Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß
OLG Nürnberg Beschluss vom 18.9.2002 (Ws 867/02) NJW 2003, 454, JuS 2003, 408
Fall (Übersehene Patrone)
Frau A wollte sich von ihrem Ehemann E scheiden lassen. Bei einer Aussprache über die Scheidung fragte E, ob A sich vorstellen könne, ihn zu erschießen. E forderte A auf, eine unter seinem Kissen verborgene Pistole zu nehmen und auf ihn zu schießen. E hatte A schon früher öfters über die Gefühle erzählt, die man beim Russischen Roulett hat, bei dem man gerade nicht weiß, ob eine Patrone in der Waffe ist oder nicht. E zeigte der A das leere Magazin und forderte sie auf, auf ihn zu schießen. Während E, der von A getötet werden wollte, wusste, dass sich noch eine Patrone im Lauf der Pistole befand, hatte A keine Ahnung von Waffen und war A völlig ahnungslos. E wiederholte, dass sich keine Patronen in der Pistole befänden, und zeigte ihr das leere Magazin. Nach erneuter Aufforderung durch E hielt A die Pistole an die Schläfe des E und drückte entsprechend der erneuten Aufforderung des E ab. A hatte die Patrone im Lauf der Pistole übersehen, so dass sie E erschoss. Wie ist das Verhalten der A strafrechtlich zu beurteilen ?
I. Das Verhalten der A könnte als straflose Beihilfe zum Selbstmord zu beurteilen sein.
Will jemand seinen eigenen Tod herbeiführen und wirkt ein anderer daran als bloßerGehilfe mit, liegt eine straflose Beihilfe zum Selbstmord vor. Voraussetzung hierfür ist, dass der letzte Schritt zur Tötung von dem getan wird, der zu sterben wünscht (st. Rspr.: BGHSt 24, 342; 32, 262). Vorliegend lag die entscheidende Ausführungshandlung nicht bei E, sondern bei A;... ihr Mann wollte von ihr getötet werden, und sobald sie abdrückte, hatte er keine Möglichkeit mehr, seine Entscheidung zu ändern ... Der Gesichtspunkt, dass die den Schuss auslösende Ehefrau über die Patrone im Lauf in Unkenntnis war, verstärkt zwar das Gewicht der Rolle des Ehemanns im hohen Maß gegenüber einem vorsätzlichem Handeln der Ehefrau. Eine bewusste Beherrschung des Tötungsgeschehens fehlt. Aber es bleibt dabei, dass ihr Ehemann die irreversible Handlung ihr überließ, da saß und darauf wartete, dass sie auch wirklich seinem Wunsch entsprechend abdrückte. Die Beschuldigte wusste auch, dass ihr die Rolle des Schützen zugedacht war; sie hätte sich deshalb ebenfalls sagen müssen, dass es, wenn sie sich irrte und die Waffe doch geladen war, nur noch auf sie ankam und sie den irreversiblen Handlungsschritt vornahm. Eine straflose Beihilfe zum Selbstmord scheidet daher aus.
II. A könnte sich wegen einer Tötung auf Verlangen gemäß § 216 StGB strafbar gemacht haben. Das setzt voraus, dass A durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des E zu dessen Tötung bestimmt wurde und subjektiv den Vorsatz hatte, einen anderen Menschen zu töten. A wusste aber nicht, dass sich im Lauf der Pistole noch eine Patrone befand. Sie hatte somit keinen Vorsatz zur Tötung eines anderen Menschen, so dass sie sich nicht wegen einer Tötung auf Verlagen gemäß § 216 StGB strafbar gemacht hat.
III. A könnte sich wegen einer fahrlässigen Tötung gemäß § 222 StGB strafbar gemacht haben.
1 . A hat durch den Schuss den Tod des E verursacht.
2 . Weiterhin müsste eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung bei objektiver Vorhersehbarkeit des tatbestandlichen Erfolges gegeben sein. Das Abdrücken einer Pistole am Kopf eines anderen Menschen stellt eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung dar. Objektiv vorhersehbar ist der tatbestandliche Erfolg, wenn er innerhalb der allgemeinen Lebenswahrscheinlichkeiten liegt. Dass sich bei einer Pistole noch eine Patrone im Lauf befindet, obwohl keine Patronen mehr im Magazin sind, liegt durchaus im Rahmen der allgemeinen Lebenswahrscheinlichkeiten, so dass der tatbestandliche Erfolg objektiv vorhersehbar war.
3 . Zwischen der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung und dem Eintritt des Erfolges bestand der für § 222 StGB erforderliche Zurechnungszusammenhang, da der Tod des E aufgrund der Sorgfaltspflichtverletzung der A eingetreten ist.
4. A hat rechtswidrig gehandelt.
5. Weiterhin müsste A schuldhaft gehandelt haben. Das setzt einen subjektiven Sorgfaltspflichtverstoß bei subjektiver Vorhersehbarkeit des Erfolges voraus. Dieser wird vom OLG bejaht. Nach den Akten wusste sie, dass sie selbst keine Erfahrung mit Schusswaffen hatte. Das Verhalten ihres Mannes war erkennbar in hohem Maß mehrdeutig ... Seine Äußerungen und Anspielungen hatten ständig gewechselt ... Das Vorzeigen des Magazins konnte bei solchen wechselnden Äußerungen ein geschicktes Täuschungsmanöver sein, und das war es auch.
A hat sich somit wegen einer fahrlässigen Tötung gemäß § 222 StGB strafbar gemacht.
Es liegt eine fahrlässige Tötung und keine straflose Beihilfe zur Selbsttötung vor, wenn der Täter eine von ihm fahrlässig für ungeladen gehaltene Pistole auf Verlangen des Opfers auf das Opfer richtet und dieses erschießt.