Bearbeiter: RA Prof. Dieter Schmalz

Urkundenfälschung, § 267 StGB. Urkundeneigenschaft von Fotokopien

OLG Stuttgart Urteil vom 22. 5. 2006 (1 Ss 13/06) NJW 2006, 2869

Fall (Farbkopie des Behindertenausweises)

Tochter T des A litt an einer schweren und chronischen Krankheit (Mukoviszidose) und besaß deshalb einen Schwerbehindertenausweis sowie einen Parkberechtigungsschein für Parkplätze, die für Behinderte reserviert sind. A wollte von dem Parkprivileg gelegentlich auch dann Gebrauch machen, wenn er mit dem Auto unterwegs war und T ihn nicht begleitete. Er fertigte von beiden Ausweisen Farbkopien an, und zwar sowohl von der Vorder- und der Rückseite, und schweißte sie in eine Klarsichtfolie ein. Am 22. 1. parkte A bei einem Besuch in der Innenstadt auf einem Schwerbehindertenparkplatz. Die beiden Ausweiskopien legte er auf das Armaturenbrett, den Schwerbehindertenausweis etwas verdeckt unter den Parkberechtigungsschein. Der Polizeibeamte P, ein erfahrener Verkehrskontrolleur, erkannte sofort, dass es sich um Kopien handelte, weil auf der Kopie der Parkberechtigung Knitterspuren des Originals mitkopiert worden waren und weil der Schwerbehindertenausweis kein Originallichtbild enthielt; auch war erkennbar, dass die Ösen, mit denen das Lichtbild befestigt wird, bloß kopiert waren. Hat A sich strafbar gemacht ?

A könnte eine Urkundenfälschung durch Herstellen und Gebrauchens einer unechten Urkunde begangen haben (§ 267 I, 1. und 3. Alternative StGB).

I. Dann müssten die beiden Ausweiskopien Urkunden sein.

1. Urkunde ist eine verkörperte Gedankenerklärung, die geeignet und bestimmt ist, für ein Rechtsverhältnis Beweis zu erbringen, und die den Aussteller erkennen lässt (BGHSt 16, 94, 95/6; OLG S. 2869; Jahn JuS 2006, 856 und FN 7). Würde es sich hier um die Originalausweise handeln, wären diese sicherlich Urkunden. Dem Original gleich zu stellen sind beglaubigte Kopien ebenso wie beglaubigte Abschriften (Jahn JuS 2006, 856).

2. Hier handelte es sich jedoch um (nicht beglaubigte) Kopien.

a) Nach h. M. ist eine Kopie grundsätzlich keine Urkunde, die den gleichen Gedankeninhalt wie das Original hat. OLG S. 2869: Die Kopie verkörpert grundsätzlich keine eigene Gedankenerklärung, sondern dokumentiert nur, dass ein bestimmter Aussteller einmal eine bestimmte Erklärung abgegeben hat, gibt also als auf technischem Wege hergestelltes Abbild einer Urkunde lediglich stellvertretend für das Original eine fremde Gedankenerklärung wieder (…BGHSt 24, 140 [141]). Darüber hinaus lässt eine Kopie regelmäßig auch keinen Aussteller erkennen. Hat der Aussteller seine Gedankenerklärung einmal aus der Hand gegeben, kann ein nicht mehr zu überblickender Personenkreis Fotokopien dieser Erklärung herstellen, so dass der Rechtsverkehr nicht feststellen kann, von wem sie gefertigt wurden.

 Dies gilt jedoch nur dann, wenn die Kopie nach außen als Reproduktion des Originals erscheint und der Hersteller sie auch so nutzen will. D. h. wenn die Kopie auch als solche verwendet wird.

 b) Dagegen ist eine Kopie als Urkunde zu behandeln, wenn der Täter eine fotografische Reproduktion als angeblich vom Aussteller herrührende Urschrift hergestellt hat und mit dieser den Anschein einer Originalurkunde erwecken wollte, an die der Rechtsverkehr das nach § 267 StGB zu schützende Vertrauen auf die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs mit Urkunden anknüpft (…).

OLG S. 2870: Denn dann gibt das gefertigte Schriftstück nicht nur wieder, was in einem anderen Schriftstück verkörpert ist, sondern täuscht…vor, es enthalte eine eigene Erklärung des angeblichen Ausstellers, für die dieser einstehen wolle.

c) Im vorliegenden Fall kommt eine Anscheinsurkunde gemäß der Ausführungen b) in Betracht. Dem könnte jedoch entgegen stehen, dass die Ausweise von A so mangelhaft kopiert worden waren, dass P sie sofort als Kopien erkannte.

Das Amtsgericht als Vorinstanz des OLG hatte die Abgrenzung zwischen a) und b) von der Qualität der hergestellten Kopien abhängig gemacht und im vorliegenden Fall, weil P die Kopien sofort als solche erkannt hatte, den Fotokopien die Urkundeneigenschaft abgesprochen.

Anders das OLG, S. 2870: Dabei kommt es jedoch entgegen der Auffassung des AG weder entscheidend auf die Qualität des Falsifikats (…) noch darauf an, ob das Vorliegen einer Kopie sofort erkennbar ist oder nicht. Selbst bei relativ schlechten Fälschungen besteht ein berechtigtes Interesse des Rechtsverkehrs daran, darauf vertrauen zu können, dass eine verkörperte Erklärung von dem stammt, von dem sie ausweislich ihrer Verkörperung zu stammen scheint, sofern nur überhaupt die ernst zu nehmende Möglichkeit einer unzutreffenden Zuordnung geschaffen wurde. Für die Abgrenzung zu der Herstellung einer bloßen Fotokopie als Nichturkunde kommt es danach auf den Willen des Fälschers an, also darauf, ob er die Kopie zur Verwendung als (falsches) Original geschaffen hat oder ob er sie als bloße Kopie in den Rechtsverkehr bringen wollte (Gribbohm, in: LK-StGB § 267 Rdnr. 116). Hierbei kann die Qualität des Falsifikats eine Indizwirkung entfalten: Je besser die Qualität ist, umso mehr spricht für eine Fälschungsabsicht des Täters.

Im vorliegenden Fall bestand die Möglichkeit einer unzutreffenden Einordnung der von A ausgelegten Papiere, weil ein weniger erfahrener oder weniger genau prüfender Kontrolleur die Ausweise als echt hätte betrachten können. Auch hatte A den Willen, die Kopien wie Originale zu verwenden, und hat diesen Willen auch verwirklicht. Somit handelte es sich um Urkunden.

II. Da die Kopien nicht von den in ihnen als Aussteller bezeichneten Stellen herrührten, sondern von A, sind sie auch unecht.

III. A hat sie hergestellt und anschließend gebraucht, indem er sie im Auto ausgelegt hat.

IV. A hat vorsätzlich und mit der Absicht der Täuschung im Rechtsverkehr gehandelt, weil er die unechten Urkunden dazu verwenden wollte, um seine Parkberechtigung als Schwerbehinderter darzutun.

Somit hat A sich wegen Urkundenfälschung strafbar gemacht.

Zusammenfassung