drohung sich unmittelbar gegen eine andere Person richtet. Dabei müssen Genötigter und Bedrohter nicht personengleich sein. Es genügt vielmehr, dass die Bedrohung eines Dritten mit einer Leibes- oder Lebensgefahr von dem Genötigten als eigenes Übel empfunden wird. Die Drohung, eine andere Person zu töten, sofern einer bestimmten Anweisung nicht folge geleistet wird, wird von dem Genötigten regelmäßig als eigenes Übel empfunden (Tröndle/Fischer § 255 Rn. 1). Ferner ist unerheblich, ob die Drohung tatsächlich ausführbar ist oder ausgeführt werden soll. Maßgeblich ist allein, dass der Genötigte die Drohung ernst nehmensoll, dass dieser die Ausführung der Drohung für möglich hält und dementsprechend in Angst und Furcht versetzt wird (Wessels/Hillenkamp Rn. 734). M glaubte, die Pistole des A sei geladen und dieser würde den im Nebenzimmer nicht geschützten Filialleiter erschießen, wenn sie dass Geld nicht herausgeben würde. Eine gegenwärtige Bedrohung für Leib und Leben ist somit gegeben.

2. Durch die Drohung müsste A die M gemäß § 253 I StGB zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen genötigt haben. Wegen der Strukturgleichheit von Betrug und Erpressung - beides sind Selbstschädigungsdelikte, statt mit Täuschung erreicht der Erpresser sein Ziel mit Zwang - verlangt ein Teil der Lehre, dass das abgenötigte Verhalten den Charakter einer Vermögensverfügung besitzt (Schönke/Schröder § 253 Rn 8). Überwiegend wird auf die subjektive Notwendigkeit der Opfermitwirkung abgestellt. Eine Vermögensverfügung soll danach nur dann vorliegen, wenn das Opfer die Vorstellung hat, einen für die Herbeiführung des Vermögensnachteils unerlässlichen Mitwirkungsakt vorzunehmen. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist dagegen jedes Tun, Dulden oder Unterlassen tatbestandsmäßig. Dies folge aus der wörtlichen Übereinstimmung von Tatmittel, Opferreaktion und Verwerflichkeitsprüfung. A konnte ohne die Hilfe der M nicht an das im Kassenraum befindliche Geld gelangen. Ein Mitwirkungsakt der M in Form einer Vermögensverfügung war somit notwendig, so dass sowohl nach der Lehre als auch der Rechtsprechung des BGH eine tatbestandsmäßige Opferreaktion gegeben ist.

3. Durch die Herausgabe des Geldes an A wurde der Sparkasse, in deren Näheverhältnis M als Angestellte stand, ein Nachteil zugefügt.

4. A handelte vorsätzlich und in der Absicht der stoffgleichen Eigenbereicherung. Die von ihm erstrebte Bereicherung war rechtswidrig, da er keinen Anspruch auf das Geld hatte.

5. Die Verwerflichkeit i. S. des § 253 II BGB ist ebenfalls gegeben.

6 . Die Tat könnte weiterhin gemäß § 250 II Nr. 1 StGB als schwere räuberische Erpressung zu qualifizieren sein. Dann müsste eine Schreckschusspistole eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug i. S. des § 250 II Nr. 1 StGB sein.

a) Eine geladene Scheckschusspistole fällt nicht unter den Waffenbegriff des § 1 WaffG, da Waffen nur solche Geräte sind, die bestimmungsgemäß dazu dienen, erhebliche Verletzungen bei Menschen herbeizuführen (BGH NJW 2002, 2889).

b) Die Schreckschusspistole könnte aber ein gefährliches Werkzeug sein.

aa) Nach der Rechtsprechung des 2. Strafsenats des BGH ist eine bei der Bedrohung des Raubopfers eingesetzte geladene Schreckschusspistole dann ein gefährliches Werkzeug i. S. des § 250 II Nr. 1 StGB, wenn sie vom Täter innerhalb kürzester Zeit ohne weitere Zwischenschritte unmittelbar am Körper der bedrohten Person zum Einsatz gebracht werden kann ... Eine geladene Schreckschusspistole ist ein waffenähnliches Werkzeug mit hohem Gefährdungspotential. Zwar ist sie nicht im technischen Sinne zur Verletzung von Menschen bestimmt; sie ist aber objektiv geeignet, erhebliche Verletzungen hervorzurufen ... Bei der Tatbegehung unter drohender Verwendung eines derart verletzungsgeneigten Gegenstandes kann es für die Einordnung als gefährliches Werkzeug ebenso wie beim Einsatz eines Messers nach Auffassung des Senats nicht maßgeblich darauf ankommen, ob sich der Täter in einer räumlichen Entfernung zu dem Opfer befindet, welche die Zufügung einer erheblichen Körperverletzung noch nicht gestattet, wenn sich die von dem Werkzeug ausgehende Gefahr innerhalb kürzester Zeit und in ummittelbaren Fortgang des Geschehens tatsächlich realisieren kann, also nicht etwa weitere Vorbereitungshandlungen zur Herbeiführung der Einsatzbereitschaft erfordert. Ein Täter, der eine durchgeladene und schussbereite Scheckschusspistole zunächst nur aus einer Entfernung von wenigen Metern auf sein Opfer richtet, um eine echte Waffe vorzutäuschen, kann mit wenigen Schritten und in Sekundenschnelle das Opfer erreichen und ihm erhebliche Verletzungen zufügen. Um gegebenenfalls die Drohungswirkung zu verstärken, wird eine weitere Annäherung an das Opfer in diesen Fällen regelmäßig näher liegen als etwa die Abgabe eines folgenlosen Schreckschusses aus größerer Entfernung. Es erscheint wenig sachgerecht, die Anwendung des Strafrahmens des § 250 II Nr. 1 StGB hier von der Unterschreitung einer – gegebenenfalls in Zentimetern zu bemessenen Mindestdistanz abhängig zu machen. Die Rechtsprechung des BGH hat eine ähnliche Differenzierung zu Recht auch nicht bei der Verwendung anderer objektiv gefährlicher Werkzeuge ... vorgenommen. Danach hat A ein gefährliches Werkzeug i. S des § 250 II Nr. 1 StGB verwendet.

bb) Dagegen geht die Auffassung des 3. Strafsenats des BGH dahin, dass der Tatbestand des § 250 II Nr. 1 StGB nicht erfüllt ist, wenn der Täter lediglich mit einer mit Platzpatronen geladenen Schreckschusswaffe aus einer Entfernung droht, bei der für den Fall der Schussabgabe für das Opfer keine Leibesgefahr besteht. Er begründet dies damit, dass andernfalls eine objektiv noch ungefährliche Schreckschusswaffe unabhängig von der Art ihres tatsächlichen Einsatzes nahezu stets zu einem gefährlichen Werkzeug würde und schon eine potentielle Gefährlichkeit ausreichen würde. Nach dem 3. Strafsenat des BGH hat A nur ein sonstiges Werkzeug i. S des § 250 I Nr. 1 b) StGB bei sich geführt.

cc) Über diese Frage muss nun der Große Senat für Strafsachen entscheiden; über das Ergebnis werden wir berichten.