► Mordmerkmal niedriger Beweggrund, § 211 II 1. Gruppe 4. Fall StGB
BGH Urteil vom 19.10. 2001 (2 StR 259/01) NJW 2002, 382
Fall (Mord aus Frustration über die eigene Lage)
A und B, zwei arbeitslose Russlanddeutsche, trafen sich mit C an einem Treffpunkt für Obdach- und Arbeitslose. Sie tranken zunächst friedlich Schnaps und Bier zusammen. Nach einiger Zeit fluchte C, den A und B fälschlicherweise für einen Deutschen gehalten hatten, in seiner Muttersprache auf polnisch. Hierüber war A derart verärgert und wütend, dass er C sofort zwei Faustschläge in das Gesicht versetzte. C ging aufgrund der Schläge zu Boden. A und B traten nun minutenlang auf C ein, der zwischenzeitlich das Bewusstsein verlor. Sie traten wiederholt heftig in das Gesicht und gegen den Hals des C. Nachdem sie kurz innegehalten hatten, hob A den Kopf des C hoch und B trat mehrfach in dessen Gesicht, wobei sie den Tod des C billigend in Kauf nahmen. Nachdem sie erneut innegehalten hatten und C wieder am Boden lag, traten sie weiter auf dessen Kopf, bevor sie von ihm abließen. C erstickte kurze Zeit später an seinem Blut, welches infolge der Tritte von A und B in seine Luftröhre gelaufen war. Hintergrund der Tat war, dass A und B den arbeitslosen Polen C als sozial noch tiefer stehend ansahen, und sich in ihrem Verhalten die Frustration und das angestaute Aggressionspotenzial über die eigene unbefriedigende soziale Situation affektartig entlud. Strafbarkeit von A und B ?
A und B könnten sich wegen eines gemeinschaftlichen Mordes gemäß §§ 211 II 1. Gruppe 4. Fall (niedriger Beweggrund), 25 II StGB strafbar gemacht haben.
1. Durch die Tritte von A und B gegen Kopf und Hals des C lief Blut in die Luftröhre des C, so dass dieser erstickte. Die gemeinschaftlich ausgeführten Handlungen von A und B haben somit den Tod des C kausal herbeigeführt.
2. A und B nahmen den Tod des C billigend in Kauf, so dass sie auch vorsätzlich bezüglich der Tötung des C handelten.
3 . Weiterhin müssten sie das Mordmerkmal des niedrigen Beweggrundes verwirklicht haben.
a) Ein niedriger Beweggrund liegt vor, wenn die Motivation des Täters sich nicht nur als verwerflich darstellt, sondern auf sittlich tiefster Stufe stehtund als besonders verachtenswert erscheint. Entscheidend ist die soziale Rücksichtslosigkeit, mit der der Täter gegen das Opfer vorgeht. Dies beurteilt sich nach ständiger Rechtsprechung des BGH (NJW 1954, 565; 1984,1830) nach den Gesamtumständen. Dabei sind die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit zu berücksichtigen.
Bei einer Tötung aus Wut oder Verärgerung kommt es darauf an, ob diese Antriebsregungen ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen.
Das Landgericht ging davon aus, dass die Angeklagten ihre Aggressionen an C ausließen, weil sie ihn wegen der Benutzung der polnischen Sprache als jemanden ansahen, der in der sozialen Achtung noch tiefer stand als sie selbst. Dennoch lehnte es einen niedrigen Beweggrund ab, da das Fluchen auf polnisch lediglich der äußere Tatanlass gewesen sei, die Tat selbst jedoch nicht von dieser inneren Einstellung, sondern von einem frustrationsbedingten Ausbruch und einer hohen affektiven Belastung geprägt gewesen sei.
Der BGH beanstandet die Trennung zwischen äußerem Anlass (das polnisch Sprechen) und innerer Triebfeder (dem auf das Sprechen folgenden Wutausbruch) und stellt fest, dass die Tötung eines anderen allein deshalb, weil er in den Wertvorstellungen des Täters als geringer eingeordnet wird, nach allgemein sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und besonders verachtenswert ist.… Denn derjenige, der einen anderen Menschen zum Objekt seiner Wut und Gereiztheit, an deren Entstehung der andere nicht den geringsten Anteil hat, macht, beweist ein außerordentliches Maß von Missachtung der körperlichen Integrität des Opfers. Darin kommt seine Gesinnung zum Ausdruck, die Lust an körperlicher Misshandlung und willkürliches Aufwerfen zum Herrn über die körperliche Unversehrtheit anderer zum Inhalt hat und deshalb auf tiefster Stufe stehend, somit als niedrig gewertet werden muss.
Somit ist die Tat von A und B nach der Rechtsprechung des BGH, auch wenn sie durch die Frustration über die eigene Lage ausgelöst wurde und von hohem affektive Handeln getragen war, als niedriger Beweggrund zu werten.
b) In subjektiver Hinsicht muss bei dem Mordmerkmal des niedrigen Beweggrundes hinzukommen, dass sich der Täter bei der Tat der Umstände bewusst ist, die seine Beweggründe als niedrig erscheinen lassen. Der BGH bezweifelt, dass die Umstände, die den Antrieb zum Handeln als besonders verwerflich erscheinen lassen, nicht in das Bewusstsein der Angeklagten vorgedrungen seien sollen, und hält dem Landgericht vor: Zudem hat die Kammer nicht berücksichtigt, dass die Schwelle für die Annahme, der Täter habe seine Antriebe gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern können, umso niedriger ist, je schwerwiegender die Tötungstat ist.
Somit haben A und B sich wegen eines gemeinschaftlichen Mordes gemäß § 211 II 1. Gruppe 4. Fall StGB strafbar gemacht.
Zusammenfassung