Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß

Heimtücke beim Mord (§ 211 StGB) im Falle der Tötung eines Erpressers. Notwehr (§ 32 StGB) gegenüber einem vollendeten, aber noch nicht beendeten Angriff

BGH Urteil vom 12. 2. 2003 (1 StR 403/02) NJW 2003, 1955 = JuS 2003, 716

Fall (Tödliche Erpressung)

T, der spätere Täter, und M, das Tatopfer, waren miteinander bekannt. M wusste, dass T mit illegal hergestellten CDs handelt. Er drohte T mit einer Anzeige bei der Polizei und damit, er werde ihn von Freunden zusammenschlagen lassen, wenn er ihm nicht das geforderte Schweigegeld zahle. Auf diese Weise hatte M dem T bereits 3 000 € abgepresst. Später verlangte er weitere Zahlungen. T weigerte sich zunächst. Eines Abends suchte M in Begleitung eines gewissen A den T in dessen Wohnung auf. M forderte die Zahlung von mindestens 2 500 €. Zwischenzeitlich tranken T, M und A Wodka, wobei sich T zurückhielt, der alkoholgewohnte M aber so viel trank, dass sein Blutalkohol über 3 ‰ betrug. Als T weiterhin Zahlungen verweigerte, wiederholte M seine Drohungen und begann, gegen die Wohnungseinrichtung des T zu treten. T erklärte sich schließlich zur Zahlung bereit, damit „M seine Sachen in Ruhe lässt“. Er holte aus einem Versteck eine Tüte mit 2 500 €. Sie gelangte in einer nicht mehr aufklärbaren Weise in die Hände des A. M stand in diesem Augenblick im Zimmer und hatte die Hände in den Hosentaschen. T, der verhindern wollte, dass M ihm seine gesamten Ersparnisse abnehmen und seine Existenz durch die fortdauernde Erpressung vernichten würde, trat – für M völlig überraschend – hinter diesen, riss dessen Kopf zurück und schnitt ihm mit einem Küchenmesser die Kehle durch. M war sofort tot. Strafbarkeit des T ?

I. T könnte sich wegen Mordes (§ 211 StGB) strafbar gemacht haben. T hat M vorsätzlich getötet.Als Mordmerkmal kommt Heimtücke in Betracht.

1. Mit dem LG im vorliegenden Fall könnte angenommen werden, nach dem Einlenken des T und der Übergabe des Geldes sei M, in der Wohnung des T stehend, arg- und wehrlos gewesen und habe keinen Angriff seines Bekannten T mehr erwartet. Der BGH erörtert aber, ob nicht eine Notwehrlage für T bestand und diese von Einfluss bereits auf die Frage der Heimtücke ist.

2. Eine Notwehrlage ist nach § 32 II StGB bei einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff gegeben. BGH S. 1956 unter II 1: M´s erpresserischer Angriff auf das Vermögen des Angekl. war noch „gegenwärtig“ i. S. des § 32 II StGB. Er war zwar vollendet, aber noch nicht beendet; denn die Beute war noch nicht gesichert (folgen Nachw.). Notwehr ist nicht darauf beschränkt, die Verwirklichung der gesetzlichen Merkmale des Tatbestands abzuwenden. Sie ist zum Schutz gegen den Angriff auf ein bestimmtes Rechtsgut zugelassen. Dieser Angriff kann trotz Vollendung des Delikts noch fortdauern und deshalb noch gegenwärtig sein, solange die Gefahr, die daraus für das bedrohte Rechtsgut erwächst, entweder doch noch abgewendet werden kann oder bis sie umgekehrt endgültig in den Verlust umgeschlagen ist. Hier war, solange sich das Geld noch in der Wohnung des T und den Händen des A befand, noch kein endgültiger Verlust eingetreten. Die Notwehrlage bestand für T fort.

3. Diese Notwehrlage führt, unabhängig davon, ob die vom Angegriffenen vorgenommenen Maßnahmen erforderlich waren, zum Verlust der für die Heimtücke erforderlichen Arg- und Wehrlosigkeit. BGH LS 1 und S. 1956 unter 2: Der Erpresser ist in einer von ihm gesuchten Konfrontation mit dem Erpressten gegenüber einem wehrenden Gegenangriff des Erpressten auf sein Leben regelmäßig nicht arglos im Sinne des Mordmerkmals der Heimtücke, wenn er in dessen Angesicht im Begriff ist, seine Tat zu vollenden und zu beenden und damit den endgültigen Rechtsverlust auf Seiten des Erpressten zu bewirken.Das sich wehrende Erpressungsopfer handelt in einem solchen Fall in aller Regel nicht heimtückisch. Begründet hat das der BGH mit der Überlegung, die Arglosigkeit eines Menschen entfalle bei einer vorhandenen Einsicht in eine bestehende Gefahr. Dass er einen tätlichen Angriff (hier: Gegenangriff) in Rechnung stellen musste, kann sich allein schon aus seinem eigenen vorausgegangenen Verhalten ergeben… Es ist regelmäßig der Angreifer, der durch sein Verhalten einen Gegenangriff herausfordert, mag dieser sich nun im Rahmen des durch Notwehr Gerechtfertigten halten oder dessen Grenzen überschreiten. Für die Frage der Arglosigkeit ist Letzteres unerheblich. Mit seinem konkreten Angriff hat das spätere Opfer des Gegenangriffs in aller Regel seine Arglosigkeit bereits zuvor verloren. Er ist der wirkliche Angreifer. Dem Angegriffenen gesteht die Rechtsordnung das Notwehrrecht zu. Mit dessen Ausübung muss jeder Angreifer in solcher Lage grundsätzlich rechnen. Dass M von dem Angriff überrascht wurde, ändert daran nichts, weil der sich in Notwehrlage befindliche T das Überraschungsmoment für seine Gegenwehr nutzen durfte.

Somit hat T nicht heimtückisch gehandelt und den Tatbestand des Mordes nicht verwirklicht.

II. T hat aber einen Totschlag (§ 212 StGB) begangen. Dieser könnte durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt sein. Eine Notwehrlage wurde bereits oben I 2 bejaht. § 32 II würde jedoch nicht zu Gunsten des T eingreifen, wenn dieser das Maß der gebotenen Verteidigung überschritten hätte.

1. Das LG hatte das mit verschiedenen Argumenten bejaht, u. a. damit, die Tötung des M durch T sei völlig unverhältnismäßig gewesen. Dem stimmt der BGH nicht zu (S. 1957 unter 2): Eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter findet bei der Notwehr grundsätzlich nicht statt (anders etwa im Notstandsfall gem. § 34 StGB…). Ein Fall des Missbrauchs des Notwehrrechts wegen geringen Gewichts des angegriffenen Rechtsguts stand hier nicht in Rede. Bei der Erpressung von 2 500 € bleibt es bei dem Grundsatz, dass das Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht.

2. Nicht ausgeschlossen werden kann aber die Möglichkeit, dass T, statt sofort mit einem tödlichen Messerschnitt gegen M vorzugehen, diesem etwa unter Vorzeigen des Messers hätte deutlich machen können, dass er sich zu wehren gedenkt. Dabei könnte auch von Bedeutung sein, dass M stark betrunken und deshalb nur noch begrenzt aktionsfähig war. (Im Originalfall hatte A als Zeuge ausgesagt, M habe auf Grund seiner Alkoholisierung kaum stehen können.) Auch die Rolle des A in dem Geschehen müsste noch stärker aufgeklärt werden. Der BGH kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass auf Grund des bisher festgestellten Sachverhalts nicht entschieden werden kann, ob die Tötung des M durch T eine erforderliche Verteidigung war, und hat den Fall zurückverwiesen. Auch auf Grund des obigen Sachverhalts ist eine Entscheidung der Frage, ob T in Notwehr gehandelt hat oder ob er wegen Totschlags zu bestrafen ist, nicht möglich.

3. Der BGH erörtert auf S. 1958 ff. unter 5 noch verschiedene Fälle einer Einschränkung des Notwehrrechts, u. a. wegen einer durch T „provozierten“ Notwehrlage, verneint dies aber im vorliegenden Fall.

Zusammenfassung