Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß

Verdeckungsmord durch Unterlassen, §§ 211 II, 13 I StGB

BGH Urteil vom 12.12.2002 (4 StR 297/02) NJW 2003, 1060

Fall (Kindesmisshandlung)

A lebte mit Frau M und ihrer Tochter T in einer Hausgemeinschaft und in einer eheähnlichen Beziehung. A, der nicht der Vater der T war, misshandelte die zur Tatzeit zwei Jahre alte T mit bedingtem Tötungsvorsatz, wobei die Misshandlungen derart stark waren, dass T einige Stunden später verstarb. Obwohl A erkannt hatte, dass das schwer verletzte Kind ohne alsbaldige ärztliche Hilfe sterben würde, unterließ er nach Abschluss der Misshandlungen jegliche Rettungsbemühungen. Aus Angst vor einer Inhaftierung hielt er auch die Lebensgefährtin M davon ab, sofortige Rettungsmaßnahmen einzuleiten. Er überredete M, eine von ihm erfundene Tatversion, wonach die Tat durch unbekannte Eindringlinge in seiner Abwesenheit verübt worden sei, zu bestätigen. M ließ sich hierauf ein. Erst etwa anderthalb Stunden nach der Tat wurde der Rettungsdienst von A und M verständigt. Dieser kam zu spät, so dass T nicht gerettet werden konnte. Strafbarkeit des A ?

I. A könnte sich wegen eines Verdeckungsmordes durch Unterlassen gem. §§ 211 II 3. Gruppe, 2. Fall StGB strafbar gemacht haben.

Das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht setzt im Fall des Unterlassens voraus, dass der Täter die ihn zur Abwendung des Todeseintritts gebotene Handlung unterlässt, um dadurch eine andere Straftatzu verdecken. Das ist nach der Rechtsprechung des BGH nicht der Fall, wenn der Täter von Anfang an mit – sei es auch nur bedingtem – Tötungsvorsatz handelt und die Verdeckungsabsicht als bloßes weiteres Tötungsmotiv lediglich hinzu kommt. In diesem Fall handele es sich nicht um die Verdeckung einer anderen Tat (BGH NStZ 2002, 253).

Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn zwischen einer zunächst erfolglosen Tötungshandlung und der erneuten mit Verdeckungsabsicht vorgenommenen zweiten Tötungshandlung eine deutliche zeitliche Zäsur liegt. Fasst der Täter dann den Entschluss, das zumindest aus seiner Sicht überlebende Opfer nunmehr auch deshalb zu töten, um die Verdeckung des versuchten Tötungsdeliktes zu verhindern, wird das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht als erfüllt angesehen, da sich die Tötungshandlung auf eine zunächst abgeschlossene, mithin andere Tat bezieht ...Wer es dagegen lediglich unterlässt, eine durch vorausgegangenes positives Tun in Gang gesetzte Kausalkette zu unterbrechen, „begeht“ keine andere Straftat i.S. des § 211 II StGB, sondern verfolgt lediglich sein ursprüngliches Ziel weiter. Ebenso wie in Fällen einer weiteren Tötungshandlung kann hier allein das Hinzutreten des weiteren Motivs der Verdeckungsabsicht ein im Übrigen einheitliches Geschehen in zwei Taten aufspalten.

A ging davon aus, dass T aufgrund der schweren Misshandlungen ohne ärztliche Hilfe sterben würde. A unterließ daher lediglich, eine durch vorausgegangenes positives Tun in Gang gesetzte Kausalkette zu unterbrechen. Ein Verdeckungsmord durch Unterlassen entfällt daher.

II. A könnte sich wegen eines Totschlags gemäß § 212 I StGB strafbar gemacht haben. Durch die schwere Misshandlung ist der Tod der T kausal verursacht worden. Da A mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte, hat er sich wegen Totschlags gemäß § 212 I StGB strafbar gemacht.

III. A hat sich weiterhin wegen einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 I Nr. 5 StGB (mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung) sowie wegen einer Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 I StGB strafbar gemacht. Diese Delikte treten allerdings hinter den Totschlag aus § 212 I StGB zurück.

IV. A könnte sich ferner wegen einer Anstiftung zum Verdeckungsmord durch Unterlassen gemäß §§ 211 II 3. Gruppe, 2. Fall, 13 I, 26 StGB strafbar gemacht haben.

1. Dann müsste eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat gegeben sein. M hatte als Mutter und damit personenberechtigtes Elternteil eine Garantenstellung gemäß § 13 I StGB.

M unterließ es, einen Rettungswagen herbeizurufen, wodurch der Tod der T eintrat, so dass das Unterlassen kausal für den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges war. Weiterhin wollte M hierdurch verhindern, dass ihr Lebensgefährte A strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird. Das Unterlassen diente daher der Verdeckung des von A begangenen Totschlages, mithin der Verdeckung einer anderen Straftat. Ein vorsätzlicher Verdeckungsmord durch Unterlassen ist damit gegeben.

2. Zudem müsste eine Anstiftungshandlung gegeben sein. A überredete M, vorerst keinen Rettungswagen zu rufen, so dass eine Anstiftungshandlung gegeben ist.

3. Tatbestandsverschiebung nach § 28 StGB.

Nach der Rechtsprechung des BGH ist bei täterbezogenen Mordmerkmalen der 1. und 3. Gruppe des § 211 II StGB die Strafe gemäß § 28 I StGB zu mildern, sofern ein solches täterbezogenes Mordmerkmal bei einem Mittäter oder Teilnehmer nicht gegeben ist. A hat selbst nicht zur Verdeckung einer Straftat gehandelt. Somit ist er zwar wegen einer Anstiftung zum Verdeckungsmord zu bestrafen, seine Strafe wird aber gemäß § 28 I StGB gemildert.

Zusammenfassung

Ein Verdeckungsmord durch Unterlassen ist nicht gegeben, wenn der Täter eine von ihm mit bedingtem Tötungsvorsatz in Gang gesetzte Kausalität nicht unterbricht. Hier wirkt die ursprüngliche Tötungshandlung fort und es wird keine „andere Straftat“ i.S. des § 211 II 3. Gruppe 2. Fall StGB verdeckt.